Schön Blöd

Dieser Text ist Teil 55 von 140 der Serie Die Feministische Bibliothek

Als Natasha Walter Ende der 90er ihr Buch „The New Feminism“ veröffentlichte, war sie optimistisch, dass die sexistischen Kämpfe der Frauenbewegung gewonnen seien und sich nun auf die politische und soziale Gleichstellung konzentriert werden könne. Ein Irrtum, wie die Britin einräumt: „Living Dolls“ beschreibt eine Generation von Frauen, die von Kindesbeinen an in eine rosa Puppenwelt gedrängt werden, die sie auch als Erwachsene nicht loslässt. Walter nennt es die „steckengebliebene Revolution“ und zeigt anhand zahlloser Beispiele auf, wie erstrebenswert es für junge Frauen heute offenbar ist, ein Leben als Puppe zu führen oder auf die erotische Ausstrahlung reduziert zu werden.

Noch folgenreicher ist jedoch, dass das Idealbild weiblicher Schönheit, dem Frauen nacheifern sollen, in einem Großteil unserer Gesellschaft in immer höherem Maße durch Sexualität und erotische Ausstrahlung definiert wird

Als „Living Dolls“ im vergangenen Jahr in England erschien, erzeugten Walters Thesen auch hierzulande ein Echo. Dass nun mit der deutschen Übersetzung eher wenig in den Medien passiert verwundert. Denn auch wenn Walter mit Glamour Modeling für Billo-Zeitschriften wie Nuts oder die aus dem Boden schießenden Table Dance Bars  auf britische Verhältnisse konzentriert, ihrer Beobachtungen gelten auch für uns. Und Walter wühlt ordentlich mit dem Zeigefinger in der sexuellen Pseudo-Befreiung unserer Zeit:

Meines Erachtens ist es an der Zeit, die übertriebene Weiblichkeit, die den Frauen dieser Generation als Ideal vermittelt wird, in Frage zu stellen. Das muss einerseits durch eine Kritik am Wiederaufleben des biologischen Determinismus geschehen, der uns einredet, Gene und Hormone legten und unausweichlich auf die traditionellen Geschlechterrollen fest. Zum anderen müssen wir die klaustrophobische Kultur, die vielen jungen Frauen weismacht, sie könnten nur durch Ausnutzen ihres Sex-Appeals Macht erlangen, auf den Prüfstand stellen.

Walter unterteilt ihr Buch in zwei Themenblöcke: „Der neue Sexismus“ und „Der neue Determinismus“. Im ersten Teil taucht sie ein in die Szene von Stripparties im herkömmlichen Clubbetrieb, Glamour Modeling und Lapdance-Bars; lässt junge Mädchen zu Wort kommen genauso wie ChefredakteurInnen, HerausgeberInnen und PR-ExpertInnen. Dabei sind es vor allem die zum Teil selbstentlarvenden Sätze der MedienmacherInnen als auch die resignierenden Erkenntnisse junger Mädchen, die mehr sagen als Walter es mit einer Analyse der Gegebenheiten tun könnte. So erklärt eine junge Frau:

Man braucht sich nur die Lapdance-Clubs anzuschauen, das sagt so viel über unsere Kultur aus. Die Männer darin sind ‚seriös’, sie tragen einen Anzug und haben ein Bankkonto, die Frauen sind ‚unseriös’, sie sind nackt und haben Schulden.

Ganz oben auf der Liste der abwehrenden Argumente ist die Phrase, die Frauen täten das doch freiwillig, es sei ein Akt sexueller Befreiung. Nicht nur erklärt Walter, dass es faszinierend sei, das gerade Männer, die in ihren Machtpositionen entscheidenden Anteil an dieser Kultur haben, so tun, als handelten sie nach den Entscheidungen anderer. An die These der sexuellen Befreiung glaubt Walter jedenfalls nicht.

Es sind immer noch zum größten Teil Frauen, die sich Diäten oder Schönheitsoperationen unterziehen; immer noch strippen Frauen in Nachtclubs, während die Männer johlen und grölen; immer noch glauben die Frauen, nicht die Männer, dass ihre Aussichten auf Ruhm und Erfolg davon abhängen, wie exakt sie einer einzigen, eng definierten Vorstellung von Sexualität entsprechen. Wenn das die neue sexuelle Befreiung ist, dann ähnelt sie zu sehr dem alten Sexismus, als dass sie die Mehrheit von uns überzeugen könnte, dass dies die Freiheit ist, die wir meinen.

Und wenn es die Frauen nicht freiwillig machen, gibt es ja immer noch die Biologie, die Vorstellungen zu belegen. Im zweiten Teil ihres Buches untersucht Walter die in den vergangenen Jahres aus den Boden schießenden Artikel und Bücher, die belegen wollen, warum Männer so und Frauen anders ticken. Von so abgefahrenen Vorstellungen wie Frauen mögen Rosa, weil sie in der Steinzeit Beeren in dieser Farbe gesammelt hätten bis hin zu allgemein nicht hinterfragten Studien anerkannter Wissenschaftlicher, die Hormone, Gene und Gehirn auseinandernehmen. Walter entkräftet Argumente mit Gegenbeispielen, zitiert andere Studien und Statistiken und weist darauf hin, wie sehr sich die Medien auf Untersuchungen stürzen, die die Differenz der Geschlechter belegen, aber wie wenig Beachtung dagegen Studien finden, die genau das nicht bestätigen.

Jede Facette der heute festzustellenden Benachteiligung lässt sich mit der unterschiedlichen genetischen und hormonellen Ausstattung von Männern und Frauen erklären; wenn Frauen weniger verdienen, wenn Männer mehr Macht besitzen, wenn Frauen mehr Hausarbeit verrichten, wenn Männer einen höheren Status genießen, dann soll das eben einfach so sein. Insofern fährt der biologische Determinismus des 21. Jahrhunderts diesselbe Schiene wie der des 19., der wissbegierigen und ehrgeizigen Frauen entgegenhielt, sie seien völlig ungeeignet für höhere Bildung oder körperliche Anstrengung.

Walters Querverweise und Statistiken ermüden auf Dauer, aber was bleibt ihr anderes übrig, als den beliebten Argumenten, dass sei doch alles gar nicht so schlimm, mit knallharten Zahlen zu begegnen? Für LeserInnen sind sie ideal, um bei der nächsten Diskussion a la „Das ist die Natur“ entsprechend gegen zu argumentieren. In besonders hartnäckigen Fällen wirft man das Buch dem Gegenüber am besten an den Kopf.

Kritisch sehe ich allerdings Walters Ausführungen zur Pornografie, die sie neben der gesellschaftlichen Pornofizierung als Hauptübel für die Entwicklung sieht. Dass es aber auch und vor allem ein gesellschaftliches Problem ist, dass Frauen mehr Geld mit ihren Brüsten als mit ihren Händen verdienen, lässt sie weitgehend außen vor. Ähnliches gilt für Sex-Arbeiterinnen. Zu oft argumentiert sie unterschwellig, es handele sich zwar um Einzelfälle, aber ihre gesellschaftliche Wirkung sei unbestreitbar. Das ist mir etwas zu viel Moralapostelin. Auch ihre Ansichten über die sexuelle Aktivität junger Frauen, und dass Sex nur noch ohne emotionale Bindung verhandelt würde, sind abwegig. Die Welt ist doch voll davon: Große Liebe, Händchenhalten, für immer und ewig everywhere. Hollywood lässt grüßen. Nicht, dass Walter ihre Argumente nicht gut recherchiert hätte. Wer bei Myrthe Hilkens’ McSex den fundierten Rundumschlag vermisst, der findet ihn bei Walter, die eben nicht erst seit gestern Feministin ist. Man muss halt nur nicht alle ihrer feministischen Sichtweisen teilen.

Tatsächlich ist „Living Dolls“ eine kleine Bibel für den aktuellen Geschlechterkampf, voller Argumente, die helfen können, dass Frauen schleunigst Abstand davon nehmen, ihre erotische Ausstrahlung als einzigen Garant für Erfolg im Leben zu sehen. Absolut lesenswert!

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9 Kommentare zu „Schön Blöd

  1. @ Lucia, freut mich, wenn dir der Artikel Lust aufs Buch gemacht hat!
    Und ja, das Buch kann natürlich auch bei amazon bestellt werden, mit einem Klick auf den Libri-Link (der jetzt auch zur deutschen Version des Buchs führt…) und der entsprechenden Bestellung dort unterstützt ihr aber die Mädchenmannschaft, was uns natürlich freuen würde ;)

  2. @Verena

    und der entsprechenden Bestellung dort unterstützt ihr aber die Mädchenmannschaft, was uns natürlich freuen würde ;)

    Ah okay, dann lösch doch meinen Link wieder.

    LG,
    Lucia

  3. „In besonders hartnäckigen Fällen wirft man das Buch dem Gegenüber am besten an den Kopf.“ ROFL

    Ich bestells mir auf jeden Fall – aber doch zum lesen. ;-)

  4. Jemandem Bücher an den Kopf werfen? Ts! ;)

    Schöne Rezension. Ist ungefähr auch meine Meinung. Alles in allem empfehle ich das Buch, vor allem wegen der vielen Aussagen betroffener & betreffender Menschen.

Kommentare sind geschlossen.

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