Duck Dich oder Streck Dich

In jungen Jahren musste ich eine wichtige Entscheidung treffen: Will ich aufrecht durchs Leben gehen oder lieber mit meinem ArtgenossInnen auf gleicher Augenhöhe sein?
Welche hinter diese Fragestellung Tiefsinniges vermutet, hat zwar nicht unbedingt Unrecht, dennoch ist diese hier zunächst sehr plastisch gemeint: Ich bin 1,90m groß und das seit meinem 13. Lebensjahr.

Viele Frauen mit Überlänge entscheiden sich für die „Augenhöhe“-Variante und gehen gekrümmt durch’s Leben. Damit büßen sie zwar die Selbstsicherheit über Körperhaltung ein, genießen jedoch den Vorteil halbwegs zur Masse zu gehören.

Ich nutze meine körperliche Präsenz und gehe aufrecht. Damit gehöre ich zum potentiell stärkeren Gesellschaftsteil: Bis mir jemand krumm kommt, dauert es wesentlich länger als bei kleinen Frauen. Dumme Anmachen? Nur von waghalsigen Idioten. Sexuelle Belästigung? Extrem selten.
Mir einen Opferstempel auf die Stirn zu drücken ist wesentlich schwerer, da die Meisten einfach nicht dran kommen.

Was mich ein bisschen wundert ist, dass einige Frauen dazu neigen, Beschreibungen zur sozialen Situation von Frauen anhand der eigenen Erfahrungen zu evaluieren. Bevor ich auf die Idee komme meine eigenen Erfahrungen als Evaluierung zu nutzen, muss ich mir sicher sein, dass diese auch aus den gleichen Grundbedingungen entstanden sind. Allein wegen meiner Körpergröße ist dies häufig nicht der Fall.

Spannend und sinnig finde ich es, auch die Grundbedingungen zu analysieren, die nicht der Regel entsprechen, und daraus Folgerungen zu ziehen, wie die beschriebene soziale Situation so verbessert werden kann, dass es andere Frauen für sich nutzen können.
In meinem Fall halte ich die Ausgangsfrage für äußerst relevant: „Duck Dich oder Streck Dich“. Das metaphorische Moment in dieser Frage ist meines Erachtens voll auszuschlachten:

Wie wir alle 1,90m groß werden

„Duck Dich“ ist populär, denn damit wird die Fähigkeit bewiesen, sich in eine Gruppe einzugliedern. Eingliederung als Aspekt der Teamfähigkeit ist natürlich durchaus positiv, aber nicht generell. Nicht jedes „Team“ ist mein Team. Vor allem nicht, wenn es darauf aufbaut, dass ich mich ducke – ich also verheimlichen soll, wer ich bin.

Mit „Streck Dich“ wird immer wieder gewisse Arroganz und Aggressivität verbunden.
Selbstachtung wird gerne mit Arroganz verwechselt. Sich Raum zuzugestehen und zu erobern zeigt, dass Eine es sich selbst wert ist. Der Raum dafür  muss allerdings erobert und verteidigt werden. Das Kriegsvokabular ist gleichzeitig ein klarer Hinweis darauf, warum Menschen auf die Idee kommen, es handele sich dabei um Aggressivität.
Inwiefern die beiden Begriffe schlicht für „feministisches“ Verhalten abgelehnt, umgedeutet oder als Notwendigkeit akzeptiert werden, bleibt jeder selbst überlassen.

Mit meinen 1,90m kann ich natürlich gebeugt leben und mich auf gleicher Augenhöhe bewegen – allerdings nur solange wie mein Rücken mitmacht. Spätestens wenn die Rückenschmerzen zu groß werden, ist mir das Ducken nicht mehr möglich.

8 Kommentare zu „Duck Dich oder Streck Dich

  1. Die Körpergröße allein entscheidet aber auch nicht, wie schnell man blöd angemacht wird. Ich bin zwar nur 1,54 m groß, aber mir kommt auch selten jemand blöd. Und wenn, dann nur ein einzige Mal. Ist halt wie mit nem Chihuahua: klein, aber mit dem Selbstbewusstsein einer Deutschen Dogge und extrem giftig.

    Sonst würde ich eh jedem empfehlen, immer aufrecht zu gehen.

  2. ich bin auch klein, 1.60 m sind das bei mir.
    mir bleibt garnichts anderes übrig als aufrecht zu stehen und zu gehen.
    und ich muss sagen, die körperhaltung macht schon einiges aus, wie die leute auf einen zugehen, ob man jetzt groß oder klein ist. mir kommt auch nur selten jemand dumm, und wenn doch, dann muss ich mich eben wehren.
    dass ducken auch als geisteshaltung für eine weile einfach(er) sein mag, kann schon sein, auf dauer macht es aber ziemlich unglücklich.

  3. immer gerade gehen, bitte! es hat sowas entschuldigendes, wenn man sich krumm hält, das finde ich oft schwer zu ertragen. große frauen sind super!
    eine ahnung von den problemen, die man dann evtl.haben kann, bzw. von den klischees, mit denen man umgehen muss, bekomme ich, seit ich mit jemandem zusammen bin, der etwas kleiner und bedeutend schmaler ist als ich. schon öfter wurde ich jetzt gefragt, ob ich mich mit ihm denn „sicher“ fühle und ob er mich denn „beschützen“ könne im notfall (nachdem ich 10 jahre lang als unbehelligter single in berlin überlebt habe, whoa!). wtf?

  4. Im Gegensatz zu den eher kleinen die immer bemitleidet werden, glaubt man, die Großen haben es einfacher, was eben nicht stimmt. Ich als Durchschnittspüppchen (Ironie!) reagiere auch entsprechend. Vielleicht hängt das auch mit meinen Erwartungen zusammen da ich mich nur in Menschen über 185 verliebe, egal ob Mann oder Frau. Ich habe mir mal bewusst vorgenommen, mit einem großen Menschen den Tag nicht nur als Begleiterin, sondern als Beobachterin zu verbringen. Es war ein 1,9m hoher Mann. Es begann in Leipzig am Fahrkartenautomaten der für mich wie ausgelegt ist, mein Begleiter sich aber extrem krümmen musste um am Touchscreen fummeln zu können. Nächster Schritt, Straßenbahn. Abgelenkt durch Blicke auf eine junge Frau hat er sich beim Aussteigen den Kopf angeschlagen, ja, die Decke wäre da schon niedrig genug, nur haben die wohl als zusätzlich Sicherheit bei den Eingangstreppen eine Lampe montiert, die aber 15cm weiter nach unten hängt als der übrige Dachbereich. Ich hätte geschrien, mein Begleiter war es aber schon gewohnt. Darauf angesprochen meinte er, in Verkehrsmitteln muss er damit rechnen, sich dauernd zu ducken und mindestens einmal die Woche kommt es zu einem mehr oder weniger heftigen Schlag. Im Cafe fühlte er sich sichtlich unwohl, da Stühle und Tische wohl auch eher für 1,75-Menschen ausgelegt waren. Geendet hat das auf der Rückreise mit einem netten Erlebnis. Er, der unsportliche, dauernd hat er irgendwelche körperlichen Beschwerden, wird von einer älteren Dame angemotzt, ob er ihr doch nicht helfen würde den Kopfer in den ICE reinzutragen. Es war Sommer und eindeutig sichtbar, daß ich um eine viel durchtrainiertere Muskulatur als er verfügt. Aber eben, Frau und klein, mich gilt es zu schützen, daß ich doch einige Muskeln und er nur Wackelfleisch an den Armen hat, spielt dabei keine Rolle.
    Interessant ist, 1,9 ist ja nicht unheimlich groß und abnormal, für einen Mann wenigstens, Dennoch ist kaum etwas darauf ausgelegt. Fazit der Geschichte: Ich hätte gesagt, nie bücken, immer aufrecht gehen, die eigene Größe als Vorteil nutzen, aber: Physisch oder auch im übertragenen Sinn ist es gefährlich ungebückt durch den Alltag zu gehen. So unerotisch und unsicher gebückte Menschen auch immer wirken: Wer sich nicht bückt, riskiert Schläge auf den Kopf!

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