2013: Ein Debattenrückblick in zwei Teilen (1)

Logo_TwitterBevor wir uns in die Winter­pause ver­ab­schie­den, möchten wir noch ein­mal mit ei­ner Text-Zu­sam­men­stel­lung auf das Jahr zu­rück­blicken. Wel­che The­men ha­ben viel Raum ein­ge­nommen? Wel­che As­pek­te waren uns wichtig? Wo­rüber haben wir uns ge­är­gert, wo­rü­ber ha­ben wir ge­lacht? Beim vir­tuel­len Blät­tern durch die Archive tauchte häufig folgender Gedanke auf: Was, das war alles in diesem Jahr? Ja, war es. Deshalb haben wir auch zwei Beiträge daraus gemacht: das heißt, hier könnt ihr Januar bis Juni nachlesen, morgen dann die zweite Hälfte des Jahres.

Januar

Das Jahr 2013 startete mit einem großen Knall: Der Diskussion um Rassismus in Kinderbüchern. Auslöser für diese Debatte, die nun auch die deutschen Mainstreammedien erreichte, war die Ankündigung des Thiemann-Verlags in einer neuen Auflage des Buchs Die kleine Hexe rassistische Sprache zu ersetzen. Das konnte natürlich nicht angehen, befand die mehrheitlich weiße, deutsche Medienlandschaft. Sabine nahm darum Jan Fleischhauers Nicht-Argumentation beispielhaft auseinander und Gastautorin Sula schrieb über das „Hamsterrad der Ignoranz – Wenn Weiße mit sich selber über Rassismus reden„. Den Schlusspunkt der „Debatte“ hätte eigentlich der Brief von Ishema Kane an die ZEIT setzen sollen.

Die Latte für Fernseh“unterhaltung“ legte dann gleich mal Tele5/ Ulmen TV mit der Sendung „Who wants to fuck my girlfriend“ ganz niedrig. Anna-Sarah fragte zurück und lieferte die Antwort gleich mit: „Who wants to f*ck TELE 5? Nobody. Ever.„. Das Positive? Unsere – kurze und knappe – Antwort auf die Einladung von Ulmen TV zu einer Vorab-Vorführung, wurde später im Jahr zum ersten Beitrag unserer Reihe Feminist Fun Friday gemacht.

In der Nacht vom 24. zum 25. Januar wurde der Hashtag #aufschrei ins Leben gerufen und gleich auch mit sehr viel Leben gefüllt. Ein paar Tage später nahm sich Magda der Aktion an und schrieb bereits über die Gefahr von Ausschlüssen, die Wichtigkeit von Vernetzungen und Sichtbarmachungen von Bewegungsgeschichten und zu einer der ersten furchtbaren Talkshows zum Thema, natürlich bei Jauch.

Ein weiteres Thema, welches bereits im Januar aufkam, und dann das Jahr über eigentlich nicht mehr wegging: Femen. Am 30. Januar veröffentlichten wir einen offenen Brief von e*vibes, der viele wichtige Kritiken anriss.

Februar

Am 14. Februar fand weltweit der Aktionstag „One Billion Rising“ gegen Gewalt an Frauen und Mädchen statt. Initiert von Eve Ensler (bekannt durch die Vagina Monologe), vielerorts fokussiert auf Tanz-Performances und sehr vereinfachte Aussagen, war auch diese Aktion leider mit einer Vielzahl von Ausschlüssen und *ismen bestückt.

Ein Thema, welches dieses Jahr durch einige Texte bei uns im Fokus stehen sollte, wurde auch bereits Anfang des Jahres eingeläutet: Anti-Fat-Shaming und Fat Empowerment. Wir veröffentlichten in zwei Teilen Übersetzungen eines Texts von Issa Water, in dem sie deutlich macht, welche alltäglichen „gut gemeinten“ Aussagen zur Stigmatisierung dicker_fetter Menschen beitragen.

Im Februar ging es auch weiter mit #aufschrei. Nadine schrieb über die Bielefelder Wissenschaftler_innen, die feststellten, dass der massenmediale Diskurs zu Sexismus fast vollständig ohne Erkenntnisse aus der Wissenschaft auskam und eine Reihe von Fakten zusammenstellten. Eine Petition forderte außerdem die öffentlich-rechtlichen Sender dazu auf, angemessen über Sexismus aufzuklären. Dass dieser Wunsch eben das – ein Wunsch – bleiben sollte, zeigte sich spätestens noch im April.

Ein Debakel zum Ende des Monats bot die Oscar-Verleihung. Diese setzte neue Tiefpunkte im rassistisch und (hetero_)sexistisch Anmoderieren und traf vor allem Quvenzhané Wallis, die mit neun Jahren, die bisher jüngste Nominierte als beste Hauptdarstellerin war.

März

Anfang März erklärte Bundespräsident Joachim Gauck die Debatte um Sexismus in Deutschland erst einmal zu „Tugendfuror“ und Sabine erklärte daraufhin ausführlich, was Gaucks Freiheitsbegriff so ausmacht – es ist vor allem die Freiheit der Sarrazins und anderer Rassist_innen, Kapitalist_innen und des weiß-deutschen Bildungsbürgertums.

A propos Kapitalismus und Bildungsbürgertum: Charlott stellte in „Über Klassismus schreiben“ einige Beiträge zu jener Debatte zusammen.

Am 03. März  (für Nadezhda Tolokonnikova und Maria Alekhina) und am  15. März (für Yekaterina Samutsevich) jährte sich erstmals die Verhaftung der Pussy Riot Aktivistinnen. Im August – ein Jahr nach den Verurteilungen – veröffentlichte dann Charlott Zines zum Herunterladen, die die Prozesstage dokumentierten.

Viele Themen im Jahr 2013 waren natürlich für Aktivist_innen keine neuen Themen, so zum Beispiel rape culture. Und als im Januar in deutschen Medien ausführlichst über sexualisierte Gewalt in Indien berichtet wurde, verschwanden die wenigen Texte zum Steubenville-Fall im „Panorama“. Dabei lässt sich gerade auch an diesem Fall zeigen, wie rape culture funktioniert.

Etwas Erfreuliches zum Monatsende: Das Buch queer_feminisms label & lebensrealität von Mädchenmannschafts-Autorin Nadine Lantzsch und Leah Bretz erschien. Außerdem fand das Panel Feminist Alliances Across Borders moderiert durch Sabine statt.

April

Mache ich zur Zeit den Computer an, springt mir ein Meer an roten Flaggen entgegen. Auf Facebook und Twitter haben viele meiner Kontakte ihre Profil­bilder gegen ein rotes Bild mit zwei rosa Strichen getauscht – ein Zeichen der Unterstützung für die aktuellen Kämpfe in den USA für die Öffnung der Hetero-Ehe (und die damit ver­bundenen Privilegien) für lesbisch- und schwul-lebende Paare mit Heirats­wunsch.

begann Magda am 02. April ihre ausführliche Analyse zu „Homo-Ehe: Ja. Heteronormativität hinterfragen? Nee.„. Einige Tage später legte Anna-Sarah zum Thema Heteronormativität nach und beschrieb eine mögliche Critical Hetness.

Neue Abgründe der Sexismusdebatte in den Medien machten sich auch auf. Sabine fasste pointiert die Sandra Maischberger Talkshow, die fragte, was die Debatte denn gebracht hätte, zusammen. Und weil in dieser einen Sendung eigentlich alles drin war, was die „Debatte“ seit Januar auszeichnete, legten wir noch mit einer Gif-Parade zu all den Zitaten nach. Natürlich hörte das Elend auch nicht im April auf, so folgte zum Beispiel im Juni ein furchtbarer Spiegel-Artikel zu Feminismus, der hier ebenfalls mit Gifs „gewürdigt“ wurde.

Und wo wir gerade bei Elend sind: tazlab und Rassismus. Am 20. April fand das tazlab-Panel „Meine Damen und Herren, liebe N-Wörter und Innen!“ mit Sharon Dodua Otoo,  Mely Kiyak und Leo Fischer, moderiert durch  Deniz Yücel statt, und das Drama nahm seinen Lauf. Gastautorin Sula fasste in „14jähriger schlägt vor: “Sag doch einfach ‘N-Wort’”, Deniz Yücel flippt aus: Impressionen vom tazlab“ die Geschehnisse zusammen. Statt einer Entschuldigung legte Yücel in einer taz-Kolumne nach, und accalmie reagierte unter „Bügeln gehen mit Deniz Yücel“ auf diese. Im Mai forderte die Initiative Schwarzer Deutscher in einem offenen Brief die taz auf sich mit Rassismus kritisch auseinanderzusetzen. Leider mit wenig Erfolg bisher, aber durch Gruppen wie taz watch (FB-Link) bleibt die Zeitung weiter im Blick.

Am 22. April gab Inge Hannemann bekannt, dass sie von ihrer Tätigkeit im Jobcenter teamarbeit hamburg freigestellt wurde. Den Kampf gegen die HartzIV-Gesetze stoppte dies allerdings nicht – eher im Gegenteil. So brachte Hannemann im November/Dezember eine Petition hervor, die sich konkret gegen die Abschaffung aller Sanktionen bei HartzIV einsetzte. Erst gestern, a 16.12., erreichte die Petition die nötigen 50.000 Unterschriften und muss nun im Petitionsausschuss behandelt werden.

Ende April näherte sich dann auch endlich der Beginn des sogenannten NSU-Prozess. Doch statt über rassistische Strukturen, Verschleppung und die Betroffenen zu schreiben, lachte die deutsche Medienlandschaft darüber, dass eine Frauenzeitschrift (TM) einen Platz im Prozesssaal haben könnte.

Mai

Der Mai begann mit der Verkündung des FBIs, dass Assata Shakur als erste Frau auf die FBI Most Wanted Terrorist List aufgenommen wurde. Wir erinnern unter anderem mit einem Gedicht von Audre Lorde an Shakurs Bedeutung.

Der laufende NSU-Prozess und der Fokus auf Beate Zschäppe habe einige Fragen aufgeworfen: Wir haben eine neue Artikelserie zu Gender und Rechtsextremismus eingerichtet und in dieser seit Mai fünf ausführliche Texte veröffentlicht, die erläuterten, warum im Mainstream rechte Frauen weniger wahrgenommen werden und wie diese sich aber beispielsweise in autonomen Kreisen organisieren.

Anfang des Monats hieß es, dass der Lesbenberatung Berlin mitten im laufenden Haushaltsjahr Gelder in der Höhe von 15.000 Euro gestrichen werden sollten. Eine Petition, eine Demonstration und viel Einsatz später, konnten dieses Mal die Aktivist_innen einen Erfolg einfahren und die Kürzung abwehren!

Reproduktive Rechte: Am 15. Mai beschloss der Gesundheitsausschuss des Bundestags – entgegen vieler Empfehlungen -, dass die sogenannte „Pille danach“ rezeptpflichtig bleiben müsste. Zur Begründung schrieb Anna-Sarah:

Die Begründung ist natürlich wieder mal in patriarchalisch-paternalistischer Manier der Schutz der Patient_in – fiele die Rezeptpflicht weg, so das Argument, sei es ja quasi vorprogrammiert, dass wir alle uns das Zeug wie Smarties reinpfeifen, leichtsinnig und uninformiert wie wir sind. Und was da nicht alles passieren kann…

Erst im Januar hatte es große Diskussionen um das Thema gegeben, als Fälle bekannt wurden, in denen Betroffene sexualisierter Gewalt in (katholischen) Krankenhäusern abgewiesen wurden, da ihnen ja auch Notfallverhütung hätte als Option angeboten werden sollen. Im November entschied sich dann der Bundesrat erst einmal für die Rezeptfreiheit der „Pille danach“.

Juni

Auch im Juni ging es noch einmal um Reproduktive Rechte, dieses Mal mit einem Blick nach Texas: Da stand Wendy Davis viele, viele Stunden dafür ein, dass ein Gesetz, welches Abtreibungsrechte und den Zugang zu sicheren Abtreibungen für viele Menschen eingeschränkt hätte, nicht verabschiedet werden kann. Der Jubel nach dem Erfolg war riesig, schnell setzte aber auch die Erkenntnis ein, dass diese Kämpfe nie in einer einmaligen Auseinandersetzungen gewonnen werden, sondern immer wieder ausgetragen werden müssen.

Die Uni Leipzig traute sich auch Großes, nämlich, dass in deren Grundordnung alle Personengruppen in der weiblichen Form angegeben werden. Wie wir aus tazlab und anderen Diskussionen spätestens dieses Jahr gelernt haben, ist das ja quasi der furchtbarste Angriff auf jede Freiheit überhaupt. Und genau so wurde die Meldung auch durch die Medien gejagt, in erster Linie gespickt mit Falschaussagen.

Ein weiteres Thema 2013 war mal wieder Kinderbetreuung. (Schließlich hat im April selbst Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend festgestellt, dass es einen Zusammenhang zwischen Zugang zu dieser und der Möglichkeit von Vereinbarung von Beruf und Familie gibt.) Lisa schaute sich am 14. Juni Kritiken am bisherigen Krippen- und Kitasystem an und forderte: „Kita-Kritik braucht Geschlechter-Kritik„. Im Oktober legte dann Melanie nach und schrieb darüber, warum der Begriff „Fremdbetreuung“ so unpassend ist.

Der US-amerikanische Supreme Court verwarf im Juni Teile des Voting Right Acts. accalmie erläuterte ausführlich die Geschichte dieses Gesetzes und welche Folgen die Änderungen haben.

„Die familienpolitischen Leistungen in Deutschland? Sind total knorke und erfüllen ihren Zweck! Armut? Egal! Basteln, vorlesen und singen hilft, jeden negativen Einfluss von Armut zu verhindern! Diese und ähnliche “Ergebnisse” einer Studie stellte Kristina just diese Woche vor.“, schrieb Nadia. Denn Armut ist kein Problem. HartzIV ist super. Und Kritiker_innen? Denen warf die Bundesagentur für Arbeit dann lieber vor, dass sie ja mit der Kritik Jobs gefährden würden. Tausende von Jobs.

In Norwegen wurde im Juni beschlossen, dass ab 2015 die einjährige Wehrpflicht alle betreffen soll. In einigen Medien wurde dies als feministischer Erfolg gefeiert, Charlott wollte da nicht einstimmen.

Zwei weitere wichtige Texte in diesem Monat: Gastautorin Heng schrieb „“Mama, ich verstecke mich vor dir!” – Outing als queeres “Enfant Terrible” im bikulturellen Kontext“ und Viruletta forderte „Solidarität muss praktisch werden: Der konsequente Ausschluss von Tätern.

Teil 2 des Debattenrückblicks, Juli bis Dezember, folgt morgen.

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