Wurst, Waffen, Weihnachtsgeld – Wie sind die Deutschen?

Wir freuen uns über einen Gastbeitrag von Pelitan (kurdisch für Schmetterling). Pelitan kommt aus einem kurdischen Umfeld, was x Leben sehr beeinflusst, studiert und ist in antirassistischen Zusammenhängen politisch aktiv. Pelitan beschreibt in ihrem_seinen Text Erfahrungen als Nicht_Deutsche.

Im Waschsalon meines Wohnheimes fragte mich ein französischer Student, wie die Deutschen seien? Wie sie beschrieben werden könnten? Wie sie denn im Gegensatz zu den Französ*innen seien?

Ich war überfordert über diese typische Frage. Oft hatte ich sie schon gehört und doch weiß ich jedes Mal nicht, was ich antworten soll. Mal versuche ich zu erklären, dass ich keine „richtige“ Deutsche sei. Vielleicht komme ich damit leichter weg und sie bohren nicht weiter nach bzw. wir reden dann über das andere Ich von mir. Ich würde ja auch sonst was falsches vorspielen, wenn ich mich einfach als stinknormale Deutsche ausgebe, oder?…Dann versuche ich es mal mit der Vielfältigkeit der Deutschen, dass es halt freundliche gibt und welche, die eher verschlossen sind. Die älteren Deutschen sind nicht wie die jungen. Und so weiter… Ich drücke mich um die Antwort herum, aber was soll die Frage eigentlich überhaupt?

Ja, die Deutschen sind vielfältig, ich kann sie wie alle anderen Staatsgemeinschaften nicht in eine Schublade stecken. Auch wenn ich mein ganzes Leben in Deutschland verbracht habe, habe ich keine konkrete Antwort. In der Schule war ich von Anfang an immer in einer Klasse, in der es fast alle Jahre durchgängig mehr nicht „Ur-Deutsche“ gab. Musste wohl an meinem Viertel liegen. Sind sie, sowie ich über mich beschrieb, nicht „richtige“ Deutsche? Erst im Studium habe ich gemerkt, wie viele Deutsche es wirklich gibt. Und ich habe gelernt, dass es Menschen gibt, die nicht wissen, dass Hassan und Sergej nicht in jeden Club kommen. Oder, dass nicht alle Menschen in Deutschland automatisch die gleichen Rechte haben.

Wann ist jemand Deutsch? Ich habe die deutsche Staatsangehörigkeit, aber Alltagserfahrungen haben mir gezeigt, dass ich trotzdem nicht dazu gezählt werde? Sie loben mich dafür, dass ich so gut deutsch spreche? Oder fragen mich, wie das und jenes denn bei „uns“ sei, also bei mir und meinesgleichen? Ich werde Deutsche mit Migrationshintergrund genannt, um zu betonen, dass ich Deutsche bin, aber halt nicht richtig. Der Einfluss meiner wirklich migrantischen Flüchtlings-Eltern haftet noch zu sehr an mir. Ich bin ja erst die zweite Generation hier. Das türkische kurdisch sunnitisch-muslimische Blut fließt doch in mir, egal wie oft ich Ostereier in der Schule angemalt habe? Für welches Land schlägt mein Herz mehr? Eine Frage, die selbstverständlich gestellt wird, da ich ja von meinem äußeren Erscheinungsbild irgendeine andere Herkunft, Heimat, Nationalität, Universum, Galaxy haben muss. Auch wenn das aus Generationen vorher stammt. Ich kann gar keine richtige Deutsche sein.

Also was soll ich denn nun antworten, wie sind die Deutschen?

Naja, manchmal zünden sie Asylbewerber*innenheime an. Oder sie bezahlen die Waffen, die im Ausland Menschen töten. Sie fragen dich beim Einkauf manchmal: Darf es noch etwas sein?
Manchmal halten sie dir die Tür auf und manchmal nicht. Manche fahren jeden Sommer in den Urlaub, vielleicht nach Südfrankreich, wenn sie das Weihnachtsgeld gespart haben oder vielleicht nach Italien. Wenn es hoch kommt, fahren sie Ski fahren in den Alpen. Wenn sie nicht in Urlaub fahren können, haben sie wenigstens ein Auto. Das ist wie Urlaub. Viele fliegen oder vielmehr fahren oft in die Türkei. Manchmal gehen manche freitags in so etwas wie eine Moschee, wo sie die muslimische Gemeinschaft treffen. Andere aber freuen sich einfach nur, dass es Wochenende ist. Viele haben einen Gemüsewarenladen oder eine Imbissbude, wo es Döner gibt, das Nationalgericht der BRD.

In Kleingartenvereinen siehst du manchmal viel Rauch vom Grillen und große Familien oder ältere Menschen, die Gemüse anpflanzen. Manchmal heiraten sie ganz groß mit von überall angereisten Verwandten in gemieteten Hallen für die sie eigentlich kein Geld haben oder sie gehen in die Kirche, um sich zu sagen, „bis dass der Tod uns scheidet“. Aber dann scheiden sie sich doch vorher. Manchmal arbeiten sie zu wenig und manchmal zu viel. Manchmal haben sie viele Kinder, aber meistens wenig. Manchmal sollen die Kinder Klavier spielen, doch manchmal gucken sie lieber zu viel Fernsehen. Manchmal studieren sie BWL oder sie machen eine Lehre zur Zahnarztassistentin. Manchmal kaufen sie sich ein Iphone und manchmal abonnieren sie die „Bild am Sonntag“. Manchmal essen sie viel Fleisch, vor allem Wurst und manchmal essen sie überhaupt kein Fleisch. Manchmal mögen sie leider Schwule nicht und manchmal mögen Schwule leider leider lilablassblauneonkarierte Bügeleisenbretter nicht.

Manchmal reisen sie nach dem Abitur nach Afrika, muss ja einmal im Leben wieder alles gut gemacht werden. Manchmal trinken sie ein Feierabendbier oder gehen in anderen Häusern putzen. Manchmal ist ihnen das Geld wichtiger als Familie zu haben und manchmal ist Familie wichtiger als das Gesetz. Wenn Spanien gewinnt, freuen sich manche und andere nicht. Manchmal sprechen sie hessisch, badisch oder sächsisch. Manche können auch Mandarin und Berberisch. Manche mögen Stuttgart viel lieber als Berlin.

Sie sind wie du und ich. Oder halt nicht.

8 Kommentare zu „Wurst, Waffen, Weihnachtsgeld – Wie sind die Deutschen?

  1. Danke für den Artikel. Ich denke allerdings, dass die Frage „Wie sind sie denn so, die Deutschen?“ um so besser beantwortet werden kann, je weniger (kartoffel?)deutsch eine* ist, denn was wir als normal erleben, das können wir schwer beschreiben. Die Antwort auf eine solche Frage wäre als eher „frag doch mal eine* aus dem Ausland“….

  2. lunula: „Die Antwort auf eine solche Frage wäre als eher “frag doch mal eine* aus dem Ausland”….“

    genau da liegt das Problem. Du führst das, was hier kritisiert wird nur weiter. Bin ich Ausländer oder nicht? Wenn du den Artikel verstanden hast, wird dir aufgefallen sein, dass viele von uns diese Frage nicht beantworten können oder möchten. Das Uneindeutige (und die Unnötigkeit?) genau dieser Kategorien ist gerade das, was viele nicht wahrhaben wollen und dazu tendieren die Schubladen nur immer weiter zu zerfasern („weniger kartoffeldeutsch“) als umzudenken.

  3. Anmerkung zur Sprache „Berberisch“:
    „Berber“ ist eine Fremdbezeichung für die Native People in Nordafrika. Diese bezeichnen sich selbst als Amazigh ( „freie Menschen“) und haben als Sprache Tamazigh. Je nach Region gibt es unterschiedliche Sprachentwicklungen unter der Tamazighsprache. So ist die größte Region die Kabylei in Algerien, dort wird Kabylisch gesprochen. Die Bezeichnung Berber kommt von Barbar und ist auf die eurozentrische Sichtweise zurück zuführen, dass die bezeichnete Region barbarisch, einfach, nicht sesshaft und wild kurz um: unzivilisiert war. Dies diente für koloniale Streifzüge und Herabsetzung und wird auch heute noch im kolonialrassistischen Zusammenhang für diese Region und ihre Menschen genutzt. Gerade nach dem 11.09 und Orientalismus und antimuslimischem_arabischen Rassimus ist das B-Wort kritisch zu hinterfragen. Außerdem gehören die Amazigh durch Kolonialismus und Arabisierung mittlerweile in Nordafrika zu einer unterdrückten Minderheit und haben wenig Mitsprach- und Teilhaberecht im öffentlichen Leben. Weil mein Opa so „barbarisch“ war wurde er vor den Augen meines Vaters von den französischen Soldaten erschossen und weil durch die Arabisierung in Algerien alle Amazighsprachen verboten wurden, durfte mein Vater auf der Strasse nur Arabisch sprechen, nicht aber seine Muttersprache. Die Sprache wurde versucht auszulöschen genau wie die Menschen die sie sprechen und fühlen.
    (……..)
    Will sagen: Eigenbezeichnung vor Fremdbezeichnung.

    Ansonsten: schöner artikel, hat spass gemacht zu lesen

  4. Naja, es ist ja aber schon so, dass jemand „von außen“ oft einen klareren Blick hat. Z.B. meine Mitbewohnerin ist Spanierin und lebt seit gut einem Jahr in Deutschland, um hier zu arbeiten. Wenn man uns beide fragen würde, wie „die Deutschen denn so sind“, dann hätte sie auf jeden Fall schneller eine Antwort parat als ich. So hätte ich jetzt Iunulas Kommentar verstanden und weniger als das Bestreben Leute in „mehr deutsch“ und „weniger deutsch“ aufzuteilen, weil irgendwelche Großeltern nun 5km weiter östlich oder westlich gewohnt haben. :-)

  5. Ich bin zwar nicht in Deutschland aufgewachsen aber habe ein großes Stück meines Lebens hier verbracht jetzt und krieg auch manchmal ähnliche Fragen. Also eher mit der Vermutung, dass kein Teil von mir „deutsch“ ist, weil kein deutsches Blut in mir fließt, mein Partner ist mit mir aus dem Heimatsland gezogen und mein Akzent bezeichnet mich noch als Ausländer_in. Allerdings fällt es mir nicht immer so leicht, einfach zu sagen, dass „sie“ halt so sind. Es gibt bestimmt Teile von mir, die jetzt auch „deutsch“ sind. Aber welche? Was bedeutet das konkret und wie beeinflusst das mein tägliches Leben? Wieso gibt es immer so wenig Platz, so was zu diskutieren (ohne dass weiße Deutsch den Raum gleich dominieren und ja auch linke b.z.w. Anti deutsche). Ich habe zwar total andere Erfahrung als du, aber der Text hat ganz viele Gedanken angestoßen. Danke!

  6. Lotta: abgesehen von spanischen Mitbewohnerinnen fühle ich mich durch den Text angesprochen, weil er die Lebensrealität derjenigen abbildet, die einerseits „deutsch“ sind, andererseits als „Ausländer“ wahrgenommen werden. Jetzt hier weiter von der Perspektive von innen vs von außen zu sprechen finde ich deshalb nicht nur am Thema vorbei, sondern es spiegelt für mich auch das konsequente Ignorieren dieser Umstände (und ja Menschen) wider.

  7. PS: Finde es auch nicht nachvollziehbar, warum in der Diskussion eines Artikels, der das explizit auslässt, gerade wieder Herkunft als Argument herangezogen wird. Es wird wieder davon gesprochen, dass ich dies oder jenes besser oder schlechter verstehen oder wahrnehmen kann, weil ich entweder Ausländerin oder Deutsche bin. Und das nach so einem Text. Sorry, aber Awareness erwarte ich von allen, wenn’s auch schwer fallen mag. „ich als „kartoffeldeutsche“ habe es schwerer, meine Kultur kritisch zu beobachten“-> Ausrede.

  8. Hallo,

    Danke für Eure Kommentare. Sie sind total spannend und bereichernd. In Zukunft werde ich nochmal kritischer gucken, ob ich nicht Fremdbezeichnungen benutze. Das B-Wort werde ich nicht mehr nutzen.
    Schönen Tag!

Kommentare sind geschlossen.

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