Aus dem Wortschatz streichen: „Fremdbetreuung“

wie sich unsere regierung zusammensetzt, steht noch nicht fest. was das für die frauen- und familienpolitik (ich denke, auch das wird weiterhin in einen topf geworfen) heißt – ich hab noch keine ideen. ich hoffe jedenfalls für die auf mütter gerichtete politik, dass es dazu führt, das auch ein paar diskurse sich ändern. ganz oben auf meiner liste: der begriff „fremdbetreuung“.

„ich möchte mein kind nicht so früh fremd betreuen lassen/abgeben…“ höre ich oft. wenn ich dann nachbohre, was „fremdbetreuung“ heißt, stehen dahinter konkrete formen von betreuung, die nicht erwünscht sind: betreuung, für die bezahlt wird. anders kann ich es mir oft nicht erklären, warum es ok ist, dass oma an vier vormittagen das kind bespaßt, aber die tagespflege oder die kita abgelehnt werden. und zwar auch von menschen, die sich solche betreuung grundsätzlich finanziell leisten können.

für meinen sohn war die tagesmutter nicht fremd, sind die erzieherinnen nicht fremd. er sieht sie häufiger als seine großeltern oder seine tante. sie gehören zu seinem alltag. und nur, weil sie dafür bezahlt werden, ihn durch den tag zu begleiten, sind sie nicht gefühltskalt ihm (und den anderen kindern) gegenüber. er hat sie gern, soweit ich das beurteilen kann. sie lächeln ihm zu, wenn er morgens kommt und sie trösten ihn, wenn er sich weh tut. für ihn sind sie ganz sicher nicht fremd.

dass es was anrüchiges hat, weil es nicht die „aufopfernde, selbstlose“ (=unbezahlte) form von betreuung ist, ist doch vielmehr ein teil des muttermythos, der sich eben auch auf andere betreuende personen ausweitet.

wir können gerne über die qualität von kinderbetreuung diskutieren. darüber, was es heißt, dass alle mehr und längere kinderbetreuungszeiten fordern, aber nur unter vorgehaltener hand andere formen der (elterlichen) arbeitsteilung gefordert werden. was das für das betreuungspersonal und deren eigene vereinbarkeitsproblematik heißt. was wir dafür tun können, dass erzieher_innen gerechter entlohnt werden. oder wann endlich darüber gestritten wird, wie viel wir überhaupt arbeiten müssten, was wohlstand für uns heißt, wenn die klassische arbeitsteilung bestehen bleibt, weil mit dem ersten kind das neue auto und ein kleines häuschen gekauft wird. oder im gegenteil – wenn die eltern mit ihren jobs grad mal am existenzminimum kratzen, ein elternteil alleine verantwortlich ist für betreuung und einkommen. aber zuerst: den begriff „fremdbetreuung“ bitte streichen!

21 Kommentare zu „Aus dem Wortschatz streichen: „Fremdbetreuung“

  1. Meinem Eindruck nach hat das oft weniger mit Geld zu tun und viel mehr mit einem biologischen Familienverständnis. Da würde Oma (oder eine andere biologisch verwandte Person) dann vermutlich auch bei komplett kostenloser Kita-Betreuung bevorzugt, und die 500km entfernt wohnende Tante gilt als weniger „fremd“ als das Personal der Kita im Erdgeschoss.

  2. @jona: empfehlungen nehm ich immer gerne, aber was der konkrete zeit-artikel mit meiner aussage, das wort fremdbetreuung abzuschaffen zu tun hat, versteh ich nicht. vielleicht hilfst du mir da noch auf die sprünge…

  3. Ich bin nicht Oma, sondern Opa. Und ich liebe meine Enkelin. Das tut keine der Erzieherinnen. Natürlich nicht. Nie.

    Ich hingegen würde alles für die Kleine tun. Wirklich alles. Das kann keine bezahlte Fachkraft leisten!

    Ob mitten in der Nacht, ob am Wochenende – wenn ich gebraucht werde bin ich da. Egal aus welchem Anlass. Ich mach das schon. Meine Tochter weiß das, die Enkelin weiß das, auf mich können die sich verlassen.

    Liebe ist eben was anderes als lediglich professionelles Betreuung.

    Fremdbetreuung ist Fremdbetreuung.
    Betreuung durch blos Fremde….

    Nein. Ich bin froh dass wir das anders stemmen können!

  4. @von Romberg: es sind eben keine fremden. professionelle Betreuung wie du schriebst: ja. fremdbetreuung: nein. ich selbst weiß heute noch, wie meine erzieher_innen hießen und wie sie aussahen. ich fühlte mich wohl im kindergarten. und in kategorien wie „liebe“ dachte ich eh nicht wirklich. sollen die lehrer_innen deine enkelin später auch „lieben“? oder ist es da wieder ok, wenn wir von professioneller betreuung reden?

  5. Wir haben uns dazu entschieden, dass unser Kind auch im zweiten Lebensjahr bei uns zu Hause bleiben soll. Vormittags gehe ich arbeiten, nachmittags der Papa. Wir haben dadurch natürlich wenig bzw. sehr wenig Geld, aber das ist es uns wert.

    Ich kann verstehen, dass dich das Wort „Fremdbetreuung“ stört. Da schwingt immer so ein Vorwurf der Vernachlässigung mit, eine Abwertung des Familien-/Lebensmodells derjenigen, die es anders machen als man selbst.

    Ich kann für uns nur sagen, dass wir sehr glücklich mit unserer Entscheidung sind. Es ist kein Opfer, das wir bringen, denn es macht uns beiden so unglaublich viel mehr Freude Zeit mit unserem Kind zu verbringen als zu arbeiten. Und ich denke schon, dass es für das Kind eine besondere Qualität hat, ein weiteres Jahr im geschützen, vertrauten Rahmen aufzuwachsen. Unser Kind kommt tagsüber so oft zu uns zum Kuscheln, holt sich ein Küsschen ob, dass ich froh bin, dass wir ihm diese Nähe, ja Liebe, als Eltern geben können.

    Natürlich sind wir in der priviligierten Situation auch mit zwei halben Gehältern irgendwie über die Runden zu kommen. Was mich an dieser ganzen Debatte so stört ist, dass erstens der VATER fast immer ausgeklammert wird. Das muss sich meiner Meinung nach zu allererst ändern.

    Und dann finde ich es schade, dass Feminismus für viele Menschen bedeutet, dass die Frau so schnell wie möglich wieder arbeitet (und es selbstverständlich ist, dass der Mann sowieso Vollzeit arbeitet). Vielleicht sind wir gluckenhaft, typisch deutsch oder leichtsinnig. Wenn man sich die Kindererziehung jedoch partnerschaftlich aufteilt, finde ich nichts dabei, sein Kind zu Hause zu betreuen. Attachment parenting und Feminismus – das geht zusammen. Hier zwei emfehlenswerte Artikel dazu

    http://bluemilk.wordpress.com/2012/03/27/feminism-and-attachment-parenting-and-why-theyve-more-in-common-than-in-conflict/

    http://bluemilk.wordpress.com/2010/07/29/why-attachment-parenting-needs-feminism/

    PS: Der Zeitartikel ist unter aller Kanone. Selten habe ich mich so über einen Text in dieser Zeitung geärgert!

  6. Stimme vollkommen zu, Melanie – wenn man sich mit den Großeltern und übrigen Verwandten versteht wunderbar, aber ich bin dankbar, dass ich nicht auf Babysitterdienste meiner Eltern angewiesen bin um arbeiten zu gehen! Da sind mir die professionellen (und Ja: bezahlten!) Erzieherinnen in der Kita lieber. Ich erwarte auch nicht, dass die die gleiche Beziehung zu meinen Kindern haben wie ich (zugegeben fände ich das sogar etwas seltsam). Es gibt eben die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern und zusätzlich die übrigen Beziehungen die Kinder so aufbauen – ob (bluts-)verwandt, bezahlt, befreundet: nehm‘ ich Alles gerne so lange das Kind (und ich) damit glücklich sind.

    Ich verstehe ‚das Wort Fremdbetreuung‘ allerdings anders als du: für mich ist damit jede andere Person als die Eltern/häuslichen Bezugspersonen gemeint die das Kind betreut – also AUCH Großeltern genauso wie Tagesmütter und Au-Pairs.

  7. Toller Artikel!
    Meine Eltern und die Schwiegereltern springen gerne als Babysitter ein- auch gerne am Abend/Nacht. Ich weiß sicher, dass meine Eltern und auch die Schwiegereltern alles für ihre Enkel tun würden.
    Meine Eltern und auch die Schwiegereltern haben lange Zeit hart gearbeitet und Kinder groß gezogen, was, wie ich gerade lernen, oft auch verdammt hart ist. Alle sind im Ruhestand und haben es verdient jetzt endlich Freizeit zu haben. Ich würde mich schlecht dabei fühlen meine Mutter oder meine Schwiegermutter immer als kostenlose KiTa zu nutzen.

  8. Vielleicht sollte man das Wort „Fremdbetreuung“ durch „Geldbetreuung“ ersetzen, denn das ist es ja, worum es geht. Was hier als Fremdbetreuung beschrieben wird ist die Betreuung aus der Motivation Geld heraus. Im Gegensatz dazu geht man bei familiärer Betreuung davon aus, dass sich Familienangehörige um ein Kind kümmern, weil sie eine dauerhafte emotionale Bindung zu ihm aufbauen wollen und sich in erster Linie für das Kind und nicht für das Geld interessieren.
    „Fremdbetreuung“ muss natürlich nicht schlecht sein, aber sie ist es oft, je weniger Geld bezahlt wird, weil sich dadurch eben auch die Motivation der Erzieher verringert.

  9. Warum hast Du ein Problem damit, das Menschen ihre Kinder in jungen Jahren lieber von einem Familienmitglied betreuen lassen? Das ist doch ihr gutes Recht, wenn sie das eben für besser für ihr Kind halten. Dafür gibt es vermutlich tausend gute und tausend schlechte Gründe – aber ein Urteil steht dir nicht zu.

  10. @campanule: danke für deinen kommentar, aber ich sehe nicht, wo er sich mit dem von mir geschriebenen widerspricht. im gegenteil sage ich sogar unten, dass wir gerne mal über andere formen der (elterlichen) arbeitsteilung reden können. für mich heißt feminismus auch nicht, dass frauen möglichst früh oder viel arbeiten sollen (dass sollten die partner_innen der mütter meiner ansicht aber auch nicht). dazu habe ich mal hier was drüber geschrieben.

  11. @liebling nicht jetzt: äh, wie viel verdient denn eine erzieherin? ich glaube, für das große geld interessieren sich da die wenigsten. oder missverstehe ich dich?

  12. @politischseintutweh: ich weiß nicht, warum du denkst, dass ich ein problem mit betreuung innerhalb der familie habe. ich habe ein problem mit dem wort ‚fremdbetreuung‘, über nichts anderes hab ich geschrieben.

  13. Campanule: Du hast da den konservativen Teil der Gesellschaft sicherlich au deiner Seite, ich mache mir allerdings über die Motivation dieses Kommentars Gedanken. Von Ton her wirkt das ziemlich herablassend, Leute zu bemitleiden, die es sich „nicht leisten können“ ihr Kind ein Jahr „im geschützten Rahmen“ zu lassen (Was denken einige, was Kindergärten sind? Parkplätze auf einer Autobahnraststätte?).

    1. Nicht alle Leute teilen die Vorstellung, dass es für ein Kind grundsätzlich besser ist, zu Hause zu sein. Ich persönlich finde, dass der Kontakt mit einem Kindergarten auch bei den besten Familienverhältnissen sehr bereichernd für das Kind ist.

    2. Der Ton „daheim ist es doch am schönsten“, ändert sich doch ganz schnell, wenn wir über Migranten- oder HartzIV-Kinder reden. Die können nach Meinung einiger nicht früh genug „fremd“betreut werden.

    3. Ich find arbeiten gehen geil, und ich glaube, viele Kinder finden Kindergarten auch super: win-win-Situation. Kommt wohl auf den Einzelfall an.

    Fazit: Es geht für mich mal wieder um konservative Privilegien. Je nach Schicht wird entweder darauf „hingewiesen“, dass es doch keinen Ersatz für Blutsverwandtschaft geben kann, oder es wird darauf gepocht, dass das Knd schnellstmöglich den Einflüssen der eigenen Sippe entzogen wird um erzogen zu werden. In jedem Fall wird die Stellung der bereits etablierten konservativen Gesellschaftsschicht zu Lasten der „Randgruppen“ und weniger Privilegierten gefestigt.

  14. ich finde es unglaublich, dass, wenn eine sagt: lasst uns doch diese eine art der betreuung nicht abwerten! das sofort als angriff auf die andere art der betreuung umgemünzt wird… ich war gestern beim elternabend des kindergartens meines kindes (bald 2) und ich bin unglaublich beseelt heimgekommen – diese vier unterschiedlichen betreuerinnen, diese vielen unterschiedlichen eltern und ihre ebenso unterschiedlichen kinder – ich finde es schön und bereichernd für das kind, dass sie diese kontakte hat.
    danke für den text, melanie!
    @von romberg: liebe und abhängigkeit können auch zwei gefährliche parameter sein. aber von all den belastenden situationen, die da entstehen können (v.a. für mütter), redet ja wieder keine_r

  15. Wie Melanie schreibt: Der Begriff „Fremdbetreuung“ ist ganz einfach ein realitätsverzerrender Propaganda-Begriff, der mich schon lange wütend macht. Die Menschen die mein Kind tagtäglich umgeben sind ihm nicht „fremd“ (schon gar nicht mit dieser negativen Konnotation, die dieses Wort oftmals hat) – sie sind ihm und mir vielleicht mehr oder weniger sympathisch, mehr oder weniger mit ihm auf einer Wellenlänge oder haben unterschiedliche Andock-Punkte mit ihm. Das aber trifft für Eltern, nahe und ferne Verwandte (wer zählt alles dazu?) oder erwachsene Freund_innen ebenso zu. „Fremd“ my ass.

    Außerdem, wie wäre es mal mit etwas Wertschätzung für das – ganz überwiegend weibliche_frauisierte – Betreuungspersonal, das sich mit oftmals mieser Bezahlung und „höhö, Kindergartentante“-Herablassung zufrieden geben muss, obwohl auf seinem Rücken ein beträchtlicher Teil des kapitalistischen Fundaments (Selbstverwirklichung und materielle Versorgung anderer Elternteile inklusive) ruht – und dessen oftmals harte Arbeit dann auch noch bei jeder Gelegenheit als zweitklassige „Fremd“betreuung abqualifiziert wird?

    So, und zu der Diskussion, was besser(tm) ist – auch wenn diese null mit Melanies Artikel zu tun hat – würde ich gern kurz noch einwerfen: Nicht alle haben bei der Frage „Wohin mit dem Kind?“ die große Wahl. Ganz unabhängig davon, welcher Idealvorstellung von Kinderbetreuung man selber anhängt. Und wem bitte nützt es, andauernd mit schuldgefühleproduzierenden (oder besser gesagt -verstärkenden, weil Schuld kommt besonders bei Müttern per default) „FREMD FREMD FREMD“-Schauerfantasien beballert zu werden, wenn ich es mir und meinem Kind eh nicht aussuchen kann?!

    Ich bin in dieser Angelegenheit etwas emotional, ja. Halbgaren Familien- und Mutteridealepropagandamist braucht echt kein Mensch, in dessen Lebensrealität das Thema Kinderbetreuung jeden Tag präsent ist.

  16. P.S. Das praktische an diesem „Fremdbetreuung“-Diskurs ist ja auch: Wenn man sich einig ist, dass alles außer Mutti eh mehr so die zweitklassige Notlöung ist, muss man sich ja auch politischerseits gar nicht erst ernsthaft damit befassen, wie mehr Qualität(tm) in der Kinderbetreuung sicher gestellt werden kann…

  17. Ich stimme den letzten Kommentaren voll zu. Was man mit der Haltung „alle scheiße außer Mutti“ ebenfalls nicht weiter zu diskutieren braucht, ist die Frage, wer eigentlich alles zur Familie gehört. Das sind für viele ganz selbstverständlich nur Blutsverwandte, was mit irgendwelchen Mythen begründet wird. Dabei war es doch früher viel selbstverständlicher auch viele andere Personen, die sich in der Nähe befinden, zur Familie zu zählen. Ein Blick, wie Kinder in anderen Kulturen erzogen werden, wäre auch mal intéressant.

  18. Ich stimme euch vollkommen zu, daher nur ein kleiner historischer Exkurs am Rande, weil ja in der öffentlichen Diskussion oft so getan wird als hätte es das vor 50 Jahren nirgendwo gegeben:

    Viele Jahrhunderte lang war in Europa „Fremdbetreuung“ alles andere als abwegig. Egal ob (klein-/groß-) bürgerlich oder adelig, es galt als völlig ’normal‘, von einer Amme/Kindermädchen/Gouvernante aufgezogen zu werden, bzw. schon mit 8 oder 9 Jahren auf ein Internat geschickt zu werden. [Auch in Bauernfamilien gab es oft Dienstmädchen, die sich um die Kinder kümmerten] Dass man etwa seit dem 19. Jahrhundert in Europa etwas anders denkt, hat auch sehr viel mit damals entstehenden Muttermythen zu tun, z.B., dass die (biologische) Mutter grundsätzlich immer und unersetzlich das Beste fürs Kind ist.

    [Hab da neulich ein sehr interessantes Buch darüber gelesen, von Gabi Gschwend über Muttermythen und Tabus. Der Titel „Mütter ohne Liebe“ ist in diesem Kontext etwas irreführend, im Grunde geht es um gesellschaftliche Vorstellungen und wie diese sich auswirken können. Sehr interessant!]

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