Sex gleich Fastfood?

Wer von zunehmender Sexualisierung und Pornofizierung der Gesellschaft spricht, muss sich oft den Vorwurf gefallen lassen, prüde zu sein.

Die Niederländerin Myrthe Hilkens hat es trotzdem gemacht. In „McSex. Die Pornofizierung unserer Gesellschaft“, klagt sie den zunehmenden Sexismus in Werbung und Popkultur sowie seinen gesellschaftlichen Nachwirkungen an. Und dabei geht es der Autorin keineswegs um den moralischen Zeigefinger, sondern um einen genaueren und verantwortungsvolleren Blick hinter das Motto „Ich vögel also bin ich“, das heute zu einseitig zur Identifikationsfindung genutzt werde.

Aufgeschlossen aber nicht mit sperrangelweit geöffneten Türen nähert sich die Autorin ihrer These der pornofizierten Gesellschaft, zu der es schon im Vorwort der wunderbaren Mithu Sanyal heißt, Problem sei nicht, dass Sexualität gezeigt werde, sondern wie.

Selber als Musikjournalistin mit dem täglichen Gepimpe und Gehoe im HipHop-Videos konfrontiert, ist Myrthe Hilkens einerseits müde ob des Mangels an Kreativität und Erneuerungsdrang in der Populärkultur, andererseits attestiert sie Jugendlichen den immensen Druck, all dem entsprechen zu wollen. Die Jugendlichen nicht dumm zu halten, aber auch nicht mit einem – dem individuellen Entwicklungstempo unangemessenem – Angebot zu überfüttern, das ist Hilkens’ Ansatz.

Hilkens wechselt zwischen gesellschaftlicher Historie und ihrer eigenen Familiengeschichte, persönlichen Eindrücken und Anekdoten sowie jüngere Studien und Veröffentlichungen zum Thema. Dazwischen finden sich Gesprächsprotokolle oder Emails von überwiegend Jugendlichen, die ihre sexuellen oder pornographischen Erfahrungen schildern. Dadurch wirkt „McSex“ locker und umgänglich geschrieben, entbehrt aber nicht das theoretische Fundament, auf das emotional geführte Diskussionen nun mal besser aufbauen.

Angreifbar macht sich Hilkens trotzdem. Denn zum einen bewegt sich sich doch recht stark in dem ihr bekannten Umfeld der Musik- und Videoclipkultur und spannt den Bogen kaum über Jugendkulturphänomene wie Pornoflatrateparties oder den Internetpornokonsum hinaus. Zum anderen vermitteln vor allem die ausgewählten Emails und Berichte der Jugendlichen eine start auf Betroffenheit ausgelegte Auswahl – ein Versuch, auch mal einen Blick auf die andere Seite der Medaille zu werfen und positive Aussagen aufzugreifen, wäre wünschenswert gewesen. Immerhin widmet sich die Autorin in einem Kapitel auch den Möglichkeiten „guter“ Pornos, der PorYes-Bewegung und unterstreicht darin noch mal in Anliegen, keinesfalls die Spielverderberin sein zu wollen. Aber der Rest scheint einfach von dieser aufgestauten Wut der Autorin geprägt, die sich nun endlich mal all das von der Seele geschrieben hat, was sie seit Jahren ankotzt. Das muss kein Fehler sein, trübt aber bisweilen die klare Sicht.

Denn solange Hilkens es mit „McSex“ nicht darauf angelegt hat, ein Grundlagenwerk zum Thema „Pornofizierung und Gesellschaft“ zu schreiben, ist ihr Buch trotzdem eine Bereicherung. Und auch wenn man manche Ansichten oder Forderungen Hilkens’ anders sehen sehen kann, ist sie so gut wie nie besserwisserisch oder rechthaberisch, aber kämpferisch für ihre Sache eintretend. Und das steckt zweifellos an.

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11 Kommentare zu „Sex gleich Fastfood?

  1. ein buch zum thema mit einer entspannteren ansicht, das ich empfehlen kann ist Generation Porno. ich habs zwar erst knapp halb durch, muss es aber absolut für seine differenzierte herangehensweise loben, die beide seiten der aktuellen, oft sensationsgeil inszenierten debatte beleuchtet.

  2. @illith: ja, das Buch von Gernert ist gut?! Habe nur mal einen Ausschnitt gelesen und fand es ziemlich sensationsheischend – aber vielleicht lohnt es sich doch…

    @ Juki: Danke für den Tipp!!! Gucke ich auch gleich mal rein!

  3. Ein anderes Buch, mit eher wissenschaftlichem Hintergrund, ist ‚Porno im Web 2.0: Die Bedeutung sexualisierter Web-Inhalte in der Lebenswelt von Jugendlichen‘ von Petra Grimm u.A.
    Hab bisher leider keins von den dreien komplett gelesen aber sie liegen hier, meine Berufslektüre.

  4. @ Verena: Er ist halt Journalist… da denke ich, ist es auch ein bisschen seine Aufgabe für Aufmerksamkeit zu sorgen. Aber es sind ein paar sehr interessante Aspekte drin.

  5. Mal eine blöde Frage: Wenn in diesen Büchern und in der Sendung von Pornos gesprochen wird, dann nur von visuellen Pornos, oder? Also von Videos, Bildern etc.?

  6. @ Erna: Ja, mit Petra Grimm war ich vor einigen Wochen auf einer Tagung, wo sie die Ergebnisse der dazugehörigen Studie vorgestellt hat. Sehr gut und fundiert…

    @ steve, the pirate: Also in McSex geht es um die Pornofizierung allgemein. Also in Musikvideos, Werbung, im Nachtleben usw. – dass es für Jugendliche zum Status Quo gehört, einen auf pimp oder pornstar zu machen. Und klar, auch der „richtige“ visuelle Mainstream-Hardcore-Porno, der dann als unbedingtes Vorbild der eigenen Sexualität gelte, gehört dazu.

  7. Ich habe das Buch im holländischen Original gelesen, fand es sehr enttäuschend.
    Habe eigentlich aber auch nicht mehr erwartet, da sie ja Dauergast in Talkshows ist. ( Selbst im ZDF Nachtstudio war sie vor 2 Wochen )

    Wie Verena schon schrieb, ein Schwachpunkt liegt darin, daß sie Musikjournalistin ist, sich zu sehr auf die – zugegeben oft banal-primitive – Sexualisierung in Musikvideos konzentriert. Besonders im HipHop/Rap Bereich ist ja nun vieles sehr frauenverachtend, seltsamerweise haben diese „Künstler“ jede Menge weibliche Fans. Warum dies so ist, darüber liest man in ihrem Buch leider nichts.

    Ansonsten ist „McSex“ für mich Alice Schwarzer in bunter Verpackung, nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht ist Myrthe Hilkens aber auch zu jung, sie hat vermutlich viele der Ausläufer der liberalen Frauenbewegung nicht mehr erlebt, bzw. sich zu sehr mit Internetpornographie und Musikvideos befasst.

    Was sie dort in einem Kapitel einfordet, „andere Pornos“, die gibt es längst.
    ( Siehe Link )

    Es ist leider so, daß „Sex sells“, daß der weibliche Körper genutzt wird, um damit alles zu verkaufen, ob Grillanzünder oder Kühlschränke. Diese Kritik teile ich.

    Aber das einseitige Bild, daß sie von Pornographie und Jugendsexualität zeichnet, teile ich so nicht. Vielleicht hätte sie mal ein paar Jahre in D verbringen sollen, dann hätte sie gesehen, daß wir hier paradiesische Zustände hatten ( und vielleicht teilweise sogar noch haben, es ist immer eine Frage des Vergleichs ).

    Immerhin hab ich meine Jugend in den 90ern auch in Amsterdam erlebt, nicht einen Tag davon bereut.

    Andererseits hat sich vieles nicht zum Positiven gewandelt.
    Dies hat aber eher politisch-gesellschaftliche Ursachen ( Sozialabbau, Neoliberalismus, Mobbing, usw. ), auf die sie kaum eingeht.

  8. @verena:
    also sensationsheischend fand ichs eigentlich nicht so – zumindest, wenn ichs mit anderen vergleiche, die sich mit dem thema befasst haben.
    ein bisschen nervig fand ich diesen typischen journalistInnen-schreibstil (viele kurze einzelne hauptsätze^^), aber das geht schon klar.
    aber mir gefällt eben, dass der autor – soweit ich das bisher sehe – immer versucht, beide seiten bzw. extreme darzustellen. zb dieser eine arche-pfarrer, der den untergang unseres landes heraufbeschwört, weil man keine 12jährigen mädchen und jungen mehr allein in einem raum lassen kann, weil es dann sofort zur gangbang kommt, wie sie von bushidos songs gelernt haben auf der einen seite und auf der anderen sonen jugendhaus-leiter, der alles total locker sieht, weil er seinerzeit im falken-zeltlager als jungspund auch orgien gefeiert hat, ohne dass es ihm geschadet hätte.
    die grundhaltung des buches ist aber anti-hysterisch und das find ich ganz angenehm.

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