Bundesregierung: Bürokratieabbau statt Antidiskriminierung

Seit nunmehr zwei Jahren will die EU-Kommission eine 5. Gleichbehandlungs- richtlinie auf den Weg bringen, die für die Merkmale Geschlecht, ethnische Herkunft/Race, Alter, sexuelle Orientierung, Religion/Weltanschauung und Behinderung einen umfassenden Diskriminierungsschutz gewährleistet. Mit dieser Richtlinie würde das Schutzniveau horizontal angehoben werden; für alle Merkmale wäre dann in den Bereichen Bildung, Beschäftigung und Beruf, Soziales, Güter und Dienstleistungen Diskriminierung verboten. Bisher gelten auf bundes- und europarechtlicher Ebene unterschiedliche Schutzstandards, Geschlecht und ethnische Herkunft sind besonders geschützt.

Die Bundesregierung hat angekündigt, gegen diese Richtlinie von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen. Es war voraus zu sehen, dass sie sich wieder einmal gegen die europäische Antidiskriminierungspolitik stellt. Bereits bei der Umsetzung der vier Gleichbehandlungsrichtlinien der EU vor ein paar Jahren gab es massive Proteste seitens CDU/CSU, FDP, Wirtschaftsverbänden und kirchlichen Einrichtungen, die die Umsetzung einer wirkungsvollen Antidiskriminierungs- gesetzgebung unter der rot-grünen Regierung lange Zeit behinderten. Es folgten mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof, Bußgelder in Millionenhöhe und ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, das Diskriminierte nach wie vor nicht umfassend schützt.

Schon beim ersten Vorschlag der EU-Kommission im Jahr 2008 stellte sich die Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter der damaligen Leiterin Martina Köppen gegen die 5. Gleichbehandlungsrichtlinie mit der Begründung, dass diese ein „Schlag für die Wirtschaft“ bedeute. Ungeachtet dessen, dass sich die Stelle seit ihrer Gründung 2006 nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat und eher im Steuergelder verbrennen gut war, denn in einer umfassenden Beratung und Betreuung von Opfern von Diskriminierung, erwies sich die viel heranzitierte Befürchtung, auf die Wirtschaft würden horrende Entschädigungssummen zukommen, als heiße Luft. Was jedoch weniger an einem diskriminierungsfreien Umgang in der Gesellschaft liegt, sondern vielmehr an rechtlichen Hürden und lachhaften Sanktionsmöglichkeiten, die das AGG bietet.

Nun soll ein horizontaler und umfassender Diskriminierungsschutz auf EU-Ebene Wirklichkeit werden, wie es das AGG vom Schutzniveau her zum Teil sogar schon vorsieht. Doch die Bundesregierung begründet ihr Veto mit einer zynischen Ausrede: Bürokratieabbau. Menschenrechte genießen offenbar weniger Prioritäten. Die Sache mit der Gleichbehandlung hat sich die schwarz-gelbe Bundesregierung zwar im Koalitionsvertrag groß auf die Fahnen geschrieben, die realpolitische Umsetzung ist davon allerdings weit entfernt. SPD und Grüne kritisieren das Vorhaben der Bundesregierung heftig und fordern sie auf, die Förderung einer Antidiskriminierungskultur in Deutschland und Europa nicht länger zu behindern.

Auch Amnesty International protestiert. Wer ähnlich empört ist, kann hier ein Schreiben an die zuständige Familienministerin Schröder mitzeichnen.

10 Kommentare zu „Bundesregierung: Bürokratieabbau statt Antidiskriminierung

  1. ich kann im brief nix von geschlecht lesen. was ist mit der geschlechter-spezifischen diskriminierung? wenn schon religion UND glaube drinstehn, wär ja da auch platz gewesen für geschlechter!

  2. ich kann im brief nix von geschlecht lesen. was ist mit der geschlechter-spezifischen diskriminierung?

    Hmm? Ich weiß zwar nicht genau, was du meinst, aber ich versuche mich mal an einer Antwort :) Diskriminierung aufgrund des Geschlechts wird dort nicht explizit erwähnt sein, weil – wie ich bereits schrieb – das Merkmal Geschlecht bereits einen hohen Schutz vor Diskriminierung genießt. Die neue Rahmenrichtlinie soll nun die Merkmale Alter, Religion/Weltanschauung, sexuelle Orientierung/Identität und Behinderung auf dasselbe Schutzniveau heben. Reicht dir das als Erklärung? Vielleicht kannst du auch nochmal dein Anliegen spezifizieren.

  3. Hier die Dokumentation http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm?CL=de&DosId=197196
    mit dem Kommissionsentwurf der Antidiskriminierungsrichtlinie, dem Parlamentsbericht und den Informationen aus dem Rat.

    Die Position der Bundesregierung im Rat zu diesem Dossier ist eine Schande. Auch in anderen Dossiers rund um das Thema Schutz vor Diskriminierung polemisieren die Vertreter der Bundesregierung in Brüssel auf eine ARt und Weise, das ist gruselig.

    Besonders das Thema Beweislastumkehr wird massiv bekämpft

  4. ja, so hatte ich das gemeint: formuliert ist der diskriminierungsschutz (bzgl. geschlecht) durchaus, aber die praxis….
    die anderen themen auf das gleiche niveau zu heben, bringt ja nichts, wenn dieses niveau nur theoretisch existiert.

  5. @profin: Sowas wie eine Beweislastumkehr darf es auch nicht geben! Das würde den deutschen Rechtsstaat völlig außer Kraftsetzen!

  6. @maria

    natürlich sieht die praxis immer etwas anders aus, als es das recht vorgibt. das hat doch aber nichts damit zu tun, dass andere merkmale, weswegen menschen diskriminiert werden (können) nicht genauso geschützt werden sollten. geschlecht ist nicht alles und schon gar nicht immer ausschlaggebend für eine diskriminierung. nur weil nicht alles so läuft mit der antidiskriminierung, soll man lieber gar nichts machen?! verstehe deine logik nicht.

    @M.S.
    warum setzt denn die beweislastumkehr den „deutschen rechtsstaat außer kraft“? was ist denn mit den ländern, in denen volle beweislastumkehr gilt? sind das jetzt unrechtsstaaten? auf jeden fall sind sie nicht-deutsch. puuh, immerhin ;-)

    mir fallen da ganz andere sachen ein, die den „deutschen rechtsstaat außer kraft“ setzen.

  7. @ nadine
    ich hab grad die these vertreten, dass alle merkmale geschützt werden sollten und zwar auch in der praxis! und dass geschlecht bei weitem nicht der einzige diskriminierungsgrund sein kann, ist klar; die anderen standen ja aber auch auf der liste.

  8. @maria,

    ok dann habe ich dich wohl komplett missverstanden :) mmh. also für mich ist die rechtssetzung da schon wesentlich. gerade auf eu-ebene. weil sie deutschland zwingt, das alles auch in eigene rechtskontexte einzubinden. ein recht zu setzen bedeutet auch immer eine signalwirkung. klar, dass das nie allein für sich stehen kann und von anderen maßnahmen flankiert werden muss. diese brauchen aber eine rechtliche legitimation, sobald der staat tätig wird. allein schon deshalb, weil dann kein rechtfertigungsdruck mehr besteht.

  9. Tja, meiner Meinung nach ist die Umsetzung eines solchen Gesetzes immer schwierig, Theorie und Praxis werden auch auf absehbare Zeit weit auseinander klaffen. Eh das richtig in den Köpfen drin ist …

    Durch die fragwürdige Position der Bundesregierung wird immerhin die mediale Aufmerksamkeit erhöht. Und wenn sich dann am Ende das Gute durchsetzt (wovon ich ausgehe), ist das doch ein stärkeres Zeichen, oder?

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