Transsexualität und Schule

Svenja Kühnke von „Svenja and the City“ recherchiert gerade zum Thema Transsexualität und Schule und ist auf der Suche nach Studien, Fällen und Fakten. Die Mädchenmannschaft ist mit ihr in Kontakt getreten und hat sie gebeten, ihre Fragen auch auf diesem Blog zu veröffentlichen und eine Diskussion anzustoßen. Wenn ihr Svenja unterstützen möchtet, nutzt die Kommentarfunktion!

Niemand weiß, wieviele Transsexuelle es in Deutschland gibt. Die Schätzungen gehen weit auseinander. Auffällig ist aber, dass die vermutete Anzahl in den letzten Jahren immer wieder nach oben korrigiert werden musste. Inzwischen liest man bereits von einem Verhältnis 1:500.

Diese Zahl muss nachdenklich stimmen, denn wenn sie zutrifft, dann gibt es keine deutsche Schule, an der nicht mindestens ein Schüler oder eine Schülerin transsexuell ist und lieber in der Rolle des anderen Geschlechts am Unterricht teilnehmen würde. Trotzdem ist die Zahl von offen lebenden transsexuellen Schülern und Schülerinnen an unseren Schulen verschwindet gering. Einzelne Fälle kennt man bestenfalls aus der Boulevardpresse, wo sie reißerisch breitgetreten werden.

Meine eigene Vorstellung vom Alltag von Transexuellen an deutschen Schulen beruht überwiegend auf Vorurteilen, Annahmen und Befürchtungen. Deshalb habe ich verschiedene Fragen an die Institution Schule, an Lehrende, Eltern und Schüler und Schülerinnen formuliert, die ich hier zur Diskussion stelle.

Hat das Bildungsministerium ein Konzept für die Integration von Transsexuellen an öffentlichen Schulen?
Wie will die Schule ggf. Mobbing begegnen?
Gibt es Schulen, die eigene Konzepte für den Umgang mit transsexuellen Schülern und Schülerinnen entwickelt haben?
Wie gehen Lehrende mit transsexuellen Schülern und Schülerinnen in ihrer Klasse um?
Was tun Lehrende, damit die Integration in die Klassengemeinschaft gelingt?
In welcher Form wird das Thema Transsexualität im Unterricht verhandelt?
Lassen Schüler und Schülerinnen transsexuelle Mitschüler und Mitschülerinnen in ihrer Mitte zu oder grenzen sie sich klar ab?
Sind nicht-transsexuelle Schüler und Schülerinnen bereit einer transsexuellen Mitschülerin oder Mitschüler beim Hineinfinden in die neue Rolle zu helfen und ihr mit Tipps und Ratschlägen zur Seite zu stehen?
Kann die Machokultur einiger männlicher Jugendlicher sogar zu einer körperlichen Gefährdung transsexueller Mitschüler oder Mitschülerinnen führen?
Ist mit dem Rollenwechsel auch ein Schulwechsel anzuraten oder ist es besser, an der bisherigen Schule zu bleiben?
Wie können Transsexuelle selbst zu einer besseren Akzeptanz beitragen?
Welchen Anteil haben die schulischen Leistungen am Gelingen der Transition?
Sind Widerstände aus der Elternschaft zu erwarten und wie könnte man ihnen begegnen?

Jede einzelne Antwort schon zu kleinsten Teilaspekten ist hilfreich. Gibt es vielleicht sogar Betroffene, Lehrende oder Eltern, die aus eigener Anschauung etwas beitragen können? Ich freue mich auf eure Beiträge.

Mehr dazu auf Mädchenmannschaft.net: „Immer wieder der Griff in die Klischeekiste

12 Kommentare zu „Transsexualität und Schule

  1. finde das anliegen gut und wichtig, vermisse aber ebenfalls arbeiten zu transgender-menschen im bildungssystem

  2. Moin.
    Ich war mit jemanden mal ein Jahr auf derselben Schule, der erst als schwul zwangsgeoutet wurde (zumindest wusste auf einmal die ganze Schule was während einer Klassenfahrt beim Zelten passiert sein soll) und heute als Frau lebt. Ich hatte zwar nie viel Kontakt mit ihr, bin aber noch mit Leuten befreundet, die mit ihr noch Kontakt haben müssten.
    Wenn es also helfen würde, würde ich mich darum bemühen, dass sie mit euch in Kontakt tritt.

    Wie will die Schule ggf. Mobbing begegnen?

    Mal ganz allgemein zu Schule und Mobbing, ich war inzwischen auf 4 verschiedenen weiterführenden Schulen und auf allen war Mobbing mehr als präsent.
    Ich hab auch nie erlebt das wirklich mal was getan wurde, im Gegenteil waren auch ein paar der Lehrer gut dabei.

  3. Auch Moin!
    Zuerst einmal stellt sich mir die Frage, ob die Annahme „dann gibt es keine deutsche Schule,…“ zutrifft. Ich kenne persönliche keine_n Transsexuelle_n, kann mir aber vorstellen (habe auch Svenjas Blog das so entnommen – kenne es schon eine Weile), dass so manche_r sich selbst erst als Erwachsener entdeckt. In meinem Freundeskreis haben Mehrere ihr gleichgeschlechtliches Interesse erst als Twens realisiert (in mehreren Bedeutungen des Wortes).
    Der Anteil der Homosexuellen an der Gesamtbevölkerung wird gelegentlich mit 5-10% geschätzt, und zu meiner Schulzeit (etwa zehn Jahre her) war das real kein Thema, sondern nur für Spott gut. Aus meinem Abschlussjahrgang von etwa 80 Schüler_innen sind mindestens drei mittlerweile bekannt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen, von keinem war es aber damals schon allgemein bekannt.
    In Relation nehme ich an, dass in den meisten Schulen keinerlei Konzepte vorliegen. Ich habe beruflich gelegentlich mit Schulverwaltungen zu tun und sehe, dass viele Themen dort erst angefasst werden (werden können, Arbeitszeit ist immer knapp), wenn sie wirklich vorkommen.

    Ich möchte an Svenjas Schilderung anknöpfen, stolz zu sein, unangezweifelt als Frau wahrgenommen zu werden. Wenn dieser Wechsel vollzogen ist, hat man es sicherlich in einem neuen Umfeld, in dem man von Anfang an Mädchen ist (man trägt ein Etikett „Mädchen“, das niemand hinterfragt), leichter – das mag für einen Schulwechsel als Grund genügen. Ob das lange geheim bleibt, weiss ich nicht.

    Mobbing wird fast immer stattfinden. An meiner nicht religiösen Kleinstadt-Oberschule war die Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern zumindest in den Schülerköpfen klar, wer nicht passte, war „lesbisch“ bzw. „schwul“. Geschlechterrollen wurden an genau zwei Stellen im Unterricht diskutiert: Im Sexualkundeunterricht der 6. Klasse (Mann plus Frau = „natürliche Ordnung“) und zum Thema Industrialisierung/Frauen(wahl)recht im Geschichtsunterricht im letzten Jahr. (Am kirchlichen Gymnasium, das mein bester Freund besuchte, haben sie wohl beide Themen noch knapper abgehandelt). Sexuelle Identität und Orientierung waren damals gar kein Thema, und ich glaube nicht, dass sich das grundlegend geändert hat; ich wäre auch heute als Lehrer nicht wild darauf.

    Wie können Transsexuelle zu einer besseren Akzeptanz beitragen? Schwer zu sagen. Kopf einziehen und nicht auffallen fördert ja nicht die Akzeptanz, sondern nur das Mitschwimmen. Wahrscheinlich gibt es da keine goldene Regel; solange Transsexualität in der Gesellschaft dermassen wenig präsent ist, kann auch die im Geringsten offensive Haltung schon problematisch sein.

    Interessant wäre sicherlich auch die Position einer transsexuellen Lehrkraft. Ich erinnere mich gut, was das homosexuelle Outing eines Lehrers an meiner Schule (nach meiner Zeit, jüngere Geschwister haben mir davon erzählt) für Wellen geschlagen hat.

    In Blick auf die anstehenden Wahlen im Frühjahr müssten sich doch aus einigen Parteisoldaten Statements herauskitzeln lassen – hat nicht jede Partei mittlerweile eine_n Beauftragte_n für „Frauen und Gedöns“ (Schröder, Gerhard, wenn ich mich nicht irre)?

  4. GGGRRRRRRRHHHHHHHHHHHHHH !!!

    Mir wird als Frau mit 54 wohl niemand eine gewisse Form der Reife absprechen.
    Aber manchmal macht mich das Getue, diese Form der Artikel und manche Kommentare zum Thema Transidenz echt wütend.
    Wenn ihr gelesen habt, ein LINK der mal richtig Aua macht und das ist noch harmlos. http://dreckschleuder.info/blog/?p=2884
    Zitat: „name sagt:
    Hmm, waere es nicht besser von Trans* zu sprechen? Sonst interessant und finde ich gut.“
    Wenn das ein Grund zur Kritik ist ?
    Es heißt korrekt auch NICHT transsexuell oder Trans* ES HEIẞT TRANSIDENT !, ich bitte darum.
    Also Leute, keep cool, die Tante war selbst Inter und hat sich für Transident die Pumps flach gelaufen. Bitte hört mal mit der Schublade (z.B. Trans*) auf. Wenn ihr zumindest nach „unten“ sichere Zahlen wollt, einfach die Tante fragen. Die quatscht nähmlich nicht, sondern pflegt die notwendigen Netzwerke im klinischen, sozialen, verwaltungs, juristischem Bereich und das weltweit. Da redet man dann etwas dichter an der Sache.
    Was mir Angst macht, es wird immer geredet und geschrieben und zu oft über wenig konkretes, ich habe mal gehört, das ist aber furchtbar, und am schlimmsten sind die Quellen. Uns hilft NICHT die Pflege der SubKultur, uns hilft nur aufgeklärte Öffentlichkeit. Das gilt im übrigen auch für Lesben und Schwule, z.B. im Sport. Googelt mal Aljoscha Pause den Grimme-Preisträger im Zusammenhang mit Homophobie im Fussball, ihr werdet mich auch dort nicht mit Geschwafel finden.
    Das allgemeine und pseudo kluge darum herum Geschwafel ist da eher schädlich und erinnert mich immer an die ach so super Toleranten mit ihrem grenzenlosen Verständnis und Schutz Getue, als wenn wir behindert oder krank wären ? Also hört bei uns auch auf von Betroffenen, oder im Prozess von Therapien zu reden, wir sind nicht krank und müssen Transidenz oder Inter auch nicht weg therapiert bekommen. Das ist auch MOBBING und stellt uns in die besondere Ecke, dass wollen wir nicht.
    Gerade hier sollten wir nicht in der Schublade gesellschaftlicher Vorurteile verschwinden und was „Svenja in the City“ angeht ? Wer es nötig hat !

    Marie

  5. Ich verstehe nicht wieso jemand überhaupt mit dem medizinischen Psychiatrie-(und Krankheits-)Begriff Transsexualität (TS) hausieren geht.
    Ich hatte mal gedacht, es geht den Betroffenen um ihre Identität, Körper und nicht vorrangig um Sexualität wie TS bezeichnet.
    Dass sich Männer und Frauen trotzdem (immer noch) als TS bezeichnen anstatt als Mann oder Frau, zeigt wie tief die Übernahme der Normen und des psychiatrisch gutachterlichen Terrors gewirkt hat.
    Ob jemand dann was ausrichtet, wenn sie sich so bezeichnet?
    Kaum.

    Wer aus dem normierten Kämmerchen der unterdrückenden Medizin und Psychologie und des Rechts nicht rauskommt (Coming Out!) wird immer eine Transfrau, ein Transmann bleiben. Aber vielleicht ist trans mittlerweile ein Geschlecht geworden.

  6. @alle: Das Thema hier ist nicht die Selbstbezeichnung von Transgendern, transsexuellen oder transidenten Menschen, sondern welche Probleme sie in der Schule erwarten und welcher Umgang damit angebracht ist.

    Außerdem gilt auch hier die Netiquette!

  7. Wieso wird mensch denn hier gleich so angefahren? Es kann ja auch sein, dass mein Wissen einfach falsch war. Ich dachte bislang immer (was die Begrifflichkeiten angeht):
    Transsexuell = koerperliche Angleichung wird angestrebt oder ist erfolgt
    Transgender = Empfinden, nicht zu der anerzogenen/sozialisierten Geschlechterrolle (Gender) zu passen. Angleichung (Operation) nicht zwingend erforderlich)
    Trans* = schliesst mehrere ein, u.a. Transsexuell und Transgender

    Und es tut mir leid, wenn ich da jetzt einen Fehler gemacht habe und es Unwissen meinerseits ist, aber das laesst sich nicht damit beheben, wenn mensch angemeckert wird.
    Sollte es doch „richtig“ sein, dachte ich nur, dass Trans* besser geeignet ist, gerade weil im Schulalter die koerperliche Angleichung sicherlich sehr selten erfolgt (wie das Anstreben dessen aussieht weiss ich nicht).
    Auch Wiki sagte mir bislang, dass Transidentitaet einfach ein Synonym ist. Daher auch meine Unwissenheit.

    Es waere nett eine Antwort zu bekommen, ohne gleich angefahren zu werden. Und ja, ich kann mir vorstellen, dass es nervt. Trotzdem wissen ser sehr wenige Menschen etwas ueber die Thematik Transidentitaet und auch oft Menschen, die sich normalerweise mit LGBTI-Themen auseinander setzen, meiner Erfahrung nach..

  8. @name: Svenja hat zu den Begrifflichkeiten schon einmal geschrieben: http://mysvenja.blogspot.com/2009/10/transsexuell-ist-nicht-sexuell.html
    Ich verstehen, dass die ganzen Bezeichnungen und Konzepte verwirrend sind, trotzdem bitte ich darum, bei dem Thema „Wie in der Schule aufgreifen“ zu bleiben, um die Diskussion nicht abdriften zu lassen. Für grundlegende Debatten haben wir z.B. unsere Rubrik Grundsatzfragen für die wir uns über Vorschläge an post@maedchenmannschaft.net freuen.

  9. Transsexualität ist ein Begriff von Magnus Hirschfeld aus den 20er-Jahren, der damit dem Umstand Rechnung tragen wollte, dass er erkannt hat, dass sich das Geschlecht von Menschen nicht so verhält, wie Gesellschaften das gerne behaupten. So fand er heraus, dass es ein stereotypes Klischee ist, davon auszugehen, dass ein Mensch als Ken oder Barbie (Anm.: sinngemäss) auf die Welt kommt, sondern es allerlei geschlechtliche Abweichungen gibt. Eine dieser Abweichungen nannte er „Transsexualität“. „Trans“ steht dabei für „gegenüber“ und „sexualis“ für „geschlechtlich“. Ein transsexueller Mensch ist nach dieser Definition ein Mensch, der mit einer entgegengesetzten Geschlechtlichkeit „ausgestattet“ ist – sprich z.B. ein Mensch mit männlich konotierten Körpermerkmalen, der aber Frau ist oder umgekehrt.

    Das was Hirschfeld erkannt hatte, eben die geschlechtliche Vielfalt, wird von vielen Menschen immer noch abgestritten, ja regelrecht bekämpft – zum Beispiel indem die ursprüngliche Geschlechtsabweichung, die transsexuelle Menschen von sich aus mitbringen als nicht existent erklärt wird und behauptet wird, es handele sich z.B. um „eindeutig biologische Männer“ die sich als „Frauen fühlen“ (transidentität) oder „als Frauen leben wollen“ (transgender). Leider gibt es viele Menschen, die das Geschlechtswissen transsexueller Menschen immer noch als „falsch“, „Störung“, „Phantasie“, „Wunsch“ u.ä. bezeichnen. Meist handelt es sich hier um Menschen, die selbst Geschlecht eher über Stereotypen einteilen, anstatt in der Realität vorhandene Geschlechtliche Vielfalt anzuerkennen. Dass hier dann aus einer transsexuellen Frau gerne mal ein „Mann, der sich fühlt wie eine Frau“ gemacht wird, anstatt anzuerkennen, dass eine transsexuelle Frau eine Frau ist, ist der eigentliche Skandal und der Grund für die weltweite Diskriminierung und Ausgrenzung transsexueller Menschen.

  10. Danke Kim!
    Svenjas Link gibt mir keine neuen Informationen. Ich bin an keiner Stelle davon ausgegangen, dass Transsexualitaet etwas ueber die sexuelle Orientierung aussagt, das hilt und halte ich fuer Bloedsinn. Mir ging es rein um die Begrifflichkeiten, die anscheinend ’ne Menge Leute unterschiedlich verwenden/deuten. Aber ist ja OT….

  11. Pingback: Marie Karsten

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