Der homosexuelle Mann und die Phallokratie

Die Vollversammlung der UNO hat im November entschieden, willkürliche und außergerichtliche Hinrichtungen aufgrund der sexuellen Orientierung nicht mehr ausdrücklich zu verurteilen. Auf Antrag mehrerer afrikanischer Abgeordneter wurde die explizite Erwähnung dieses Mordmotivs aus der diesjährigen Resolution gestrichen – ein enttäuschendes Ergebnis für die LGBTQ-Gemeinschaft und für die Menschenrechtsorganisationen.

Darüber informiert die taz unter dem Titel „Der homosexuelle Mann ist wieder zum Abschuss freigegeben“. Wer den Artikel liest, erfährt natürlich, dass in vielen Ländern nicht nur Schwule, sondern auch Lesben dem Mord immer noch zum Opfer fallen. Dass homosexuelle Männer ihr Privileg der Männlichkeit auch bei der Repräsentation in den westlichen Medien genießen, sollte spätestens mit einer Studie am Beispiel der Münchener Tageszeitungen klar sein. Während Lesben als Frauen für die Augen der Öffentlichkeit weiterhin nur wenig sichtbar bleiben, werden Schwule als Prototyp der Homosexualität dargestellt.

Die Ironie der Situation liegt aber vor allem darin, dass der taz-Artikel auch die mehr als 70 Länder erwähnt, in denen Homo-Sex als Straftat gilt. Die Liste dieser Länder und die Einzelheiten zur jeweiligen Rechtslage veröffentlicht nämlich ILGA in einem jährlichen Bericht. Und wer einen genaueren Blick in den letzten Bericht wirft, ist überrascht: Erstaunlich viele dieser Länder stellen zwar Schwule unter Strafe, nicht aber Lesben. Die umgekehrte Rechtslage kommt nirgendwo vor und, wenn Sex unter Frauen doch gesetzlich verboten ist, dann zeigt sich der homophobe Gesetzgeber meistens milder mit den Lesben.

Der homosexuelle Mann riskiert also vielerorts tatsächlich mehr als die homosexuelle Frau, und es scheint, dass Lesben nicht nur in westlichen Medien, sondern auch in patriarchalen Strafgesetzbüchern einfach mal weggelassen werden. Die interessante Frage ist natürlich, wie sich die überraschend asymmetrische Kriminalisierung erklären lässt. Zumindest zum Teil liegt es meiner Meinung nach an den durchaus phallokratischen Begriffen, die solche Rechtstexte verwenden. Um die vermeintliche Straftat gesetzlich zu kodifizieren, brauchen die Wächter der Moralität in 76 Ländern einige Definitionen. Was gilt zum Beispiel als Sex? Man(n) scheint trotz aller kulturellen Unterschiede unwillig oder unfähig, über die Idee hinwegzukommen, dass Sex zwangsläufig Penetration durch einen Phallus bedeutet. Alles andere hält das internationale Patriarchat – wie mancher westliche Schwule – entweder für „Sexersatz“, oder für gar keinen Sex.

Den Phallus zelebrieren die Japaner beim jährlichen Kanamara Matsuri (Festival des Eisenpenis), wie hier 2009 in Kawasaki

16 Kommentare zu „Der homosexuelle Mann und die Phallokratie

  1. fördern solche videos nicht evtll. die
    neben der homophobie durchaus genauso verabscheuenswürdige
    xenophobie?
    ;-)

  2. Hahaha. Props für „Das internationale Patriarchat“!

    Ich finde es überhaupt nicht erstaunlich, eher äh jetzt suche ich seit Minuten nach dem richtigen Wort, es will mir nicht einfallen. Ein Synonym für „entlarvend“. Der Sachverhalt jedenfalls bestätigt meine Meinung, dass Frauen sowieso gar nicht so ernst genommen werden. Genauso wie einige Homosexuelle wiederum Bisexuelle nicht ganz ernst nehmen möchten usw.

  3. Ein Grund könnte sein, dass zumindest im „christlichen“ Mittelalter ein anderer Begriff von Sexualität herrschte. Nur Penetration galt überhaupt als Sex, und es wurde klar zwischen „aktivem“ Sex (Penetrieren) und „passivem“ Sex (Penetriert werden) unterschieden, wobei ersteres dem Mann, zweites der Frau zugewiesen wurde. Das Verwerfliche bzw. „Naturwidrige“ an Sex unter Männern wurde darin gesehen, dass ein Mann diese passive Rolle einnahm. Lesbischer Sex hingegen, sofern keine Penetration imitiert wurde, galt überhaupt nicht als Sex. Zumindest schreibt das Ruth Mazo Karras in ihrer sehr empfehlenswerten Studie über Sexualität im Mittelalter, die ich mal rezensiert habe: http://www.fr-online.de/kultur/literatur/klare-geschlechterrollen/-/1472266/3168478/-/index.html – Ich könnte mir vorstellen, dass sowas auch heute noch Nachwirkungen hat.

  4. Hatten wir nicht vor einiger Zeit mal einen Beitrag hier, in dem es um Sex ging und die Definition war „von der Penetration bis zu seinem Orgasmus“?

  5. Zitat:
    „… und es wurde klar zwischen “aktivem” Sex (Penetrieren) und “passivem” Sex (Penetriert werden) unterschieden, wobei ersteres dem Mann, zweites der Frau zugewiesen wurde. Das Verwerfliche bzw. “Naturwidrige” an Sex unter Männern wurde darin gesehen, dass ein Mann diese passive Rolle einnahm. Lesbischer Sex hingegen, sofern keine Penetration imitiert wurde, galt überhaupt nicht als Sex.“

    Das ganze betrachten wir dann einmal unter dem unseligen Einfluss monotheistischer Religionen und schon wird es klarer, einfacher und erklärt so vieles. Man(n) darf alles, nur nicht seine aktive, seine beherrschende Rolle aufgeben, dieser Regelverstoss ist auf schärfste zu sanktionieren, sagt Mann.

    Zitat
    „Der Sachverhalt jedenfalls bestätigt meine Meinung, dass Frauen sowieso gar nicht so ernst genommen werden. “

    Bingo, ich zitiere einmal den Ex-Kanzler Schröder aus der SPD. „… und dann ist da ja noch die AsF (Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen) und so’n Gedöns !“. Dafür hat die SPD dann eine Frauenquote von unter 50% und das obwohl 2008 der Bevölkerungsanteil an Männern und Frauen in der BRD 2008 mit marginalen Unterschieden bei 50% lag. Dabei sollte Parität doch Ziel sein, es sei denn die phallische Dominanz soll nicht gefährdet werden oder so’n Gedöns.

  6. Interessanter Artikel!

    Ich habe einmal in einem deutschsprachigen „Aufklärungsbuch“ aus den 50er Jahren gelesen, dass damals lesbische Liebe mit dem Penis-Neid von Frauen erklärt wurde.
    Der Phallus als Maß aller Dinge…

  7. @Marie: Die Idee, dass der freie, sozial akzeptable Mann niemals seine aktive, beherrschende Rolle aufgeben darf, ist ja zumindest in Europa älter als der Monotheismus. Wie von Foucault und vielen Historikern rekonstruiert, erlaubte die sexuelle Gesellschaftsordnung in der griechischen Antike alles, was die grundsätzlichen Machtstrukturen widerspiegelte. Der freie Mann durfte dementsprechend alles andere (d.h., Frauen, jüngere Männer unter 30, die noch nicht als Bürgen im vollsten Sinne galten, sowie Ausländer und Sklaven) penetrieren. Er durfte aber nicht penetriert werden – auch von einem anderen freien Mann nicht. Penetration war also schon damals der Schlüsselbegriff der sexuellen Ordnung, mit der logischen Konsequenz, dass Menschen einer der beiden festen Kategorien („aktiv“ oder „passiv“) zugeordnet wurden.

    Eine der Regeln, die das Christentum ändert, bezieht sich auf die allgemeine Schuldlosigkeit des Penetrierenden. Bei den Griechen galt, dass ein freier Mann, der sich penetrieren lässt, eine „unwürdige“ Tat begeht, die seinen sozialen Status in Frage stellt. Doch ein freier Mann, der einen anderen freien Mann penetriert, kompromittiert seinen Status nicht und bleibt für die Griechen schuldlos. Ab dem Mittelalter gilt das nicht mehr: Der „naturwidrige“ Penetrierende agiert gegen die „göttliche“ Ordnung, begeht genau wie der Penetrierte eine Sünde, und macht sich sogar strafbar.

    Warum fühlen sich also die Wächter der „göttlichen“, d.h., der Macho-Ordnung, weniger bedroht, wenn Frauen unter sich Sex haben? Sicher nimmt man(n) Frauen nicht so ernst, oder, anders ausgedrückt, das symbolische Kernstück dieser Ordnung – die Penetration – kann durch „Nicht-Agenten“ weniger gefährdet werden.

  8. danke für den beitrag – hatte das von wg. UN auch gelesen und mir so meinen teil gedacht.

    von wg. gesetze/strafbarkeit homosexualität : wer macht denn diese gesetze ? doch wohl mehrheitlich wieder männer – und die sehen dann z.b./u.a. „ihre männlichkeit“ durch schwule männer „in gefahr“.

  9. @Silviu „Man(n) scheint trotz aller kulturellen Unterschiede unwillig oder unfähig, über die Idee hinwegzukommen, dass Sex zwangsläufig Penetration durch einen Phallus bedeutet. Alles andere hält das internationale Patriarchat – wie mancher westliche Schwule – entweder für „Sexersatz“, oder für gar keinen Sex.“

    Wundert Dich das wirklich? Mir scheint, wenn man(n) mal ehrlich zu sich selber ist und sich so frägt was man(n) denn will wenn man(n) mal will, so läuft’s auf Penetration hinaus. Mögen die Wege dorthin auch verschlungen und wandelbar sein und auch nicht immer dort enden wo man(n) eigentlich hin wollte so ändert es wohl nichts an der Tatsache, dass man(n) in der Mehrzahl der Fälle einen bestimmten Vorsatz hatte als man(n) zum Geschäfte anhub. Und es würde mich schon sehr wundern wenn nicht der Inuit-Mann, der britische Mann, der koreanische Mann, der Yanomamö-Mann, und der !Kung-Mann (als patres pro toto) diesen Vorsatz in aller Regel – ganz kulturübergreifend – teilten.

  10. @Gerhard: Aus der Tatsache, dass man(n) einen Penis hat, folgt rein logisch eben nicht, dass man(n) ihn zwangsläufig irgendwohin stecken muss. Ebenso wenig ist es ein „Naturgesetz“, dass Penetration (und nicht etwa Masturbation, Cunnilingus, Annilingus oder was auch immer) und zwar Penetration durch einen Penis (und nicht etwa durch einen Finger, eine Faust, Gurke, Dildo etc.) zum besten männlichen Orgasmus führt. Insofern wundert mich das, ja.

  11. @Gerhard: Genau :-) Unter der (ehrlich gesagt unpraktischen) Annahme, dass Männer Sex haben, um patres zu werden, dass Sex also zwangsläufig eine reproduktive Funktion erfüllen muss, wundert mich das weniger. Diese Annahme hat aber wenig mit Logik und Natur, und viel mehr mit Religion zu tun. Ob sie tatsächlich kulturübergreifend geteilt wird, weiß ich nicht.

  12. @Silviu: „dass Penetration […] durch einen Penis […] zum besten männlichen Orgasmus führt.“

    Meintest Du hier „weiblichen Orgasmus“ oder sprichst du vom homosexuellen westlichen Mann? Zu beiden Fällen kann ich mich jetzt nicht wirklich kompetent äussern, aber ich denke dass es, falls Penetration mal prinzipiell überhaupt angestrebt wird, rein physiologisch gesehen herzlich wurscht ist womit man sich penetriert/penetrieren lässt (psycholgisch mag’s schon wieder anders aussehen). Aber da weder Frauen noch homosexuelle Männer in den letzten 2-3 Tausend Jahren in irgendeinem mir bekannten Kulturkreis die Definitionshoheit über die „Nom“ innehatten, nimmt es nicht Wunder dass sich deren Sichtweise (welche auch immer das jetzt ist) in Definitionen nicht niederschlägt.

    „Aus der Tatsache, dass man(n) einen Penis hat, folgt rein logisch eben nicht, dass man(n) ihn zwangsläufig irgendwohin stecken muss.“

    Nein rein logisch folgt hier gar nichts, aber die einzige in nennenswertem Ausmass erogen innervierte Körperregion männlicher Mammalia ist die glans penis. Jetzt sind wohl in der menschlichen Kulturgeschichte allerlei andere Körperregionen als erogene Zonen postuliert worden; wenn aber die physiologische Grundlage fehlt kommst‘ über einen unspezifischen Plazeboeffekt nicht hinaus (so wie bei der Homöopathie). Das ist schon mal eine gute Basis für ein kulturübergreifend phallozentrisches Weltbild (der Männer) würde ich meinen (an dessen Ausformung und Zementierung verschiedenste Religionen dann sicherlich kräftig mitgemischt haben)

    Jetzt ist es sicherlich kein „Naturgesetz“ dass mann die glans penis irgendwo reinstecken muss. Aber es ist dem Spaße nicht unbedingt abträglich wenn mann es doch tut oder zumindest simuliert wie jeder Bub irgendwann im Alter von vielleicht 8, 9, 10 oder so anfängt zu erfahren. Und ja klar wir Menschen haben uns unzählige Methoden zur Spaßoptimierung ausgedacht aber die Basics bleiben doch immer die gleichen. Und wenn wir (Männer) uns (und allen anderen gleich mit) dann irgendwas zur Norm machen sind es doch diese Basics zu denen wir gravitieren, die Basics die jedem Manne aus eigener Erfahrung zugänglich sind, und eher nicht die optionalen Erweiterungen der Spaßoptimierungseliten.

  13. @Gerhard: Nein, ich meinte den männlichen Orgasmus des Penetrierenden. Ich bezweifle, dass es unbedingt (per Naturgesetz) mehr Spaß macht, wenn ein Mann mit seinem Penis etwas (egal was) penetriert, als wenn er etwa masturbiert, sich peitschen lässt, oder irgendeine andere sexuelle Praktik ausübt. Deine Klassifikation der sexuellen Praktiken („Basics“ und „Spaßoptimierung“) sehe ich auch sehr skeptisch, weil ich nicht glaube, dass die Natur (oder die Physiologie) uns etwas lehrt, uns irgenwie Impulse oder Tipps gibt, und wir dann nachträglich zu diesen schon vorhandenen Mustern etwas Kulturelles hinzufügen. Vielmehr lernen wir sexuelle Praktiken immer schon in einer Kultur, haupsächlich durch Wiederholung, Nachahmung, Performance. Wir lernen, Spaß zu haben – der Appetit kommt sozusagen beim Essen. Und der Spaß ist immer schon kulturell und psychologisch kodiert (indem z.B. der Penetration ein Machtgefühl zugeschrieben wird). Die Kodierung ist der sexuellen Praktik konstitutiv (d.h., z.B., ohne Machtgefühl, kein Spaß). Jenseits der kulturellen Kodierung der Praktiken sind wir keine Menschen.

  14. @Silviu: Danke für die Antwort, jetzt wird mir tatsächlich klarer was Du meinst. Allerdings gehe mich mit Dir insofern nicht d’accord (ich gestehe ich bin Biologe von Beruf) als dass ich tatsächlich der Meinung bin dass der Mensch sich von seinem evolutionären Erbe zwar kraft seiner Kulturleistungen zT entkoppeln kann/entkoppelt hat, dass dieses Erbe aber dennoch wie ein Art zugrundeliegende Matrix immer wieder in verschiedenen kulturellen Phänomenen durchblinzelt.

    Klar kann ich lernen Schmerz in kulturellen Praktiken in Lust umzukodieren. Wahrscheinlich kann ich auch verlernen Stimulation der primären Geschlechtsorgane als lustvoll zu empfinden. Ebenso kann ich lernen den Geschmack von Capsaicin (das Zeug das Chili scharf macht) auf der Zunge als wohlschmeckend und als einem gediegenen Essen unabdinglich zu empfinden. Aber kein Baby kommt mit Lust auf Chili auf die Welt (auch nicht in Indien) aber alle Babies kommen mit Lust auf Süßes auf die Welt (wie im übrigen alle Säugetiere – schon mal beobachtet wie Katzen auf Malzpaste abfahren). Und natürlich kann ich diese Lust auf Süsses auch wieder kulturell bedingt verlieren.

    Was ich sagen will – wir sind ungeheuer plastisch (nicht wie Windows, eher wie Linux), trotzdem werden wir (quasi als Distribution) mit bestimmten Defaults ausgeliefert. Alle diese Defaulteinstellungen können nachträglich geändert werden, bloß viele tun’s aus Bequemlichkeit nicht.

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