So hatte ich mir den Westen vorgestellt

„Germany’s Next Topmodel“ war in den letzten Jahren mein guilty pleasure – aus feministischer Sicht in keiner Weise zu rechtfertigen, aber trotzdem ein großer Spaß. An jedem einzelnen Donnerstagabend hatte für ein paar Stunden der Mensch in mir Ausgang, der Andere einfach „sauhässlich“ oder „strunzdumm“ finden durfte oder „Was für eine blöde Kuh!“ Richtung Fernseher rief. Feministin hin oder her.

Brauner Hintergrund mit 2 Bäumen und 3 Pilzen. Ein Wolf liegt blutend auf dem Boden. Im Vordergrund steht ein Mädchen mit lila Käppchen und einem blutigen Messer in der Hand. Es sagt: I don't need to be saved. I can do that myself.
(c) Frl. Zucker

Doch in diesem Jahr habe ich erst eine Folge geschaut, vergangene Woche, dann schaltete ich ab und beschloss, mir ein anderes unfeministisches Vergnügen zu suchen. Die Dauerbefeuerung der Kandidatinnen mit neoliberalen Kapitalismusweisheiten hat mir das Einschalten vermiest. Das ständige „Ihr müsst alles geben!“ von den Juroren und die ergebenen, gleichlautenden Antworten der Kandidatinnen: „Ich hab mein bestes gegeben, das war am wichtigsten.“

„Germany’s Next Topmodel“ ist zu einem Bühnenstück der Arbeitswelt geworden, wie sie junge Menschen heute vorfinden und die sie trotzdem lieben sollen. So kriegen die Mädchen bei jedem Casting, das heißt: auf Jobsuche, eingebläut: „Es ist eine Riesenehre, sich hier vorstellen zu dürfen“. Jaja, wir müssen alle wahnsinnig dankbar sein, wenn wir uns für irgendeinen Großkonzern abrackern dürfen. Es ist schon lange nicht mehr so, dass das ganze Ding „Arbeitsverhältnis“ auf Gegenseitigkeit beruhen würde: dass der Arbeitgeber froh ist, ambitionierte und kreative Menschen in seinem Team zu haben, und der Angestellte umgekehrt froh ist, für ein Unternehmen zu arbeiten, dass den Lebensunterhalt finanziert und halbwegs menschlich ist. Nein, heute muss jede und jeder dankbar sein, sich für irgendwen den Buckel krumm machen zu dürfen. Systemkritik war gestern.

Bei GNTM kommt noch hinzu, dass die Ladys wirklich alles machen müssen, wenn sie nicht rausfliegen wollen: Sei es, sechzehnjährig mit Typen in Badehose rumzumachen, ekliges Getier zur Schau tragen zu müssen oder bei Minusgraden in Sandalettchen herumzulaufen, als ob nichts wäre. Du lernst: Mach mit oder du bist ganz schnell raus aus dem Spiel um beruflichen Erfolg. So hatte ich mir als – propagandainfiltriertes – Ostkind immer den Westen vorgestellt: Die in der BRD müssen machen, was ihr Chef will oder werden gefeuert, obdachlos und traurig.

Steckt also vielleicht der Deutsche Arbeitgeberverband hinter Heidis Sendung, oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft? Vielleicht haben die sich vor ein paar Jahren gesagt: Margarine, Autos und Billigflüge werden mit knackigen, jungen Frauen beworben. Jungs, das können wir auch und zwar besser! Da machen wir was im Fernsehen. Für junge Frauen, die eh die besseren Schulabschlüsse machen. Die wollen wir haben! Die müssen wir vom Leistungsgedanken überzeugen, jedes Jahr ein kleines bisschen offensiver. Und wisst ihr was, haha, den bringen wir dann bei, dass sie auch noch Danke sagen müssen, Küsschen links und rechts, wenn sie rausfliegen. Wir müssen halt Stellen abbauen, jede Woche. So ist es nun mal, das Leben.

(Dieser Text erschien ursprünglich als Kolumne in der Taz)

9 Kommentare zu „So hatte ich mir den Westen vorgestellt

  1. Finde den Text auch super, und so wahr…!
    Frage mich allerdings, ob GNTM nicht doch schon immer so war. Oder hat sich das wirklich so verstärkt in den letzten Jahren? Dieses „Du musst alles mitmachen oder du bist raus!“ war doch schon immer sehr deutlich in den Sendungen vertreten…

  2. ich mag den text auch sehr gerne, kann man auch als gebürtige wessi gut nachvollziehen.
    was ich mir noch überlegt habe, ist, dass es vielleicht auch noch mal ein bisschen ein showbranchen-spezifisches phänomen ist.
    dieses geschwätz vonwegen „es ist eine riesige ehre/privileg/geschenk für mich für [name eines mehr oder weniger bekannten regisseurs]“ arbeiten „zu dürfen“, ich bin so schrecklich dankbar, dass [name einer beliebigen produktionsfirma] mir diese einmalige chance gegeben hat, blahblah-sodankbar-ich kleines dings – meine großartigen gönner – welche gnade – sodankbar – blahblah.
    so ergeben/unterwürfig habe ich noch nie irgendeinen arbeitnehmer über sein unternehmen in irgendeiner anderen branche reden hören.
    und an den meisten arbeitsplätzen sind die arbeitsbedingungen durchaus würdiger als ausgerechnet im showgeschäft bzw. konkret bei gntm.

  3. Was mir dieses Jahr in dem ganzen Casting-Wahn aufällt. Es geht fast nicht mehr um die Leistung, sondern um Publicity, meist negativ oder wenigstens mit Sex und wenig Kleidung. Da war doch am Ende von Bohlens Selbstdarstellungsshow der Gesang komplett egal. Es wurde nur noch über Drogen, Knast oder ähnliches berichtet. und die „Gesangstalente“ verschwinden (hoffentlich) nach ihrer ersten Super-Chartstürmer-Single in der Versenkung.
    (Schade finde ich aber wirklich, das Lena (Grand Prix) auf der selben Schiene vermarktet wird.)

  4. GNTM : In den Privatkanälen hat sich ja wirklich ein intelligenzförderndes Niveau breitgemacht. Früher war m.E. Selbstentfernung und Selbstverleugnung ein männlicher Klassiker, aber hier werden die weiblichen Hamsterräder auch immer stärker angeworfen und Leistungsorientierungen betont.

    Das immer leistungsförderndere sich selbst verstärkende System, was sich auch in oben beschriebenen Effekten äußert, kann auf diese Weise m.E. nicht mehr lange funktionieren und schafft eine größer werdende „kritische Masse“.

    http://www.welt.de/wirtschaft/article4846265/Wenn-Stress-am-Arbeitsplatz-zum-Killer-wird.html

    Hier fand ich ein paar ganz neue Gedankengänge und für mich eine Art „Neuland“.

    http://www.andrea-hoberg.de/pdf/Einige%20Gedanken%20zur%20Krise.pdf

    Da ein deutscher renommierter Seminaranbieter im Zusammenhang mit Konflikte und Empathie einen internationalen Bestruf hat, bin ich optimistisch, dass erweiterte Werte in die Arbeits- und Leistungskulturen Einzug halten.

    Noch nie habe ich die Vermittlung eher weiblich konnotierter Kompetenzen als so stark und optimistisch erlebt mit einem merkwürdigen Vollständigkeitserleben.

  5. die Unterdrückungsmethoden auf dem Arbeitssuchenden Markt sind noch viel härter als bei GNTM. Dort lernt man/frau schnell die Ellbogen zu benutzen und bei der Show mitzumachen wenn man/frau nicht bei der ARGE landen will.
    Bei GNTM verwundert es einen eigentlich, dass die Eltern dieser z.T. noch minderjährigen Mädchen es zulassen, dass ihr Töchter öffentlich gedemütigt und vorgeführt werden, mit dem Ziel aus ihen devote Marionetten zu machen?

Kommentare sind geschlossen.

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