Eltahawy: „Für ein Burka-Verbot!“

Mit großer Mehrheit hat das französische Parlament letzten Dienstag ein Vermummungsverbot verabschiedet, in dem die Worte Burka und Niqab zwar gar nicht vorkommen, das aber recht eindeutig auf Ganzkörperverhüllungen abzielt. Im September wird die Entscheidung mit höchster Wahrscheinlichkeit vom französischen Senat bestätigt und somit in Kraft treten (wir berichteten).

Frankreich hat die größte muslimische Bevölkerung Europas (Schätzungen zufolge fünf bis sechs Millionen), wovon ca. 2.000 Frauen die Niqab oder die Burka tragen und somit direkt von dem neuen Gesetz betroffen sind.

Bereits als in Belgien über ein ähnliches Gesetz entschieden wurde, diskutieren wir über dessen Sinn oder Unsinn. Während ein Burka-Verbot in vielen europäischen Ländern Zustimmung findet (Deutschland: 71%, Frankreich: <80%), plädieren zwei Drittel der US-Amerikaner_innen für ein Recht auf Vollverschleierung. Aus den USA kommen aber auch Stimmen, die die neuen Gesetze in Belgien und Frankreich gutheißen: Mona Eltahawy, eine ägyptisch-amerikanische Journalistin, die sich als „liberale, muslimische Feministin“ beschreibt, erklärt in einem Interview mit Broadsheet@Salon, warum sie ein Burka-Verbot befürwortet.

Auf die Frage, warum sie das Verbot unterstütze, antwortet Eltahawy, dass die Burka einer Ideologie entspringt, die Frömmigkeit mit dem Verschwinden von Frauen gleichsetzt und somit nicht nur Frauen, sondern auch ihre Rechte unsichtbar mache.

Ganzkörperverschleierte Frauen, die behaupten, dass sie die Burka freiwillig tragen, berufen sich häufig auf Erklärungen wie „Frauen seien wie eine Süßigkeit oder wie ein Edelstein, deren Wert geschützt werden müsse“. Eltahawy ist über solche Aussagen einerseits schockiert und erklärt andererseits, dass die Burka nicht zwangsläufig etwas mit dem Islam zu tun hätte, denn die Mehrheit der Musliminnen trage gar keine Burka.

Eltahawy ärgert sich dennoch darüber, dass die Burkadebatte im europäischen Kontext von xenophoben Rechtskonservativen vereinnahmt wurde. Die Diskussion um die Burka, die sich im Kern eigentlich um Frauenrechte drehen sollte, wurde so recht erfolgreich von Rechtspopulist_innen gerahmt, die die Ängste all derer ausnutzten, die anderen Kulturen und Immigrant_innen sowieso schon feindlich gegenüber standen. Eltahawy ist enttäuscht darüber, dass die Linken sich aus der Debatte rausgehalten haben.

Auf die letzte Frage, ob das Burkaverbot Frauen auch in sehr konservativen Gemeinden hilft, antwortet Eltahawy, dass sie zumindest hofft, dass zwangsverschleierte Frauen das neue Gesetz als Möglichkeit erkennen, zu einem Mann zu sagen: „Ich muss rausgehen und arbeiten und kann mein Gesicht nicht verstecken. Das Gesetz steht hinter mir.“ Doch auch Eltahawy ist eher pessimistisch: „Ich weiß nicht, ob das auch wirklich passieren wird.“

24 Kommentare zu „Eltahawy: „Für ein Burka-Verbot!“

  1. ich kann so ein verbot nicht nachvollziehen. es mag sein, dass das für bildungseinrichtungen oder ähnliches sinn macht, wenn man jedes religiöse symbohl da rausnimmt. aber komplett verbieten? wovor hat man wieder angst? sehr traurig.

  2. “Ich muss rausgehen und arbeiten und kann mein Gesicht nicht verstecken. Das Gesetz steht hinter mir.” Doch auch Eltahawy ist eher pessimistisch: “Ich weiß nicht, ob das auch wirklich passieren wird.”

    na, dann wird sie wohl eher gar nicht arbeiten dürfen.
    sie wird nur noch zu hause sitzen, so dass keiner ihre burka „sehen muss“.
    wenn sie gezwungen wird, eine solche zu tragen, dann ändert sich durch dieses burka-verbot nichts daran. was erreicht werden würde, wäre die bestrafung des opfers. super. da finde ich es angebrachter, dass bei nachgewiesenem zwang der ehemann/vater/bruder eine strafe fürchten muss.
    da dieses gesetz scheinbar tatsächlich nur eine minderheit betrifft, ist es wahrscheinlich eher rechtspopulismus. ich kenne frauen, und es werden immer mehr (auch wenn ich ihre meinung nicht teile), die sich freiwillig verschleiern. zwar nicht die komplette gesichtsvermummung, eben so, dass man ihre gesichter sehen kann. also, finde ich, sollte die verschleierung/burka ansich nicht verboten werden. dies käme meiner meinung nach einem „wir wollen eure burkas nicht sehen“ gleich.

    naja, aber auf der anderen seite dürften südamerikanische ureinwohner in europa ja auch nicht in ihrem ein-hauch-von-nichts auf die straße gehen. in saudi-arabien müssen weibliche touristen auch verschkeiert sein etc etc. also wo fängt verständnis an und wo hört sie auf…

  3. finde ihre argumentation absolut nachvollziehbar und kann mich da sehr wiederfinden. sie sagt: „What really strikes me is that a lot of people say that they support a woman’s right to choose to wear a burqa because it’s her natural right. But I often tell them that what they’re doing is supporting an ideology that does not believe in a woman’s right to do anything.“ und das ist auch für mich der Kern des Pudels und deswegen bin ich auch dafür, alles zu tun, um dieser Ideologie mit allen Mitteln des Rechts entgegenzutreten. ich denke sogar, dass dies ein Gebot der verfassung sein sollte.

  4. @katrin
    naja, die deutsche verfassung hat auch etwas gegen kommunistischen guerilla-eifer, aber deswegen gleich die so beliebten che guevara t-shirts verbieten, um dieser verfassungswidrigen ideologie „mit allen mitteln des rechts“ entgegenzutreten?

    die verfassung spricht dir auch ein recht auf körperliche unversehrtheit zu. masochisten lassen sich schmerzen zufügen. es ist eben „nur“ ein recht. und keine pflicht. du hast per verfassung das recht auf freiheit, aber doch nicht die pflicht. wenn es frauen gibt (ich wiederhole, auch wenn es nicht in mein selbstverständnis passt), die die zügel ihres lebens lieber in die hände eines mannes geben, meinetwegen, ihre entscheidung.

  5. @katrin… ich habe da leider eine ganz andere ansicht, mit dem argument kann ich doch alles verbieten, nur weil es nicht unseren „gewohnheiten“ enstpricht.

  6. es ist freiheitsberaubung. punkt. und freiwilligkeit ist so eine sache. in humanistischen kreisen sprach einmal einer von einer art „stockholm-syndrom“ im zusammenhang mit der freiwilligkeit. ich sehe das ähnlich. würde aber noch ein bisschen weiter gehen und in den meisten fällen eine erpressung sehen. also von dieser sogenannten „freiwilligkeit“ konnte mich bislang noch niemand überzeugen und darum ist es für mich auch verfassungs-feindlich. es ist nötigung, erpressung, freiheitsberaubung. und nein, die von euch genannten beispiele sehe ich nicht als damit auch nur im geringsten vergleichbar oder den vorwurf haltbar, dass man damit ja alles verbieten könne, was einem nicht passt.

    siehe dazu auch der beitrag einer afghanin hier in diesem blog.

  7. “What really strikes me is that a lot of people say that they support a woman’s right to choose to wear a burqa because it’s her natural right. But I often tell them that what they’re doing is supporting an ideology that does not believe in a woman’s right to do anything.”
    An dem Argument stören mich zwei Sachen: Zum einen der unverhohlene Paternalismus: A verbietet B ein Handlung X mit der Begründung, dass das alleine zu Bs Wohl geschieht. Damit wird B (hier der Muslimin) das Recht bzw. die Fähigkeit abgesprochen selber zu beurteilen was gut oder schlecht für sie ist. Solche Praktiken sind für die Betroffenen immer demütigend, insbesondere in Fällen in den die verbotene Handlung direkt mit der Identität der besonder verbunden ist. Das ist der Unterschied zwischen einem meiner Meinung nach illegitimen Burka-Verbot und einem legitimen Paternalismus, wie z.B. der Gurtpflicht beim Autofahren.
    Zweitens ist das Gesetz aber auch klar diskriminierend: Nicht alle Praktiken die Frauen zu Objekten degradieren werden Verboten, sondern nur Praktiken die ausschließlich muslimische Frauen betreffen. Die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum führt dieses Argument in dem Philosophie-Blog der New York Times wie folgt aus:
    „[S]ociety is suffused with symbols of male supremacy that treat women as objects. Sex magazines, nude photos, tight jeans — all of these products, arguably, treat women as objects, as do so many aspects of our media culture. And what about the ‘degrading prison’ of plastic surgery?[…] Isn’t much of this done in order to conform to a male norm of female beauty that casts women as sex objects? Proponents of the burqa ban do not propose to ban all these objectifying practices. Indeed, they often participate in them.“
    (http://opinionator.blogs.nytimes.com/2010/07/11/veiled-threats/?hp)
    Mehr zu Nussbaums Text findet ihr hier im Theorieblog:
    http://www.theorieblog.de/index.php/2010/07/%E2%80%9Eveiled-threats%E2%80%9C-martha-nussbaum-uber-burka-verbote-in-europa/

  8. @ Katrin: deinen Kommentar kann man auf zwei Arten interpretieren: Entweder gehst Du davon aus, dass alle bzw. die überwiegende Mehrheit der Burka-Trägerinnen dazu gezwungen werden eine Burka zu tragen, wenn sie das Haus verlassen wollen. Das ist auch meiner Meinung nach absolut illegitim, aber das ist auch jetzt bereits eindeutig Verboten. Wird eine Frau zu Hause eingesperrt weil sie keine Burka tragen möchte, ist das Freiheitsberaubung. Jetzt könnte man argumentieren, dass Frauen ihr recht ohne Burka auf die Straße zu gehen nicht effektiv wahrnehmen können, weil sie von ihren Männern sehr wirksam unterdrückt werden. Deswegen, so das Argument weiter, gelte es die Burka zu verbieten, damit die Ehemänner keine andere Wahl haben, als ihre Frauen auch ohne Burka einkaufen/arbeiten/etc. gehen zu lassen. Hier stellt sich aber die frage ob das tatsächlich so funktionieren wird. In einigen Fällen sicherlich, in anderen Fällen werden die Männer aber wahrscheinlich entscheiden, dass ihre Frauen gar nicht auf die Straße dürfen, wenn sie keine Burka tragen dürfen. Ich würde mutmaßen, dass der zweite Fall überwiegt (welchen Jobs kann man schon in Burka nachgehen?, damit entfällt der ökonomische Anreiz). Somit wären die Frauen noch unfreier als zuvor.

    Die zweite Möglichkeit deinen Kommentar zu interpretieren wäre, dass Du der Ansicht bist, dass zwar einige/viele Frauen die Burka „freiwillig“ tragen, aber diese Freiwilligkeit nur auf ideologischer Indoktrination, falschem Bewußtsein etc. beruht. Damit würdest Du einen Freiheitsbegriff vertreten, der davon ausgeht, dass Freiheit sich nicht an den Optionen bemisst die man tatsächlich frei wählen kann (wie zum Beispiel die Wahl eine Burka zu tragen oder eben nicht) sondern, dass man nur dann frei handelt, wenn man das tut, was man unter idealen Umständen autonom wollen würde. Das Problem an diesem Freiheitsbegriff ist einerseits der oben schon von mir erwähnte Paternalismus (irgendjemand muss ja den Musliminnen sagen was gut für sie ist) und andererseits die enormen Freiheitsbeschränkungen die sich so rechtfertigen ließen und so bereits rechtfertigt worden sind.

  9. Zur Freiwilligkeit des Schleiertragens: Ich würde ein paar Umgebungsvariablen mitberücksichtigen.
    Wenn eine Frau eigenes Geld und einen Beruf hat oder jederzeit ohne Begleitung/Überwachung z.B. durch die Münchener Fußgängerzone schlendern kann und dann sagt sie trägt den Schleier/das Kopftuch/die Burka/den Niqab freiwillig, dann würde ich das glauben.
    Die Variabelliste ist natürlich länger, Geld/Beruf war jetzt nur das erste was mir einfällt. Aber im Prinzip würde ich allen Frauen glauben, die auch ohne ihre Familie klarkämen ohne sofort auf der Straße zu stehen, also nicht den wirtschaftlichen oder sozialen Tod riskieren, wenn sie sich aus der Gruppe/Großfamilie lösen würden.

    Wenn ich mit der entsprechenden Frau gar nicht reden könnte, weil sie entweder mit unverschleierten europäischen Schlampen nicht redet oder auch weil Ehemann/Vater/Schwiegermutter hinter ihr stehen und aufpassen, dann würde ich die Aussage der Freiwilligkeit doch stark in Zweifel ziehen.

  10. @cord
    stimme dir in allen punkten zu.

    @neeva
    die idee mit den „umgebungsvariablen“ ist grundsätzlich gut. dennoch wäre ich vorsichtig. meine erfahrung zeigt, dass unter den freiwillig verschleierten „einige“ sind, die aber garnicht in der münchener innenstadt flanieren wollen, weil sie sich fremdschämen für den fleischgewordenen sexismus. oder sie wollen auch nicht arbeiten, weil es nicht in ihr weltbild passt; eine frau ist dort für erziehung und haushalt zuständig und wenn sie arbeiten müsste wäre dies gegen ihre würde als frau. mit westlichen wertmaßstäben herumfuchteln trifft hier auf gegenwehr. dass das weltbild sich hier nun „islam“ nennt, ist wohl eher das problem. wieso kümmern sich so wenige um das frauenbild bei den mormonen?
    a propos, dieses nicht-westliche weltbild sehe ich auch bei konvertierten, die in ihrer erziehung ja eben dieses vermittelt bekommen hatten. sie haben sich scheinbar „die freiheit genommen“, zu wählen, welches weltbild „ihres“ ist.

  11. Erstaunlich, was für ein Ausmaß von Zivilisationsfeindlichkeit und offenem Haß auf individuelle Freiheit hier in den Kommentaren ausgestellt wird. Statt auf die Argumente von Katrin oder aus dem verlinkten Interview wirklich einzugehen, werden argumentatorische Taschenspielertricks aufgefahren, die selbst in Uni-Proseminaren inzwischen nur noch Augenrollen verursachen. Z.B. „Mel“ will den Burka-Zwang als emanzipatorischen Ausdruck der Ablehnung des „westlichen“ Sexismus verkaufen – ein ganz schlechter deal. Und mit dem Verweis auf „Mormonen“, bei denen ja auch so einiges im argen liege, kann man natürlich jede Diskussion zerstreuen. Oder „Cord“: wenn man diese verdruckste Anklage von „Paternalismus“ konsequent denkt, landet man beim grausamsten Kulturrelativismus, für den Menschenrechte allemal hinter vermeintlich organisch gewachsenen Traditionen zurückstehen müssen.

  12. @Mel
    Stimmt schon. Das gar-nicht-arbeiten-wollen gibt es ja durchaus auch in Mitteleuropa. In Bayern ist das zwar eher mit dem Kinderkriegen verknüpft als mit dem Heiraten, aber das Frauenbild der CSU-Wähler weist mit dem vieler islamischer Kulturen, dem der Mormonen und dem der Evangelikalen doch erhebliche Schnittmengen auf.

    Worauf ich hinauswill ist, dass die Möglichkeiten gegeben sind. Vielleicht will eine strenggläubige Muslimin (oder Katholikin) nicht durch die Fußgängerzone spazieren, wo sie auf jedem zweiten Plakat eine halbnackte Frau anspringt. Völlig legitim. Meine „Umgebungsvariable“ ist aber nicht ob sie es will, sondern ob sie es könnte, ohne Nachteile fürchten zu müssen.
    Ich möchte mich z.B. nicht nackt in den Englischen Garten legen. Aber wenn ich wollte, könnte ich es. Mein Freund würde sich lächerlich machen, wenn er darüber wütend ist, und mein Vater und Bruder hätten dazu gleich gar nichts zu sagen.

    Es geht also ums Können. Kann sie einen Beruf ergreifen? Kann sie gehen wohin und wann und mit wem sie will? Kann sie sich scheiden lassen? (Im israelischen Recht kann z.B. nur der Mann die Entscheidung über die letztendliche Scheidung treffen, soweit ich weiß. Ohne seine Scheidungserklärung kann die Frau nicht wieder heiraten.)

  13. Also sind vielleicht Besitz (z.B. auch in Form von Unterhaltsansprüchen nach einer Scheidung) und Bewegungsfreiheit (auch wenn man nicht durch Fußgängerzonen flanieren will, kann man allein zum Arzt, oder zum Teetrinken zu Freunden) die wichtigen Umgebungsvariablen.

  14. @Weltgeist: Wenn Du der Meinung bist, dass es wesentlich wichtiger sei, auf die im Interview genannten Argumente, oder auf Kathrins eigene einzugehen, wieso tust Du das dann nicht einfach, statt lediglich die Kommentare anderer abzuschmettern, ohne das nun genauer zu begründen?

    Ich bin in dieser Diskussion immer Zwiegespalten. Letzten Endes sehe ich den Verbot dieser Verschleierungsformen als eine weitere Form der Bevormundung an, die in einigen Fällen möglicher Weise zu einer Verbesserung der Lebenssituation führt, in anderen aber nicht.

    Im Großen und Ganzen handelt es sich hierbei nur um Symptombekämpfung. Die Tatsache, dass dieser „Unterdrückungsmechanismus“ verboten wird, führt nicht automatisch zu einem Umdenken derjenigen, die dieses befürworten. Im Gegenteil. Es führt meines Erachtens eher zu einer weiteren Entfremdung. Die jenigen, die die Burka befürworten, aus welchen Gründen auch immer, werden nicht zu einem Umdenken angeleitet, es wird kein Versuch unternommen, speziell diese Gruppe mittels irgendwelcher Programme anzusprechen, sondern sie werden einfach Entmündigt und eine für sie vielleicht selbstverständliche Praxis (warum auch immer) kriminalisiert.

    Ferner noch kann ich mir vorstellen, dass Frauen, die sich derartig verschleiern, diese Art der Kleidung indoktriniert haben. Dass diese Art der Kleidung so sehr auf ihr moralisches Werteempfinden abgestimmt ist, aufgrund ihrer Sozialisation, dass es wirklich einem Akt der Entwürdigung gleichkommt, sie zu zwingen, ohne dieses auf die Straße zu gehen. Das kann eine große psychologische Belastung hervor rufen.

    Alles in allem halte ich derartige Verbote für wenig sinnbringend. Sie sind Symptombekämpfung, führen nicht zu einem aktiven – emanzipatorischen – umdenken, sondern bevormunden selbst, statt dass sie das Recht auf Selbstbestimmung fördern.

  15. Lieber „Weltgeist“ (drunter machen wir es wohl nicht?), vielleicht hättest Du in den von dir angeführten Proseminaren lieber etwas besser aufpassen sollen, statt ständig – wenn auch sicherlich sehr geistreich – mit den Augen zu Rollen. Dann wäre dir vielleicht dreierlei aufgegangen:
    1. dass ich für mehr individuelle Freiheit argumentiere, in dem ich autonomen Personen erstmal Entscheidungsfreiheit unterstelle und diese nicht in paternalistischer Manier als falsches bewußtsein abtue (dazu unten mehr),
    2. ich mich im Gegensatz zu dir mit den Argumenten der angesprochenen Kommentierenden (in meinem Fall Katrin) tatsächlich auseinandersetze und nicht unbekannten Leuten offenen Hass und Zivilisationsfeindlichkeit vorwerfe, weil ich ihre Argumente nicht teile bzw. nicht verstehe (gut, das passiert eigentlich regelmäßig in Proseminaren…) und
    3. dass Paternalismus nichts mit Kulturrelativismus zu tun hat. Kulturrelativismus ist eine metaethische Position, die behauptet, dass der Wahrheitsgehalt von moralischen Aussagen nicht universell ist, sondern nur innerhalb Gruppen bzw. Kulturen besteht. Paternalismus hingegen ist eine eine bestimmte Form der Begründung von Zwangshandlungen. Diese Begründung hat die folgende Form: A zwingt B X zu tun oder zu unterlassen, mit der Begründung, dass dies zum Wohle Bs geschieht. Dass Du rechtlich gezwungen bist, dich im Auto anzuschnallen ist paternalistisch, dass Du kein Heroin in der Apotheke kaufen kannst ist paternalistisch und Frauen, so mein Argument, die eine Burka tragen wollen dies zu verbieten weil es nicht gut für sie ist, ist paternalistisch.
    Wie man sich moralisch zu paternalistischen Begründung von Zwang verhält ist erstmal vollkommen unabhängig von der metaethischen Position, die man vertritt: Kulturrelativisten können argumentieren, dass in ihrer Kultur Paternalismus gut oder schlecht ist, universalisten können argumentieren, dass Paternalismus für alle menschen gut oder schlecht ist.
    Der Punkt, um den es Kritikern des Paternalismus geht, ist folgender: Paternalismus, so etwa John Stuart Mill, schränkt die individuelle Freiheit der Betroffenen ein, da sie nicht mehr selber entscheiden dürfen ob sie Heroin nehmen, Horrorfilme gucken oder eine Burka tragen wollen, sondern der Staat das für sie tut. Deswegen sind die meisten Kritiker des Paternalismus Liberale (das hat nichts mit der FDP zu tun), die den universellen Wert individueller Freiheit verteidigen möchten. Mit Menschenrechten hat das alles auch nicht so recht was zu tun, weil es bei paternalistischen Eingriffen des Staates immer darum geht die Bürger vor sich selbst zu schützen, bei Menschenrechten geht es darum, wie wir uns anderen Menschen gegenüber verhalten müssen. Falls Du das alles nochmal nachlesen möchtest versuch es doch mal hier:
    http://plato.stanford.edu/entries/paternalism/
    oder in dem philosophischen Proseminar deiner Wahl, schaden kann es sicher nicht!

  16. @Mademoiselle Nocturne

    Ich habe vielleicht tatsächlich etwas polternd argumentiert, aber es geht mir eben so a contre coeur wenn ich solche Dinge lese wie: die Burka ist schon schlimm, aber enge Jeans sind ja auch sexistisch. Es schien mir überflüssig, das „Abschmettern“ derartiger Kommentare zu begründen, weil ich meinte, das abgeschmettert-Sein sei in ihnen gewissermaßen schon enthalten.
    Um das Eingehen auf die Argumente nachzuholen: ich glaube, daß ein solches Verbot richtig ist. Es kann zumindest eines leisten: solchen Frauen, die nicht freiwillig als Gespenster verkleidet durch die Gegend laufen, signalisieren, daß ihre Unterdrückung von der Gesellschaft nicht gutgeheißen wird. Woher sollen die das denn bitteschön wissen? Die werden ja kaum im „Mädchenblog“ schmökern oder sich „westliches“ Fernsehen reinziehen. Natürlich kann die Erfahrung, daß es verboten ist, Verstörung hervorrufen, aber dies könnte doch einen Reflexionsprozess in Gang setzen, der absolute Grundvoraussetzung für eine eigenständige Befreiung ist. Daß der Staat eine solche Emanzipation nicht einfach vorschreiben kann, ist natürlich richtig, aber er kann Nadelstiche setzen.

    @Cord

    Es tut mir leid, aber warum ausgerechnet der wenig ergiebige und kaum tragfähige Begriff vom „Paternalismus“ den Komplex des möglichen Burka-Verbots sinnvoll fassen sollte, erschließt sich mir einfach nicht. Du berufst dich auf eine syllogistische Kongruenz, die man so oder so ähnlich in zahlreichen anderen Konstellationen ebenso ausfindig machen könnte. Damit ist dann der Fall offenbar erledigt: die Sache ist paternalistisch, das ist gleich entmündigend, also abgelehnt, Akte geschlossen. Abseits von jeder Polemik verstehe ich nicht, was ein solches Denken ausgerechnet mit Philosophie zu tun haben mag? Oder willst Du dich tatsächlich nur auf formale Logik berufen, und die Ideologiekritik gänzlich über Bord werfen?
    Selbstverständlich meinte ich, daß Deine Sicht der Dinge auf den Kulturrelativismus hinausläuft, nicht der „Paternalismus“. Mit solchen vermeintlichen Missverständnissen und Spitzfindigkeiten sein Gegenüber zu entnerven, das ist genau jener Proseminar-Stil, den ich anprangerte.

    Auch wenn Du glaubst, für individuelle Freiheit zu argumentieren, tust Du es nicht, weil Du die Welt in widerspruchsfreie Setzungen gießen willst. Damit entgehen Dir diejenigen gesellschaftlichen Phänomene, die eben widersprüchlich sind: Wenn man im falschen Bereich Freiheit gewährt, kann dies zur schärfsten Unfreiheit führen; ein (paternalistisches) Verbot kann zum Auslöser von emanzipatorischen Bestrebungen werden, Toleranz kann schlimmste Intoleranz bewirken usw. So ist es nun mal.

  17. Es fällt mir zunehmend schwer zu verstehen, wie jemand die Burka oder auch nur das „Recht“, sie zu tragen, verteidigen kann.

    Zum einen aus einer feministischen Position: Der moderne Feminismus wendet sich gegen eine Objektifizierung von Frauen und tut das gerne im Hinblick auf Werbeplakate mit nackten Körperteilen. Aber kein nackter Hintern oder Busen auf einem Plakat verwandelt die Frau dahinter so sehr in eine „Sache“ wie ein Kleidungsstück, das sie gleich wie jede andere aussehen lässt – abgesehen von ein paar Zentimetern Unterschied in Höhe oder Breite. Eine konsequentere und brutalere Objektifizierung als die Burka fällt mir, selbst nach langem Nachdenken, nicht ein.

    Und ebenso, wie es bei den Protesten völlig egal ist, ob der nackte Hintern am Plakat freiwillig oder angeblich freiwillig in die Kamera gehalten worden ist, ist es egal, ob eine Frau die Burka freiwillig oder angeblich freiwillig anzieht. Die Burka ist so oder so nichts anderes als ein brutales Zurschaustellen männlicher Herrschaft über die Frau.

    [Dass das mit dem Islam selbst nur sehr wenig zu tun hat, wäre eine eigene lange Abhandlung wert, die ich euch jetzt erspare.]

    Zum zweiten haben wir sehr wohl eine Kultur zu verteidigen. Dabei rede ich, bitte Polemik-Automatismen abdrehen, definitv nicht von einem „deutschen“ oder „europäischen“ oder sonstwie national/istisch motivierten Kulturbegriff. Sondern davon, dass genau die Kultur der Toleranz und Freiheit, die viele Gegner des Gesetzes vehement vertreten, bedroht ist – durch den Geist, der hinter den Vertretrern des Burka-Gebotes steckt.

    Deshalb weg mit der Burka. Je schneller, desto gut.

  18. Liebe Katrin,

    Ich stimme Dir voll und ganz zu.

    Es ist auch notwendig klare Worte zu finden, denn EuropäerInnen betrachten die Problematik immer noch von aussen und philosophisch, finde ich.

    Es gibt eine Gruppe Männer die archaische, Frauenfeindliche Strukturen etablieren (wollen), die nicht mit den Menschenrechten und nicht mit der bereits erreichten Lebensqualität vereinbar sind. Eines der Ausprägungen davon ist Niqab & Burqa. Und da bin ich (mittlerweile) auch dafür dem kompromisslos entgegenzutreten.

    Ansonsten kann ich nur die Schriften und Informationen von Ms. Ayaan Hirsi Ali empfehlen! http://www.theahafoundation.org
    Sie bringt die Problematik auf den Punkt.

    Ich war bereits bei einigen Diskussionsveranstaltungen zu Kopftuch & Co in Europa eingeladen. Die Verfechterin des Kopftuchs war meistens eine Frau, die meinte es ganz und gar freiwillig zu tragen. Das stimmte auch. Aber das waren immer Frauen, die in freien Ländern aufgewachsen sind! Nie habe ich erlebt, dass eine Frau, die sich beispielsweise gerade aus den Fängen des Iran-Regimes befreit hatte, vor Publikum hingestellt hat und dann Burqa & Co gelobt hat.

  19. auweia.
    schwerer fachjargon hilft auch wohl vor unwissenheit nicht.

    mal eben eine freche frage in den raum gestellt:
    wer von den eifrigen „ich will die armen burka-frauen doch nur beschützen“ interkulturell kompetenten kennt eine verschleierte frau denn privat?

    wer kennt ihre wünsche und vorstellungen aus ihrem mund?
    dabei spreche ich nicht von den ideologiestrotzenden medienexperten.
    mir ist egal, ob die verhüllungsentscheidung der frauen auf falschen religionskenntnissen beruhen. für mich ist entscheidend, von ihnen zu hören, dass sie sich so wohler fühlen. für mich persönlich kommt es nicht in frage.

    natürlich gibt es nicht nur „überzeugte“ verhüllte. aber es gibt anlaufstellen zuhauf, die sich um die anliegen von frauen in jeglicher not kümmern. anzunehmen, „die“ – wie ein kommentator weiter oben zu beschreiben pflegt – wären fernab jeglicher informationskanäle, entspricht auch nicht der wahrheit.
    vielmehr ist es doch so, dass gezwungen-verschleierte frauen häufig mit dem selbstverständnis aufwachsen, dem mann untergeordnet zu sein, so dass dieser die entscheidungsgewalt über ihre person hat.
    auf der anderen seite gibt es aber tatsächlich frauen, die es vorziehen, dem anschein nach dem mann untergeordnet zu sein. häufig wollen sie sich aber nicht mit „der welt da draußen“ herumschlagen, schließlich ist nach ihrer religion, der mann verpflichtet, für den unterhalt der frau und ihren kindern aufzukommen. in solchen kulturkreisen trifft man auf empörung, wenn eine frau arbeiten muss. man sagt, sie sei ein zu „zierliches“ wesen, um sich mit schwerer arbeit zu beschäftigen.

    wie dem auch sei.
    mir ist einfach nur wichtig, dass keine schwarz-weiss malerei betrieben wird.
    mein vorschlag, macht euch selbst ein bild.
    und setzt euch nicht ins gemachte bild.

  20. @ Mel:

    Das mag ja alles stimmen. Doch ist eine glückliche Sklavin die grösste Feindin der Freiheit. Und ich sehe nicht ein, warum sehr viele Frauen Nachteile erleiden sollen, nur weil einige wenige meinen sich einem Mann unterordnen zu müssen oder mit „der Welt da draussen“ nur über einen Mann kommunizieren wollen.

    Ich selbst kenne einige moslemische Frauen. Aber bei denen geht der Trend eher weg von Submission = Islam und keine ist mehr verschleiert oder trägt Kopftuch. Nein, doch, eine Ägypterin ist da ganz streng, will mich immer zum Islam bekehren, findet am schlimmsten, dass mich Isis & Hathor mehr ansprechen als der Prophet Jesus, wenn ich schon nicht dem Islam huldige.

    Sich selbst ein Bild zu machen ist sicher immer sinnvoll. Für Männer meist unmöglich und auch für Frauen sehr schwierig ist es allerdings mit einer Burqa-Frau überhaupt in Kontakt zu kommen, um sich ein Bild zu machen. Immerhin besteht ihre Welt aus ihrem Mann und darüber hinaus gibt es nur Kontakte wie ihr Mann es will. Zumindest bei den radikal-moslemischen Frauen, die sich in freien Ländern (Europa, USA, Israel …) verschleiern ist das so.

  21. a) Ein Verbots-Gesetz bringt nichts. Wer heute gezwungen wird, eine Burka zu tragen, wird morgen gezwungen sein, zu Hause zu bleiben. Wer heute freiwillig eine Burka trägt wird schlicht in seinem Recht eingeschränkt. Die Argumentationslinie, damit gefährliche Vermummung zu unterbinden ist grotesk.

    b) Cui bono? Die HasspredigerInnen auf allen Seiten. Toll.

  22. @ Fairfis:

    Natürlich bedeutet ein Burqa-Verbots-Gesetz nicht die Befreiung aller Frauen aus den Ketten der Politreligion Islam. Aber es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es wird immer einige wenige geben, die schlimme Prophezeiungen machen, wenn es ein solches Gesetz gibt. Die werden gehört. Ich will aber die vielen Frauen hören, die man jetzt noch nicht hören kann …

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