180 Seiten Kampf für ein Erziehungsgehalt

Dieser Text ist Teil 1 von 140 der Serie Die Feministische Bibliothek

Der schnellste Weg, lesend Feministin zu werden: eine reaktionäre Lektüre. Wer das Buch der familienpolitischen Sprecherin (!) der saarländischen Linken (!!) liest, Christa Müllers „Dein Kind will dich„, ist danach ganz bestimmt für die Selbstbestimmung der Frau.Das einzige Problem an dieser Herangehensweise: Sie ist sehr, sehr anstrengend. Müller will auf 180 Seiten den Irrglauben retten, dass Kinderbetreuungseinrichtungen in Deutschland reine Verwahranstalten sind. Das ist ihre Hauptthese, die sie bunt illustriert – Chaos, mangelnde Zuwendung, Krankheit und Elend sind in Krippen und Kindergärten Alltag. Und weil die Zustände in der öffentlichen Kinderbetreuung so katastrophal seien, fordert sie, dass Frauen ihre Kinder zuhause erziehen, liebe- und hingebungsvoll, einfühlsam und selbstlos.

Ein Knaller gleich am Anfang des Buches: Deutschland hat nicht zu wenige Kinder, sondern zu viele – weil nämlich Kinder verwahrlosen, misshandelt werden und kein liebevolles Zuhause haben. Die Lösung, so Müller, sei die Einführung eines Erziehungsgehalts, damit sich die Frauen „leisten“ können, ihren Kindern Liebe und Zuwendung zu geben. Aber es müssten von den Eltern auch ganz klare Anforderungen erfüllt werden:

„Das heißt konkret: Wie schaffen den Beruf Hausfrau und Mutter bzw. Hausmann und Vater. […] Entsprechend gäbe es in Zukunft aufgrund der Gründung einer Familie keinen Berufsausstieg und -wiedereinstieg von Mutter oder Vater, sondern einen Berufswechsel, […] Das Erziehungsgehalt wird nur geleistet, wenn der Altersabstand der Kinder mindestens zwei Lebensjahre beträgt, da die Erziehungsperson sonst nicht ausreichend Zeit hat, sich um das einzelne Kind zu kümmern.“

An dieser Stelle musste ich das erste Mal laut aber verzeifelt lachen. Müller entwirft schon auf den 170 Seiten davor zum Teil recht krude Modelle für die staatliche Überwachung der „richtigen“ Erziehungsarbeit, doch die Forderung nach Mindestabständen zwischen der Geburt der Kinder ist die aberwitzigste von allen.

Ach, es würde hundert Zeilen füllen, den ganzen Quatsch aufzulisten, den sich Christa Müller für dieses Buch ausgedacht hat. Er lässt sich aber auch kurz in ein paar Gedanken und Zitaten zusammenfassen:

  • Frauen und Männer sind entgegen aller feministischen Bestrebungen nicht gleich.
  • Frauen sollen in die Erwerbsarbeit gezwungen werden, weil sie billige Arbeitskräfte sind.
  • Das geht zu Lasten der Kinder, die durch öffentliche Betreuung sozial und geistig gestört werden.
  • „Wer aber will, dass sein Kind in den ersten Lebensjahren so gesund wie möglich ist, sollte es lieber zuhause behalten.“
  • „Eine verantwortungsvolle und fähige Hausfrau, unterstützt von ihrem Partner, ist in der Aufziehung von Kindern und der Schaffung eines gemütlichen Heimes für die ganze Familie unverzichtbar.“
  • „Inzwischen stellen wir in allen Ländern fest, dass die Männer offenbar nicht bereit sind, ihren Part im Haushalt zu übernehmen.“
  • „Der Mann kann Karriere machen und verdient immer mehr Geld, die Frau optimiert derweil ihre Tätigkeit zuhause.“
  • Die Frauen sollten erkennen: „Man kann im Leben nicht alles haben.“

Alle diese Punkte zeigen ärgerliche analytische Mängel: Müller nimmt kritisierbare Zustände als nicht zu ändern hin – unterschiedliche Gehälter, im Haushalt faule Männer etc. Viele ihrer Feststellungen sind ja ganz richtig: Wir haben viele Kinder in diesem Land ohne Bildungschancen und wirklich sind nicht wenige Frauen überfordert, wenn ihnen neben einer (meist auch finanziell notwendigen) Berufstätigkeit die Kindererziehung und der Haushalt als natürliche Aufgaben zugewiesen werden. Aber ihre Lösungsvorschläge orientieren sich nicht an den gegenwärtigen Umständen und an zukunftsfähigen Ideen, sondern ausschließlich an der Vergangenheit. Weswegen Christa Müllers Buch kein konstruktiver Beitrag zur aktuellen Debatte ist, sondern einfach nur ein Nachruf auf die „guten alten Zeiten“, die niemals wiederkommen werden. Weil wir jungen Frauen aber keinen Bock auf Zustände wie in den 50ern haben, versucht uns Müller, die Hausfrauenehe noch mal schmackhaft zu machen:

„Freundinnen meiner Mutter waren stolz darauf, Männer zu haben, welche die Familie allein ernähren konnten. Die Männer waren wiederum froh, eine Frau vorweisen zu können, welche den Haushalt perfekt führte, sich um die Kinder kümmerte, sie hübsch kleidete und anständig erzog. In diesen Ehen achteten sich die Partner gegenseitig, und sie wurden auch von der Gesellschaft respektiert.“

Ja, klar. Wer sich bis jetzt noch nicht sicher war, ob wir den Feminismus brauchen: Lesen!

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6 Kommentare zu „180 Seiten Kampf für ein Erziehungsgehalt

  1. Komisch. Hab gerade auf http://www.intact-ev.de/ gelesen, dass es Christa Müller war, die diesen Verein gegen Mädchenbeschneidung ins Leben gerufen hat. Wie kann die Frau, die die Energie und die Durchsetzungskraft aufbrachte, diesen Verein zu gründen – einen Verein, der schon sehr viel erreicht hat und sehr plan-und zielbewusst vorgeht – , den scheußlichen Brauch der Mädchenbeschneidung dermaßen relativieren, indem sie ihn auf eine Stufe mit Krippenbesuch stellt?? Ich bewundere sie dafür, dass sie sich gegen die qualvolle Prozessur der Genitalverstümmelung einsetzt. Aber über ihre momentanen Aktionen kann ich nur den Kopf schütteln…

  2. Hallo, sagt mal, hat jemand von euch eine Ahnung, ob Christa Müllers Einsatz gegen Mädchenbeschneidung im Kampf gegen die Krippen auf der Strecke geblieben ist? Was ist aus dem Verein (I)nact geworden? Die website sieht aus, also würde sie seit längerem nicht mehr gepflegt, und den üblichen Rundbrief zum Jahresende hab ich 07 auch nicht bekommen. Auf mails gibts keine Antwort. Falls die Frau sich nun tatsächlich lieber in Deutschland gegen Freiheit als in Afrika für sie engagiert, wäre das extrem schade. Der Verein hatte schon einiges erreicht.

  3. Ich persönlich finde das Buch ausgezeichnet! Es gibt viele Frauen die gerne -zumindest solange ihre Kinder klein sind- diese selbst betreuen möchten. Kinderbetreuung durch das Kollektiv ist meiner Meinung nach frauenfeindlich, genauso wie wenn eine Frau nur durch Erwerbsarbeit Annerkenung findet. Man kann in einer Ehe sehr wohl traditionelle Rollen leben und trotzdem gleichberechtigt sein. Viele Frauen wollen Vollzeitmutter sein und trauen sich nur oft wegen der öffentlichen Meinungsmache nicht das zu sagen. Ich empfehle noch folgende Bücher: Daphne de Marneffe: „die Lust Mutter zu sein“ und Jürgen Liminski „die verratene Familie“ – viel Spaß beim Lesen!

  4. „Jürgen Liminski“

    Ich lach mich kaputt, dass hier jm. ein Buch von einem Opus Dei Mitglied empfiehlt. Als wäre das nicht schon von vorneherein reaktionärer Schrott

  5. musst dich nicht kaputt lachen, mimi empfiehlt nur das buch von ihrem papa. das darf sie doch.
    auch die mama ist opus dei mitglied und viele geschwister. das passiert halt, wenn mama zuhause ist und die kinder in opus dei-format biegt.

    opus dei ist frauenfeindlich! da gibts eine besonders frauenfeindliche kaste: die auxiliarin. das sind dienstmädchen, die in den zentren von opus dei arbeiten, ohne gehalt, ohne rechte. sie dürfen die zentren nur in begleitung einer vorgesetzten verlassen – wenn sie z.b. in ein anderes zentrum zum arbeiten müssen oder zum zahnarzt müssen oder um ein paar kaputte schuhe zu ersetzen.

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