Vom Leben im Patriarchat

Dieser Text ist Teil 36 von 140 der Serie Die Feministische Bibliothek

Titelbild HerrschaftszeitenAls wir uns entschlossen, „Herrschaftszeiten!“ in der feministischen Bibliothek zu besprechen, lautete der Untertitel des Sammelbands noch: „Vom Leben im Patriarchat“. Nun steht „Vom Leben unter Männern“ auf dem lilafarbenen Einband – hm, na sowas…

Dabei geht es in den Berichten der 85 Frauen aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport genau darum: Um ihre Erfahrungen im patriarchalisch gefärbten Alltag. Das sind kurzweilige und unterhaltsame Anekdoten wie die der ehemaligen Nachrichtensprecherin Dagmar Berghoff, die der ständigen „Fräulein“-Anrede ihres Chefs ein trotziges „Pascha“ entgegen setzte. Oder Schwimmweltmeisterin Petra Dallmann, die eine Diskobekanntschaft aufgrund ihrer sportlichen und akademischen Erfolge in die Flucht schlug. Aber auch nachdenkliche Beiträge, wie die von Moderatorin Dunja Haylali oder Ingrid Mühlhauser, Professorin für Gesundheitswirtschaft, die die Unterdrückung der Frau im medizinischen Diskurs darstellt.
Und dann sind da die zahlreichen Frauen aus Politik und Wirtschaft, die die bekannten Fakten aufzählen: Frauen verdienen 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen; Frauen haben die besseren Schul- und Uniabschlüsse, machen aber trotzdem weniger Karriere; Frauen sind in Führungspositionen sämtlicher Branchen unterrepräsentiert.

Die ehemalige Artdirektorin und heutige Professorin für Visuelle Kommunikation Friederike Girst hat ein Buch herausgegeben, das ein Sammelsurium an Meinungen, Erfahrungen und Strategien bereit hält. Egal ob als zynische Fiktion, informative Analyse oder grundsätzlicher Rundumschlag, gemein ist allen Portraitierten die Auffassung, egal wie sehr die Emanzipation der Frau das Patriarchat bereits zurück gedrängt hat, nach wie vor besteht Handlungsbedarf. Neben Texten der Portraitierten gibt es zahlreiche Bilder und Collagen diverser Künstlerinnen, in denen das Thema des Buches visuell verarbeitet wird.

(Geschlechts)-Uhren umstellen, zum Kuckuck! - Die Künstlerin Rosalie hat eine eindeutige Bildsprache
(Geschlechts)-Uhren umstellen, zum Kuckuck! - Die Künstlerin Rosalie hat eine eindeutige Bildsprache

Das Spannende an Girsts Buch: Die Portraitierten stammen aus unterschiedlichen Altersklassen und Berufen – und sind keineswegs überzeugte Feministinnen. Viel eher finden sich Texte, in denen die Urheberin anfangs erklärt, sie hätte eigentlich nie eine Benachteiligung erfahren, bis auf, ja vielleicht… und dann springt der Gedankenmotor an und es finden sich doch noch einige Belege patriarchaler Alltagsstrukturen. Herrschaftszeiten“ erfordert Offenheit und Toleranz beim Lesen. Denn jede Frau wird sich hier angesprochen, dort widersprochen fühlen. Aber so vielseitig weibliche Lebensentwürfe und -Realitäten sind, so vielfältig sind auch die feministischen Ansätze. Neben den „üblichen Verdächtigen“ Thea Dorn, Iris Radisch oder Silvana Koch-Mehrin kommen auch Frauen zu Wort, die in den aktuellen Feminismus-Diskussionen sonst keine Rolle spielen.

Diese zeitweilige Unvoreingenommenheit macht die Lektüre ungemein abwechslungsreich und spannend. Gleichzeitig stellt sie aber auch die Frage, was tun mit all diesen Eindrücken? Und lohnt es sich, dieses Buch von vorne bis hinten „durchzuackern“, oder reicht der ein oder andere unverbindliche Blick auf diese oder jene Episode. Und wo die LeserIn gerade noch herzhaft über den absurden Witz Katja Kullmanns lachen musste, fordert der nächste Beitrag schon wieder stirnrunzelnde Betroffenheit. Denn bei der allgemeinen Kurzweiligkeit der Portraits, ein Text wie der von Jutta Ditfurth über die Biografieverfälschung Ulrike Meinhofs, liest sich in diesem Sammelsurium irgendwie fehl am Platze. Und das zeigt eine mögliche Schwäche des Buches, der Kritik am Ungleichgewicht von Frauen und Männern nicht genügend Kanonenfutter zu liefern: Denn in der Fülle aus Humor und Fakten, Anspruch und Schulterzucken geht die inspirierende Konsequenz schon mal unter.

Wer das aber im Hinterkopf behält, der wird ein gut durchmischtes Buch lesen können, das viele unterschiedliche Gesichtspunkte und Herangehensweisen aufzeichnet und sich vor allem für diejenigen eignet, die bei den Begriffen „Feminismus“ und „Patriarchat“ sonst dankend abwinken. Nach einigen Seiten aus diesem Buch dürfte sich manche voreingenommne Meinung ändern.

Erschienen bei DuMont, 312 Seiten, 16,95 Euro

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5 Kommentare zu „Vom Leben im Patriarchat

  1. Mal direkt von mir: Der Libri-Link zeigt das Buch mit einem anderen Cover – dort steht noch „Vom Leben im Patriarchat“. Im Handel und bei mir liegt es aber in dieser violetten Version mit dem „harmlosen“ Untertitel…

  2. Ich mag aber den „harmlosen“ Untertitel lieber – „Leben im Patriarchat“ hätte vermutlich viele Leser, unter anderem auch mich, leicht abgeschreckt. Das klingt so übereifrig. Zumal ja die patriarchalischen Strukturen im Großen und Ganzen doch noch deutlich werden.

  3. Leider biete das Buch für mich nichts wirklich Neues und Orginelles, und kommt an manchen Stellen ein bisschen zu hilflos-unreflektiert-brav und heterozentristisch sich der männlichen Weltordnung anbiedernd daher.

    Aber ausgerechnet Lilo Wanders (im Privatleben Ernie Reinhardt), der einzige Mann in dem Sammelband, wagt es diese Sätze an den Schluss seines Beitrages zu stellen:

    Manchmal glaube ich, dass Männer und Frauen einfach nicht zusammenpassen. Wenn man sie als Bananen und Pflaumen in eine Kiste legen würde, dann wären sie nett anzuschauen. Aber kreuzen könnte man sie eben nicht.

  4. Zum Thema „Patriarchat“ findet sich hier eine interessante historische Abhandlung :

    http://matriarchat.info/grundlagen/begriff-patriarchat.html

    „Patriarch ist der Amts- und Ehrentitel einiger höchster Kirchenmänner (z.B. Bischöfe) und wurde etwa im 12. Jh. aus dem kirchen-lateinischen patriarcha, patriarches entlehnt, und dieses aus gr. patriárches, was „Stammeserster, Sippenoberhaupt“ bedeutet…
    Die Schlagkraft des Christentums war die Zentralinstanz im Himmel, besetzt mit einem Einzelnen! Von da ab gab es keine Diskussionen mehr, nur noch Gehorsam. …
    Die Bibel – das Gesetz Gottes – wurde zu einem wichtigen Machtfaktor. Und aus genau der gleichen Zeit, zu der die biblischen Schriften zusammengeschrieben wurden, stammt auch der kirchliche Titel Patriarch, nämlich aus dem 6. Jahrhundert….“

    Markante und schlüssige Schlußfolgerung :

    „Meine Frage an Sie: Inwiefern tragen Sie persönlich das patriarchale System mit?
    Männer und Frauen unterstützen das Patriarchat, sonst hätten wir keins. Frauen meinen häufig, sie wären nicht beteiligt und fühlen sich als Opfer der Männer. Hier geht es nicht um Männer – ich rede nicht von Ihrem Bruder, Sohn, Neffen, Cousin, und schon gar nicht von ihrem Ehemann oder Partner.
    Ich rede vom „Vaterkonzept“. Inwieweit leisten erwachsene Menschen den Vätern Gehorsam, ohne dass diese überhaupt ihre Wünsche signalisieren müssen?
    Die meisten haben es so gelernt, hinterfragen es nicht und geben es an die nächste Generation weiter – auch diejenigen, die keine eigenen Kinder haben.“

    Weiterführende interessante Informationen hier :

    http://rette-sich-wer-kann.com/zusammenleben/patriarchat/entstehung-patriarchat-prolog-und-uebersicht/

    „Entstehung des Patriarchats: Prolog und Übersicht
    von Hannelore Vonier“

Kommentare sind geschlossen.

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