Wie eine bessere Familienpolitik aussehen könnte

Dieser Beitrag erschien letzten Freitag bereits bei Fuckermothers.

Fotografie von vier Personen (zwei Erwachsene, zwei Kinder) auf weißem Karopapier-Hintergrund, deren Gesichter entfernt und durch weißes kariertes Papier ersetzt sind.
Bild: Fuckermothers

Angeblich soll es im kom­men­den Wahl­kampf mehr um Familien­poli­tik gehen. Des­we­gen habe ich an­ge­fan­gen zu über­legen, wie eine bessere Familien­politik aus­sehen kön­nte. Heraus kam diese Liste. Menschen, die wenig am poli­tischen System ändern wol­len, wird sie wohl zu uto­pisch (bzw. “zu teuer!”) er­scheinen. Und Menschen, die es nicht unter der Ab­schaf­fung des Kapi­ta­lis­mus und Natio­nal­staats machen, wird sie nicht weit ge­nug gehen (bzw. “zu re­form­ist­isch!” sein). Hier kom­men die Punkte trotz­dem. Er­gänzungen und Ver­bes­ser­ungs­vor­schlä­ge sind er­wünscht. Und Utopien so­wie­so.

 

 

  • Das Ziel von Familienpolitik sollte Gerechtigkeit, höhere Lebensqualität sowie das Verringern von Ungleichheit und Armut sein. Ziel sollte nicht sein, lediglich die Zahl der Kinder (von bestimmten Bevölkerungsgruppen) zu erhöhen.
  • Das Ehegattensplitting verschwindet endlich ersatzlos.
  • Abtreibung wird legalisiert. Der § 218 wird gestrichen.
  • Mehr als zwei Personen können (auch rechtlich) Eltern eines Kindes sein.
  • Der Ausbau von Kitas und Krippen geht schneller voran und zwar so, dass es nicht nur mehr Plätze gibt, sondern auch eine bessere Qualität der Betreuung. Dazu gehören kleinere Betreuungsschlüssel, längere und flexible Öffnungszeiten, ein Nachmittagsprogramm sowie durchdachte pädagogische Konzepte.
  • Hebammen, Erzieher_innen und Tageseltern bekommen endlich eine bessere Entlohnung.
  • Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften erhalten die gleichen Rechte wie gegengeschlechtliche.
  • Die Zeiten für Erwerbsarbeit werden bei vollem Lohnausgleich reduziert. Vollzeit beläuft sich auf ca. 30 Wochenstunden.
  • Im Bereich der Erwerbsarbeit wird die ‘Präsenzkultur’ eingeschränkt und flexible Zeitmodelle gefördert.
  • Alle Menschen bekommen Zugang zur Reproduktionsmedizin. (Momentan dürfen sie allein heterosexuelle verheiratete Menschen nutzen.)
  • Armut von Kindern und Erwachsenen wird effektiv bekämpft – etwa durch eine gesetzlichen Mindestlohn, Transferleistungen wie eine Kindergrundsicherung oder dadurch, dass Elterngeld nicht länger auf Hartz IV angerechnet wird (und am besten würde Hartz IV natürlich gleich ganz abgeschafft).
  • Das Ideal, vermeintliche ‘Behinderungen’ um jeden Preis zu verhindern, sowie die Selektion durch Technologien wie die Pränataldiagnostik werden eingeschränkt. (Was ich hier zu formulieren versuche geht in Richtung ‘Pro choice – contra selection‘).
  • Kitas und Schulen etablieren eine anti-diskriminatorische Pädagogik, die sich gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie, Transphobie, Antisemitismus und andere Formen von struktureller Benachteiligung richtet.
  • Die katastrophale Asylpolitik wird (wenn nicht gleich abgeschafft, zumindest) entschärft. Abschiebehaft und Residenzpflicht werden gestrichen, Familien werden nicht mehr durch Abschiebung getrennt. Menschen, die Asyl beantragen, erhalten mehr Rechte.
  • Altersarmut – die besonders oft Menschen betrifft, die viel Sorge-Arbeit geleistet haben – wird abgebaut, indem gesellschaftlicher Reichtum umverteilt wird.
  • Alleinerziehende werden gesellschaftlich unterstützt und vor dem massiven Armutsrisiko bewahrt, von dem sie betroffen sind. (Ca. 40 Prozent der Alleinerziehenden erhalten momentan Hartz IV.)
  • Die Pflegezeit für Angehörige wird verbessert – etwa indem sie zeitlich verlängert wird und durch Transferleistungen abgesichert wird. (Momentan haben Menschen in Pflegezeit keinerlei Anspruch auf finanzielle Unterstützung und können noch nicht einmal Hartz IV beantragen.)
  • ‘Familienpolitik’ wird nicht isoliert gedacht, sondern als Verbindung aller relevanten Bereiche, also etwa Arbeits-, Bildungs- und Gesundheitspolitik.

15 Kommentare zu „Wie eine bessere Familienpolitik aussehen könnte

  1. von dem Pro Choice – contra selection würde ich mich als Schwangere bevormundent fühlen. Ich finde, das Problem ist die Stigmatisierung von Behinderungen, aber das löst man nicht dadurch, dass man das auf der individuellen Entscheidungsebene versucht zu regulieren. Aufklärung ist wichtig, aber ich möchte dann trotzdem Entscheidungen treffen können, die für andere vielleicht „unmoralisch“ sind.

  2. Abtreibung wird legalisiert. Der § 218 wird gestrichen.

    Das Ideal, vermeintliche ‘Behinderungen’ um jeden Preis zu verhindern, sowie die Selektion durch Technologien wie die Pränataldiagnostik werden eingeschränkt.

    Die beiden Punkte stehen meiner Meinung nach im Konflikt, denn heutzutage kann man ohne Weiteres z.B. Trisomie im Blut der Mutter nachweisen. Wie möchtest du verhindern, dass sich jede Mutter testen lässt und dann gegebenenfalls abtreibt. Für die Bluttest braucht man nur wenige ml Blut und somit könnte man diese ohne Weiteres im Ausland durchführen, sofern man sie in Deutschland einschränkt.

  3. Das sehe ich genauso. Wenn der Schwangerschaftsabbruch mit Blick auf die Selbstbestimmung der Mutter freigegeben wird, kann es keine Rolle spielen, warum sie ihre Selbstbestimmung wie ausübt. Wir betonen gegenüber den „Lebensrechtlern“ wieder und wieder und wieder, dass eine Frau sich überlegen und entscheiden kann, ob sie abbricht oder nicht. Eine Motivforschung widersprecht dem genauso wie – was hier gefordert wird – eine künstliche Verkürzung der Entscheidungsgrundlage. Welche für Selbstbestimmung ist, muss halt damit leben, dass Schwangerschaften auch aus Gründen abgebrochen wird, die ihr nicht passen, also auch etwa, weil die Schwangere kein Kind mit Behinderung, keinen Sohn, keine Tochter will oder weil sie eine gebuchte Urlaubsreise wahrnehmen will. Niemand behauptet, dass jeder Abbruch ein heroischer Akt ist, es geht hier um die rechtliche Regulierung und nicht um die ethische Bewertung des Abbruchs.

    Übrigens ist die Liste zum Teil nicht gerade konstruktiv. Ehegattensplitting ersatzlos weg, Hartz IV abschaffen – und dann? Was soll dann getan werden, um Familien zu unterstützen? Im Text finde ich nur noch eine Aussage über Alleinerziehende. Die Unterstützung von Alleinerziehenden ist wichtig, aber es gibt auch andere unterstützungsbedürftige Sorgende. Insgesamt ist mir die Liste nicht „zu teuer“ oder „zu reformistisch“, sondern ganz deutlich zu biased und zu verengt auf spezifische Personengruppen, gegen deren Förderung ich nichts habe, die aber nicht die einzigen sind, denen Familienpolitik gelten sollte.

  4. @Johanna
    Zu deiner Kritik am Text: Es steht ja nirgendwo, dass diese Liste erschöpfend ist und einen Masterplan für gute Familienpoltik darstellt – Lisa schreibt ja auch, Ergänzungen und Verbesserungsvorschläge sind erwünscht. Ich persönlich würde mich freuen, wenn du deine Hinweise etwas ausführen könntest – auf welche Personengruppen oder vernachlässigte Punkte du dich z.B. konkret beziehst.

    Für die Punkte, die du ansprichst – Ehegattensplitting, ALG 2 – gibt es ja durchaus Alternativvorschläge, z.B. Überlegungen zum (bedingungslosen) Grundeinkommen oder auch Vorschläge, wie Maria Wersig sie hier neulich vorgestellt hat. Um nur einige wenige zu nennen. Und auch im Artikel selbst steht dazu etwas:

    Armut von Kindern und Erwachsenen wird effektiv bekämpft – etwa durch eine gesetzlichen Mindestlohn, Transferleistungen wie eine Kindergrundsicherung oder dadurch, dass Elterngeld nicht länger auf Hartz IV angerechnet wird

    Ich finde es immer etwas problematisch, wenn Leuten, die Kritik äußern, vorgeworfen wird, sie würden mit ihrere Kritik nicht jedes Problem abdecken und nicht genug Lösungsvorschläge machen – warum liegt das einzig in deren Verantwortung? Mir ist dieser Anspruch ehrlich gesagt ein bisschen zu konsumistisch.

  5. @alle, die auf Widersprüchlichkeiten zwischen den beiden Punkten „Abtreibung erlauben“ und „Selektion vorbeugen“ hinweisen:

    Ja, da sind Ambivalenzen, ganz klar. Ich fände es aber hilfreicher, wenn diese Ambivalenzen nicht denjenigen angekreidet würden, die beide Punkte für wichtig halten – zumal aus dem Text von Lisa zumindest meinem Verständnis nach gerade nicht die Forderung individuelle Entscheidungen zu regulieren hervorgeht. Produktiver fände ich darüber zu reden, wie mit solchen Widersprüchlichkeiten sowohl auf individueller als auch gesellschaftlicher (dazu gehört auch die rechtliche) Ebene umgegangen werden kann. Individuelle Entscheidungen ereignen sich ja nicht im luftleeren Raum.

  6. Ich finde auch beide Punkte wichtig, aber eben andersherum. Die Entscheidungsfreiheit wird eingeschränkt, wenn Wissen um eine evtl Diagnose aus ethischen Gründen derjenigen Person vorenthalten wird, die diese Entscheidungen treffen soll. Das Argument mit dem luftleeren Raum: Da schwingt für mich dieses „wenn es Stigmatisierung nicht geben würde“ oder „wenn die Personen das bigger picture sehen würden, würden sie andere Entscheidungen treffen.“ So habe ich das zumindest verstanden. Das ist aber für mich Bevormundung. Ich glaube auch, dass viele Frauen Föten, die entsprechend diagnostiziert wurden, auch aus gesellschaftlichem Druck heraus abtreiben. Aber so wie das im Text formuliert wird, ergibt sich sehr wohl eine Regulierung der individuellen Entscheidung, indem diese Diagnosen genau aus dem Grund vorenthalten werden, damit bestimmte Entscheidungen verhindert werden. Wie ist es sonst zu verstehen? Durch das Wissen um eine Diagnose wird Frauen immerhin auch die Möglichkeit gegeben, sich bewusst für ein behindertes Kind zu entscheiden. Das Argument, dass das aufgrund der gesellschaftlichen Stigmatisierung kaum passiert, halte ich für voreilig udn schiebt den Schwangeren auch noch den schwarzen Peter zu. Da muss eben auf anderer Ebene angesetzt werden, wie Inklusion und strukturelle Verbesserungen, aber ich möchte als Schwangere nciht in etwas hineingestolpert werden, das ich nicht überblicken kann.

  7. Ich kommentiere das deswegen hier, weil das Problem der Stigmatisierung in einem Atemzug mit dem contra selection-Ansatz genannt wird, und das halte ich für problematisch, auch wenn es nicht von ihr selbst entwickelt wurde. Darauf hinzuweisen, dass das nciht so einfach zusammengeht, finde ich schon wichtig.

  8. Wenn der Zugang zur Pränataldiagnostik beschränkt wird, wird selbstverständlich die individuelle Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch reguliert, weil einer Frau, die diese Entscheidung von einer solchen Diagnose abhängig machen will, eine technisch verfügbare Entscheidungsvoraussetzung genommen wird. Ich sehe da im Verhältnis zur Forderung nach einer Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs keine Ambivalenz, sondern einen glatten Widerspruch, und ich lehne die Forderung einer Beschränkung des Zugangs zur Pränataldiagnostik darum ab.

    Damit ist die sehr spannende Frage, ob und welche ethischen Standards für die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch bestehen, natürlich nicht beantwortet. Wenn ich mich der Forderung nach einer Streichung von § 218 anschließe, heißt das ja noch lange nicht, dass ich jeden Schwangerschaftsabbruch unabhängig von der sozialen Stellung, vom gesundheitlichen und emotionalen Zustand und von den Motiven der Schwangeren moralisch gutheiße.

    Hinzu kommt die weitere Frage danach, welche gesellschaftlichen Verhältnisse wie auf die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch einwirken, und wie frau diese Einwirkung beurteilt. Dabei muss frau aber, finde ich, aufpassen, dass nicht gesellschaftliche Missstände der einzelnen Schwangeren zugerechnet werden. Anders formuliert: Wenn ich jetzt schwanger bin und unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen abbrechen will, dann hilft mir ein Hinweis darauf überhaupt nichts, dass ich unter anderen Umständen ja eine andere Entscheidung treffen würde.

    Auch aus diesen Perspektiven habe ich aber mit einem Schwangerschaftsabbruch wegen einer drohenden Behinderung des Kindes weniger Probleme als mit anderen denkbaren Motiven. Ich kenne mich sowohl mit dem Sorgeaufwand für Menschen mit (manchen) Behinderungen als auch mit den sozialen Auswirkungen, die die Geburt eines Kindes mit Behinderung für die Eltern haben kann, ein bisschen aus. Ich kann jede Mutter verstehen, die sich dem nicht aussetzen will.

    Das hat nichts damit zu tun, dass alles (viel mehr als zur Zeit) getan werden muss, um die vielfältigen Diskriminierungen abzubauen, denen Menschen mit Behinderung bei uns heute ausgesetzt sind. Dabei geht es aber um die jetzt lebenden Menschen mit Behinderung und die, die in Zukunft geboren werden. Wenn eine Verbesserung der Lage dazu führt, dass weniger Frauen eine Schwangerschaft wegen einer drohenden Behinderung des Kindes abbrechen, ist das wunderbar, es ist aber aus meiner Sicht weder das Ziel des Diskriminierungsabbaus noch kann das Anliegen des Diskriminierungsabbaus gegen eine Frau gewendet werden, die jetzt schwanger ist.

  9. Hm, ich hab eigentlich überhaupt nicht an die Forderung nach einer Beschränkung des Zugangs zur PND gedacht, sondern mehr daran, dass ich es wichtig fände, noch viel mehr zu thematisieren, wer unter welchen Bedingungen derzeit Zugang dazu hat, wer von wem warum über was informiert wird und welche Diskurse und auch Ressourcen da wirkmächtig sind. Ich finde aus diesen Überlegungen, die ich ansprechen wollte, folgt nicht zwingend eine Beschränkung des Zugangs zur PND. Sorry, wenn ich mich da missverständlich ausgedrückt habe. ich bin ja auch für generelle Abtreibungslegalisierung ohne wenn und aber – das bedeutet für mich aber nicht, dass bei Erreichen dieses Ziels der feministische Diskurs um die Möglichkeiten, Bedingungen und Problematiken von Schwanger- und Elternschaft ad acta gelegt werden könnte oder sollte.

  10. Ich würde auch gerne wissen, wie du bei Abschaffung des §218 mit dem §219 umgehen würdest, bzw. viel mehr würde mich interessieren, ob du im Generellen eine Regulierung von Abtreibung vorsiehst. Ich denke das Recht der Mutter steht außer frage, nur denke ich persönlich, das ab dem Zeitpunkt ab dem der Fötus lebensfähig, ist eine sehr schwierige Definitionssache, finde ich die rechtliche Bewertung schwierig. Ich würde bedenken haben, wenn frau weit über den 3. Monat abtreiben dürfte.

  11. Ich las dass die Menschen, die PID nutzen idr ja schon schwangere sind die mehrfach entweder fehlgeburten(vll durch rezessive Mutation) hatten oder eben ne verdeckte Erberkrankung haben die eine reguläre Schwangerschaft verhindert.
    Oftmals waren die Frauen dankbar, dass síe dieses @10% glück hatten und nach der insemination/ei(befruchtet) einpflanzung schwanger wurden nur um dann wieder und wieder zu lernen dass der foetus exakt die Erkrankung hatte die schon verhindert hat dass Frau „normal“ schwanger wurde.

    Ich find das grausam. Da hoffen Menschen, geben tausende € aus um ein Kind zu bekommen, dann klappt es und dann erfahren die Eltern dass ausgerechnet die einverpflanzte blaste zu einem vermutlich früh sterbenden Kind führt und treiben ab..
    Obwohl der Arzt sich hätte alle Zellen ansehen können und auf die spezifische Erkrankung überprüfen-damit die Schwangerschaft eben so wird wie die Mutter wünscht.
    Menschen machen idr -momentan- nich einfach so ne PID.das ist idr n letzter strohhalm für Menschen die selbst bei künstlicher Befruchtung Probleme haben. Zudem-die restlichen Zellen müssen eh vernichtet werden.

    Ohne PID ist es das (idr 1:3 oder 1:2:1)Glücksspiel-das entscheidet ob die Zelle nun die dominante Erkrankung trägt(d.h Mutter darf eh abtreiben NACHDEM sie heraus findet dass das Kind krank/“schwer“behindert(trisomie 18 z.b) ist-der Arzt durfte aber nicht einfach eine „gesunde“(Bezug auf Merkmal x) Zelle auswählen…

    Daher-Pro PID. Aber türlich auch Pro sauber formuliertes Gesetz
    Wenn man die Autonomie der Mutter anerkennt n behindertes Kind abzutreiben dann sollte man síe nicht dazu zwingen erst die Zelle eingepflanzt zu bekommen bevor sie erfährt ob ihr Kind jetzt „gesund-so messbar ist.(idr geht es bei PID ja um Mutationen die Schwangerschaft nahezu unmöglich machen, der Körper stösst den Embryo idr ab wenn der eine Mutation/Erkrankung hat die Entwicklungunmöglich macht)
    Und sowas find ich grausam&paternalistisch.

  12. An Johanna: Ich würde mich tatsächlich freuen, wenn Du etwas genauer benennen könntest, wer und was in der Liste fehlt. Auf ‚Fuckermothers‘ gab es in den Kommentaren ja bereits einige Ergänzungen, die ich sinnvoll und diskutierenswert fand (u.a. ein bedingungsloses Grundeinkommen, Schulpflicht für alle Kinder, etc.) Was könntest Du Dir noch vorstellen, um Familien zu unterstützen? Was fehlt Dir in Bezug auf Alleinerziehende und in Bezug auf ‚andere Personengruppen‘?

    Zur Diskussion um ‚Pro Choice, contra selection‘: Mit diesem Punkt habe ich mich tatsächlich am schwersten getan, weil mir klar ist, dass dies auf einigen Ebenen auf einen Widerspruch führen kann, ich aber beide Punkte wichtig finde. Meiner Meinung nach ist eine Kritik an der Pränataldiagnostik, wie sie momentan praktiziert wird, notwendig – und zwar ohne sie zu verteufeln oder gleich deren Verbot zu fordern. Ich finde es problematisch, hier einfach in Dichotomien Pro-Contra zu denken. Aus diesem Grund habe ich den Punkt auch eher vage formuliert:

    „Das Ideal, vermeintliche ‘Behinderungen’ um jeden Preis zu verhindern, sowie die Selektion durch Technologien wie die Pränataldiagnostik werden eingeschränkt. (Was ich hier zu formulieren versuche geht in Richtung ‘Pro choice – contra selection‘).“

    (Das „eingeschränkt“ kann dabei zugegebener Maßen zu sehr in Richtung „Verbot“ verstanden werden. Die Formulierung ist wohl nicht ganz geglückt)

    Zwei Aspekte sind mir jedenfalls wichtig:
    – Es geht auf keinen Fall um die Ebene individueller Entscheidungen und gar das moralische Verurteilen von Personen. Es wundert mich etwas, dass dies in den Kommentaren in diese Richtung verstanden wurde, weil das weder aus meinem Satz noch aus dem verlinkten Text hervorgeht. Vielmehr geht es um die gesellschaftliche Ebene, um Kritik an neoliberalen Verhältnissen, einem Abbau des Gesundheits- und Sozialsystems sowie der einseitigen Verteilung von Sorge-Arbeit an Einzelne (und in diesem Kontext findet Pränataldiagnostik nun mal momentan statt und wird meiner Meinung nach viel zu sehr davon Vorgaben bestimmt).
    – Ich bin für den freien Zugang zu Abtreibung, für ein Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, Zugang zu Wissen über diesen und gegen Bevormundung. Bevormundung findet durch ein Abtreibungsverbot statt. Bevormundung findet momentan aber auch oft innerhalb der Praxis der Pränataldiagnostik statt. Es gibt einige Berichte von Frauen (und auch eigene Erfahrungen von mir), in denen Frauen nicht über die Grundlagen und Konsequenzen der Ergebnisse von Pränataldiagnostik informiert wurden – in denen beispielsweise nicht gesagt wurde, dass es sich lediglich um statistische Werte handelt, die die Wahrscheinlichkeit z.B. einer Trisomie 21 errechnen. Oft werden die Ergebnisse so vermittelt, dass es wirkt, als läge eine Trisomie 21 mit absoluter Sicherheit vor. Zudem setzten viele Ärzt_innen voraus, dass man mit einem ‚positiven Ergebnis‘ in jedem Fall abtreiben muss und stellen davon abweichende Überlegung im harmlosesten Fall als naiv-fahrlässig dar. Diese gängige Praxis sollte problematisierbar sein.

    So, das war es erstmal zu diesem komplizierten Punkt. Ich plane, irgendwann einen eigenen Beitrag dazu zu schrieben und die Diskussion hilft mir, das klar zu bekommen.

  13. Schon allein die Bezeichnung als „Selektion“ kann ich schwerlich anders als als scharfe individuelle Kritik verstehen. „Selektion“ ist im Deutschen ein verbrannter Begriff mit ganz klaren Konnotationen und ganz sicher mit Schuldzuschreibungen an alle, die an einer „Selektion“ beteiligt sind. Für mich kommt „Selektion“ in einer Diskussion über Schwangerschaftsabbrüche nur sehr knapp hinter „Babycaust“.

    Wie anders als ein Verbot eine „Einschränkung“ aussehen soll, verstehe ich auch nicht. Das was Du jetzt formulierst, ist keine Einschränkung, sondern Aufklärung und gesellschaftliche Diskussion.

    Mit den Forderungen, die jetzt ausgeführt wurden, bin ich auch ganz und gar einverstanden, ich möchte aber, mit Verlaub, dringend dazu raten, auf die Formulierung etwas mehr acht zu geben. Sprache ist halt wichtig.

    Was den anderen Punkt angeht, hatte ich den Text ja z.T. etwas zu unaufmerksam gelesen. Ich sehe hier aber trotzdem eine Tendenz zur Vernachlässigung der Mittelschicht. Ich will da nicht falsch verstanden werden, ich bin voll für Umverteilung und für Armutsbekämpfung. Aber wenn das Wort Umverteilung nur ganz pauschal vorkommt, dafür aber eine sehr konkrete Forderung (Abschaffung des Ehegattensplittings) gestellt wird, die keineswegs primär Reiche, sondern vor allem (jedenfalls wenn frau die Theorie vom abnehmenden Grenznutzen des Geldes zugrunde legt) die Bezieher mittlerer Einkommen hart trifft, werde ich hellhörig.

    Mir fehlt bei aller berechtigten Kritik an manchen Wirkungen des Ehegattensplittings gelegentlich die Differenzierung. Der Splittingtarif ermöglicht eben auch Lebensmodelle, die nicht so aussehen, dass Erwerbsarbeit das einzige Maß aller Dinge ist, dem alles andere untergeordnet wird, und eine nicht nur durch wirtschaftliche Zwänge bestimmte Entscheidung darüber, ob und inwieweit Sorgearbeit auf Dritte verteilt wird. Er ermöglicht das nicht allen, und das ist ein Problem, das ich aber eher mit zusätzlichen Transferleistungen an Bedürftige abdecken würde. Für Leute, die Steuern zahlen, ist das Splitting dagegen gar keine so unelegante Lösung. Ich finde es auf einem Blog, das sich nach meiner Lesart auch durch Kritik am Neoliberalismus auszeichnet, auch bemerkenswert, dass z.B. in dem Text von Maria Wersig (dem ich übrigens positive Vorschläge nicht entnehmen kann, sondern nur einen Rant gegen Splitting jeder Art) ganz unbefangen als Beleg ihrer Thesen eine Studie des DIW zitiert wird, ohne vielleicht mal zu hinterfragen, von welchen Interessen die wohl geleitet ist.

    In den Vorschlägen kommen, so wie ich sie verstehe, konkret eigentlich nur Personen unterhalb der Armutsgrenze vor, denen geholfen werden soll. Bin ich voll dabei. Das heißt aber nicht, dass alle, die mehr oder weniger knapp über der Armutsgrenze leben, keinerlei Unterstützung mehr benötigen (außer staatlichen Sorgeangeboten, von denen ich persönlich nichts halte) und nur als Zahler in Erscheinung treten sollten. Ich sehe auch wenig Sinn darin, diese Personen durch Abschaffung des Splittings noch ein wenig näher an die Armutsgrenze zu rücken. Im Übrigen habe ich auch Zweifel, ob eine Familienpolitik, die nur zwischen „richtig“ arm und (alle anderen:) reich unterscheidet, Akzeptanzchancen hat.

  14. Lisa: Ich habe auch oft gehört, dass Frauen extrem unter Druck gesetzt werden, wenn es um diese Diagnosen gehtund bei weitem nicht neutral aufgeklärt werden. Ich denke nur, die konkrete Diagnostik ist die Spitze eines riesigen Eisberges. Ich bin immer überrascht, wenn in den Medien gleich die Rede von Selektion ist, obwohl sie bisher ohnehin nur für einen sehr kleinen Kreis von Patientinnen überhaupt in Frage kommt. Es geht ja bei weitem nicht um das designen perfekt gesunder Embryos, aber so kommt es anscheinend bei vielen an. Auf der anderen Seite habe ich Erfahrungen mit Gentests, zu denen dann manche Ärzte auch ihren Senf geben, zb dieses und jenes darf man nciht weitervererben. Also wie man es macht, macht man es falsch. Ich weigere mich mittlerweile „als Frau“ diese Konsequenzen alleine ausbaden zu müssen, sondern möchte sie gerne an die Gesellschaft weitergeben.

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