Ukrainische Feministinnen und das sowjetische Patriarchat

Was passiert eigentlich östlich von uns? Journalist Silviu Mihai kennt sich aus und wirft für uns alle zwei Wochen einen feministischen, gender- und gesellschaftskritischen Blick auf das „andere“, östliche Europa. Die konkreten Herausforderungen der Gleichberechtigung in Polen, woran wir einen bulgarischen Macho erkennen und welche Rolle Homophobie und Gendermainstreaming in Rumänien spielen, erfahrt ihr in dieser Kolumne.

Ein Jahr nach der Wahl von Wiktor Janukowitsch zum Präsident der Ukraine fürchten viele BeobachterInnen und AktivistInnen um die demokratischen Fortschritte des letzten Jahrzehntes. Die früheren proeuropäischen Regierungen hatten trotz zahlreicher Korruptionsskandale wichtige Reformen durchgesetzt und das Land näher an die EU gebracht. Janukowitsch, ein ehemaliger Parteifunktionär zu Sowjetzeiten und Freund Wladimir Putins, präsentierte sich offen als Gegner dieser Modernisierungsprozesse und wurde im Februar 2010 vor dem Hintergrund der tiefen Wirtschaftskrise gewählt.

Die ukrainische Frauenbewegung Femen, die früher gegen Sexismus und Ausbeutung der Prostituierten protestierte, engagiert sich jetzt allgemein für Menschenrechte und demokratische Gesellschaftsverhältnisse. In einem ARTE-Interview kritisiert die Vereinsvorsitzende Anja Gutzol die „starke Tendenz hin zum Totalitarismus“ unter der neuen Regierung. Einige Oppositionsanhänger wurden bereits festgenommen, die kritischen Medien müssen wieder mit offiziellen Schikanen rechnen.

Wie die meisten ehemaligen Funktionäre des Staatssozialismus hat Janukowitsch nicht nur eine antidemokratische Grundeinstellung, sondern auch stark sexistische Überzeugungen, die in Westeuropa eher unter provinziellen Anhängern der konservativen Parteien zu finden sind. Keine einzige Frau sitzt im neuen Kabinett. Damit ähnelt sich die Regierung einem Männerklo, kritisiert Femen. Neulich hat der Präsident versucht, Touristen in die Ukraine zu locken: Das Land organisiert nächstes Jahr, zusammen mit Polen, die Fußball-Europameisterschaft. Kiew sei besonders schön im Sommer, wenn sich die Frauen ausziehen, meinte Janukowitsch vor einem internationalen Publikum.

Die Ukraine gilt in Europa als eines der wichtigsten Reiseziele von Sextouristen und gleichzeitig als Rekrutierungsland und Drehkreuz fürs Frauenhandel. Die Äußerungen von Janukowitsch sind also nicht nur völlig daneben, sie signalisieren eine aufmunternde Botschaft an die weitverbreitete Ausbeutungsindustrie. Femen versucht mit „unanständigen“ Performances gegen die offizielle, scheinheilige „Dezenz“ zu mobilisieren.

Ein Kommentar zu „Ukrainische Feministinnen und das sowjetische Patriarchat

  1. Oje, noch kein Kommentar. Habe Deinen Text heute morgen schon gelesen und war schon gespannt auf die Diskussion…

    Die Femen-Aktivistinnen habe ich schon häufiger in den Medien gesehen (kein Wunder…) und mich immer gefreut, mit welch einfachen Mitteln sie so viel Aufmerksamkeit erzeugen können. Ob das wohl auch in Deutschland klappen würde? Oder braucht’s hier schon andere Methoden?

Kommentare sind geschlossen.

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