Die ganz billige Tour

Gestern wurde das erste Urteil im Fall Sule Eisele gesprochen und es ist ein Witz: Dafür, dass die Angestellte wegen ihrer Schwangerschaft von ihrem Arbeitgeber R+V Versicherung degradiert wurde, bekam sie die lächerliche Summe von knapp 11.000 Euro zugesprochen.

Das sind drei Monatsgehälter. Damit hat die Summe nicht mehr als symbolischen Wert. Wehtun wird sie dem Unternehmen ganz gewiss nicht, dabei werden solche Prozesse geführt und so etwas wie (einklagbare) Antidiskriminierungsrichtlinien eigentlich erlassen, damit denjenigen, die ihre Angestellten oder Mitbürger_innen trotzdem diskriminieren, auch eine saftige Rechnung dafür präsentiert wird.

Im Prozess hatten Sule Eiseles Anwälte eine halbe Million gefordert – eine angemessene Summe wie ich finde. Denn, realistisch gesehen ist es doch so: Wer gegen den Arbeitgeber wegen Diskriminierung vor Gericht geht, der findet im Zweifelsfall in der gesamten Branche keinen Job mehr. Und wie gesagt: Die Strafen müssen wehtun, um wirklich etwas zu bewirken. Wegen 11.000 Euro wird keine Unternehmensleitung das eigene Verhalten ändern.

Die Süddeutsche Zeitung berichtet vom Prozess:

Richter Krampe gestand Eisele zwar zu, dass ihre Versetzung nicht in Ordnung war, doch lehnte er Hunderttausende Euro Entschädigung als übertrieben ab. (…) Er blieb bei den Summen, die in vielen Arbeitsgerichtsverfahren üblich sind: Drei Monatsgehälter; im übrigen kann Eisele laut Urteil auf ihre alte Stelle zurückkehren. Deshalb könne kein Schaden für die kommenden Jahre oder gar Jahrzehnte geltend gemacht werden. Eisele freilich hält eine Rückkehr für nahezu unmöglich, das Verhältnis zur R+V ist offenbar zerrüttet. Der Anwalt des Unternehmens (…) spricht zufrieden davon, dass die 11.000 Euro für seinen Mandanten „natürlich“ verschmerzbar seien. Die amerikanische Praxis mit Millionen-Entschädigungen für Diskriminierung von Frauen oder für Mobbingopfer wird es damit in Deutschland vorerst nicht geben. „Dieses Urteil gibt das Zeichen: freie Diskriminierung für freie Arbeitgeber“, klagt Eiseles Anwalt Alenfelder. Für den Versicherungsanwalt Ulrich Volk war die Versetzung eine „ganz normale arbeitsrechtliche Maßnahme“. Einer Frau, die schwanger geworden sei und monatelang aus dem Job aussteige, dürfe eine andere Stelle zugewiesen werden. Im Klartext: Schwangerschaft hin oder her – das ist das Recht des Chefs, wenn der Umsatz in Gefahr ist.

Das Urteil ist wirklich ein Schlag ins Gesicht aller Frauen (und auch Väter, die Vergleichbares erlebt haben), die ihre Hoffnungen auf diesen Präzedenzfall gelegt haben. In Deutschland wird noch nicht so selbstverständlich geklagt wie zum Beispiel in den USA, deswegen war der Schritt Sule Eiseles umso mutiger. Viele Frauen, denen Ähnliches oder Gleiches passiert, wissen zwar, dass sie eigentlich vor Gericht ziehen können, tun es aber meist nicht, weil eben die Rechtspraxis in Deutschland so ist, dass sich vor Gericht nur der jeweilige Arbeitsplatz und drei Monatsgehälter einklagen lassen. Aber wer, bitteschön, möchte an einem Schreibtisch sitzen, der demjenigen gehört, gegen den man geklagt hat?

Sule Eisele will in Berufung gehen, ein Kollege und ein Ex-Mitarbeiter der R+V haben mittlerweile ebenfalls auf Diskriminierung geklagt. Vielleicht braucht es noch eine ganze Reihe mehr Sule Eiseles, damit sich die Rechtsprechung verändert. Oder es steht ein Marsch durch die Instanzen an, bis beim Europäischen Gerichtshof ein anderes Urteil gesprochen wird – denn der EuGH lässt andere Entschädigungssummen zu. Wird es aber in Zukunft noch mehr Urteile wie dieses geben, kann man das AGG dagegen nur noch als Witz bezeichnen, der nur aus political correctness in der deutschen Gesetzgebung steht, aber nicht aus wirklichem Gestaltungswillen.

20 Kommentare zu „Die ganz billige Tour

  1. mal wieder komplett OT aber: im zweiten Absatz ganz korrekt die Gender_gap zu verwenden, im Absatz danach aber „Jemand, der“ ist wirklich inkonsequent. Vor allem wenn „Wer“ auch ginge, und sogar kürzer wäre…

  2. Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das AGG ist der Schadensersatz. Und keine Strafe. Die Verbindung von beidem, sog. „punitive damages“ gibt es in Deutschland nicht. Daher muss die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das AGG dem Arbeitgeber auch nicht „weh tun“.

  3. Die europäische Richtlinie sieht eindeutig „punitive damages“ vor. Das wurde im deutschen Gesetz nicht übernommen. Damit ist die Geschichte schon umrissen. Ein echtes Urteil ist erst vor dem Eropäischem Gerichtshof zu erwarten. Die europäischen Richtlinien sind nämlich zwingend umzusetzen. Deutschland hat da eher die Rechtstradition, die mObbing und Diskriminierung als Kavaliersdelikte behandelt.

    Im Übrigen denke ich, dass die Kunden durchaus die Möglichkeit haben, auch etwas zu bewegen. Es ist empörend, dass sich die R+V darüber freut, dass sie nur zu einer kleinen Summe verurteilt worden ist. Sie müßte sich eher dafür schämen, dass sie nun zu den Firmen gehört, die wegen Diskriminierung einer Mutter verurteilt wurden… Man kann als Konsument durchaus diskriminierende Firmen vermeiden. Hat man als Frau vielleicht sogar ein Sonderkündigungsrecht, wenn man angibt, dass man keine Verträge bei einer solchen Firma haben möchte?

  4. Was lernen die Firmen für die Zukunft? Weiter so wie bis jetzt. Die wenigsten werden klagen, und wenn eine klagt… dann zahlt man nur eine lächerlich kleine Summe. Absolut lächerlich.

  5. Die R+V Versicherung und Deutschland hat voll und ganz verloren.

    1. Die R+V Versicherung wurde der Diskriminierung schuldig gesprochen und die Versetzung wurde als ungültig anerkannt. Dies geschah, weil Sie ein Kind bekommen hat.

    2. Deutschland hat verloren, da es momentan so aussieht, als könnte jeder Arbeitgeber diese drastische Maßnahmen gegen einen Mitarbeiter einleiten. Von 100 wehren sich nur 10 die anderen 90 werfen das Handtuch und für die verbleibenden 10 kostet es nicht viel Geld die Diskriminierung auszuüben….. was für ein Land…. Schade! Ich wünsche der Familie viel Kraft und hoffe auf ein klügeres Urteil nach der Revision ansonsten würden Angestellte als Freiwild enden.

  6. Die Firmen rechnen wohl so: Auf 10 diskriminierte Frauen wagt es eine zu klagen, selbst wenn sie gewinnt, macht das knapp 1000 Euro pro diskrimierte Frau. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen. Ist eben wie ein Transportunternehmen, das seine Fahrer zwingt, die Ruhezeiten zu überschreiten und das Fahrzeug zu überladen. Da die Strafen selbst bei einer Kontrolle gering sind, rentiert es sich immer noch, die Gesetze nicht zu befolgen.
    Und für die berufliche Karriere der Betroffenen ist es nicht gerade von Vorteil, ihr Name wird noch über Jahre hinaus durch google geistern. Da sagt sich wohl mancher potentieller Arbeitgeber, er riskiert es lieber nicht, die Frau anzustellen, da sie bereit ist, für ihre Rechte im Konfliktfall vor Gericht zu gehen.

  7. „Deutschland hat da eher die Rechtstradition, die (…) Diskriminierung als Kavaliersdelikte behandelt.“

    Richtig, und diese Rechtstradition nennt sich freiheitlich-demokratische Grundordnung. Diskriminierung war bisher kein Kavaliersdelikt, sondern gar kein Delikt. Jeder kann unterscheiden, wie er mag – und wir alle tun das jeden Tag.

    Daß das jetzt aufgrund der unendlichen Weisheit der EU verboten ist, ist wieder einmal ein Schritt in Richtung Amerikanisierung unseres Rechts. Den weiteren Schritt, das ganze auch noch mit exorbitanten „punitive damages“ abzusichern, ist das Gericht vorerst nicht gegangen.

  8. Bekam zum 60. Jahrestag der Menschenrechte, 10. Dezember 2008 das rote Büchlein: „Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ in die Hand. Darin ist unter Artikel 7: Gleichheit vor dem Gesetz abgedruckt: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. ALLE haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstößt, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung.“ Mehr möchte ich nicht zu dem letzten, sehr intellektuellen Beitrag zum o.g. Thema sagen.

  9. „Die europäischen Richtlinien sind nämlich zwingend umzusetzen“

    Aber wie, das kommt darauf an, ob nur Rahmenbedingungen vorgegeben werden oder komplette Gesetze

    „Richtig, und diese Rechtstradition nennt sich freiheitlich-demokratische Grundordnung.“
    Wenn ich das schon lese. Vor nicht allzu langer Zeit hat ein Politiker behauptet, Rassismus gehöre zu den Freiheiten der bürgerlichen Gesellschaft. Zum kotzen.
    Es ist keine Freiheit, andere zu diskriminieren, sondern ein Verbrechen.

    Das die Rechtssprechung in Dtl. so ist, liegt an der Mentalität des „Arbeiten und Maul halten“, der die meisten kriecherisch folgen, im Gegenzug wird nach unten getreten. Und es liegt daran, dass die meisten Deutschen Diskriminierung nicht als Ungerechtigkeit empfinden, weil sie ihre eigenen Ressentiments darin wiederfinden. Es wird in Dtl. niemals ein Arbeitsrecht geben, dass die Leute vor dem Tyrannenchef beschützt, denn selbst die Gewerkschaften (von rühmlichen Ausnahmen wie die GDL mal abgesehen) achten darauf, dass den Arbeitgebern ja nicht „zuviel“ abverlangt wird. Der Arbeitskonsenz fordert seine Opfer konsequent hauptsächlich bei Frauen und Minerheiten.

  10. Ich hoffe, man verzeiht mir, dass ich so viele Links angeben werde. Das Thema ist doch komplexer.

    Es ist nicht das erste Mal, das die R+V mit Diskriminierungen auffällt.

    Vor ein paar Jahren wurde darüber berichtet, dass die R+V Schwule diskriminiert.

    http://www.test.de/themen/versicherung-vorsorge/meldung/-Lebensversicherung/1146377/1146377/

    Die Diskriminierung von Ausländern bei der Autohaftpflichtversicherung war bei der R+V auch an der Tagesordnung:

    http://www.zeit.de/1994/35/Schlimme-Szenen-spielen-sich-oft-auch-hinter-den-W

    Über andere Probleme mit der R+V oder damit verbundener Unternehmen konnte man sich hier ein Bild machen:

    http://www.stern.de/tv/reportage/:Reportage-VOX-Wenn-Versicherung/624938.html

    Um nicht zu zahlen, unterstellte die R+V den Geschädigten Brandstiftung.

    Die Vorgehensweise der Branche kann man hier beispielhaft auch gut erkennen:

    http://www.stern.de/wirtschaft/finanzen-versicherung/versicherung/:Haftpflichtversicherungen-Ausgebremst/608920.html

    Auch hier ist wohl die R+V dabei:

    http://www.captain-huk.de/allgemein/control-expert-und-die-anwaltsgebuehren-positive-entscheidung-des-ag-moers-18-geschaeftsgebuehr/

    In der Branche zählen Menschen wenig. Ob als Mitarbeiter oder als Kunden – jedenfalls wenn diese ihre Rechte auch tatsächlich in Anspruch nehmen wollen.

    Aber der absolute Hammer ist für mich, dass diese Firma sich auch noch damit brüstet, dass sie auch sexuelle Belästigung abdeckt.

    https://online.ruv.de/kredit/content/portal/makler/aktuelles/archiv/agg_police.jsp

    Daraus: „R+V übernimmt auch – wieder als einzige Versicherung – die Rechtsschutzkosten, wenn es noch nicht um Schadenersatz, sondern nur um einen Widerruf oder Unterlassung geht – etwa bei sexueller Belästigung oder ehrverletzenden Aussagen.
    Noch eine Besonderheit bei R+V: Neben den zivilrechtlichen Klagen, etwa wegen Mobbing oder entgangener Beförderung, schließt die Police auch strafrechtliche Verfahren ein, die bei Beleidigungen oder sexueller Belästigung eingeleitet werden.“

    Es gibt vielleicht einen guten Grund, warum die anderen Versicherungen sexuelle Belästigung ausschliessen. Ich finde dieses „Alleinstellungsmerkmal“ der R+V absolut UNAKZEPTABEL und entwürdigend!

    Zum Umfeld Volks- und Raiffeisenbanken gäbe es auch sehr viel zu sagen. Ich zitiere: „“In der Regel haben die Leute nicht die Nerven, sich zu wehren“, bestätigt Christina Frank, die bei der Gewerkschaft Verdi in Stuttgart arbeitet. Frank berichtet, wie häufig Frauen bei Volks- und Raiffeisenbanken benachteiligt würden, lauter Fälle, die bei ihr auf dem Schreibtisch gelandet seien.“ Aus: http://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/413/433162/text/

    Liebe Grüße und schöne Feiertage
    Euer Jan

  11. Jan, welches ist der „gute Grund“ mit dem andere Versicherungen sexuelle Belästigung ausschließen? Mir scheint, als sei eine gute Rechtsschutzversicherung so definiert, dass sie in möglichst allen Fällen greift… (Oder ist unakzeptabel und entwürdigend, dass sie überhaupt annehmen dass jemand sexuell belästigt werden könnte? Weil, das ist eben die Realität…)

  12. Die AGG-Police geht über eine normale Rechtsschutzversicherung hinaus. Sie ist dafür gedacht, die Ansprüche der sexuell belästigten Person abzuwehren. Es ist für mich unakzeptabel und entwürdigend dafür zu werben, dass die Firma, die eh im Vorteil gegenüber den sexuell belästigten Arbeitnehmern ist durch die AGG-Police noch mehr Vorteile hat.

    Mit anderen Worten. Abteilungsleiter verlangt sexuelle Gefälligkeiten von Untergebener – bekommt diese nicht – nimmt sich diese dann einfach – mobbt auch noch die Mitarbeiterin – diese verklagt Arbeitnehmer und die AGG-Police kommt dem Belästiger zu Hilfe… Das nenne ich eine Schweinerei. Und damit würde ich keine Werbung machen… Ich lobe mir da die Versicherungen, die das nicht mitmachen.

  13. muss Susanne recht geben: es ist schade, dass bei uns noch nicht so selbstverständlich geklagt wird wie in den USA. Es sind zwar in den letzten Jahren neue Gesetze hinzugekommen, aber es sind immer noch nicht genügend da. Die deutschen Gesetzbücher müssen noch dicker werden und vor allem muss die Bereitschaft wachsen, bei jedem Verstoß sofort zu klagen.

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