Erika Steinbach und die „Freiwillige Sexualgemeinschaft“

[Hinweis: Thematisierung von sexualisierter Gewalt und Victim Blaiming, Ausschreiben von V*rg*w*lt*g*ng]

Erika Steinbach – CDU-Fraktionsvorständin im Bundestag und Präsidentin des geschichtsrevisionistischen „Bund der Vertriebenen“-  geht gar nicht. Das ist so ungefähr der Konsens in meinem Umfeld. Ab und zu ein kurzes wütendes Aufstampfen oder verzweifeltes Hand-vor-die-Stirn-Schlagen, wenn Steinbach mal wieder, gern über Twitter, eine ihrer kruden Thesen verbreitet, aber sonst doch lieber ignorieren.

Aber auch wenn ignorieren im Alltag manchmal eine sehr gute Strategie ist, ist hin und wieder auch eine Erinnerung angebracht: Diese Frau – und andere Menschen, deren Tätigkeiten ich lieber nicht minutös beobachte – haben Machtpositionen inne. Sie legen Gesetze fest. Verhindern Gesetze. Machen Dinge staatspolitisch verhandelbar oder eben nicht. Setzen Themen.

Am 15. Mai 1997 wurde endlich nach 25 Jahren Diskussionen im Bundestag in eben diesem die Gleichstellung des Strafbestands der Vergewaltigung innerhalb und außerhalb der Ehe beschlossen. Bis dato konnte sexualisierte Gewalt innerhalb der Ehe allenfalls als „schwere Nötigung“ angezeigt werden. Die Bundestagsdebatte am Entscheidungstag und die Abstimmungsergebnisse könnt ihr im Protokoll ab Seite 94 nachlesen.

Natürlich wollten nicht alle diese Gesetzesänderung. Vor zwei Tagen wurde auf einem Blog eine Liste veröffentlicht mit prominenten und zum Teil noch heute im Bundestag aktiven Nein-Stimmer_innen. Neben Erika Steinbach auch Personen wie Ramsauer und Seehofer.

Bei ersterer wurde bei Twitter  nachgefragt, warum sie denn damals so gestimmt hätte. Nach 16 Jahren hätte eine natürlich so eine Entscheidung reflektieren können. Hatte 1997 selbst ein CDU/CSU-Abgeordner im Bundestag davon gesprochen, dass „heute mit dem alten § 177 StGB ein strafrechtliches Fossil zu Grabe [getragen werde], das aus dem vergangenen Jahrhundert in unsere Zeit noch immer hineingeragt hat“ (Horst Eylmann), so machte Steinbach in ihren Tweets wieder einmal unmissverständlich deutlich, wie viele Fossile (lies *istisches Gedankengut) im Bundestag quicklebendig Entscheidungen treffen.

Da postulierte Erika Steinbach, dass die Ehe eben eine „Freiwillige Sexualgemeinschaft“ sei und weiter, dass es sich doch um erwachsene Personen handelt, die sich „von ihren gewalttätigen Partnern trennen können!!!!„. Die Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ergeht sich in victim blaming und manifestiert wieder einmal „Moral“vorstellungen aus dem vorvorletzten Jahrhundert. In Frankfurt tritt sie als Direktkandidatin für den Bundestag an. Ganz aktuell. Im Jahr 2013.

10 Kommentare zu „Erika Steinbach und die „Freiwillige Sexualgemeinschaft“

  1. Mir fehlen selten die Worte, aber jetzt würde ich am liebsten nur weinen. Ich dachte, wir wären inzwischen dort angekommen, wo Gewalt gegen Frauen zumindest in Deutschland *selbstverständlich* nicht unter dem Schutz des Gesetzes gestellt werden darf. Besonders nicht in einer Ehe. Ich warte ehrlich gesagt nur auf die ersten rassistischen Äußerungen in dieser Debatte. Einfach nur traurig.

  2. trotzdem: aufarbeitung und versuchen zu verstehen, wie das bei den grünen akzeptiert werden konnte, ist dringend notwendig. alles, was auf die untaten von anderen hinweist, ist wasser auf den mühlen derer, die eine derartige aufarbeitung abwehren wollen.
    wie sagte es sina doughan, sprecherin der grünen jugend, noch? zeitzeugen kämen jetzt aus den ecken gekrochen kommen? es sei wahnsinnig lächerlich, das thema so aufzuziehen? klingt nicht so, als hätte eine aufarbeitung auch nur im mindesten einen anfang gefunden.

  3. @Medus: Es ist auf jeden Fall wichtig nicht einfach nur mit den Finger auf andere zu zeigen und damit wichtigen Themen den Rücken zuzukehren. Ich finde die Aussagen von Steinbach trotzdem relevant, da sie sie eben gerade jetzt getoffen wurden und nicht irgendwo in anderen Medien aufgegriffen werden.

    Aber Hinweis ist nichtsdestotrotz auch richtig, dass über diese Steinbach-Geschichte nicht andere Debatten vergessen werden. Ich empfehle da allen den Text „Die Grünen und ihre Nicht-Aufarbeitung sexualisierter Gewalt„.

  4. danke für den post. finde die verzeitlichung am ende des posts allerdings unnötig („aus dem vorvorletzten Jahrhundert), da dies eine (lineare?) entwicklung impliziert, die fortschritt mit vergehender zeit gleichsetzt. nach dem motto: früher war es schlimmer, es wird alles besser mit der zeit.

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