Was wir von Steubenville über r*p*e culture lernen, Part 2

[Inhalt: sexualisierte Gewalt, Victim Blaiming, R*p* Culture; Auschreibung von r*p* und V*rg*w*lt*g*ng – gilt auch für Links]

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich hier an dieser Stelle darüber geschrieben, wie sich der Steubenville-Fall zu einem Paradebeispiel dafür entwickelt, wie rape culture funktioniert. Zur Erinnerung, worum es in dem Fall eigentlich ging, die Zusammenfassung aus meinem damaligen Artikel:

Am 11. August 2012 erfährt eine 16-jährige Schülerin nach einer Party von zwei gleichaltrigen Mitschülern mehrfach sexualisierte Gewalt. Teile dieser Gewaltakte werden darüber hinaus gefilmt und fotografiert. Aufnahmen werden im Internet und über Handys verbreitet. Es gibt offensichtlich beistehende Personen. Die Taten werden wiederholt über unterschiedlichste Social Media Kanäle kommentiert, die Schülerin wird immer weiter beschimpft. Am Sonntag nun wurden die Haupttäter verurteilt, beide haben ein Jahr für die V*rg*w*lt*g*ng bekommen, einer der Täter noch ein zusätzliches Jahr für das Verbreiten von Nacktbildern einer Minderjährigen.

Im Laufe der Berichterstattung wurde die von Gewalt betroffene Schülerin immer wieder mitbeschuldigt, die Täter hingegen erfuhren Sympathie- und Mitleidsbekundungen, und der Fokus wurde auf Social Media gerückt. So, als sei die Verbreitung der Bilder das einzig Schlimme; nicht, dass diese Bilder überhaupt entstanden sind. Außerdem zeigte sich an dem Beispiel, wie Vertuschungen versucht wurden.

Nun muss dieser Geschichte leider ein weiteres Kapitel hinzugefügt werden. In der letzten Woche wurde bekannt, dass die Produktionsfirma von Brad Pitt (Plan B Entertainment) die Rechte an dem Rolling Stone Artikel „Anonymous vs. Steubenville“ erworben hat. Der Teaser zu dem Text (meine Übersetzung):

Online-Bürgerwehr Deric Lostutter half die Vertuschungen im Steubenville Vergewaltigungsfall aufzudecken. Nun erwartet ihn mehr Haftstrafe als die verurteilten Vergewaltiger.

Der Film soll sich auf einen Anonymous-Aktivisten und seine Rolle fokussieren. Damit werden die wirklich betroffenen Personen in einem Fall sexualisierter Gewalt ausgeblendet und stattdessen Platz gemacht für eine Geschichte aus der Perspektive eines Mannes, der zur Rettung herbei eilt. Die Anonymous-Aktionen (die sie selbst als white knight operations bezeichnen) sind darüber hinaus in großer Kritik, da sie nicht selten laufende Ermittlungen erschweren, unnötigen weiteren Schaden anrichten und vor allem weitere Frauen Gewalt aussetzen (in dem beispielsweise beim Hacken gefundene Bilder veröffentlicht werden). Auf ThinkProgress wird passend analysiert (meine Übersetzung):

In einer Kultur, die die Stimmen von Überlebenden von Vergewaltigung häufig ignoriert und ständig die Geschichten von Frauen über ihre eigene gelebte Erfahrung mit sexualisierter Gewalt und Unterdrückung in Frage gestellt werden, ist es entmutigend sich einen Film über einen der bekanntesten Vergewaltigungsfälle im Land vorzustellen, der einen „weißen Ritter“ im Mittelpunkt stehen hat. Auch wenn es sicher nicht die Intention von Plan B Entertainment ist, die Wahl des Rahmens trägt weiter dazu bei, die wirkliche Frauen, die sexualisierte Gewalt erleben, unsichtbar zu machen.

Und nicht nur das: Indem die Geschichte vom Rolling Stone Magazin verkauft wird, ist es möglich, dass über den Kopf der tatsächlich betroffenen Schülerin unterschiedlichste Personen profitieren, sie vollkommen außenvorsteht und keinerlei Einfluss auf die Entscheidung hat, wie auf Choice Words hervorgehoben wurde. Steubenville zeigt also im aktuellen Kapitel, wie, selbst wenn dann einmal über sexualisierte Gewalt im großen Rahmen gesprochen wird, dies vollkommen ohne Betroffene stattfinden kann. Auch das ist ein Teil von rape culture.

3 Kommentare zu „Was wir von Steubenville über r*p*e culture lernen, Part 2

  1. Der Verfilmung der Anonymous-Aktion liegt vermutlich die Tradition zugrunde, „Heldengeschichten“ zu erzählen statt Opfergeschichten. Auch wenn Lostutter am Ende hinter Gittern landet, ist er derjenige, der die „Heldentat“ begangen hat. Über das Opfer wäre anscheinend nicht mehr darzustellen als Hilflosigkeit und Gewalterfahrung, und zwar nicht nur während der eigentlichen Tat. Es wäre nicht zu erwarten, dass ein solcher Film, der aus Opferperspektive erzählt wird, ein Kassenschlager wird. Und das ist schließlich die einzige Motivation von Hollywood. Menschen wollen sich lieber in die Rolle von Helden versetzen lassen, statt in die von Opfern, wenn sie mit dem/der Protagonisten/in mitfiebern.
    Davon abgesehen ist alles, was mit „Anonymous“ zu tun hat, gerade ziemlich angesagt -> volle Kinos.

  2. Ich denke, dass die Reduzierung Betroffener auf Gewalterfahrungen und Hilflosigkeit ebenfalls Teil der Kultur ist, die sexualisierte Gewalt ermöglicht und fortführt. Betroffene werden (wenn ihnen keine Mitschuld unterstellt wird) immer wieder als lebenslängliche Opfer dargestellt, denen jegliche Kompetenz und Handlungsfähigkeit abgesprochen wird. Oftmals wird gerade da, wo es um sie geht, über ihren Kopf hinweg entschieden. Dadurch werden Betroffene immer wieder zum Objekt gemacht und eben dieses zum Objekt machen als Normalität fortgeführt.

  3. … darüber hinaus frage ich mich: Warum kann ein Magazin „die Geschichte verkaufen“? An der Stelle liegt aus meiner Sicht schon der grundlegende Fehler in dieser Sache. Gehören Geschichten nicht in jedem Fall denen, die sie erlebt haben?

Kommentare sind geschlossen.

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