Die Sehnsucht einer Unnahbaren

Lamees klappt ihren iPad auf und tippt ein bisschen herum. Ihre langen Fingernägel klackern. Das Make-up sitzt perfekt, das Tuch ist festlich um den Kopf ge­schwun­gen. Sie geht stolz und gerade, hat ein freundliches, aber bestimmtes, ein herzliches und gleichzeitig distanziertes Auftreten. Sobald wir den Konferenzsaal verlassen, setzt sie ihre große Sonnenbrille auf. Unnahbar.

Wir sind in Washington auf einer Konferenz. Blogger und Aktivisten aus zwanzig Ländern sind geladen. Lamees kommt aus Bahrain. Dort war sie bis vor den Pro­testen eine der beliebtesten Journalistinnen des Landes. Man lud sie zu festlichen Staatsanlässen und schicken Galas ein. Ihre spitzzüngigen und kritischen Kommentare waren beliebt in dem kleinen Golfstaat. Lamees war Vorbild vieler Frauen, den Jugendlichen war sie eine Stimme. Alles änderte sich schlagartig, als sie sich für die falsche Seite einsetzte: für die protestierenden Bahrainer auf der Straße.

Lamees sitzt vor mir im Bus. Sie ist still, nachdenklich. Der Platz neben ihr ist leer. Sie setzt sich neben niemanden, niemand setzt sich neben sie. Ich kann meinen Blick nicht von ihr lassen. Möchte mich zu ihr setzen, mit ihr sprechen.

Wir sitzen wieder in einem Konferenzsaal. Es geht um Meinungsfreiheit. Lamees meldet sich und spricht. Währenddessen steigen mir Tränen in die Augen. „Mein Leben ist mir egal“, sagt sie, „aber nicht das Leben meiner Familie.“ Drei Mal zündete man ihr Haus an, wohlwissend, dass nicht sie anwesend war, sondern ihre Familie. Nach und nach verliert Lamees den familiären Rückhalt. Sie bitten um ihr Schweigen. Derweil erhält sie Briefe und E-Mails von Familien, die um ihre Hilfe bitten. Ihre Kinder sind wegen regierungskritischen Facebook-Statusmeldungen im Gefängnis. „Sprich für uns, Lamees“, bitten sie. Sie versucht es. Hin und her gerissen.

Eines Tages ist ihre Schwester, eine Ärztin und Mutter zweier Kinder, nicht mehr da. Die Regierung hat sie entführt. Drei Monate lang sitzt sie für Lamees im Gefängnis und wird gefoltert. Lamees kümmert sich um die Töchter ihrer Schwester, jeden Tag. „Ich sterbe innerlich“, sagt sie. „Meine Schwester, sie folterten meine geliebte Schwester.“ Ihre Stimme zittert, sie entschuldigt sich. Betroffen blicken die Konferenzteilnehmer zu Boden. Lamees fängt sich und spricht kalt und distanziert weiter.

Als wir das Gebäude verlassen, um die Stadt zu besichtigen, sitzt sie alleine in der Lobby. Ich kehre zurück und bitte sie, mit uns zu kommen. Sie lächelt und sagt mit ihrer hohen Stimme und dem arabischen Akzent: „Nein, habibty (mein Schatz), ich bleibe lieber hier.“

Am Abend sitzen wir wieder im Bus. Lamees trägt keine schicke Kleidung mehr, sondern Sportschuhe, weite Jeans und eine locker sitzende Bluse. Ich setze mich dieses Mal zu ihr. Wir sitzen schweigend nebeneinander. „Wie geht es dir?“, frage ich sie. Sie lächelt milde und nimmt meine Hand. „Als ich in der Lobby saß, sprach ich mit meinen Vater. Ich habe seine Stimme vermisst.“

Seit der Inhaftierung ihrer Schwester lebt Lamees in Dubai. Alleine. „Das ist mein Preis“, sagt sie. Sehnsucht.

(Dieser Text erschien ursprünglich als Kolumne in der Taz.)

5 Kommentare zu „Die Sehnsucht einer Unnahbaren

  1. Solche Geschichten lassen mich immer sprachlos zurück – weil ich so gerne etwas tun würde, um diesen Menschen zu helfen, es aber einfach keinen Weg zu geben scheint. Uns allen sind die Hände gebunden, während irgendwo auf der Welt Menschen, die sich bloß eine Stimme verschaffen wollen, verfolgt werden.

  2. Was für eine unglaublich stolze Frau. Ich hoffe, sie zerbricht nicht daran. Die Situation ist so schwer!

    Ich hoffe, ihre Schwester zerbricht nicht an der Folter.

    Ich hoffe, niemand zerbricht. Aber an ein Leben ohne Trauma zu glauben ist noch zu früh…

    Danke Mädchenmannschaft, dass ihr nicht aufhört, den Finger in die Wunde zu legen.

Kommentare sind geschlossen.

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