Schönheit ist Hunger

Erschreckend viele Jugendliche sind mit ihrem Aussehen nicht zufrieden. Sind die Mager-Modells schuld, dass junge Frauen ihren Körper hassen?

(C) Frl. Zucker - fraeuleinzucker.blogspot.com/

Die Hälfte aller Mädchen ist mit ihrem Körper nicht zufrieden. Das ergab die sogenannte „Dr.-Sommer-Studie“, eine von BRAVO, Dr. Sommer und einem Meinungsforschungsinstitut durchgeführte Studie mit 1.228 befragten Teenagern. Das ist erschreckend. Hingegen sind immerhin zwei Drittel der Jungen zufrieden mit ihrem Äußeren. Nur zehn Prozent von ihnen haben schon einmal eine Diät gemacht. Von den Mädchen ein ganzes Drittel. Obwohl die große Mehrheit der Befragten normalgewichtig war.

Courtney E. Martin, Autorin im Blog Feministing.com, hat der anhaltenden Sehnsucht junger Mädchen nach einem schlanken, einem perfekten Körper, sowie den damit einhergehenden fatalen Folgen ein eigenes Buch gewidmet: In „Perfect Girls, Starving Daughters“ sammelt sie Indikatoren für ihre These, dass hungernde und sich übergebende Mädchen kein Einzelfall-Phänomen sind, sondern ein Ausdruck dafür, dass in Gesellschaft und (Medien-)Kultur etwas schief läuft. Getrieben durch persönliche Erfahrungen von Bulimie und Anorexie in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, befragte Martin Teenager in anonymisierten Gesprächen, die sie in Teilen in ihrem Buch wiedergibt, zu ihrer Geschichte. Nicht selten lernten die Mädchen bereits vom ersten weiblichen Vorbild, ihrer Mutter, dass eine Frau ihren Körper hasst.

Doch dass ein erschreckend großer Anteil junger Mädchen (jedes dritte) nicht normal isst, das wird weniger der Gesellschaft, den Müttern, dem Schönheitswahn, dem allgemeinen Frauen-Bild oder den sozialen Disparitäten angelastet (in niedrigeren sozialen Schichten ist die Zahl der Betroffenen fast doppelt so hoch, wie in den übrigen). Nein! Ganz nach dem Sündenbock-Prinzip werden immer wieder einzelne Schuldige herausgefischt, die als besondere Magersucht-Verantwortliche gelten: „Mager-Models“ bei den großen internationalen Fashion-Shows, die Designer, welche diese Hungerhaken aussuchten und „Du bist zu dick“-Kommentare in Deutschlands-Lieblings-Casting-Show, Germanys Next Topmodel. Karl Lagerfeld setzte sich dagegen heftig zur Wehr: „In Frankreich sind über 15 Prozent der Mädchen zwischen 15 und 25 zu dick. Anorexie beträgt nicht mal ein Prozent. Da müssen wir erst mal über die Dicken sprechen, damit die schlank werden.“

Courtney E. Martin betrachtet in ihrem Buch eine Welt, wie sie zwar vor allem aus Mode-Kreisen bekannt ist, aber letztendlich überall und immer auf junge Mädchen – und zunehmend auch Jungen – eindrischt. Es ist die „Du musst perfekt sein“-Welt. Die „Du kannst alles erreichen“-Welt. Denn der Grundsatz lautet stets und stetig: Du kannst alles erreichen, aber dafür musst du perfekt sein. Diese verlangte Perfektion ist ein Allround-Paket, das auch das Leibliche des Menschen nicht verschont.

Nicht nur, dass die Hälfte aller Mädchen sich zu dick findet, neun von zehn würden gerne etwas an ihrem Äußeren ändern und finden sich nicht schön genug. Nur die Hälfte der Jungen denkt so. „Schönheit ist Freiheit“ – und Glück, und Liebe … Mit solchen Slogans wirbt momentan Kosmetikhersteller Nivea für seine Produkte – ihre Hauptzielgruppe: Frauen. Und tatsächlich: Schöne Menschen haben es im Leben leichter. „Sie scheinen fast eine Art Heiligenschein zu tragen, der ihre negativen Eigenschaften überstrahlt,“ heißt es dazu auf Quarks & Co. Zum perfekt sein gehört also auch und für manche vor allem: Schönheit. Und Schönheit heißt: Schlankheit. Martin beschreibt in ihrem Buch, wie schon Mütter dieses Ideal an ihre Töchter weitergeben. Teilweise unbewusst gesendete Signale in frühester Kindheit geben ein gnadenloses Schönheitsideal an kleine Kinder weiter. Insbesondere an Mädchen. Ein besonders krasser Fall: Eine Mutter, die ihrer Tochter sagt, sie sei hässlich.

Freiheit, Glück, Liebe – und nicht zuletzt Geld und Macht – das sind die Verheißungen einer Gesellschaft, die sie über ihre Schönheitsideale vermitteln kann. Sie versucht bei den Menschen ein Mangelgefühl zu erzeugen, damit Produkte verkauft, Casting-Shows begierig geschaut und Schönheit als kulturelles Deutungsmuster weiterhin verkauft werden können. Die Folgen davon sind lauter junge, aber auch immer mehr ältere Menschen, die nur noch ihre Makel sehen – selbst wenn es völlig objektiv betrachtet keine gibt.

(Dieser Text erschien ursprünglich als Kolumne auf Freitag.de)

8 Kommentare zu „Schönheit ist Hunger

  1. Nivea-Spots sind sowieso der reinste Faschismus
    So heftige Slogans bringt sonst keine Firma, ausser Axe vielleicht.

  2. Wer auch immer daran schuld ist- immerhin gibt es da zahlreiche Verdächtige; die üblichen, sozusagen- mich beschäftigt in diesem Zusammenhang eine ganz andere Frage: Ich kenne keine einzige Frau, die mit ihrem Aussehen zufrieden wäre- keine einzige!! Auch Frauen, die dermassen schön sind, dass man im ersten Augenblick glaubt, sie kämen von einem anderen Stern! Das habe ich unlängst einmal in eine Frauenrunde geworfen- keine hätte mir wiedersprochen, ganz im Gegenteil!

    Woran liegt das bloss?

    Gut, nun kann man mir vorwerfen, das sei ja gerade die Fragestellung- aber reagieren wirklich alle Frauen gleich auf die medialen, gesellschaftlichen und rollenbedingten Einflüsse- nämlich mit Unzufriedenheit? Sind da alle Frauen rund um den Gobus homogen? Das wäre ja bemerkenswert!

    Wenn ich eine Frau wäre… ich hätte Freude an mir selbst: Rein ästhetisch betrachtet, haben wir es beim Körper einer Frau mit höchster Formvollendung zu tun- und ich beschäftige mich intensiv mit Design und Architektur! Bei einer Frau ist immer alles rund- aus jeder Perspektive, sogar wenn sie schwanger ist, tut das dem ästhetischen Gesamtbild keinen Abbruch, im Gegenteil: Nochmals rund- als ob die Schöpfer(innen)hand bei der Gestaltung des weiblichen Körpers sorgfältig darauf geachtete hätte, die Formengebung absolut konsequent und kompromisslos umzusetzen. Im Vergleich dagegen ist ja ein männlicher Körper- rein ästehtisch betrachtet, völlig inkonsequent- ich meine, nur schon dieses Gehänge da: Was soll das?

  3. @Marcel: Auch wenn’s schwärmerisch gemeint ist, mit Aussagen wie „ich beschäftige mich intensiv mit Design und Architektur“ schaffst du wiederum eine – vermeintlich objektive – Instanz, die beurteilt, was ästhetisch, schön, etc. ist und was nicht. Das böse Wort Schönheitsideal also.
    Mit Verlaub: Ich kenne Frauenkörper, die sind weit von „höchster Formvollendung“ entfernt (so leid es mir für die Besitzerinnen tut) und andersherum werden dir hier sicher einige widersprechen, wenn es um die Unvollkommenheit männlicher Körper geht.

  4. @haben fertig: „Ich kenne Frauenkörper, die sind weit von “höchster Formvollendung” entfernt (so leid es mir für die Besitzerinnen tut)“ Hm, also am ästhetischen Grundprinzip, wenn man mal so sagen darf, ändert das nichts (alles rund)- sagen wir es mal so: Ob der „Rot-Blaue“ von Rietveld, der Panton Chair oder ein gusseiserner Schinkel Stuhl als schön empfunden wird, hängt von der Epoche ab- der Epoche, in der er entworfen worden ist, und als auch der Epoche, in der man ihn kaufen kann. Die jeweilige Zeit entscheidet, was schön ist- und was nicht. Zu Rubens Zeiten wurde z. B. ein Frauentyp als schön empfunden, der heute, gelinde ausgedrückt, im allgemeinen als dick und potthässlich betrachtet wird. Beauty lies allways in the eyes of the beholder, heisst es doch so schön. Was ich damit sagen will: Schönheitsideale sind fliessend und eigentlich völlig unverbindlich- zu jeder Zeit.

    Und was den ästhetischen Bruch bei uns Männern anbelangt- natürlich kann gerade der als schön empfunden werden. Diesbezüglich bin ich etwas einseitig gepolt- was meine Sichtweise natürlich stark einschränkt.

  5. ich finde mich spitze. und ich kenne auch noch mehr, die dies tun.
    diese blöden pauschalisierungen wie von @malte gehen mir auf die nerven. als ob es irgendwas beweist, wenn du glaubst, ALLE frauen* in deinem GESAMTEN bekanntenkreis gefragt zu haben.

    dass (frauen*)körper immer und überall besprochen werden (dürfen), dass sie somit im allgemeinbesitz der öffentlichen meinung sind ist das fatale. da kommt eine nämlich nicht so leicht wieder raus.

    auf probleme mit dem eigenen aussehen mit „aber du bist doch gar nicht XYZ/aber du bist doch total XYZ“ antworten bringt keine weiter. vielleicht sich mehr mit solidarität und anerkennung unabhängig vom sozialen status einer person auseinandersetzen?
    probleme, die zu einem veränderten essverhalten führen, lassen sich nicht mit hochgezogener augenbraue und väterlichem tz-tz-tz lösen. die sitzen meistens tiefer und es dauert, um da ranzukommen und wer glaubt, ein spruch von der seite hilft weiter, maßt sich ganz schön was an.

    achja, @maedchenmannschaft, wenn ihr mal gute tipps für empowerment trainings für frauen*, die auf körper-probleme abzielen habt, immer her damit!

  6. @Marcel Versuch bitte, dich etwas kürzer zu fassen. Und google vielleicht mal „Mansplaining“, das deckst du nämlich ganz gut ab. Deine Heterofantasien von den schönen Frauen* und den hässlichen Männern* zum Beispiel sind hier völlig irrelevant, und wir mussten sie uns schon x-mal anhören.

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