„Wir schaffen alle Nächte, wir wollen gleiche Rechte!“ – Protest gegen das Prostituiertenschutzgesetz und Sexarbeiter_innen-Aktivismus weltweit

Am 2. Juni findet im Bundestag die erste Lesung des Prostituiertenschutzgesetzes statt. Ein Aktionsbündnis gegen dieses Gesetz ruft deshalb unter dem Motto „Mein Körper, Mein Bettlaken, Mein Arbeitsplatz!“ zum Protest ab 11 Uhr auf. In einer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf stell Hydra e.V. fest:

Doch auch wenn dem vorliegenden Gesetzesentwurf gut gemeinte Ansätze zugrunde liegen mögen, so werden die dort formulierten Maßnahmen nicht dazu führen, das Leben und die Arbeit von Sexarbeiterinnen sicherer zu machen und ihre beruflichen Perspektiven (in oder außerhalb der Sexarbeit) zu verbessern, sondern vielmehr im Gegenteil zu einer weiteren Stigmatisierung führen, Sexarbeit unsicherer machen und teilweise illegalisieren, sowie die Hürden für berufliche Neuorientierung erhöhen.

Dass die Lesung (und der geplante Protest) am 2. Juni stattfindet, ist zu dem äußerst symbolträchtig, denn an diesem Tag wird eigentlich seit 1976 der Internationale Hurentag/ International Sex Worker’s Day begangen. Dieser erinnert an einen Sex-Arbeiter_innenstreik in 1975, als Sexarbeiter_innen in Lyon, Frankreich, die Saint-Nizier-Kirche besetzen und gegen Polizeirepressionen protestierten.

Polizeirepression, Stigmata, viele der Themen, die rund ums Prostituiertenschutzgesetz diskutiert werden (Meldepflicht, Gesundheitsfürsorge, mögliche Arbeitsplätze) und Sexarbeiter_innen-Aktivismus thematisiert auch Melissa Gira Grant in ihrem 2014 bei Verso erschienenem Buch Playing the Whore: The Work of Sex Work. (Das Buch erschien auf Deutsch unter dem Titel Hure Spielen: Die Arbeit der Sexarbeit bei Edition Nautilus.) In Kapiteln, die schlicht überschrieben sind mit Titeln wie „The Police“, „The Work“ oder „The Debate“, analysiert Grant, wie über Sexarbeit und Sexarbeiter_innen gesprochen wird, konkrete Lebenssituationen, verfehlte „Rettungsversuche“ und Gesetzesdiskussionen. Dabei gelingt ihr ein guter Debatenüberblick, der auch für Einsteiger_innen zum Thema zu empfehlen ist, verbunden mit komplexeren Diskussionen. So hinterfragt sie beispielsweise kritisch Diskussionen, die (un)mögliches Empowerment von Sexarbeiter_innen in den Mittelpunkt rücken und versucht Debatten eher in einen Kontext von Arbeiter_innenrechte und Kapitalismus zu stellen.

Im gesamten Buch stehen Perspektiven von Sexarbeiter_innen im Mittelpunkt, die letzten beiden Kapitel aber beschäftigen sich nochmals ausdrücklich mit Aktivismus. Zunächst beschreibt Grant unter „The Saviour“ „Rettungsversuche“ von Personen wie New York Times Kolumnist Nicholas Kristof und weiteren Aktivismus, der an den konkreten Bedürfnissen von Sexarbeiter_innen vorbeigeht, um dann im darauffolgenden Kapitel „The Movement“ die Geschichte von Sexarbeiter_innen-Aktivismus (vor allem in den USA) nachzuzeichnen. Allein für dieses Kapitel, in dem Akteur_innen, Gruppen und Ideen vorgestellt werden, lohnt sich das Buch.

Chi Adanna Mgbako hat ein Buch geschrieben, welches sich ausschließlich mit Sexarbeiter_innen-Aktivismus auseinandersetzt. Auf der Grundlage von vielen Interviews mit Sexarbeiter_innen in Südafrika, Kenia, Nigeria, Namibia, Botswana, Uganda und Mauritius, zeichnet Mgbako in To Live Freely in This World: Sex Worker Activism in Africa (NYU Press, 2016) ein differenziertes Bild von unterschiedlichen Lebensrealitäten und Aktivismus-Ansätzen. Mgbako zeigt Zusammenarbeiten (mal besser mal schlechter funktionierend) mit anderen Bewegungen (Feminismus, Arbeiter_innen, HIV/Aids, LGBTQ) auf und verdeutlicht dabei thematische Überschneidungen, mögliche Kooperationen und Herausforderungen. Sie schafft es auf Material aus unterschiedlichen Ländern zurückzugreifen ohne zu leicht zu verallgemeinern, stattdessen macht sie immer wieder die unterschiedlichen Kontexte aber eben auch Ähnlichkeiten beispielsweise in Gesetzeslagen oder religiösen Diskursen deutlich. Das Buch verbindet sehr detaillierte Beschreibungen der konkreten Arbeit von Peer-to-Peer-Berater_innen mit übersichtlichen Darstellungen der Entwicklungen von Sexarbeiter_innen-Bewegungen in einigen der oben genannten Länder; sie verbindet die Analyse von allgemeinen Themenkomplexen mit den lebens- und aktivismusgeschichtlichen Erzählungen von Sexarbeiter_innen. Obwohl das Buch aus einem akademischen Kontext stammt, ist äußerst gut zu lesen.

Wenn es jetzt immer noch an Lesestoff zur Vor- und Nachbereitung des 2.Junis mangelt, empfehle ich die Bücherliste von Grant, die diese im März anlässlich des International Sex Workers Rights Day zusammengestellt hatte.

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