Sehen kann ich selber

Als ich vor einigen Tagen auf Spiegel Online einen Artikel über den neuen Spitzenkandidaten der SPD in Hessen gelesen habe, wurde ich doch etwas stutzig. Jochen Bölsche behauptete darin: „… nie zuvor ist ein bundesdeutscher Politiker wegen Namen und Aussehen derart mit Hohn, Hass und Häme überschüttet worden wie der neue Spitzenmann der SPD in Hessen.“ Ist das wirklich noch nie zuvor so passiert? Meinte hier der Autor mit Politiker nur männliche? Oder ist es ihm nicht aufgefallen, wie oft über Politikerinnen in der Presse diskutiert oder gelästert wird?

Quotenmann

(C) Eva Hillreiner, www.evahillreiner.de

Gut, die Sache mit dem Namen ist relativ neu. Aber auch da durfte schon Ypsilanti die Vorreiterin spielen. Was aber das Aussehen betrifft, war dies bei Frauen schon immer so. Und da geht es nun nicht nur um die großen Aufreger, wie Angela Merkels Frisur, Claudia Roths Kleidern oder Silvana Koch-Mehrins Figur – nein, es geht auch darum, dass bei vielen Artikeln über Politikerinnen nur zu gerne ein ihr Aussehen beschreibendes Adjektiv beigefügt wird.

Es ist schon komisch, dass Spiegel Online gerade dann, wenn über das Aussehen eines Mannes hergezogen wird, sich berufen fühlt, dies zu thematisieren. Waren sie sich zuvor doch nicht zu schade, beispielsweise Claudia Roth ein „eigentümliches Seehund-Klatschen“ zuzuschreiben. Prinzipiell fällt mir auch in privaten Diskussionen auf, dass das Aussehen von Politikern viel weniger thematisiert wird als das von Politikerinnen. Gut, da gab es die Debatte über die möglicherweise getönten Haare Gerhard Schröders – aber ehrlich gesagt, oft kam dies in meinen Diskussionen nicht vor. Von den vielen anderen hässlichen Politikern ist nichts zu lesen. Dazu kommt: Die Heftigkeit und Gemeinheit mit der über Frauen geschrieben wird, ist meist weit unter jedweder Gürtellinie. Ein gutes Beispiel sind die vielen Artikel über Doris Schröder-Köpf, die bei weitem verletzender waren als die über ihren Gatten.

Jetzt könnte ja angenommen werden, dass mit der Hetze auf Thorsten Schäfer-Gümbel endlich Gerechtigkeit einkehrt. Aber erstens ist das nicht der Fall und zweitens geht es in die falsche Richtung. Schäfer-Gümbel ist einer unter wenigen, dem das passiert ist. Sein Gegenkandidat Roland Koch ist auch nicht gerade die Schönheit in Person (aus meiner Sicht natürlich), aber keiner thematisiert es. Wenn Ursula von der Leyen sich die Haare schneiden lässt, erregt das hingegen mehr Aufsehen als ihre neue Gesetzesinitiative. Was absurd ist. Ich will nicht lesen, welche Haarfarbe Claudia Roth hat, das sehe ich selbst! Ich will auch nicht wissen, ob irgendein Autor Silvana Koch-Mehrin attraktiv findet, das bringt mir ja nichts! Ich möchte wissen, was sie politisch fordern, was sie verändern wollen und welche Auswirkungen das möglicherweise auf mein Leben hat.

Bei einer Politikerin sollte das Aussehen keine Rolle spielen –bei einem Politiker übrigens auch nicht. Artikel und Diskussionen darüber rauben mir nur meine Zeit – und das ist doof! Ich bin ein politischer Mensch und möchte über politische Dinge auch politische Diskurse führen. Und eine Haarfarbe ist definitiv nicht politisch.

11 Kommentare zu „Sehen kann ich selber

  1. Ein Beispiel, dass das auch gut illustriert: Bei Phoenix blieb ich mal bei der Übertragung eines Parteitages der „Linken“ hängen, wo gerade Katja Kipping zur Wahl stand. Ein paar ihrer Parteifreunde hielten kurze Reden, wieso man sie denn in den Vorstand wählen sollte. Ein älterer Herr am Saalmikro brachte eine „stichhaltige“ Begründung (sinngemäß): „Sie hat Erfahrung und sie sieht gut aus!“.
    Natürlich darf man nicht vergessen, dass Politiker heute um einiges mehr unter öffentlicher Beobachtung stehen und auch auf ihr Äußeres achten müssen – aber ich stimme dir vollkommen zu, dass hier bei Politikerinnen und Politikern immer noch mit zweierlei Maß gemessen wird.

  2. Ist sicher so. Aber deswegen sollte man nicht behaupten, daß Aussehen keine politische Einflußgröße ist. Das wird so lange so sein, so lange Aussehen für Menschen eine relevante Entscheidungsgrundlage ist. Ich empfehle z.B. das Buch „Der Abschied vom rationalen Wähler“ von Kepplinger/Maurer, die versucht haben, die Aussagen von Wählern hinsichtlich der wirklichen Einflußgrößen bei ihrer Entscheidung zu identifizieren. Die Aussage, daß „nur Sachthemen interessieren“ oder die „Positionen“ der Kandidaten die entscheidende Größe waren, scheinen im Regelfall nur einer sozialen Rationalisierung in Bezug auf die erwartete Antwort zu entspringen. Die wirklichen Entscheidungsgründe waren archaisch – Körpersprache und sonstige non-verbale Kommunikation, auch das Aussehen war relevant. Sachthemen spielen, in Abhängigkeit vom Auswahlmodus auch eine Rolle für die Wahl des Spitzenpersonals, aber letztlich eine sehr viel weniger relevante als man gewöhnlich annimmt. Der Konkurrenzkampf ist in der politischen Arena also – vermutlich mehr als in der Wirtschaft, wo Erfolg ja oft zumindest monetär meßbar ist – ein Spielfeld von Alphatierchen und folgt scheinbar ähnlichen Regeln wie das allgemeine Paarungsspiel, bei dem das Aussehen von weiblichen Alphatierchen für die männlichen Interessenten ja auch relevantER (Achtung: komparativ) zu sein scheint, als für weibliche.

    Will sagen, ich glaube diese Variable wird – so problematisch das für eine rationale und faire Entscheidungsfindung ist – immer eine Rolle spielen, und Frauen und Männer werden ihr vermutlich immer in unterschiedlicher Weise unterworfen sein. Da habe ich nicht so wirklich viel Hoffnung, daß sich das ändern könnte.

  3. Hätte Angela Merkel ungeschminkt und mit ihrer alten Frisur Kanzlerin werden können? Wohl kaum. Noch vor der Festlegung auf inhaltliche Punkte kam das Kanzlerkanditatinnen-„Makeover“. Natürlich sieht man gewisse Tendenzen auch bei Männern (man erinnere sich nur an das horrende Masken-Budget aus Sarkozys Wahlkampf), aber dennoch sind Politikerinnen viel größerer Kritik und oft auch Spott ausgesetzt, was Äusserlichkeiten anbelangt. Auch von Frauen.

  4. Neulich in der Sueddeutschen:

    „Geht denn das, dürfen denn Kinder vor Gericht gestellt werden, als seien sie Erwachsene? Rachida Dati, die attraktive französische Justizministerin in der Regierung von Nicolas Sarkozy, ist hochschwanger und wird im Januar niederkommen.“

    Da habe ich mich genau das auch gefragt: Was kümmert es mich, ob Gert Kröncke Rachida Dati attraktiv findet? Warum denkt der Mann, dass sich irgendjemand für seinen Frauengeschmack interessiert? Hat der Kerl noch einen Nebenjob bei Frankreich sucht das Topmodel, oder was bewegt ihn zu solchen Kommentaren?

    Falls es jemand nachlesen möchte:

    http://www.sueddeutsche.de/panorama/859/450580/text/

    …und weiter gehts mit:

    „Ob Rachida Dati im kommenden Frühjahr, dann als alleinerziehende Mutter, noch immer Justizministerin ist, darüber hat der Präsident zu befinden.“

    Wen interessiert es, ob die Dame dick, dünn, attraktiv, schwanger, hochschwanger, alleinerziehend, verheiratet oder sonstwas ist?

    Soll mit Bemerkungen in Bezug auf ihr fortgeschrittenes Stadium der Schwangerschaft darauf hingedeutet werden, dass Schwangerschaft Frauen das Urteilsvermögen raube und so zu derart provokanten Äußerungen führe, und dass Mutterschaft eine Frau für Tätigkeiten in der Ministerialbürokratie disqualifiziere? Was soll das hier? Sind für Äußerungen wie die von ihr gemachten doch eigentlich exklusiv die bösen, bösen Männer zuständig, während schwangere Frauen sich doch bitte lieber ihr Bäuchlein streicheln und ansonsten lieb lächeln sollen?

    Fragen über Fragen…

  5. genau das ist das problem des feminismus. der punkt wo er missverstanden wird, geht in folgende richtung:

    „frauen regen sich auf dass sie wegen ihrem aussehen beurteilt werden. ist es jetzt gerecht, wenn wir männer einfach auch danach beurteilen“…und anti-falten-creme für den mann auf den markt werfen etc.

    stattdessen geht es doch genau ums gegenteil: NIEMAND sollte aufgrund seines äußeren beurteilt werden.

    doch nun geraten auch männer in die schlammschlacht. das wird uns allen nen scheißdreck weiterhelfen, wenn wir den männern das überstülpen, wogegen frauen seit rund 100 jahren kämpfen.
    oberflächlich, lächerlich. oh konstruktive kritik, wo bist du???

  6. Im Großen und Ganzen Zustimmung zum Beitrag, das ist mir auch erst letztens bei einem Gespräch über Merkel aufgefallen – aber den Hinweis über das Seehundklatschen fand ich nicht an ihrem Geschlecht orientiert. Das war nur ein Versuch des Autors, seine Vertrautheit mit den Personen und der Partei darzustellen. Und wenn der erste MdB Iro trägt werden Haarfarben sicher sehr politisch ;-)

  7. Nur kurz drei Anmerkungen:
    – Das mit dem Seehundklatschen war nur ein Beispiel von vielen, wie gerade über Claudia Roth immer wieder geschrieben wird. Und das würde man so über einen Mann eher nicht lesen, zumindest nicht in einer solchen Boshaftigkeit – ich denk da nur mal an die taz-Ausgabe während des Afghanistan-Parteitags der Grünen.

    – Es gab schon eine MdB mit Iro, nämlich Angela Marquardt (1994 – 1997, damals für die PDS) – aber selbst dann ist dass noch keine wirkliche Aussage – es liegt eher auf das Hand, dass sie selbst sich als links sieht, aber was dass dann heißt ist ja auch noch nicht klar

    – Und natürlich spielt das Aussehen in Beurteilungen im eine Rolle – aus meiner Sicht ja leider, aber da kann selbst ich mich am Ende nicht dagegen wehren. Ich frage mich ja nur was das in „seriösen“ Berichterstattungen zu suchen hat.

  8. danke für den artikel. das ist ein sehr wichtiges thema und die durch das aussehen gefärbte wahrnehmung einer politikerin ist keinesfalls von der hand zu weisen. in den meisten portraits findet man beschreibungen zum aussehen einer frau, bei männern hingegen charakterstärken. ich vermute aber, viel davon ist nicht herabwürdigend oder sexistisch gemeint, sondern geschieht unbewusst. attraktiv wird für eine frau häufig als beschreibung verwandt, für männer auf der anderen seite so worte wie rigoros, führungsstark oder was auch immer. darauf muss man immer wieder aufmerksam machen.
    trotzdem bin ich nicht dafür, dass politkerinnen sich nichts aus ihrem aussehen machen. sie haben ein recht dazu, und gutes aussehen wird von frauen und männern gleichermaßen als legitime waffe eingesetzt. wer das allerdings als eine stärke vor ein bestimmtes können setzt, sollte nicht journalistisch schreiben.

    eine andere schöne sache, die ich glaube ich in einer diplomarbeit zu merkel gelesen habe: merkel war die erste politikerin bei der konsequent auf frau oder vorname verzichtet wurde, und das wort merkel genauso wie schröder oder westerwelle verwandt wurde. hier scheint die reduktion auf den nachnamen ein zeichen von macht. nun ja.

  9. Ein wichtiges Thema – ich ärgere mich jedesmal über mich selbst, wenn ich wieder über das Aussehen von Politikerinnen nachdenke und genau weiß, dass es nicht diese Rolle spielen würde, wäre es ein Mann. Aber zum Aussehen von Roland Koch und Thorsten Schäfer-Gümbel haben beide sich schon geäußert, ich glaube, im Hessischen Landtag am Tag seiner Auflösung. Schäfer-Gümbel sagte, es handele sich nicht um einen Wettstreit wie „Germany’s Next Topmodel“ und im übrigen würde er den wohl gewinnen. Da konnte Koch ihm nur Recht geben. Gesehen habe ich das vor zweieinhalb Wochen im Toll! von Frontal 21 – das ist jetzt natürlich leider nicht mehr online. Aber als Nachtrag zu dieser Debatte finde ich es wichtig, dass zumindest in diesem Fall die Politiker schon mal über ihr Aussehen debattiert haben.

Kommentare sind geschlossen.

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