Islam Konferenz 2010: Gleichberechtigung und deutsches Unrechtsempfinden

Zur Zeit tagt das neue Plenum der 2006 ins Leben gerufenen Islam Konferenz. Das umstrittene „Prestigeprojekt der CDU“ soll als Annäherungsversuch zwischen dem deutschen Staat und Muslim_innen fungieren und dient laut Initiator Wolfgang Schäuble (CDU) dazu, „dass Muslime [und Musliminnen] verstehen, dass sie in unserem (sic!) Land willkommen sind“.

Im Mittelpunkt der Islam Konferenz 2010 stehen insbesondere drei Themenkomplexe: Zum einen existiert der Wunsch nach einer „institutionalisierten Kooperation zwischen Staat und Muslimen“. Diskutiert wird auch die „Prävention von Extremismus, Radikalisierung und gesellschaftlicher Polarisierung“. Ebenfalls auf der Agenda befindet sich Geschlechtergerechtigkeit, anscheinend neue Herzensangelegenheit des Innenministers Thomas de Maizière (CDU).

Unter den Teilnehmenden sind die iranische Theologin Hamideh Mohagheghi und die in Deutschland geborene und in Bosnien-Herzegowina aufgewachsene Armina Omerika, Islamwissenschaftlerin an der Universität Bochum, welche im Vorfeld in der taz u.a. über das Kopftuch, die Auslegung des Korans, Gleichberechtigung und die teils problematischen Ansätze in der Islamdebatte in Deutschland diskutierten.

Auf die Frage, ob das Kopftuch etwas mit dem Thema Gleichberechtigung zu tun hätte, antwortete Mohagheghi

Für mich nicht, nein. Ich bin mit Kopftuch aufgewachsen, ich fühle mich damit wohl. Ich hatte diese Phasen, habe es mal abgesetzt, dann wieder aufgesetzt. Aber ich persönlich halte das Kopftuch nicht für ein religiöses Gebot, wie manche das tun. Diese Aussage im Koran, dass Frauen, übrigens auch Männer, sich bedecken sollen, kann man unterschiedlich interpretieren. Wenn das Kopftuch als religiöse Pflicht verstanden wird, sagt man: Die Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen eine Sünde. Das ist für mich problematisch.

Auffällig sei insbesondere der Aspekt, dass die Kopftuchfrage in Deutschland erst dann interessant wurde, als es nicht um Fabrikarbeiterinnen sondern um Lehrerinnen ging. Omerika konstatiert

(…) Übrigens glaube ich, dass sich die Mehrheitsgesellschaft nicht besonders dafür interessiert hat, ob muslimische Frauen unterdrückt werden, solange sie als Fabrikarbeiterinnen oder Putzfrauen gearbeitet haben. Aber als sie angefangen haben, Rechte für sich zu beanspruchen, zum Beispiel als Lehrerin, da wurde es ein Thema.

Laut Tageschau will das Bundesinnenministerium eine Studie zur Geschlechtergerechtigkeit in Auftrag geben, deren Ergebnisse spätestens Anfang kommenden Jahres vorliegen sollen. Zu untersuchen sei, „inwieweit Geschlechtergerechtigkeit soziale, kulturelle oder religiöse Ursachen hat.“

Wir sind gespannt.

8 Kommentare zu „Islam Konferenz 2010: Gleichberechtigung und deutsches Unrechtsempfinden

  1. Ich würde sagen, eine Lehrerin mit Kopftuch ist für die bürgerlichen Deutschen deshalb relevanter als die Fabrikarbeiterin mit Kopftuch, weil diese Lehrerin mit ihnen und ihren Kindern direkt in Kontakt kommt. Jemand, mit dem ich im täglichen Leben nie zu tun habe, liegt erst mal in der Priorität meiner Themen ganz unten. Mit ‚Rechte beanspruchen‘ hat das nichts zu tun, und ich finde es auch erst mal nicht verwerflich. Wir alle haben unsere Fokusthemen, wir alle haben einen eingeschränkten Blick. Man kann sich bemühen, den zu erweitern, aber ich finde es nicht hilfreich, gleich mit so einer Vorwurfshaltung ‚ihr interessiert euch ja eh nicht für uns‘ da ranzugehen.

  2. Ich weiß nicht, wo du lebst und aufgewachsen bist, aber ich habe schon mein ganzes Leben lang, auch schon lange bevor die Debatte über Kopftuch tragende Lehrerinnen geführt wurde, muslimische Frauen mit Kopftuch gesehen. Ganz so isoliert, wie du es beschreibst, lebt das Bürgertum in Deutschland dann doch nicht mehr… Von daher ist der Vorwurf durchaus gerechtfertigt, dass es weniger um das Kopftuch als Unterdrückungsmechanismus geht, sondern diese Debatte vielmehr ein Ausdruck subtiler Xenophobie ist. Zumal es schwer vorstellbar ist, dass eine Frau, die in Deutschland eine Universität besucht hat, mehr unterdrückt ist wenn sie ein Kopftuch trägt. Durch den von dir beschriebenen direkten Kontakt sollte also eigentlich der gegenteilige Effekt eintreten, nämlich die Erkenntnis, dass es auch selbstbestimmte Frauen gibt, die ihr Haar bedecken möchten.

  3. Miriam: ich habe nicht gesagt, dass das Bürgertum keine Frauen mit Kopftuch gesehen hätte, sondern dass es sie nicht interessiert hat, weil sie mit den Frauen kaum in Kontakt kamen – außer vielleicht beim Gutentagsagen auf dem Flur, wenn es die Putzfrau war. Ich denke, das habe ich deutlich ausgedrückt. Und daraus ergibt sich meine Argumentation, die ich hier noch mal wiederhole: Womit man nicht direkt zu tun hat, das hat keine hohe Priorität (das ist bei allen Menschen so). Wenn auch Lehrerinnen Kopftuch tragen, hat man als Normalbürgerin damit zu tun, also interessiert es plötzlich. Die Argumentation von Omerika, dass das Kopftuch interessiert, seit muslimische Frauen Rechte einfordern, halte ich deshalb für falsch. Allerdings nicht für absurd; ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man auf diesen Gedanken kommt und sich darüber ärgert. Ich denke nur, dass das ein Fehlschluss ist.
    So, das war hoffentlich deutlich.

    Im übrigen fand ich deinen Tonfall tendenziell aggressiv (z.B. gleich der Anfang des ersten Satzes). Es wäre schön, wenn du das in Zukunft vermeiden könntest.

  4. Noch zwei Sachen sind mir eingefallen:

    – Xenophobie: Ich denke, es lässt sich nicht abstreiten, dass das ein Grund sein kann und sicher häufig zu einem gewissen Anteil AUCH ist, das Kopftuch abzulehnen. Die Ablehnung von Fremdem, sobald es einem zu nah auf die Pelle rückt, ist aber kein Zeichen für schlechten Charakter, sondern einfach eine menschliche Eigenschaft, die im einen stärker, im anderen weniger stark ausgeprägt ist. Es bringt nichts sowas als Kampfbegriff zu verwenden, das schafft nur Abwehrhaltungen. Außerdem beachte man das AUCH: nur weil jemand Fremdes unterbewusst ablehnt, heißt das nicht, dass er oder sie nicht auch (andere) gute Gründe haben kann, das Kopftuch abzulehnen.
    – „dass es auch selbstbestimmte Frauen gibt, die ihr Haar bedecken möchten“: Ich denke, den meisten ist es bewusst, dass es das gibt. Aber muss ich das deshalb unterstützen? Wenn ich nun trotzdem der Meinung bin, dass das kein gutes Zeichen setzt und den Frauen schadet, die das Kopftuch eben nicht selbstbestimmt tragen, sondern weil sie sonst zu Hause Druck kriegen? Ich darf doch sicher anderer Meinung sein als diese selbstbestimmte Frau. Oder dürfen nur
    Frauen, die Kopftuch tragen, eine Meinung zum Kopftuch haben? Das würden sicher die wenigsten unterschreiben.

  5. Xenophobie ist doch nicht nur ein Gefühl. (Und selbst wenn es das wäre, Neid, Eifersucht, Hass, Rachsucht sind auch „menschliche Eigenschaften“. Und denen nachzugeben zeugt wohl schon von schlechtem Charakter.)

    Das entscheidende ist aber die kulturelle und soziale Dimension der Xenophobie. Und deshalb finde ich Beobachtung auch interessant. Da die „Dienstboten“ „keine Kultur haben“ können sie „unsere“ Kultur durch Kopftuchtragen nicht bedrohen. Bei einer Lehrerin ist das natürlich anders, mit den beschriebenen Konsequenzen.

  6. Die Kopftuchdebatte nervt langsam. Es gibt um einiges wirksamere Unterdrückungsmechanismen als ein Kopftuch.

    Eine Islamkonferenz hat doch hoffentlich auch andere Themen.

  7. Katharina, meinen Tonfall hast du falsch interpretiert. Der erste Satz war in keinster Weise wertend gemeint, sondern eine neutrale Feststellung. Ich bitte dich also in Zukunft solche Unterstellungen freundlicher zu formulieren…

    Zum Thema Xenophobie hat let schon alles gesagt.

  8. darf ich anmerken, dass der copyrightvermerk unter dem foto in diesem post unsinn ist? nach deutschem (kontinentaleuropäischen) urheberrecht gibt es kein copyright. präzise wäre also „bild: Christian Wyrwa“. das würde seine Rechte ausreichend dokumentieren.

    ansonsten verstösst ein burka-verbot gegen das grundrecht auf selbstbestimmung. um die rechte der burka-tragenden frauen zu stärken, ist ein solches verbot nicht geeignet. sag ich mal so.

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