Facebooks Feminismusproblem

Inge Kleine lebt in München. Sie ist u.a. damit beschäftigt, gegen geschlechtsspezifische Zuschreibungen an Menschen vorzugehen – in allen ihren Formen. Letztes Jahr um diese Zeit machte sie mit Daniela Oerter und Sabina Lorenz die Aktion #ichhabnichtangzeigtFür den Artikel und auch die verlinkten Texte gilt eine Inhaltswarnung (Beschreibung von sexistischen und gewaltverherrlichenden Inhalten und sexualisierte Gewalt).

Seit dem 21. Mai läuft eine Kampagne durch’s Netz. Ansprechpartner: Werbekunden bei Facebook. Ziel: Facebook endlich auf seine eigenen Richtlinien verpflichten. Mittel: Facebook Werbeeinnahmen entziehen.

Oft läuft es bei Facebook nämlich so: Stillende Mütter – raus. Aufklärungs- und Ermutigungsbilder nach Brustentfernung wegen Krebs – raus. Links mit Anleitungen zum selber Brust abtasten – raus. Politische Aktionen mit nackten Brüsten – mindestens verpixeln. Feministische Bloggerinnen – wochenlang gesperrt. Wenn es um Brüste geht, ist Facebook streng. Schließlich fallen die unter „Inhalte für Erwachsene“ und widersprechen damit ganz klar den von Facebook selbst aufgestellten Richtlinien.

Objektifizierende Bilder von Frauen sind dagegen in Ordnung. Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist auch kein Problem, solange irgendwo dabei steht, dass es sich ja nur um „Scherze“ handelt.

Diese Erfahrung machten Nutzer_innen und Administrator_innen feministischer Seiten, wenn sie brutale Bilder oder ganze Seiten an Facebook meldeten. Praktischerweise hat Facebook dazu ja einen einfach zu findenden Link, rechts neben dem Bild oder dem Rädchen bei „Nachricht“: „Seite melden“ anklicken, „enthält Hassreden“ anklicken, abschicken und fertig. Dankenswerterweise funktioniert das bei manchen Gruppen, z.B. Neonazis, ganz gut.  Bei Bildern, die Vergewaltigungen und Partnerschaftsgewalt gegen Frauen verharmlosen oder verherrlichen, leider nicht. Stattdessen erscheint in einer Antwort auf die Meldung eines (Achtung!) gewaltverherrlichenden Bildes folgende Erläuterung:

„Thanks for your report. We reviewed the photo you reported, but found it doesn’t violate Facebook’s Community Standard on hate speech, which includes posts of photos that attack a person based on their race, ethnicity, national origin, religion, sex, gender, sexual orientation, disability, or medical condition.”

Facebook-Richtlinien zu sogenannten Hassreden, also zu Angriffen auf Personen aufgrund von rassistischen Zuschreibungen, Ethnizität, nationaler Herkunft, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung, Behinderung oder Krankheit – würden bei dem oben verlinkten Bild nicht verletzt.

Falsch. Die Bilder und vor allem die Texte neben ihnen tun das – sie greifen Menschen aufgrund ihres Geschlechts an. Facebook lässt eine Vielzahl an gewaltverherrlichenden und (hetero-)sexistischen Bildern stehen. Vergewaltigungskultur lässt grüßen

Hat Facebook ein Frauen-  oder ein Feminismus-Problem? Spätestens seit letztem Dienstag, 21. Mai, ja. Seit diesem Tag läuft die von Soraya Chemaly, Laura Bates und Jaclyn Friedman über Women, Action and the Media initiierte und außerdem über die Huffington Post verbreitete weltweite Kampagne. Deutsche Übersetzungen finden sich auf re-empowerment  und auf frauengegensexuellegewalt. Facebook Nutzer_innen sind aufgerufen, bestimmte Seiten anzuklicken und Screenshots der Bilder samt der daneben stehenden Werbung zu machen. Sie laden anschließend diese oder von WAM gelieferte Bilder auf Twitter hoch und schicken sie @[die entsprechenden Firma], zusammen mit dem hashtag #fbrape. Außerdem erhalten die Firmen E-mails und bekommen alles noch einmal auf ihre Facebook-Accounts gestellt. Die Aktion läuft gebündelt ab – auf der Aktionsseite von WAM gibt es immer wieder die neuesten Zahlen zu Twitter und Vorschläge, welche Firmen als nächstes angesprochen werden sollen.

An Facebook selber richten die Initiatorinnen drei Forderungen:

  1. Inhalte, die Gewalt gegen Mädchen und Frauen verharmlosen oder verherrlichen als Hassreden anzuerkennen und eine Verpflichtung, diese Inhalte nicht zu tolerieren.
  2. Facebook-Mitarbeiter_innen und –Moderator_innen so auszubilden, dass sie geschlechtsbezogene Hassreden erkennen und entfernen.
  3. Facebook-Mitarbeiter_innen und –Moderator_innen so auszubilden, dass ihnen die unterschiedlichen Auswirkungen der Online-Belästigung auf Frauen und Männer bewusst sind, die zum Teil wegen der weltweit verbreiteten Gewalt gegen Frauen gegeben sind.

Es reicht ihnen nicht, wenn Facebook Bilder entfernt, weil sie in den Mainstream Medien oder im Rahmen dieser Kampagne aufgefallen sind. Ihr Ziel sind neue Richtlinien um das Grundproblem anzugehen, nämlich die Selbstverständlichkeit, mit der diese Gewalt toleriert wird, als Witz durchgeht oder allen Ernstes Gegenstand von Diskussionen wie „Wann darf man(n) zuschlagen?“ wird.

Denn die Auswirkungen dieser medialen Gewalt sind ja bekannt. Sie wird als normal empfunden bzw. gar nicht mehr als solche wahrgenommen. In Steubenville vergewaltigten einige Jugendliche ihr Opfer ohne das geringste Unrechtsbewusstsein und prahlten damit auf Netzwerken. Ebenso durch die Medien ging der Fall dreier Jungs, die ihre Vergewaltigung eines noch jüngeren Mädchens während der Tat posteten. Verteidigt wurden sie auch von Mädchen oder jungen Frauen, die selber vergleichbare Bilder verbreiten um nur ja kein “Opfer” zu sein. Dazu gibt es Seiten, deren Sinn darin besteht, brutale Bilder mit den Namen von Frauen zu taggen (also in einer entsprechenden Zeile dazu zu schreiben), so dass Facebook dann automatisch diesen Frauen den Link zu dem Bild schickt – ein Einblick in das, was Online-Belästigung wirklich ist.

Facebook hat sich die Kampagne selbst „eingekauft“, denn dieser Sturm kündigte sich mindestens seit November 2011 an. Damals unterzeichneten mehr als 180 000 Menschen eine von Change.org inzwischen wieder geöffnete Petitionzum Thema, kombiniert mit einer Twitteraktion #notfunnyfacebook. Facebook sperrte daraufhin und nach weiteren Protesten die übelsten Seiten, deren Titel zu ekelhaft für eine Verbreitung sind. Einige dieser Seiten hatten über 90 000 likes.

Im November 2012 gründete Trista Hendren eine Seite namens Rapebook, in der sie Menschen bat, Links zu entsprechenden Seiten zu sammeln, damit sie von Vielen gleichzeitig gemeldet werden können. Die Ereignisse danach sind inzwischen legendär. Sie erhielt eine unglaubliche Sammlung brutalster Bilder zusammen mit Drohungen an sie und ihre Kinder, ihr Foto (aus Presseberichten bekannt) wurde in Vergewaltigungsszenen einkopiert und persönliche Informationen online verbreitet. Ähnliches passierte ihren Unterstützer_innen: Richtige Namen, Adressen, Namen und Schulen der Kinder und deren Facebook-Accounts standen auf entsprechenden Seiten.

Facebook selbst reagierte bereits auf die Kampagne: Einzelne Bilder sind schon verschwunden und es gibt ein Statement gegenüber ThinkProgress. Da heißt es, dass Hassreden oder schädliches Material nicht hingenommen würden, aber geschmacklose Inhalte an sich seien nicht gegen die Regeln.

Das dies nicht reicht, fällt Facebook wohl gerade auf. Auf vielen Accounts ist neben entsprechenden Seiten für zahlreiche Nutzer_innen gar keine Werbung mehr zu sehen, was Screenshots sinnlos macht. Welche Seiten für welche Nutzer_innen betroffen sind, ist noch nicht klar.

Gleichzeitig geht der Druck weiter. So hat Amber Roak Supanova eine Veranstaltungsseite erstellt. Feministinnen und feministische Blogger_innen weltweit sollen vom 29. – 31. Mai zum Thema bloggen und können sich auf der Seite verlinken. Der Anfang eines Who-is-Who des feministischen Bloggens steht schon drauf.

Wie es mit Facebook und jenseits davon weiter geht, ist noch offen. Ein erstes Statement gab es bereits. Gewaltdarstellungen sind ein so grundlegender Bestandteil einer weltweiten Kultur dazu, dass die Gewalt selber gar nicht mehr als solche wahrgenommen wird. Doch solange eine von drei Frauen einmal in ihrem Leben Opfer körperlicher Gewalt wird und solange ein Aufwachsen mit dieser Gewalt, und sei es nur in allen Medien, zur völlig normalen Sozialisation von Kindern gehört, sind weltweite Aktionen wichtig.

Soraya Chemaly dazu: „The only way to tear this culture down is to object to it every time you encounter it.” (Der einzige Weg, diese Kultur zu zerstören, liegt darin, ihr jedes Mal, wenn sie uns begegnet, entgegen zu treten.)

Nun hat Facebook auf Grund der Proteste reagiert:

Facebook erklärt und verteidigt sein allgemeines Vorgehen in einem Statement zwar noch einmal, meint aber, dass seine Vorgehensweise insbesondere bei geschlechtsspezifischer Hassrede nicht effizient genug waren.

Facebook wird daher folgende Schritte sofort umsetzen:

  1. bei der Bewertung der Richtlinien zu Hassreden die Zusammenarbeit u.a. mit Vertreter_innen der women’s coalition, dem Zusammenschluss der Gruppen, die sich hier engagiert haben, zu suchen
  2. verbesserte Ausbildung der Moderator_innen, ebenfalls in Zusammenarbeit mit (u.a.) der women’s coalition
  3. bei Seiten, deren Inhalte zwar unterhalb der Einstufung als Hassrede liegen, die aber dennoch „grausam oder unsensibel“ sind, auf einer Nennung der Realnamen hinter den Seiten bestehen. Die Personen hinter den Seiten können dann direkt angesprochen werden
  4. direkte und institutionalisierte Kommunikationswege einrichten mit allen Gruppen, die im Bereich von Diskriminierungen arbeiten
  5. Gruppen, mit denen Facebook ohnehin zusammenarbeitet, dazu ermutigen, Mitglieder der women’s coalition einzubeziehen, u.a. um die Auswirkungen von Online-Hassreden auf Menschen zu erforschen, die in der Gesellschaft Diskriminierungen ausgesetzt sind oder waren.

[Punkt drei dürfte schwierig werden, Facebook möchte ja schon länger die ganzen ‚unechten‘ Accounts abschaffen, hier werden andere Grundsatzfragen berührt…]

5 Kommentare zu „Facebooks Feminismusproblem

  1. ehem, dass es nicht falsch verstanden wird- mich kotzt Fb mit dem Datenklau und Werbescheiß und noch paar Sachen einfach dermaßen an, sodass ich es für mich ablehne. (Und paar private Gründe gibts außerdem auch noch).

    Aber ich schreibe dafür Rundmails. :-)

Kommentare sind geschlossen.

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