Küssen für die Gleichberechtigung?

Heute ist Internationaler Tag gegen Homophobie. Weltweit finden dazu Veranstaltungen, Aktionen und Demonstrationen statt, um auf die noch immer währende Ungleichbehandlung von LGBT hinzuweisen und Gleichberechtigung einzufordern. 2010 steht der IDAHO (International Day against Homophobia) unter dem Motto „Religionen, Homophobie, Transphobie“ und thematisiert damit die Stigmatisierung von LBGT-Lebensweisen sowie die Rechtfertigung von Gewalt, Zwangssterilisationen und Diskriminierung durch religiöse Vertreter_innen.

In den deutschen Medien und in der Mehrheitsgesellschaft findet der Tag so gut wie keine Aufmerksamkeit, lediglich in lesbischwulen und Trans* Kontexten können sich Interessierte informieren und an entsprechenden Veranstaltungen teilnehmen. Das ist schade, denn es ist gerade mal 20 Jahre her, dass Homosexualität weltweit nicht mehr zu den psychischen Störungen zählt. Im Kampf gegen Diskriminierung und Intoleranz ist allerdings ein breites öffentliches Interesse gefragt. Hierzu muss ein Weg gefunden werden, die Mehrheitsgesellschaft von der Wichtigkeit der LGBT-Problematiken zu überzeugen und damit eine Breitenwirkung zu erzielen, die politisches Handeln notwendig macht. Von der tatsächlichen Gleichberechtigung kann nämlich auch in Deutschland keine Rede sein: Mehr als die Hälfte aller Deutschen lehnt die Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Lebensweisen ab.

Foto: Federico Navaro auf Flickr (CC-BY-NC-SA)

Da überrascht es, dass eine der rar gesäten Aktionen zum IDAHO erneut der flashmob-artige Kuss-Marathon „Protect every Kiss“ in Berlin ist. Hauptorganisator ist Maneo, das schwule Anti-Gewalt-Projekt der Hauptstadt. Jedes Jahr sind Städte weltweit dazu aufgerufen, solch einen Kuss-Marathon zu veranstalten. Diese Protestform soll die Ungleichbehandlung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans* weltweit sichtbar machen. Wahrscheinlich soll sich die heteronormative Mehrheitsgesellschaft davon irgendwie angesprochen fühlen. Irgendwie ja, nämlich mit denselben abschätzigen, abwertenden und belustigten Reaktionen, die LGBT sonst so begegnen, wenn Intimitäten in der Öffentlichkeit ausgetauscht werden. Von wachsender Akzeptanz und Verständnis für die besondere Gefährdungslage von LGBT kann bei solch einer relativ inhaltsleeren Demonstration von Andersartigkeit keine Rede sein. Das bewusste Betonen des Anderen ist nichts, was diesen Kuss-Marathon von Marginalisierungstaktiken der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft unterscheidet, außer dass sich die sonst zu einer abweichenden Gruppe Konstruierten selbst als abweichend und anders konstruieren.

In diesem Jahr findet das Berliner Kiss-In vor der ugandischen Botschaft statt, um Solidarität mit den in afrikanischen Ländern bedrohten und verfolgten LGBT zu zeigen und gegen das geplante Anti-Homosexuellen-Gesetz in Uganda zu protestieren. Statt politische Forderungen zu stellen, Heteronormativität und seine katastrophalen Folgen für queere Lebensweisen anzuprangern,  und die Unterstützung gesamtgesellschaftlich zu ermöglichen, wird Uganda als einziges zu beackenders „Homophobie-Feld“ inszeniert, während die breite homophobe Mitte der Gesellschaft ausgespart bleibt. Nicht einmal das Motto des diesjährigen IDAHO wird ersichtlich. Sonst hätte Maneo das Kiss-In nämlich direkt vor Kirchen und fundamentalen christlichen Organisationen organisieren können, die maßgeblichen Einfluss auf homophobe Tendenzen in Afrika haben.

So wird Homophobie auch in diesem Jahr eher als Randproblem dargestellt. Schade um die vertane Chance.

9 Kommentare zu „Küssen für die Gleichberechtigung?

  1. @hn

    alles eine Frage der Definition :-) Natürlich hast du recht. Grundsätzlich bin ich ja für die Bezeichnung queer, weil das für mich der Gegenpart zu heteronormativ ist. Und nicht-heteronormativ bedeutet letztlich imho LGBTI, da sehr viele Heterosexuelle noch immer heteronormative Lebensweisen preferieren.

    Beim IDAHO sehe ich aber momentan nur LGBT angesprochen, also einen Teil von queeren Lebensweisen. Im deutschen Kontext werden Intersexuelle und Trans* fast nie angesprochen, auch nicht von lesbischwuler Seite.

  2. das mit der „vertanen chance“ kann man sehen wie man will- auf die situation in uganda aufmerksam zu machen (in welcher form auch immer) finde ich trotzdem gut und wichtig.

  3. Du hast bei Trans ein * gemacht – gibt es dazu eine Erläuterung oder was bedeutet das * in diesem Kontext?

  4. @wolf

    ich habe auch nicht behauptet, dass das nicht wichtig sei. aber es ist eben auch nicht alles. die konzentration auf homophobie als problem nicht-westlicher oder als undemokratisch konstruierter gesellschaften macht eigene ungleichheits- und herrschaftsverhältnisse unsichtbar. nicht nur das verhältnis von homos zu heteros, sondern auch innerhalb der homo- bzw. queer-szene. das führt zu teilweise merkwürdigen auswüchsen, die auch schon mal gern in rassismus münden. ich kritisiere auch generell dieses permanente „anders“-machen des eigenen selbst. ich kritisiere identitätspolitik in diesem speziellen fall, weil sie gar nichts erreicht, wofür sie kämpft.

    @gustav

    danke für die nachfrage. trans* meint transsexuelle und transgender. trans* ist eine selbst gewählte bezeichnung dieser „gruppen“, deswegen verwende ich sie.

  5. @Nadine

    „Im deutschen Kontext werden Intersexuelle und Trans* fast nie angesprochen, auch nicht von lesbischwuler Seite.“

    geht’s vielleicht n bischen präsizer? wer oder was ist denn da jetzt die „lesbischwule Seite“?!? etwa der LSVD (der nur allzugern sich als alleinvertretende organisation aller lesben und schwulen sieht)? und angesprochen zu was? in welchem kontext jenseits von „deutsch“?

    im kontext von IDAHO wurde wenigstens trans* mit angesprochen. auf politischer bühne in der initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und die Akzeptanz sexueller Vielfalt“ wird trans* auch mit berücksichtigt bzw. ist teil dessen. in den beratungen zu der initiative wurden auch tgnb/triq und GLADT gehört. letzterer verein hat weniger mit trans* dafür aber mit mehrfachdiskriminierung/rassismus zu tun.

    deiner rechnung nicht-heternormativ = LGBTI möchte ich widersprechen.
    schwul-lesbisch-bi-trans*-inter* zu sein schützt leider nicht vor verinnerlichung heteronormativer normen und leben danach. schließend von dem was ich von seiner biografie weiß, würde ich balian buschbaum als beispiel dafür nennen….

  6. @Fritz, the Cat

    Ich wäre sehr erfreut, wenn du deine Kommentare demnächst vielleicht in einem weniger ruppigen und fordernden Ton schreiben könntest, vielen Dank.

    sexuelle Vielfalt ist ja nun auch kein wirklich präziser Begriff, darunter kann so ziemlich alles fallen, auch sexuelle Praktiken wie SM. Der Begriff verschleiert mMn Ungleichbehandlungen von LGBTI. Mit deutschem Kontext meine ich, in Deutschland. In deutsch-deutschen Diskursen. In deutsch-deutschen Öffentlichkeiten. Und ja, da spielen für mich auch die Vereine eine Rolle. Maneo als Hauptorganisator vom „IDAHO in Berlin“ ist nun mal ein schwuler Anti-Gewalt-Verein, auf Plakaten zum Kiss-In in Berlin sehe ich nur Schwule und Lesben, keine Trans* oder Intersex.
    Wie du selbst schreibst, gibt es genügend Vereine, doch am lautesten schreien die nicht gerade. Das ist keine Kritik an ihrer Arbeit, eher an der Überrepräsentanz schwullesbischer Diskussionen. Nicht nur queerer sollte das ganze werden, sondern auch intersektioneller, ganz richtig. Dieses in einen Topf Gewerfe und Vereinfachen von Menschen mit Mehrfachzugehörigkeit stört mich.

    Zu LGBTI und heteronormativ. Kann man natürlich auch so sehen. Ich definiere heteronormativ als eine erzwungene Anpassung an die Mann-Frau-Paarbeziehung nach konservativem Wertebild von Geschlechtern. Da LGBTI aber schon ihrer Selbstdefinition nach und den Beziehungsformen, die sie eingehen weitaus weniger heteronormativ sein können als Heteros, denke ich, dass wir uns in dem Punkt einig sein können, oder?

  7. Mit der „Buchstabensuppe“ ist es aber auch wirklich nicht einfach, und dazu kommen noch gewisse Grabenkämpfe.
    Manche bestehen zum Beispiel auf
    LGBTTQI, um Transsexuell und Trangender zu spearieren, und ob Q jetzt für Questioning oder Queer steht, ist auch nie so klar.
    Manche Transsexuelle und Intersexuelle sehen es als Vereinnahmung, in diesem Bereich mit aufgeführt zu werden, manche meinen, man solle sich dabei auf die sexuelle Orientierung (also LGB) beschränken und innerhalb dieser Gruppe gibt es dann noch einige, die meinen, das B sei fehlplaziert.

    Wenn LGBT Gruppen nach aussen auftreten, steht fast immer die sexuelle Orientierung im Vordergrund, T wird vielleicht in einem Nebensatz miterwähnt, was dann wieder dazu führt, dass es für eine Form von sexueller Orientierung gehalten wird. Verwunderlich ist dies letztlich nicht, während 5%-15% der Bevölkerung in das LGB Spetkrum passen, aber nur etwa jede 250. Person Trans- oder Intersexuell ist.

  8. Ich persönlich mag die „Protect every Kiss“-Kampagne. Trotzdem ist doch niemandem damit geholfen, wenn sie sich nur auf die (ich kürz mal den Buchstabensalat einfach weg…) queeren Kreise beschränkt und man so unter sich bleibt.

    Schließlich kann ich ja auch nichts dafür, dass ich heterosexuell bin. Und finde es auch wichtig, dass alle zwischenmenschlichen Beziehungen gleich behandelt werden.

Kommentare sind geschlossen.

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