Schmonzettensex

So wie Zigaretten und HipHop-CDs mit Warnhinweisen versehen werden, sollten auch gewisse erotische Bücher Sticker tragen: Achtung, Lektüre gefährdet die Libido!

(C) Eva Hillreiner, www.evahillreiner.de

Zum Beispiel Tanja Steinlechners Debüt „Wahrheit oder Lüge“, erschienen im ANAIS Verlag, der in begleitender Pressemitteilung schwärmt:

Virtuos spielt die Autorin Tanja Steinlechner mit der Ungewissheit und den Rätseln, die die Freundinnen einander aufgeben. Die zehn betörenden Geschichten, die sie erzählen, sind mal zart und romantisch, mal wild und atemberaubend … »Wahrheit oder Lüge« ist ein Roman, der neugierig macht. Tanja Steinlechner überrascht mit zahlreichen unkonventionellen Wendungen, einem lockeren Erzählton und viel Sinnlichkeit.

Mich überraschte vor allem immer wieder ein herzhaftes Gähnen. Nein halt, wirklich überrascht hat es mich nicht. Erotik, deren Einband eine Blumenwiese voll gelbem Löwenzahn ziert, findet ihren Höhepunkt wohl kaum über die Missionarsstellung hinaus. Auch schön, die blonde junge Frau auf dem Cover, die mit geschlossenen Augen vor sich hin träumt. Vermutlich denkt sie so wie eine der Protagonistinnen:

Hier bin ich keine Studentin, die den Tag in stickigen Bibliotheken und langatmigen Seminaren verbringt. Auch nicht das unkomplizierte Mädchen mit dem dunkelblonden Pferdeschwanz, den Polohemden und den Sneakern. Hier bin ich ganz Frau.

Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn es Frauen gibt, die solche Bücher mögen und erotisch ansprechend finden. Mich stört nur wieder mal die „Wir wissen was Frauen wollen“-Attitüde, mit der weibliche Erotik als wild und zügellos dargestellt wird, über Schmonzettensex mit Vorortcharme aber nicht hinaus geht. Ich stehe aber auch nicht auf diese Dildos mit Delfingesicht – wer will schon eine lieb blickende Eichel im Bett …

Und auch wenn die Autorin sich um so abwechslungsreiche Szenarien wie den Besuch im Swingerclub, Voyeurismus, lesbischen Sex und SM-Spiele bemüht, ihrem „atemberaubenden“ Gesamtkonzept mangelt es an Potenz. Den ersten Blow-Job gibt es auch erst auf Seite 59. Stattdessen wird bevorzugt missoniert gevögelt, jedes Mal an den Nippeln gesaugt, ein Stöhnen unterdrückt, ein paar Stöße unternommen und immer (!) gemeinsam (!) der Höhepunkt erreicht – Na herzlichen Glückwunsch, selbst auf Youporn lassen sich die Akteure mehr Zeit. Oder irre ich mich und erotische Frauenliteratur dient gar nicht als Masturbationsvorlage?

Was mich an dem Buch aber wirklich ärgert, sind die klassischen Rollenklischees. Keine der Protagonistinnen ergreift die Initiative. Da können sie sich zuhause bereits in sündiger Vorahnung den String übergezogen haben und die sanfte Berührung des Liebhabers – hüstel – herbeisehnen, sich einfach zu nehmen, was sie wollen, das tun sie nicht. Stattdessen spielen sie angenehm überrascht, wenn ihnen ins Höschen gegriffen wird. Dazu die traditionelle Rollenverteilung im Alltag: Männer haben einen guten Job, verdienen nicht schlecht, bestellen im Restaurant den Wein und sind beim Sex fordernd und furchtlos. Überhaupt, das körperliche Verlangen gilt vor allem denjenigen, zu denen die Frauen aufschauen können: der Nachhilfelehrer, der intelligente Komilitone oder direkt der Professor.

Dabei legt ANAIS mit seinem Verlagsprogramm Wert auf Authentizität. In den Tipps für Autorinnen heißt es:

Wir suchen realistische Geschichten aus der Gegenwart mit Identifikationspotential, zum Beispiel aus dem Club hier um die Ecke, wo das wahre Leben spielt. {…} Die Themen, die wir suchen, dürfen gern sehr explizit sein, kein verschämtes Wischiwaschi. {…} Auch S/M ist kein Problem, sofern es sich nicht um angelesenes Wissen handelt, sondern um ureigenste Kenntnisse – sonst wird es unglaubwürdig. Das ist überhaupt das wichtigste – diese Authentizität, ganz egal in welcher Spielart.

Aber wenn wir mit diesen Geschichten unsere Phantasie anregen wollen und über das, was wir tagtäglich und nachtnächtlich haben können, hinaus wachsen wollen, sollte dann nicht ein bisschen mehr drin sein, als die Nippellutschnummer und ein bisschen Dildosex, dem natürlich tiefes Vertrauen in den Partner/ die Partnerin vorrausgeht? Ok, es muss nicht direkt de Sade sein, aber auch in explitzit an Frauen gerichteter Erotikliteratur sollten die Abgründe keine Tagesreise entfernt sein.

Liebes ANAIS-Team, orientiert euch doch mal ein bisschen an Eurer Namenspatin Anaïs Nin und deren Lebensgefährten, einem gewissen Henry Miller… denn dort ist der geschriebene Sex dreckig und grob und trotzdem poetisch – ganz ohne Blümchenwiese.

26 Kommentare zu „Schmonzettensex

  1. Ich habe gerade für das BLANK-Magazin von Sophie Andresky „Vögelfrei“ rezensiert. Porno für Frauen, so to say, ohne Rollenklischees. Ich fand es dann irgendwann nicht mehr so spannend, weil es nur aus Frauenperspektive ist und ihre Gespielinnen und Gespielen nur benutzt werden. Aus meiner Sicht. Zusätzlich habe ich dann noch von Jan Off „Unzucht“ gelesen, den ich viel besser fand, obgleich ich gehofft hatte, in diesem direkten Vergleich gewinnt die Frau. Jan Off schafft es aber aus drei Perspektiven zu erzählen: Die des Mannes, die der Frau, und einer Metaebene die die gesellschaftliche Sicht auf zügellosen Sex noch miteinbringt. Vergliechen mit dem oben genannten scheinen sich aber beide Bücher zu lohnen.
    Cheers, Tessa

  2. Sophie Andresky fand ich eigentlich auch immer sehr anregend und als nette Masturbationsvorlage geeignet.

  3. ich find das jetzt ja schon ein bißchen fies, die anais-reihe komplett so krass zu kritisieren.
    zugegeben, das von dir beschriebene buch klingt überaus affig und hätt ichs gelesen – ich nehme mal an, mir hätts genauso wenig gefallen.
    aber ich hab ein anderes buch von anais gelsen, das heißt „frühling und so“ – und da sieht das ganze schonmal komplett anders aus!

  4. (falls das jetzt mißverständlich sein sollte – will sagen, „frühling und so“ istn tolles buch ;-)

  5. @ kousheru: Also ich hatte nicht den Eindruck, dass Verena die ganze Anais-Reihe kritisiert hat, sondern eben jenes oben beschriebene Buch und dann hat sie sich gefragt, wie es in die Reihe passen kann…

  6. „Hier bin ich keine Studentin, die den Tag in stickigen Bibliotheken und langatmigen Seminaren verbringt. Auch nicht das unkomplizierte Mädchen mit dem dunkelblonden Pferdeschwanz, den Polohemden und den Sneakern. Hier bin ich ganz Frau.“

    Hahaha. Studium und Sneakers schwer vereinbar mit dem „ganze“ Frau sein.
    Das ist ja mal ein irre erotischer Gedankengang.

  7. „Hier bin ich keine Studentin, die den Tag in stickigen Bibliotheken und langatmigen Seminaren verbringt. Auch nicht das unkomplizierte Mädchen mit dem dunkelblonden Pferdeschwanz, den Polohemden und den Sneakern. Hier bin ich ganz Frau.“

    Entschuldigt mir den Ausdruck, aber ist eine Frau die so etwas schreibt, nicht durchgeknallt? So als wären Studentinnen, die lobenswerterweise den Tag in Bibliotheken und Seminaren verbringen, asexuelle Wesen, die daraus raus müssen? Mal ganz abgesehen vom Bibliotheks-Flirtfaktor, geht das eine nicht ohne das andere? Ich habe sehr viel Zeit in Bibliotheken vebracht und ich fühlte mich in der Bibliothek sicher nicht weniger als Frau als in solchen geschilderten Situationen. Das klingt ja so, als hätten Studentinnen, die den Stoff wirklich ernst nehmen, kein befriedigendes Sexualleben und können, erst wenn sie raus sind sich als Frau fühlen. Geht ja schon in Richtung multiple Persönlichkeit, was da unterstellt wird.

  8. Könnte mir mal jemand- am liebsten eine Frau- Tips für erotische Literatur geben, die Frauen auch wirklich gefällt (womöglich von Frauen geschrieben)? Einfach Literatur, die formal und inhaltlich, nun, wie soll ich sagen?- einfach stilvoll ist- oder ganz gezielt vulgär (als Stilelement wohlgemerkt, an niveaulosem Geschreibsel von Männern herrscht ja nun wirklich kein Mangel)- oder wie auch immer: Einfach Gehalt- und anspruchsvolle, erotische Literatur?

    Vielen Dank!

  9. @Marcel: Mir hat „Zuckermond“ recht gut gefallen. ist leider zum Teil durchaus ein wenig klischeehaft, aber an sich fand ich es ein schön anregendes Buch.

  10. @Marcel
    ich glaube es ist allerdings auch ein klischee, dass frauen „niveauloses geschreibsel“ im gegensatz zu männern notwendigerweise weniger erregend finden als „stilvolle“ erotik.
    da tickt wahrscheinlich einfach jeder und jede ein kleines bisschen anders.

    unabhängig davon kann ich natürlich dein anliegen verstehen, dass du lieber literatur als „geschreibsel“ an frauen verschenkst oder empfiehlst. ;-)

  11. Darf ich eine Frage stellen, da ich mir nicht im Klaren bin, ob ich ein Sonderfall bin?
    Es wird ja viel über erotische Literatur diskutiert, ich habe, um wenigstens mitreden zu können, auch mal einen Blick in das eine oder andere Buch reingeworfen. Aber für mich sind alle diese Bücher etwa so prickeln wie das Lesen der Bedienungsanleitung für meine Waschmaschine, wobei diese wenigstens einen praktischen Nutzen hat. Seit meiner Pubertät habe ich Sex immer als etwas praktsiches Erfahren, es ergibt sich erst situationsbedingt. Es hat mich nie, aber wirklich nie, interessiert, was Frau 1 und Mann 2 eigentlich gerne macht, weil es mir so etwas von Schnuppe ist. Keine Ahnung, woran das liegt, aber mich erregt solche Literatur überhaupt nicht, ich find sie immer irgendwas zwischen langweilig und eklig.

  12. @ Judith: „unabhängig davon kann ich natürlich dein anliegen verstehen, dass du lieber literatur als “geschreibsel” an frauen verschenkst oder empfiehlst. ;-)“

    *Räusper* Diese Bücher möchte ich als Mann lesen- als schon fast suchtartig Lesender. Ob ich sie dann weiterempfehlen will- hm, daran habe ich noch gar nicht gedacht, ehrlich!

    ..Und wenn ich etwas einer Frau schenken würde- dann wäre das natürlich schon Tschingis Aitmatow’s „Dshamilja“… Kennst Du diesen Roman?

    Sehr empfehlenswert… ;-)

  13. @ Miriam: Gut, danke- also Sophie Andresky. Wie sind die Stories aus „Saftig“? Der Titel ist schon sehr, also, der ist sogar ausgesprochen vielvesprechend! Ob sich Sex gut in Worte fassen lässt? Ein nicht ganz unwichtiges Thema in der Literatur. Nur schon das wäre einen eigenen Thread wert- in einem Literatur-Blog beispielsweise (oder hier?).

    @ Steve the pirate: Betrachtet man die Ratings auf amazon, dann ist das ja ein absoluter Bestseller.

    Saftig und Zuckermond also, danke!

  14. @ariane: lies doch das delta der venus von anais nin. ich kann mir keine erotische literatur vorstellen, die weiter weg ist von „bedienungsanleitungen“.
    außerdem sollte jeder mal anais nin gelesen haben. so.
    ;-)

  15. Marcel: Casanova’s Memoiren sollen auf manche Frauen recht anregend wirken, habe ich gehört.

    Allerdings nimmt das ab, wenn mit dem Alter die sexuelle Aktivität des Autors abnimmt.

  16. @ Matze: Stimmt, das mit dem Casanova habe ich auch schon gehört. Etwas abschreckend dürfte allerdings das Sprachbild aus dieser Zeit sein. Wobei (anderes Genre): Cechov ist bis heute sogar sprachlich noch aktuell: Ich liebe ihn!

  17. Also ich finde das neue von Sophie Andresky echt geil. Anfangs hab ich meiner Freundin manchmal was vorgelesen, aber jetzt hat sie sich das Buch unter den Nagel gerissen und liest es lieber selbst. Die Sexszenen sind SEHR hot. Gut gefallen hat mir auch, dass es witzig ist, also nicht verkitscht oder so duselig.

  18. @Marcel Anne Rice hat ein paar sehr gute erotische Bücher geschrieben, teilweise unter Pseudonymen (Anne Rampling, A.N. Roquelaure)
    Vorwarnung: Die Geschichten sind im BDSM-Bereich angesiedelt.

    Ansonsten würde ich noch Fanny Hill von John Cleland empfehlen. 300 Jahre alt und immer noch sehr gut zu lesen.

  19. So, jetzt begebe ich mich einmal auf gefährliches Terrain. Ich bin nämlich auch eine Anais-Autorin. Wie der Netzzufall es so wollte, bin ich auf diese Seite gestoßen, die mir sehr gut gefällt und nun würde ich gern wissen, was eine ganze Mädchenmannschaft mit großene Ansprüchen von meinem Buch hält (nachdem auch zwei ziemlich „einseitige“ Kritiken von Männern im www herumschwirren).

  20. Neeva: „Fanny Hill“ ?^5
    Okay, wenn man nicht einschlafen kann, kann das Buch ganz hilfreich sein, aber sonst …

  21. @Neeva: Vielen Dank- erst jetzt bemerkt!

    Ausrichtung Ersterer gefällt mir sehr gut…

    Fanny Hill ist mir bis jetzt interessanterweise nicht geläufig (und wenn, dann nur schlüpfrig).

Kommentare sind geschlossen.

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