Ladyfest: Critical Whiteness Reload

Es ist zwar Sonntag, doch ich komme irgendwie nicht umhin, jetzt nochmal auf die Schnelle meine Impressionen von meinem Ladyfest-Mainz-Abstecher runter zu tippen – sowie meine Ergänzungen zum Thema „Feminismus & Critical Whiteness“, da gestern natürlich nicht die Zeit ausreichte, das alles nochmal en Detail auf die Kette zu kriegen. Impuls dafür ist übrigens das anregende Gespräch, dass ich gestern im Anschluss an unser Podium noch mit einer Zuschauerin hatte – leider viel zu kurz, da der Zug rief.

Heißt: Dieser Blogpost ist vielleicht nicht für jede_n interessant (wie mensch oben sieht falle ich ja ein bisschen mit der Tür ins Haus), hat aber vielleicht dennoch die ein oder andere diskussionswürdige Sache intus, und überhaupt, wer mag liest einfach weiter.

Gestern nachmittag also Podium mit Antje Schrupp, Imme Goldstein, Margot Müller, Laylah Naimi und mir. Geladen waren wir als Vertreterinnen verschiedener feministischer Strömungen, was irgendwie natürlich ganz viel Sinn machte – allein, um nochmal zu verdeutlichen wie viele unterschiedliche Strömungen es gibt, da die Pluralität des Feminismus vielleicht nicht immer für jede_n klar auf der Hand liegt. Von daher war diese Ausgangslage auf jeden Fall für die am Ende sehr fruchtbare Diskussion auch auf jeden Fall ganz zielführend, wobei natürlich auch Folgendes aufkam: Riesenfässer und weites Feld – aber so ist das wohl bei den meisten Podien.

Auf jeden Fall, ich war als Vertreterin des „Critical Whiteness Feminismus“ eingeladen, und das nahm ich ohne mit der Wimper zu zucken an, da ich in der Vergangenheit schon mal hier, mal da, im groben Kontext dazu geschrieben hatte (zum Beispiel hier zum Amina-Hoax oder hier zu KONY 2012) – und außerdem fand ich zusätzlich interessant, in der Runde dann mal die Frage aufwerfen zu können, warum jemand wie beispielsweise ich schnell mit diesem Label in Verbindung gebracht und irgendwie als Mit-Vertreterin des Ganzen betrachtet wird – auch, wenn es vielleicht andere Bereiche gibt, zu denen ich schon produktiver war. Und, ich machte mir im Vorfeld natürlich mal wieder meine Gedanken, wieso-weshalb-warum so ein Mechanismus greift – nicht das erste Mal, aber das erste Mal in Bezug auf „Critical Whiteness“ und meiner persönlichen Verortung zu dem Ganzen.

Dazu: Vor allem die oben verlinkten Texte haben in der Vergangenheit ab und zu dazu geführt, dass ich als Critical Whiteness-Fachfrau angesprochen wurde. Ich denke, in beiden Artikeln kommt meine Sympathie für diese Denkrichtung zum Ausdruck, aber mir fällt im nachhinein auf, dass ich mich anscheinend doch nicht so sehr in dem Paradigma zuhause fühle. Sichtbar ist es zum Beispiel, wenn es um die Verwendung des Begriffs „PoC“ („People of Color“) geht – in beiden Texten nutze ich sie nicht, und das nicht nur, weil sich die Notwendigkeit nicht ergab. Ich nutze „PoC“ (bisher) nicht als Selbstbezeichnung, verwende es aber in Diskussionen, in denen der akademisierte Diskurs sich darauf verständigt hat, von „PoCs“ zu sprechen. Unwohlsein aber bleibt – vor allem, w-e-i-l ich es ja dann als Fremdbezeichnung nutze.

„Woman of Color“ habe ich glaube ich gestern zum ersten Mal laut ausgesprochen – und zwar, als ich die Situation wiedergab, in der mir das erste Mal erklärt wurde, ich sei eine. Mit diesem Unbehagen laufe ich seit langem rum – genauso, wie ich damals mit Unbehagen das erste Mal das Wort „Migrationshintergrund“ hörte, von dem mir (ebenfalls im akademischen Kontext) erzählt wurde, das es das neue „word to be“ ist, da es als rein analytische (höhö!) Kategorie funktioniert, und dazu beiträgt, reale Phänomene, die Folge einer Sozialkonstruktion sind, zu beleuchten (die Studie, an der ich damals mitwirkte, beschäftigte sich mit „Viktimisierungserfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund“. Das war vor zehn Jahren, und dort erlebte ich das erste Mal meine subjektiven Dilemmata mit Begriffskonstruktionen zum Thema „anders als deutsch“.).

Was ich an Critical Whiteness sehr schätze: Die Wendung, im Bereich der Rassismusforschung den Blick auf deren Strukturen und ausführende Subjekte zu legen. Die Beleuchtung der rassifizierenden Prozesse. Die Untersuchung von gesellschaftlich gebildeten Normen. Das Bewusstsein für Interdependenz. Das Untersuchen von „Normalisierung“. Das kommt, wenn ich meine eigenen Prozesse der Wissensbildung und meinen Background diesbezüglich betrachte, mit Sicherheit auch daher, dass ich im Bereich der Critical Whiteness vieles wiederfinde, das ich wichtig finde. Und dass es Parallelen zu Denkschulen gibt, die ich sehr schätze (Strukturalismus, Machttheorien, Konstruktivismus).

Ich bin dennoch zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht alles zum Thema „Critical Whiteness“ unterschreibe. Gestern warf ich schon ein, dass mein Hauptproblem ist, dass auch Critical Whiteness von der Dichotomie lebt: Das Weißsein benötigt immer auch das Nicht-Weißsein. Das ist ein Dilemma, da auch hier wieder mit Distinktionen gearbeitet wird. Will nicht sagen, dass es jetzt darum gehen soll, diese Begriffe irgendwie abzuschaffen. Was mir nur (oft negativ) auffällt, ist, dass viele „Weiße“ – gerade auch aus den Peers, in denen ich mich inhaltlich oft bewege-, nicht selten geradezu schmerzbefreit das Wort „PoC“ benutzen, um damit die Menschen zu bezeichnen, die sie als „anders“ empfinden bzw. als fremdwahgenommen „anders“ bezeichnen wollen, whatever, und manchmal auch: Um für sie zu sprechen, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen, um… um… um…Und das gefällt mir nicht. Also, dieser Freifahrtsschein. Weil ich irgendwann gedacht habe: „Naja, okay, wenn ich jetzt also PoC bin, dann möchte ich aber nicht, dass irgendwer Nicht-PoC anfängt, sich als mein Interessensvertreter aufzuspielen.“ Against Bauchrednertum sozusagen. Und ich muss sagen, wenn ich schon in diese Dichotomie gewzungen werde, dann werde ich ich Zukunft verstärkt darauf achten, Nicht-PoCs eher auf die Finger zu klopfen, wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin. Ist zwar nicht total ideal, aber so what. Fertig. Das fängt halt alles auch bei der Dosierung an, und ich denke jede_r sollte sich immer wieder kritisch fragen, wie er selbst zu der Taxonomie steht. Sich klar machen, dass das Potenzial des Ansatzes im Perspektivwechsel liegt – diesen jedoch nicht unkritisch hinnehmen.

In der radikaleren Kritik an Critical Whiteness wird der Sachverhalt der benötigten Schwarz-Weiß-Dichotomie auch als „Funktionalisierung und erneute Kolonialisierung“ bezeichnet. Etwas, an das ich mich intuitiv anschließen könnte, da ich eher Dekonstruktion vorziehe (zum Beispiel: So). Zudem, und das ist ein Zusatzfaktor, finde ich den homogenisierenden Anteil im Feld der Critical Whiteness problematisch. Wenn ich mir nämlich unsere insgesamte „Germaness“ angucke, dann würde ich nicht nur den Rassismus der Mehrheitsgesellschaft kritisieren, sondern dazu auch die Entsolidarisierungstendenzen der Mittelschichten und die Schwächen der Eliten (und zwar weiß-übergreifend). Heißt, eher noch als von weißer Überlegenheit würde ich zusätzlich von Hegemonie sprechen – auch wenn die Interdependenzen natürlich in der Critical Whiteness berücksichtigt werden.

Das waren also die Punkte die ich gestern eingangs schon mal kurz angerissen hatte beim Ladyfest – also bei weitem nicht so ausführlich wie hier. Bei Gelegenheit werde ich vielleicht nochmal weiter drauf gucken, weil mir immer mehr Sachen auffallen, die ich gern thematisieren würde – zum Beispiel was den Bereich des Transfer der Critical Whiteness auf den deutschen Bereich betrifft, oder die verschiedenen Entstehungsgeschichten des Rassismus in den USA und in Europa. Ich wünsche mir mehr Fokus auf tatsächliche Praktiken der Ausgrenzung, auf Sozialpraktiken, auf wirkliches Beleuchten sozialstruktureller, kultureller, individueller Dispositionen – und diesen Fokus habe/sehe ich nicht, wenn es allein dabei bleibt, wenn mein und der an anderen aufgeklebte ethnische Aufkleber jetzt einfach mal einen besseren Namen hat. Just my subjective two cents, da ich jede_n verstehen kann, der sich komplett dort wiederfindet.

Soweit. Und ansonsten: Nochmal liebe Grüße an alle Ladyfestler_innen und danke für eine gute Diskussion. Und wer zu diesem Thema (oder auch anderen) weiter debattieren mag: Wie immer gern auch hier. Greetz.

20 Kommentare zu „Ladyfest: Critical Whiteness Reload

  1. Okay…puh. also da sind tolle Gedankenanstöße dabei.
    Critical Whiteness insgesamt aber so anzugreifen finde ich auch doof.
    Ich finde es generell erstmal positiv wenn sich „weiße“ Menschen darüber Gedanken machen und ihnen bewusst wird, dass PoC (welches andere Wort könnte mensch in dem Kontext denn jetzt benutzen? irgendwie habe ich da gerade ein Brett vorm Kopf) in dieser Gesellschaft ganz andere Probleme haben, anders behandelt werden usw…
    Viel schlimmer ist doch dieses „ich sehe keine Farben“, weil mensch damit ausdrücken will, nicht rassistisch zu sein, aber offensichtlich auch überhaupt nicht wahrnimmt, dass diese Gesellschaft strukturell rassistisch ist und PoC (?) deshalb immer anders behandelt, betrachtet werden.

    Homogenisierend von „Menschen mit Migrationshintergrund“ zu sprechen finde ich allerdings auch wirklich sehr problematisch.

  2. Ja, thx, Melissa. Verstehe genau was Du sagen willst. Ich möchte Critical Whiteness auch nicht insgesamt angreifen, no no. Wahrscheinlich geht es mir auch eher darum, insgesamt immer wieder kritisch zu hinterfragen und nicht zu reproduzieren. Sozusagen: Critical critical Whiteness. Auch: Ich frage mich manchmal, ob PoC zudem auch dem historischen Kontext hier gerecht wird (z.B. damals mehrheitliche Zuwanderung aus der Türkei). Vor allem in dem Bereich, der sich selbstbezeichnet „islamische Community“ im weitesten Sinne nennt, stoße ich derzeit nicht auf den Sachverhalt, das PoC dort (als Selbstbezeichnung) groß genutzt wird. Darum ging es auch gestern in dem Gespräch. Bleibt mir also, wenn es um Crtical Germaness geht, die Frage, inwiefern das Beleuchten von Islamophobie, Antisemitismus und Co. hier genug Raum bekommen kann. Und natürlich: Dichotomie-Dilemma. Ich weiß, kann nicht abgeschafft werden, könnte aber immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Ja, Dilemma trifft es ganz gut.

  3. Toller Artikel! Die PoC/muslimische Menschen-Sache drückt etwas aus, was ich nur irgendwie im Gefühl hatte, aber so klar noch nie gedacht habe. Danke!

  4. Nadia,
    ich finde es auch problematisch, dass du als Critical Whiteness Expertin eingeladen wirst…Für mich ist das schon fast eine Art von Tokenism, sprich: die hat einen als „anders“ konstruierten Namen, also laden wir sie zu dem Thema ein, denn das muss sie ja können. Hmm. Wenn du in anderen Bereichen schon produktiver warst, warum wirst du nicht zu diesen Themen befragt? Werden dazu eher weiße Deutsche eingeladen? Und wenn dem so ist, bestätigt sich meine Annahme aus dem zweiten Satz…
    Ich verstehe deine Kritik am PoC-Begriff, für mich ist er empowernd, weil er das beschreibt, was ich erfahre: Rassismus. Davon abgesehen, finde ich die Entstehungsgeschichte des Begriffes wichtig, er hat sich aus der Black Power Bewegung entwickelt, also stammt er nicht aus weißen alten Köpfen ( wie beim Begriff Migrationshintergrund) Viele Leute, die nicht weiß sind und nicht im Antira-Diskurs drin sind, bezeichnen sich als m.E. „Araber_in“, „Türk_in“ und mit anderen Begriffen, die mit Nationalkonstrukten zusammenhängen. PoC ist ja eigentlich dafür da, die Communities zu einen, um diese nationalen Grenzen zu überwinden und sich auf das gemeinsame zu konzentrieren. Aber ja, es ist eigentlich eine Selbstbezeichnung.Dilemma.

    Der PoC-Begriff ist widerständig und widerständiges Wissen kommt selten bei der Masse an, das ist meine These, warum sich viele nicht so bezeichnen würden. Vielleicht ist PoC aber auch nur ein Arbeitsbegriff und wir entwickeln in Deutschland andere Alternativen…

  5. Transkulturelle wäre so ein weiterer Begriff, der neu ist.

    Wieso das Kind nicht beim Namen nennen?
    Wie bei Kolonialisierer und Kolonialisierte.
    Herrscher und Beherrschte.
    Meinetwegen auch politisch korrekter: geschlechtsneutral strukturell Bevorteilte und geschlechtsneutral strukturell Benachteiligte.

    Häufig genug geht es doch genau hierum. Oder irre ich mich?
    In feministischen Kontexten könnte man dann wahlweise von strukturell benachteiligten Frauen bzw Männer sprechen – oder eben bevorteilte.

    Die Mechanismen und Ursachen der strukturellen Benachteiligung, ob mit oder ohne Migrations-haft-grund, sind doch ähnlich genug.

    So könnte man zumindest die Dichotomiesierung blassweiss vs. braunschattiert endlich aufgeben. Man würde wohlmöglich sprachlichsymbolische – bisweilen künstliche (künstlich empfundene) – Gruppenzuweisungen überwinden.

    Wieso nicht Adjektive nutzen statt Nomen?
    Adjektive drücken eher Zuschreibungen aus, und auch die Situations-/Kontextabhängigkeit dieser Zuschreibungen. Im Ggs zu Personen-Angehaftetheit.

    Nomen wirken statisch und trügerisch faktisch. Gemeint ist zwar eine mehrheitlich uneinheitliche Gruppe, mit häufig nur einer einzigen Gemeinsamkeit.
    Verstanden und verbildlicht wird aber immer, dass Gruppenmitglieder physische/psychische/…/ideologische Klone sind.

    Sollte der Einwand kommen, dass diese Bezeichnungen unhandlich sind: Kennen wir ja auch von Gegner_innen des Binnen-I-s oder -Unterstrichs.

    Um dem entgegenzukommen wäre mein Vorschlag die Nutzung von Verbpronomen. Partizipkonstruktion wie zB „die Arbeitenden“.
    Im Türkischen gibt es sogar für „die, die wir nicht akzeptieren konnten“ ;) ein Wort – undzwar kabullenemediklerimiz.
    Wurde vor Kurzem von Nichttürkischsprachigen – noch so eine Partizipkonstruktion :) – darauf angesprochen, wie viel intuitiver diese seien, war mir bisher nicht aufgefallen.

    Habt ihr weitere Ideen?

  6. Ja, die Begrifflichkeiten… ich kann absolut nachvollziehen, was dich an dem Begriff PoC stört, weil es im Grunde ja nur eine weitere Kategorisierung ist, eine Gruppenzuschreibung, eine Konstruktion als >>die Anderen<< – oder vielleicht auch noch nichtmal das, sondern nur eine vermeintlich korrekte neue Beschreibung für einen Diskurs, der schon ewig besteht. Dabei fallen mir im Grunde nur zwei Dinge ein, welche die meisten als PoCs kategorisierten Personen gemeinsam haben dürften: Erfahrung mit/ Betroffenheit von Rassismus und Abwesenheit weißer/ westlicher Privilegien (wobei sowohl weiß als auch westlich natürlich Konstruktionen sind). Wenn statt von People of Color von Rassismus Betroffenen gesprochen werden würde, wäre es auch irgendwie deutlicher, von welcher Seite der Konstruktionsprozess ausgeht und dass Ethnizität oder Hautfarbe nichts ist, was eine Person naturgegeben mit sich bringt, sondern etwas, dass ihr in sozialen Interaktionen aufgeladen wird.

    Und was deine Einladung als Referiende zu diesem Thema angeht, musste ich irgendwie sofort an diesen Artikel hier denken: http://goodmenproject.com/ethics-values/why-i-dont-want-to-talk-about-race/. Critical Whiteness beschäftigt sich zumindest nach meinem Verständnis doch in erster Linie mit weißen Privilegien, und die liegen in der Verantwortung derjenigen, denen diese Privilegien zuteil werden. Ich finde es komisch, wenn dann die Reflektion dieser Privilegien den weniger privilegierten zugeschoben wird (die sich dann am besten auch noch unheimlich emanzipiert vorkommen, weil sie ja bereit sind, sich über ihre Privilegien aufklären zulassen und am besten noch einen Keks dafür verlangen). Ach, das ist alles so frustrierend…

  7. Yeah, thx Euch allen. Ganz viel Pro auf jeden, ich gucke mir alles nochmal genauer an und möchte dann auch näher Euren Ideen folgen.
    Und Edit:
    „Ich finde es komisch, wenn dann die Reflektion dieser Privilegien den weniger privilegierten zugeschoben wird (die sich dann am besten auch noch unheimlich emanzipiert vorkommen, weil sie ja bereit sind, sich über ihre Privilegien aufklären zulassen und am besten noch einen Keks dafür verlangen).“
    Das ist halt auch so eine Sache, das privileged Ding. Das durchzieht ja viel mehr als weiß/nicht-weiß. Zum Beispiel ist es so, dass ich beruflich zB auch Macht ausübe, auch gegenüber jetzt „klassifiziert Weißen“. Dass ich in vielerlei Hinsicht auch privileged bin. Also, ich finde halt dieser Hegemonie-Gedanke wird bei CW irgendwie nicht ganz griffig. Heißt: Als antirassistische Praxis ist CW wahrscheinlich sehr produktiv. Als Erklärungsmuster für gesellschaftliche Ordnungen (hinsichtlich Rassismus) auf jeden Fall noch seeehr ergänzungswürdig.

    Und dann, wie gesagt der (historische) Kontext und der Anspruch der selbstzuschreibenden Kategorien: Das sehe ich im Moment nicht. Nicht bei denen, die mensch gern als (selbstbezeichnend) „PoC“ hätte. Das Gespräch dass ich am Ende ds Podiums führte, war mit einer jungen Frau, die sich selbst als Afro-Deutsche bezeichnet und sehr viel in Moscheen aktiv ist. Der Versuch dort mit dem PoC-Begriff zu handeln misslang, wie sie mir rückmeldete. Von daher frage ich mich, inwiefern das Ganze nur akademische Spielart ist, die aber in der Realität voerst keine große Tragweite hat.

  8. „Critical Whiteness beschäftigt sich zumindest nach meinem Verständnis doch in erster Linie mit weißen Privilegien, und die liegen in der Verantwortung derjenigen, denen diese Privilegien zuteil werden.“
    Also, das ist halt der mega-interessante Punkt. Wie „unweiß“ bin ich, dass ich da nicht mitsprechen könnte/kann? Weil, das ist ja so nicht ganz zutreffend. Da gibt es ja Nuancen. Ich sehe das ein bisschen in Cornel-West-Manier, der sich eher auf Strukturen stützt und eben auch betont, dass es bei Privilegien eben nicht um Hautfarbe geht, sondern auch um mehrere Strukturfaktoren. Und da hakt es dann, und zwar massiv.

  9. Nadia, mal polemisch gefragt: Was ist in der Gesellschaft eigentlich frei von bzw. ohne Strukturen?

    Eigentlich gar nichts. Alles hat letztlich einen Bezug zu Strukturen. Also welche Strukturen meinen wir hier?

  10. Da würde ich sagen: Ausgehend von rassistischen Strukturen kann mensch andere Strukturen nicht ausblenden.

    –> „… dann würde ich nicht nur den Rassismus der Mehrheitsgesellschaft kritisieren, sondern dazu auch die Entsolidarisierungstendenzen der Mittelschichten und die Schwächen der Eliten (und zwar weiß-übergreifend). Heißt, eher noch als von weißer Überlegenheit würde ich zusätzlich von Hegemonie sprechen.“

    Meine damit: Explizit auch die Schwächen der „nicht-weißen“ Eliten, deren Entsolidarisierungstendenzen, Konsumismus etc.. (Deswegen die Anführungsstriche, weil sich die Dichotomie hier als Schwierigkeit erweist. Zusätzlich, die Frage auch: Was wird als weiß wahrgenommen? Weil, gibt durchaus Kontexte, in denen ich jetzt nicht als komplett unweiß klassifiziert werde. Im Internet natürlich verstärkter zB aufgrund der Sichtbarkeit (folgerichtig: Name), aber in anderen sozialen Feldern auch weniger.)

  11. ich bin mir nicht ganz sicher, ob meine Ausführungen klar formuliert sind :)

    Im Grunde sage ich nichts anderes als
    „Ich sehe das ein bisschen in Cornel-West-Manier, der sich eher auf Strukturen stützt und eben auch betont, dass es bei Privilegien eben nicht um Hautfarbe geht, sondern auch um mehrere Strukturfaktoren. Und da hakt es dann, und zwar massiv.“
    Plus: unheimlich kreative, weil begründete Wortschöpfung als möglicher Lösungsweg.

  12. Nadia, zu Deinem Beispiel mit der in Moscheen aktiven Afrodeutschen fällt mir ein, dass kürzlich irgendwo Roma als PoC bezeichnet wurden. Ich bin zwar selbst keine Romni, habe aber familiäre Bindungen zu einer spanischen Roma-Familie, und fürchte, dass (spanische) Roma auch nicht unbedingt glücklich mit dem Begriff PoC wären. Genaues weiß ich allerdings in diesem Zusammenhang auch nicht, denn das ist eines der Themen, die ich meiner Roma-Family gegenüber nicht konkret ansprechen kann. (Zu Roma außerhalb Spaniens fehlt mir der Kontakt, insofern kann ich dazu erst recht nichts sagen. )

  13. Dichotomien aufzumachen halten ich immer für schwierig, weil das wieder homogene Gruppen voraussetzt, die es so einfach nicht gibt. In unserer Gesellschaft gibt es ja einen ganzen Haufen an Strukturkategorien und jeder Mensch ist unterschiedlich darin verortet. Ein Schwarzer, körperlich unversehrter Mann aus der sogenannten Mittelschicht hat natürlich eine ganze andere Position inne als eine Schwarze Asylbewerberin bspw.. Trotzdem werden beiden keine weißen Privilegien zuteil, unter Umständen aber dafür andere, wie zum Beispiel männliche. Wenn ich als weiße Frau mit einem Schwarzen Mann interagiere, kann ich mich auf weiße, er sich auf männliche Privilegien berufen. Es kommt dann unter anderem auf den Kontext an, welche Privilegien in der Situation an Bedeutung gewinnen und natürlich auch auf die weiteren Strukturkategorien, in denen wir verortet sind.

    „Also, das ist halt der mega-interessante Punkt. Wie “unweiß” bin ich, dass ich da nicht mitsprechen könnte/kann? Weil, das ist ja so nicht ganz zutreffend.“

    Also so wie ich deinen Eingangspost verstanden habe, bist du doch eingeladen worden, weil die Orga dich als PoC kategorisiert hat, oder? Du also aus Erfahrungen berichten solltest, obwohl du zu anderen Themenfeldern bisher viel ausführlicher gearbeitet hast? In dem Moment wo dir aufgrund dessen die Einladung zuteil geworden ist, hat die Orga meiner Ansicht nach weiße Privilegien ausgespielt. Zu diesen Privilegien gehört nämlich auch die Definitionshoheit darüber, wer „drin“ und wer „draußen“ ist und ich dachte rausgelesen zu haben, dass du dich zur Anderen gemacht gefühlt hast, oder? Vielleicht habe ich deinen Beitrag aber auch falsch verstanden, dann korrigiere mich bitte. Was ich damit eigentlich nur sagen will ist: kein Mensch ist Schwarz oder weiß. Wir werden erst dazu gemacht. Und im Grunde genommen ist die Trennung ziemlich beliebig…

  14. @viruletta:
    Ja, danke nochmal für den Erinnerungslink, an die Studie habe ich auch schon gedacht.

    „Also so wie ich deinen Eingangspost verstanden habe, bist du doch eingeladen worden, weil die Orga dich als PoC kategorisiert hat, oder?“ Jein. Also, ich habe ja wie gesagt schon zum Thema gearbeitet, d.h., ich bin vielleicht nicht als Betroffene, sondern eher als Expert eingeladen worden – aber wahrscheinlich als Expertin mit Betroffenheitshintergrund oder so.

    Da ist ja das nächste Ding dazu: Dass überproportional [wahrgenommene] PoC medial subalterne soziale Positionen wie jetzt im Beispiel CW repräsentieren, ist manchmal vielleicht halt oft auch Lauf der Dinge. Weil, ich muss ja auch sagen, dass dieser – nennen wir es „Das betrifft mich jetzt aber auch“-Impetus – auch bei mir greift (zB indem ich oben das alles bis ins Detail auseinander nehme – wohl auch, weil ich da ganz interessegeleitet drangehe).

    Aber ich gebe Dir Recht, dass die Klassifikationsschubladen da sind wenn es darum geht zu welchem Thema gearbeitet wird. Habe ich grad in der Hochphase der ganzen Islam-Sarrazin-Debatte mitbekommen, weil da oft Sachen an einen herangetragen wurden, von denen ich jetzt inhaltlich auch eher wenig Ahnung hatte, wo aber immer gedacht wurde ich sei quasi „qua Herkunft“ kompetent. Jaha. Oh Lawd. Auch ein Riesenfass.

  15. Critical Whiteness ist ja als sozialwissenschaftlicher Ansatz zu einer realistischeren Einschätzung von Rassismus bzw. Marginalisierungsprozessen entstanden. An der Stelle versagt dann oft die Projektion der allgemeinen Einteilung der Gesellschaft in Gruppen (weiblich-männlich, PoC-Weiß, Queer-Heteronormativ) auf die individuelle Ebene (was bin ich? was will ich sein?). Für mich gehört es dabei dazu, als jeweiliger weiß markierter Gegenpart meine Existenz als weiß-markierter Mensch nicht zu verleugnen, andere (selbstermächtigende, nicht marginalisierende) Distanzierungen von Gruppen aber zuzulassen und zu respektieren. Das Problem ist aber, dass mögliche negative Erfahrungen und der strukturelle Rassismus Menschen in Rollen zwingen…

Kommentare sind geschlossen.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑