Verborgener Iran

Dieser Text ist Teil 11 von 140 der Serie Die Feministische Bibliothek

Mit ihrem Buch „Hinter den Schleiern Irans. Einblicke in ein verborgenes Land“ hat Christiane Hoffmann mein gesamtes Halbwissen über das Leben von Frauen in einer muslimischen Gesellschaft verändert – ergänzt, widerlegt, es überhaupt erst einmal in komplexe Zusammenhänge gesetzt. Ich empfehle dieses Buch uneingeschränkt allen, die auch nur das leiseste Interesse am Thema Frauen & Islam haben.

Die Autorin lebte fünf Jahre lang in Teheran als Korrespondentin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und stellt sich von Anfang an die Aufgabe, dieses Land unbedingt verstehen zu wollen. In diesen fünf Jahren vor Ort merkt sie, dass sie mit ihrem westlichen Wertesystem nicht weiter kommt, dass sie aber genauso verzweifelt, wenn sie sich der iranischen Kultur versucht anzupassen.

Genau dieses Schwanken und Zaudern, das Infragestellen und Zweifeln, machen dieses Buch sehr wertvoll. Weil Christiane Hoffmann genau die Fragen stellt, die beispielsweise bei mir während des Lesens aufkamen. Sie trifft und beschreibt Menschen, vor allem Frauen, erzählt von Ritualen und Werten. Und: An den Stellen, an dem das Fremde unzugänglich zu sein scheint, schreibt sie auch mal etwas ausführlicher über Moral, Tradition oder Toleranz. Während dieser Passagen hat es dann auch bei mir geklickt. Weil man eben in einem anderen Koordinatensystem denken muss, um vieles aus der islamischen Welt zu verstehen.

Als eines der Grundmissverständnisse zeigt Hoffmann unsere Interpretation der zunehmenden Radikalisierung in der islamischen Welt:

Im Gespräch mit Farsaneh wird verständlich, wie sehr der islamische Radikalismus eine Reaktion auf die Moderne und nicht eine Folge der Tradition ist. Er führt nicht zurück zu traditionellen Lebensformen, sondern ermöglicht einen Schritt in ein modernes, emanzipiertes Leben. Farsanehs Leben als berufstätige Frau, Ehefrau und Mutter eines Sohnes ist äußerlich dem Leben vieler junger Frauen in westlichen Großstädten ähnlich. Ihre eigene moderne Lebensform aber verbindet sie mit einer strikten Ablehnung des westlichen Liberalismus.

Hoffmann schreibt über Gespräche mit Reformern und Konservativen und zeigt immer wieder, dass viele Menschen im Iran nach einem Weg zwischen dem Festhalten an der Tradition und der totalen Verwestlichung suchen. Vor allem viele Frauen probieren schon verschiedene Rollen aus, die sie der strengen Kultur ihres Landes abgetrotzt haben. Was Christiane Hoffmann über sie schreibt ist wie eine kleine Reise, das nicht nur ein ganzes Land und eine ganze Idee erklärt, sondern auf der wir auch Frauen treffen können, die uns gar nicht so unähnlich sind. Und doch wieder auch ganz anders sind.

Erschienen bei Dumont, 318 Seiten, gebunden, 14 Euro 95.

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Ein Kommentar zu „Verborgener Iran

  1. Davon abgesehen, dass ich es äußerst wichtig sehe, sich – nicht nur mit der Literatur aus anderen Kulturen zu befassen, bringe ich mich trotzdem immer wieder „auf den Boden der Tatsachen“ zurück. Ich kann eine andere Kultur, zwar bedingt intellektuell erfassen, doch nie mit meiner Gesamtpersönlichkeit – außer, ich werde als Kleinkind dort aufwachsen können oder habe einen Elternteil aus der jeweiligen Kultur. Befasste mich schon sehr früh mit dem Orient, lernte relativ viele Frauen aus den verschiedensten Kulturen – hier in Deutschland („eingebürgert“) kennen, und erfreue mich immer wieder dieser „schwesterlichen“ Solidarität. Hier können wir Frauen noch enorm viel dazu lernen, und auch, wie wir uns gegen eine, wieder massivst aufkommende sexuelle Degradierung – auf allen Ebenenen – hier in der BRD, schützen und wehren können/müssen.

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