Dinge, die du nicht mehr sagen solltest, außer du hasst dicke Menschen (Teil 2)

Dieser Text ist eine Übersetzung. Das Orginal erschien unter dem Titel “21 Things to Stop Saying Unless You Hate Fat People”, wurde von Issa Waters verfasst und steht unter Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License. Für den Hauptteil der Übersetzungsarbeit bedanken wir uns bei “zwei reproarbeitsfreundlichen Lila Pudel”. Der erste Teil der Übersetzung erschien in der letzten Woche.

11. Geschichten erzählen über dich oder dicke Verwandte, die dick und ungesund sind oder waren.

  • Beispiel: Du hattest eine Tante die dick war und deren Knie schmerzten, oder einen Bruder, der echt dick war, Essen versteckte und nicht gut laufen konnte, oder deine Mutter hat viel Gewicht verloren und sich dann viel besser gefühlt; und du willst diese Beispiele und deren Geschichten immer erzählen, wenn es in einem Gespräch um Gewicht geht.

Das Problem ist: Die meisten Menschen sind keine guten Wissenschaftler_innen. Nur weil du oder deine Angehörigen dick waren und Probleme mit ihren Knien hatten, heißt das nicht, dass die beiden Sachen zusammenhängen. Nur weil du jemanden kennst, der_die sich ‚besser gefühlt‘ hat, nachdem er_sie abgenommen hat, heißt das nicht, dass das vom Gewichtsverlust kam, sondern vielleicht damit, dass er_sie begonnen hat täglich Yoga zu machen. Und selbst wenn es einen zweifelsfreien Zusammenhang gäbe, wirst du eine dicke Person sicher nicht auf magische Art und Weise erleuchten, wenn du diese Geschichten erzählst. Dicke vergeuden Unmengen von Zeit nach dieser Erleuchtung zu suchen. Es ist aber nicht so, als bräuchten wir alle nur noch eine inspirierende oder bedrohliche Geschicht, um uns plötzlich in Dünne zu verwandeln. Diese Geschichten sind nicht hilfreich.

12. Die Benutzung der Wörter Übergewicht, adipös, krankhaft adipös, wenn du dich nicht speziell auf Medizin oder medizinische Literatur beziehst.

Viele Menschen werden mir hier widersprechen. Die meisten würden sagen, dass diese Worte nur Kategorien mit bestimmten Definitionen sind. Diese sind „objektiv“; sie sind wissenschaftlich. Aber es ist falsch anzunehmen, dass wissenschaftliche Begriffe keine Moral und keine Bedeutung mit sich tragen. Übergewicht impliziert, dass es ein ‚richtiges‘ Gewicht gäbe. Der Begriff ›adipös‹ hat seinen Ursprung in der Vorstellung, zu viel zu essen. Das sind alles medizinische Begriffe und diese zu benutzen, erweckt den Anschein, als wäre dick sein ein medizinisches Problem. Das Pathologisieren unserer Körper ist verletzend.

Ich benutze die Begriffe manchmal, wenn ich über Forschungsergebnisse spreche, aber versuche sie sonst weitestgehend zu vermeiden.

13. Grundloses Erwähnen von Essen, Inaktivität, Körperfunktionen, usw. wenn über dicke Menschen gesprochen wird.

Dicke Menschen haben ein bestimmtes Image in unserer Kultur, als gefräßige Faulpelze, die viel schwitzen und stinken. Wenn du in einer Diskussion über eine dicke Person oder über Dicksein nebenbei erwähnst, wie viel eine Person isst, wie wenig sie trainiert, wie sehr sie schwitzt oder wie sehr sie furzt, usw., dann erzeugst und stützt du diese negative Image. Dieses Image ist für ALLE dicken Menschen verletzend, ob sie nun in diese Stereotype passen oder nicht.

14. Deine Steuergelder erwähnen, wenn es um Gewicht oder Gesundheit geht.

  • Beispiel: „Die Gesundheit von dicken Menschen geht mich so lange was an, solange ich ihre Behandlungen mitbezahle.“

Unsere Steuergelder werden für alle möglichen Hilfsprogramme benutzt und gehen an ganz unterschiedliche Menschen. Wir suchen uns nicht aus für was genau. Menschen dürfen Risiken mit ihrer Gesundheit eingehen, auch wenn wir alle für die Behandlungskosten aufkommen.

Außerdem kostet die medizinische Versorgung von dicken Menschen nicht sehr viel. Alle Berichte die das Gegenteil behaupten sind einfach auf Sensationsmeldungen aus. Lies „Obesity and Health Care Costs“ von Ragen bei DANCES WITH FAT, wenn du mehr Informationen über die übertriebenen Angaben über Kosten durch dicke Menschen haben willst. Ich liebe die Schlussfolgerung, die Ragen in „Your Money and My Fat Ass“ zieht:

„Selbst wenn du beweisen könntest, dass Dicksein ungesund für mich wäre (was du nicht kannst). Und selbst wenn eine Methode hättest, die wissenschaftlich bewiesen zu langfristigem Gewichtsverlust führen würde (die du nicht hast). Und selbst wenn du einen Beweis hättest, dass Gewichtsverlust mich gesünder machen würde (welchen du nicht hast). Und selbst wenn du durch die Gegend laufen würdest und dabei Raucher_innen, Trinker_innen, unachtsame Fußgänger_innen und nicht trainierende Dünne belehren würdest (was du nicht tust), selbst dann würden dir die Konsequenzen einer solchen Argumentationsweise nicht gefallen.“

15. Gespräche über Dicke auf Dünne umleiten.

  • Beispiel: Neulich habe ich auf Google+ eine unglaublich ergreifende Geschichte über einen dicken Transmann veröffentlicht, der sein Verhältnis mit seinem dicken Körper und dem dicken Körper seines Vater aufgearbeitet hat. Neben all den anderen widerlichen Dingen hat eine kommentierende Person versucht, die Unterhaltung auf die Stigmatisierung von Dünnen zu anderen Zeiten in der Geschichte zu verlagern. Das mag zwar auch eine interessante Unterhaltung sein, aber sie ist es nicht, wenn sie eine bedeutsame Diskussion über die Situation von jetzt lebenden dicken Menschen stört.

Fast keine Unterhaltungen beziehen sich positiv auf Dicksein. Fast keine Unterhaltungen unterstützen dicke Menschen mit ihren Belangen. Wenn es aber doch zu einer dieser Unterhaltungen kommt, und du anfängst, über Dünne zu reden, dann ist das ‚derailing‘, also ablenkend. Es zeigt deutlich, dass du dicke Menschen nicht für wichtig hältst und dass du nicht hören willst, was sie zu sagen haben.

16. Immer und immer wieder nur über deine Meinung reden.

Das betrifft alle möglichen Unterhaltungen bei denen du nicht einverstanden bist, oder wo du dich noch nicht intensiv mit einem Konzept auseinandergesetzt hast. Wenn du fragst: „Ist dick sein nicht schlecht für deine Gesundheit“ nervt mich das, aber es ist besser als ein zwanzigminütiger Vortrag, warum dick sein schlecht für die Gesundheit ist und dass es deswegen ok ist, wenn du diese beleidigenden und verletzenden Ansichten über dicke Menschen hast.

17. Jeglicher Kommentar über ›Übergewicht bei Kindern‹.

„Übergewicht bei Kindern“ ist ein politischer Kampfbegriff. Wenn du das sagst, dann meint das nicht nur ‚dicke Kinder‘ (das wird damit am wenigsten zum Ausdruck gebracht. Jedes Mal, wenn du „Übergewicht bei Kindern“ hörst, dann ersetze es durch „dicke Kinder“, dann wirst du die Agenda verstehen.) “ Übergewicht bei Kindern“ ist ein Stichwort für einen moralischen und politischen Diskurs, der von der Regulierung von Essverhalten, über Klassenkonflikte bis hin zum Pathologisieren von Körpern mit dem Ziel der Profitmaximierung reicht.

Im Endeffekt wissen wir nicht, warum Kinder dick werden oder ob das überhaupt ein Problem ist, und wir haben keine Ahnung, wie wir aus einem dicken Kind ein dünnes machen können. Jedes Mal, wenn jemand (auch du!) irgendetwas die Schuld an „Übergewicht bei Kindern“ zuweist, redet diese Person Mist. Ich kann dir sagen, wenn du die Nachrichten anstellt und du hörst, dass jemand deiner Körperform den Krieg erklärt hat, dann ist das schlimm für Erwachsene und doppelt schlimm für Kinder. Hör auf über “ Übergewicht bei Kindern “ zu reden, als würdest du dir Sorgen um die dicken Kinder machen.

18. Auf (meist heterosexuelle) Attraktivität anspielen.

  • Beispiel: „Zumindest hast du einen größeren Busen, wenn du dicker bist!“
  • Beispiel: „Es ist ok, Schatz, Männer stehen auf Rundungen“.

Diese Kommentare sollen angeblich unterstützend sein, sogar Komplimente. Wie auch immer, alles was sie sagen, ist, dass es das wichtigste ist, für Männer attraktiv zu sein.

19. Vorschlagen, eine dicke Person sollte etwas tun oder lassen, um weniger dick auszusehen oder zu kaschieren.

  • Beispiel: „Ich denke nicht, dass das der richtige Stil für dich ist. Hier, dieser Schnitt würde deine Figur ein wenig kaschieren.“ oder „Diese Brillenform würde besser zu deinem runden Gesicht passen.“
  • Beispiel: „Jemand so dickes sollte DAS nicht tragen.“
  • Beispiel: Alle Kleidungsstücke die als kaschierend angepriesen werden.

Ob eine dicke Person gestreifte Klamotten tragen, einen bestimmten Haarschnitt haben oder in einem Bikini rausgehen sollte, ist einzig und allein die Entscheidung der dicken Person. Kaschieren ist ein Machtinstrument, was versucht uns alle in kleine Kisten zu zwängen. Scheiß auf Kaschieren!

20. Darauf anspielen, dass schlechte Menschen verdientermaßen dick werden.

  • Beispiel: Du zeigst auf deinen bösen Exfreund in der Menge und du stellst amüsiert fest „Hahaha, er ist fett geworden!“

Wenn du eine nette, nicht dickenfeindliche Person bist, denkst du vielleicht, dass das selbstverständlich nicht ok ist. Aber ich hatte genau diese Situation vor mir, mit einem nahen Freund. Die Körper von Menschen verändern sich mit der Zeit, was nicht überraschen sollte; nur dass unsere Kultur angestrengt versucht, uns dazu zu bringen 23 Jahre alt, bleiben zu wollen. Hör zu: Falls du dich darüber freust, wenn deine Feinde dick werden, dann heißt das, dass Dicksein für dich etwas schlechtes ist. Behalte es wenigstens für dich.

21. Jeder Kommentar, der andeutet, dass es nicht ok ist, dick zu sein, dass Menschen nicht dick werden sollen, oder sie abnehmen sollten.

  • Beispiel: „Ich verstehe nicht, wie Menschen zulassen können so dick zu werden.“
  • Beispiel: „Ich bin zufrieden mit meinem Körper wie er ist, aber ich würde nicht dicker werden wollen.“

Wir wissen nicht, wie wir aus dicken Menschen dünne Menschen machen und umgekehrt. Für dicke Menschen ist es ok dick zu sein. Dick sein ist kein grauenhafter Zustand, den wir vermeiden sollten. Das einzige Grauenhafte ist die Menge an Übergriffen auf dem Rücken dicker Menschen.

7 Kommentare zu „Dinge, die du nicht mehr sagen solltest, außer du hasst dicke Menschen (Teil 2)

  1. Vielen Dank für den zweiten Teil.

    Bei Nr. 17 musste ich schon ein bisschen schmunzeln. Dabei ist die Methode eigentlich sehr gut.

  2. Ein kleiner Service-Hinweis: Warum dickenfeindliche strawmen-Kommentare zu einem Text gegen Dickenfeindlichkeit nicht freigschaltet werden, hat Magda netterweise bereits beim ersten Teil dieser Serie erklärt. Zu weiteren [natürlich stets – ohne Quelle – als „erwiesen“ oder gar „intuitiv“ (dezentes LOL…) deklarierten] Totschlagbehauptungen, der Verwechslung von Korrelation und Kausalität und „medizinisch“ getarnter Dickenfeindlichkeit kann man u.a. auch hier weiterlesen (auf Englisch): First, Do No Harm und Big Fat Blog.

  3. Oh ja Nr 19 ist eine besonders häufig auftretende Sache und wird meistens „ja gar nicht verletzend gemeint, sondern nur als Ratschlag“. Ungefragt, von fast allen.

    Die meisten werden sich das nicht vorstellen können,aber ich möchte meinen Körper gar nicht kaschieren, weil er okay so ist wie er ist. Ich muss meine dicken Beine nicht kaschieren, weil sie ruhig jeder sehen kann. Genauso wie meine Speckrolle am Bauch oder meine großen Füße. Das gehört alles zu mir und das darf die Welt auch ruhig sehen.
    Warum also kaschieren?

  4. Tolle Liste! kann bei fast allem zustimemn, sehe aber einzelne Punkte etwas kritisch. Vor allem, dass in der Überschrift das Wort Hass benutzt wird. Viele Menschen tun oder sagen Dinge oft ohne groß darüber nachzudenken. Und sollte da mal was rausrutschen, dann muss doch nicht gleich Hass dahinter stecken…

    Habe die Liste auch mal auf meinem Blog weiterverbreitet: http://nur-miria.blogspot.de/2013/02/dinge-die-du-nicht-mehr-sagen-solltest.html (mit eigenen Kommentaren)

    Hoffe natürlich, dass sie von möglichst vielen Menschen gelesen wird und das dazu führt, dass vielleicht doch mehr Menschen darüber nachdenken, was sie sagen :)

  5. @Miria : von wg. hass. ich sehe sehr wohl, dass im herrschenden klima stereotype und sog. engl. fat-hate transportiert wird. stichworte z.b. pop-kultur, hypersexualisierung speziell von mädchen und frauen und allem was weiblich markiert wird. und diese stereotype hatte ich z.b. verinnerlicht. also musste ich mir zeit nehmen, um das bei mir selbst mal zu reflektieren und dann konsequent jegliche form von sog. engl. body-shaming und body-policing sowohl in meiner denke und dann meinem handeln im alltag einfach nicht zu machen. und auch : meine (selbst-reflektierte) meinung sage ich z.b. einer bekannten oder einer freundin nur noch, wenn sie mich danach fragt bzw. frage ich nach, wenn ich nicht weiss, was sie will, wenn sie mir z.b. erzählt sie „muss jetzt eine diät machen“.
    @Verschiedene : ich finde diese liste und die übersetzungsarbeit „der lila pudel“ sehrsehr gut und habe jetzt links, die ich mailen kann. ich hoffe, viele lesen und können um-lernen. DANKE.

  6. Ich finde, in diese Liste sollte auch der Begriff „Wohlfühlgewicht“ aufgenommen werden. Für mich hört sich das an wie: „das Idealgewicht schaffst du ja wohl nicht, aber wenn du dich so mit dir wohl fühlst…“
    Schade, dass es heute immer noch nötig ist, für Regeln des akzeptierenden Wertschätzens zu plädieren! Für mich sind die inzwischen fast selbstverständlich. Leider rutsche ich sowohl in Gedanken als auch in Worten doch noch mal in altes Schubladendenken- dann hilft es mir an meinen Sohn zu denken, der schon ziemlich früh erkannte: „wenn DU frierst, muss ICH einen Pullover anziehen!“

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