Vom Trauern und Liebe(n)

Ich liebe eine Frau, eine Schwester, die nicht mehr am Leben ist.
Sie ist plötzlich und unerwarteterweise im Sommer 2014 verstorben. Es ist immer noch unglaublich. Das ist die Art von Frau; würdest du sie kennen, könntest du es dir auch nicht vorstellen, dass sie nicht mehr lebend unter uns ist.

Ich liebe sie noch, denn die Vorstellung, dass ich diesen Satz im Präteritum formulieren soll, kommt mir immer noch nicht über die Fingerspitzen. Mein Alltag verkrafte ich nur, weil ich ihr Schweigen mir so zurechtgebastelt habe: Sie ist noch da, sie hat nur schon wieder ihre Handy (wie eine andere sehr enge Freundin von ihr das nennt) „zwangsverschenkt“.

Sehr sehr oft seit letztem Sommer hätte ich gern ihren Rat gehabt, ihre tatkräftige Unterstützung oder einfach zusammen mit ihr gelacht. Sie fehlt mir wirklich sehr. Ich glaube, sie hätte mir einiges an Schmerz sparen können. Ich glaube, sie versteht mich wirklich sehr gut – besser eventuell, als ich mich selber besser verstehe.

Nun sehe ich mich mit dem Thema Tod noch einmal konfrontiert. Ja. Wegen der Anschläge. Ja, die in Paris. Ja, ich weiß…

Ich habe alle schlauen Artikel zum Thema gelesen (oder vielleicht nur die meisten). Ich habe selbst kritische Gedanken meinem Sohn gegenüber formuliert, weil er einen französische-Fahne-Filter über sein Profilbild veröffentlicht hat. Die Argumente dagegen leuchten mir wirklich alle ein. Dennoch: ich habe Angst. Er hat Angst. Und wir wissen beide wie es ist, eine Person zu verlieren, die wir lieben. Eine Person, die gegangen ist, ohne dass wir uns von ihr verabschieden konnten.

„Es gibt Leute, die sowas blöd finden. Ich erzähle dir das, weil du sonst immer so kritisch bist,“ sagte ich ihm, als wir zwei Tagen nach den Anschlägen wegen seines Profilbilds telefoniert haben.
„Jetzt ist nicht die Zeit kritisch zu sein, mum“ sagte er. Wir telefonieren weiter. Seine Freunde treffen sich sehr oft. Feiern Parties. Sind ständig unterwegs. Haben neulich einen aus ihrem Freundeskreis in noch ungeklärten Umständen verloren. Sie haben alle Angst. Ein Bombenangriff könnte natürlich auch in Berlin passieren. Sie könnten die nächsten sein. Er will sich solidarisch zeigen. Es geht gerade nicht um Politik und Hashtags, sondern um Trauer und Liebe.

Ja, und ich habe auch Angst. Ständig.

Denn, jedes Mal wenn ich mich von meinen Kindern verabschiede, könnte es das letzte Mal gewesen sein. Und es geht mir nicht erst seit Freitag so. Paris ist aber besonders. Eigentlich nicht, weil Paris näher dran ist. Und nicht, weil es sich um weiße, westliche Opfern geht (was natürlich sowieso nicht ausschließlich der Fall ist), sondern weil die Ereignisse in Paris, die Verhältnisse für uns Schwarze Menschen und People of Color in Deutschland – wieder mal – sehr deutlich machen.

Syrien wird augenblicklich zerbombt. Diese Tatsache ist anscheinend so selbstverständlich, es gibt nicht mal in unseren Medien eine Debatte darüber. Nicht-Christliche Menschen auf der Flucht lassen sich wohl am besten taufen. Menschen, die Hijabs tragen, sollten besser auf U-Bahn Gleisen mit dem Rücken zur Wand stehen. Schwarze Menschen und People of Color – besonders die, die Muslim_innen sind, oder als solche durchgehen könnten, sind gerade in der Klemme, wie ich das sehe. Auf der einen Seite könnten sie genau so Opfer von irgendwelche Terroristen-Attacken in Größstädten werden, wie weiße Menschen auch (so viel ich weiß, gab es letzten Freitag wirklich keine WhatsApp Nachricht von ISIS an in Paris lebende Muslim_innen, die deutlich gemacht hat, sie sollten lieber zu Hause bleiben) und auf der anderen Seite werden wir von AfD- und PEGIDA-Sympantisanten u.a. noch bedrohlicher gemacht, als wir es ohnehin schon vorher gemacht wurden.

Darum denke ich im Stillen darüber nach, was könnte helfen?

Was braucht es, damit Menschen, die aus Syrien flüchten, nicht erst einmal beweisen müssen, dass sie keine Terrorist_innen sind, bevor wir, die in relativer Sicherheit leben, sie mit Empathie und Solidarität begegnen?

Was braucht es, damit Menschen, die schon seit Jahren hier in Lagern leben, oder gegen Residenzpflicht und Abschiebungen kämpfen, auch ein wenig von unserer #Willkommenskultur-Aufmerksamkeit geschenkt bekommen?

Was braucht es, damit ich nicht einfach weghöre, wenn ich antimuslimische Aussagen oder Beleidigungen mitkriege?

Was braucht es, damit wir alle gegenseitig weniger Angst voreinander haben, aber vor allem: weniger Angst vor unserer eigenen Verletzlichkeit, ja unserer eigenen Sterblichkeit, haben?

Ich schließe die Augen und denke an meine Freundin.

Es ist fast einundhalb Jahre her, seitdem ich nur noch mit ihr in Träumen kommuniziere.  Der Schmerz ist noch genauso groß. Ich gehe stark davon aus, dass alle – egal in welcher Stadt sie wohnen – alle, denen eine solche Person fehlen, auch erstmal mit Schmerz beschäftigt sind. Ich weiß, was dieser Schmerz mit mir gemacht hat.

In diesen letzten Monaten hatte ich selbst sehr mit Wut zu tun. Ich bin unsensibel gewesen. Ich habe selbst anderen für mich wichtigen Menschen unrecht getan und weh getan. Und das mehrmals. Es ist schmerzhaft diese Seite von mir zu sehen, zu erkennen und zu akzeptieren. Aber es ist enorm wichtig. Ich weiß, warum ich (gerade) so bin wie ich bin. Und ich weiß, dass es Zeit braucht, damit ich wieder so etwas wie eine Balance finde. Ich schätze es sehr, dass mir diese Zeit geschenkt wird. Ich weiß, dass ich geliebt werde.

Allmählich wird es ein wenig ruhiger um mich herum und in meinem Körper. Ich stelle Verbindungen zu den Ereignissen und den widersprüchlichen Emotionen her. Sie gehören ja alle dazu. Sie sind alle ich.

Ich habe noch immer keine klare Antworten auf meine vielen Fragen. Aber im Ansatz schlage ich vorsichtig vor…vielleicht müssen wir einfach erstmal still sein. Und vielleicht brauchen wir einfach Zeit zum Trauern. Und einander, und uns selber, bedingungslos zu lieben.

Ein Kommentar zu „Vom Trauern und Liebe(n)

Kommentare sind geschlossen.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑