Frankreichs Debatte um Kinder und Renten

Saludos,

heute möchte ich mal eine Frage zur Debatte stellen. Diese betrifft zwar nicht die EU-Ebene, wird aber in fast allen EU-Ländern diskutiert. Klar, die Europäische Union hat hier keine direkte Gesetzeskompetenz, aber der Vergleich von Debatten ist doch immer ganz interessant.

Es geht um Gleichstellung, Kinder und die Rente. In Frankreich wurde gerade von der Regierung eine große Debatte losgetreten: „Quelle retraite pour les mères de famille“ – Welche Rente für Familienmütter?

Worum es geht: In Frankreich müssen Arbeitnehmer, um eine volle Rente zu erhalten, 161 Trimester Beiträge zahlen (etwas mehr als 40 Jahre). Frauen kriegen pro Kind (geboren oder adoptiert) automatisch 8 Trimester angerechnet. Wenn eine Frau drei Kinder hat, kann sie also sechs Jahre früher in Rente gehen als eine Frau ohne Kinder oder als ein Mann. Zielsetzung war, für Frauen die Reduzierung und/oder Erschwerung von Arbeitszeit durch Mutterschaft, damit verbundener geringerer Gehälter und Karrierechancen, auszugleichen. Auch wenn französische Mütter wesentlich schneller wieder anfangen zu arbeiten als ihre deutschen Kolleginnen, nehmen sie trotzdem zumindest ein paar Monate Mutterschutz, danach organisieren sie zumeist die Kinderbetreuung, kriegen weniger verantwortliche Jobs, weil auch französische Chefs diese tendenziell lieber an Menschen ohne elterlich Verantwortung geben, und verdienen im Durchschnitt weniger als die Männer. Die Anrechnungstrimester sind aber unabhängig davon, ob Mütter arbeiten oder nicht. 2005 haben deswegen 90 Prozent aller Frauen davon profitiert, im Durchschnitt 18 Trimester. Das kostet den französischen Staat im Jahr vier Milliarden Euro.

Dieses System muss nun aufgrund mehrerer Gerichtsurteile gerändert werden. Väter hatten geklagt und gewonnen: Sie haben betreut, Auszeiten genommen, Karriereeinbrüche eingesteckt – und wollen nun bei der Rente davon profitieren können wie Mütter. Die Gerichtsverfahren sind bis zur obersten Instanz durchgefochten – jetzt muss der Gesetzgeber handeln. Die Kläger beriefen sich unter anderem auf das Antidiskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtscharta (hat nix mit der EU zu tun).

Jetzt ist die große Frage, was tun?

  • Allen Vätern auch sechs Trimester pro Kind anrechnen. Das würde das System finanziell sprengen, und außerdem der de facto Realität der „Väterzeit“ nicht entsprechen. In Frankreich entscheidet sich genau ein Prozent der Väter für Vaterzeit.
  • Alle, egal ob Frau oder Mann, die nicht arbeiten gehen, um Kinder zu betreuen, kriegen pro Kindertrimester ein Rententrimester. Das würde aber Anreize neu setzen: Der Anreiz wäre nicht, mehr Kinder zu kriegen an sich, sondern zu Hause zu bleiben bei den Kindern. Das würde aber die Zielsetzung der Regelung auf den Kopf drehen. Man würde das fördern, was man eigentlich entschädigen will: Gehaltsausfall, Nachteile am Arbeitsmarkt, Karriereknicks etc.
  • Das erste Jahr geht automatisch zugunsten der Mutter. Für das zweite entscheiden die Eltern, wer von beiden die drei verbleibenden Trimester erhält. Aber was passiert bei einer Trennung? Wann muss man sich entscheiden? Wer überprüft die Freiwilligkeit solcher Entscheidungen?

Eine sehr spannende Debatte. Also: Was meint ihr?

Adiós, eure Franziska

10 Kommentare zu „Frankreichs Debatte um Kinder und Renten

  1. Ich glaube, dass arbeitende Mütter gegenüber arbeitenden Vätern benachteiligt sind. Deswegen würde ich nur dem einen Prozent der Väter, das die Elternzeit nimmt, die Rentenansprüche zuerkennen. Sobald sich anhand von Gehältern nachweisen lässt, dass Mütter absolut gleichberechtigt sind, würde ich sie genau so behandeln wie die Väter.

  2. Gerechtigkeit gibt’s erst ein paar Jahrzehnte nachdem die Betreuungsarbeit gleichmässig zwischen Vätern und Müttern aufgeteilt worden ist. Jede Regelung, die die Mehrarbeit der Mütter irgendwie ausgleichen will, verstärkt die Ungleichheiten zwangsläufig (obwohl sie für die Betroffenen kurzfristig natürlich Vorteile bringt), denn sie setzen ja voraus, dass das irgendwie normal ist, dass sich die Mutter um die Kinder kümmert. _Langfristig_ ist der _einzige_ Ausweg, Väter gleichermassen in die Betreuungsarbeit einzubeziehen, z.B. durch Halbieren der Elternzeit und Verfall des ganzen Elterngeldes, wenn der Papa doch lieber arbeitet.
    Solange es die Mütter sind, die Hause bleiben, wenn das Kind krank ist, etc. ist es völlig logisch und unausweichlich, dass die Chefs (und Kollegen!) kinderlose Frauen (gegen die gibt’s aber auch wieder eine Menge vorurteile, für die sie aber niemand entschädigt) oder Männer mit und ohne Kinder bevorzugen.
    Die gleichmässigere Aufteilung der Pflichten kann der Staat zwar fördern, aber die Mütter müssen schon auch selbst von den Vätern einfordern! – Oder sich dann nicht wundern…

  3. Um auch einen konkreten Vorschlag zu machen: ganz einfach nachsehen, wer wie oft und wie lange wegen der Kinder von der Arbeit gefehlt hat, und einen maximal „anrechenbaren“ Zeitraum dementsprechend verteilen (Vater ohne Väterzeit und Krankenurlaub wg. Kind kriegt nix).
    Und ansonsten: genügend Betreuungsangebote für alle Kinder ab 6 Monate. Kostet weniger als Direktzahlungen und angerechnete Rentenjahre, ist für die Eltern eine unvergleichlich grössere praktische Hilfe und deshalb ein viel grösserer Anreiz zum Kinderkriegen, und hilft auch den Müttern, als Arbeitnehmerinnen für voll genommen zu werden.

  4. Meine Meinung:

    Ein halbes Jahr zugunsten der Mutter, der Rest grundsätzlich auf beide gleichmässig verteilt. Verringert ein Elternteil nach der Geburt den Umfang seiner Erwerbstätigkeit zwecks Betreuung, steht ihr/ihm ein dementsprechend höherer Anteil der Trimester zu.

    Eine alleinige Anrechnung zugunsten der Mutter wie es noch der Fall ist, ist alleine deshalb schon falsch, da von Männern heutzutage viel stärker Mitarbeit bei der Erziehung und Betreuung der Kinder verlangt und auch geleistet wird, als es früher der Fall war.

  5. Zu den Fragen: Frankreich hat eine sehr gute Kinderbeteuungssituatuin, das Rentensystem ist aehnlich wie bei uns hauptsaechlich Beitragsfinanziert und dann kommen Steuern dazu.
    Ich finde die Vorschlaege, die Rentenansprueche an Auszeiten festmachen etwas schwierig – dadurch gibt man einen weiteren Anreiz zum Zuhausebleiben. Eigentlich fand ich an dem bisherigen System gut, dass es nicht unterschieden hat zwischen zuhausebleiben und arbeiten gehen – weil ja muetter und vaeter gerade wenn sie arbeiten auch Nachteile haben. Hm, aber dann kommt die Frage nach den Vaetern: Es muessten dann zumindest die alleinerziehenden Vaeter – egal ob sie arbeiten oder nicht – auch bekommen. Danach koennte man weiter sehen… Wie gesagt, ich finde, dass es bei der Frage wirklich viele Zielkonflikte gibt!

  6. Gibt es denn irgendwelche Belege, dass die Anreize zum Zuhausebleiben wirklich ins Gewicht fallen. Ich kann mir das nämlich schwer vorstellen, dass für irgendeine 25 Jährige die Rentenansprüche in 40-50 Jahren eine so wichtige Rolle spielen. Wie sehr man heute „allimentiert“ wird ist doch um ein vielfaches bedeutsamer.

    Geht man davon aus, dass dieser Anreiz existiert, kann man doch auch andersrum argumentieren: Die Frau bekommt die 8 Trimester sowieso, dann muss der Mann die ganze Zeit arbeiten um da „aufzuholen“ also existiert kein Anreiz für ihn das Kind zu betreuen. Selbst wenn er dafür Trimester bekommen würde könnte die Frau ja in der Zeit arbeiten und zusätzlich Trimester ansammeln. Also ist es am gerechtesten sie bleibt daheim und er arbeitet.

  7. @jakob das finde ich ein sehr gutes Argument – er muss aufholen und bleibt nicht zu hause. Zu der Frage Anreize: empirisch zeigt sich (OECD etc. Studien), dass in den Laendern, wo Anreize zum Zuhausebleiben gegeben sind, auch zu hause geblieben wird. Das ist aber vielleicht teilweise auch eine Chicken and egg Frage. Was wuerdest du vorschlagen?

  8. @franziska
    Ich meinte eigentlich eher dass vielleicht einfach konkretere Anreize als der Rentenanspruch ausschlaggebender sind. Elterngeld, … oder was auch immer es da in Frankreich gibt. Und wenn man „gute“ Anreize setzen will dann sind die dort doch sicher wirksamer und auch besser aufgehoben.

    Mein Vorschlag wäre einfach (für Eheleute wäre er das jedenfalls, sonst wahrscheinlich schwieriger zu vermitteln) beide Eltern bekommen für die Zeit nach der Geburt ein gemeinsames Konto mit einem Grundguthaben (die Trimester fürs Kind). Nach den zwei Jahren (wenn sich durch Arbeit noch mehr Trimester angesammelt haben) heisst es einfach Halbe Halbe.
    Wenn man beide zum Arbeiten motivieren will könnte man sagen, dass wenn beide Partner gearbeitet (also „eingezahlt“) haben bekommen sie noch ein oder zwei „Bonustrimester“ aufs gemeinsame Konto.

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