Von wegen „weibliche“ Musik

Laurel Halo und Cooly G veröffentlichen ihre Debütalben auf dem Bass-Musik-Label Hyperdub. Zwei Frauen etablieren sich in der Männerdomäne: Stimmt das wirklich? – fragt Liz Weidinger in ihrer Kolumne zu Popkultur und Gender beim freitag.

Der Anteil weiblicher Musikerinnen in der elektronischen Musik ist ein bekanntes Problemfeld: ähnlich wie im HipHop arbeiten Macker­tum, Nerd­wissen und technikferne Sozialisation gegen eine an­zunehmende Frauen­quote. Umso erfreulicher ist es, dass Hyperdub, das Lieblingslabel vieler KritikerInnen und intellektueller Dubstep-Fans, zwei viel­versprechende Alben von Laurel Halo und Cooly G veröffentlicht.

Die Musik der Beiden steht sinnbildlich für das weite Spektrum des Hyper­dubsounds. Halos „Quarantine“ ist beatloser, experimenteller Sound, der nur durch den Einsatz ihrer mal ganz nahen, mal total verfremdeten Stimme zusammen­gehalten wird. Es ist ein Konzeptalbum zwischen Ambient, Pop und Techno geworden, wobei die Musik gleichzeitig in mehrere Richtungen geht und sich quer zu manch Hörg­ewohnheiten legt.

Cooly Gs „Playin‘ Me“ hingegen ist tanzbar, songorientiert, sexy und „dramatic“. Obwohl sie schon seit 2010 als First Lady des „UK Funky“ verhandelt wird, bezeichnet sich die DJ, Produzentin und Sängerin selbst lieber als „House Artist“. Sie hat mit „Playin‘ Me“ endlich und angeblich ein Album jenseits von Kategorien entworfen. Wenn trotzdem Wörter zur Be­schrei­bung des Sounds gebraucht werden, helfen zum Beispiel Dub, Soul, Funky, House und das reinhören in ihre Tracks oder Sets.

In der Musikpresse werden großartigerweise beide Alben ziemlich abgefeiert: Halos „Quarantine“ ist Album der Ausgabe in der Spex und erhält bei Pitchfork acht von zehn Punkten. Cooly G ziert das Cover der De:bug und wird schon in die AnwärterInnenliste der Alben des Jahres aufgenommen. Und obwohl diese Kolumne eigentlich nicht zu einem Medienkritikformat werden soll, hat diesmal die Spex eine Vorlage geliefert, die nicht ignoriert werden kann.

Die Freude über die „Album der Ausgabe“-Wahl hat sich beim Lesen der dazugehörigen Rezension – nicht der Story – schlagartig geändert. Vom doch nicht so dramatisch, dass die Redaktion noch einen Schritt Richtung Main­stream gewechselt ist, hin zum Zweifel an der Erns­thaftigkeit ihres Musik­journalismus. Halos Geschlecht ist in der Rezension nämlich wichtiger als die Musik. Ihr Tumblr-Blog wird als „zeitgemäße Frauen­zeit­schrifts­abzieh­folie“ bezeichnet, wobei das größte Argument für diesen Vergleich ihr Gesicht ist.

Lauter Stereotypen

Das Highlight der Rezension stellt jedoch der Vergleich mit dem Post-Noise-Protagonisten Daniel Lopatin aka Oneohtrix Point Never dar, der erst als ihr Freund und dann als musikalische Referenz vorgestellt wird. Das Ergebnis des musikalischen Vergleichs sieht anschließend so aus: „In Relation zu Lopatins ebenso freiförmiger Schnitt­kunst erscheint Halos Debüt­album Quarantine – ich bitte um Vergebung – menstrualer, gefühliger oder ganz einfach ‚weiblicher‘“. Das sind Essenzialismus und geschlechter­stereotype Eigen­schafts­zu­schreibungen satt – auch mit Vergebung und Anführungs­zeichen. Möglicher­weise hatte Halo ja während der ganzen Ent­stehung des Albums schreckliche Bauch­krämpfe und Stimmungs­schwankungen, so gequält wie sich das Album anhört. Ob sie als Künstlerin dann wirklich ernst ge­nommen werden kann?

Aber vielleicht nochmal kurz zur Frage warum Musik aus feministischer Perspektive nicht als männlich oder weiblich bezeichnet werden sollte. Diese Be­schreibungen greifen auf Eigen­schafts­zu­schreibungen zurück, die in der sozialen Konstruktion von Geschlecht eine zentrale Rolle spielen: Männer sind stark, Frauen schwach; Männer gefühlslos, Frauen total empathisch und sensibel; Männer reden nicht, Frauen ständig.

Immer wenn sie wieder mit dieser Zuordnung verwendet werden, reproduzieren sie das, was unter „Frauen“ und „Männern“ in unserer Gesell­schaft verstanden wird. Außerdem geht eine solche Beschreibung von der essentialistischen An­nahme aus, dass Frauen und Männer unterschiedliche Musik machen. Was bei Halos Platte jedoch noch mehr verwundert ist, dass sie gerade nicht Musik macht, die irgendwie als typisch weiblich bezeichnet werden könnte, die stereotyp-weiblichen Eigen­schaften entspricht. Aber vielleicht ist genau das der Grund, der den Autor der Rezension dazu verleitet hat das Geschlecht­liche in ihre Musik hineinzuschreiben – ganz ohne Geschlecht geht doch nicht.

Dass besonders häufig weibliche Musikerinnen auf ihr Geschlecht an­ge­sprochen werden, ist eine weitere Fort­schreibung ihres Ausnahme­status und erklärt, warum viele Musikerinnen nicht über ihr Dasein als weibliche DJ und Produzentin reden möchten. Sind wir also gespannt, ob sich in den nächsten Wochen ein Text über Cooly G finden lässt, der ohne ihre Be­schreibung als Single-Mum auskommt, sondern ihre Produktions­skills, ihre eigenen Label­pläne mit Dub Organizer oder musikalischen Einflüsse fokussiert.

4 Kommentare zu „Von wegen „weibliche“ Musik

  1. „Menstruale“ Musik?! Mit dem Rezensenten sind offenbar ganze Horden von Pferden durchgegangen, von den restlichen Sexismen mal ganz abgesehen.
    Um sein Steinzeit-Referenzsystem ist der Herr wirklich nicht zu beneiden!
    Kopfschüttelnd,

    Stadtkatze

  2. Ist es wirklich verwunderlich, dass sich Geschlechterbilder, die vor allem auf Symbolsystemen aufbauen, auch in der Musik eine Rolle spielen? Mich nervt das ebenso sehr, keine Frage. Spannend finde ich in Hinsicht auf die Beispiele jedoch schon, dass es sich um (Vorsicht, subjektiv) sehr weiche, melodische Flächen handelt, zarter Gesang einsetzt. Weit entfernt von musikalischer Härte, da sind die elektronischen Szenen wie DrumnBass, Dubstep oder Techhouse etc. auffällig männerdominiert. DIe Klischees von männlicher Härte und weiblicher Zartheit werden in die Musik transportiert und symbolisch reproduziert.

    Mein Punkt: Es ist cool, dass diese Bereich endlich mal von ihrer Männerdominanz verlieren, aber passiert das möglicherweise doch mit Bezug auf gewissen Geschlechterstereotype?

  3. Hello,
    um einen Einblick in die Sounds der beiden Künstlerinnen zu bekommen, auch in die Alben, frühere Tracks oder Sets reinhören. Die zwei Hörbeispiele sind nur die ersten im Netz schön verfügbaren Songs der neuen Veröffentlichungen gewesen…
    lg liz

Kommentare sind geschlossen.

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