Respekt und Masturbation

In Spanien soll Sexualaufklärung dem Machismo den Kampf ansagen, berichtete vor kurzem faz.net.

Nach neuesten Zahlen der Regierung in Madrid sind bei mehr als vierzig Prozent der Fälle von häuslicher Gewalt, bei denen das Opfer Polizeischutz benötigt, die Täter unter dreißig Jahre alt. Eine Kombination aus Gefühls- und Sexualerziehung, die zur Achtung des Gegenüber ermuntert, vielleicht sogar Hemmungen und Verklemmungen löst, wäre beim spanischen Mann also durchaus angezeigt. Jedes Jahr sterben in Spanien etwa siebzig Frauen durch die Hand ihrer Ehemänner, Partner oder Expartner. Trotz der Einrichtung von Hotlines und umfangreicher Aufklärungskampagnen ist es noch nicht gelungen, die Zahl der Morde signifikant zu verringern.

Doch die neue Kampagne hat bereits viele Feinde, denn eines der Theman ist Masturbation.

„Die Jugendlichen der Extremadura haben zwar die meisten Arbeitslosen, aber dafür liegen sie bei der Masturbation ganz vorn“, spottete die rechte Publizistin Pilar Rahola in der katalanischen Zeitung „La Vanguardia“. Auch Eltern- und Kirchenverbände kritisierten die Kampagne. Ein Vertreter der oppositionellen Volkspartei (PP) nannte die Aktion der Regionalregierung „Verschwendung“. Die öffentlich finanzierten „Masturbationsworkshops“ seien „ein Attentat auf die Intelligenz der Jugendlichen“. Der intime Umgang mit sich selbst gehöre hinter die eigenen vier Wände.

Erstaunlicherweise scheinen sich selbst die Kirchenvertreter nicht über die weiteren Punkte (Verhütung, Schutz vor Krankheiten) aufzuregen. Noch schlimmer als Promiskuität, sonst gerne als Teufel an die Wand gemalt, scheint die Verschwendung kostbarer Spermien zu sein. Vielleicht bezieht sich Verschwendung auch auf die Annahme, wie Masturbation ginge, wisse eh jedes Kind. Das allerdings wäre eine sehr Jungen-zentrierte Annahme, befriedigen sich Mädchen doch später und seltener.

Nachdenklich stimmt auch der letzte Satz, der intime Umgang mit sich selbst gehöre in die eigene Wohnung. Eigentlich gehört, die Bezeichnung „intim“ deutet es an, nicht nur der Umgang mit sich sich selbst in die Intimsphäre. Soweit die Theorie, leider sieht man in der Praxis, dass so auch viele Probleme in den eigenen vier Wänden bleiben. Um weder Opfer noch Täter zu werden, ist es notwendig, Respekt zu entwickeln. Vor anderen, aber vor allem für sich selbst. Für einen (selbst-)bewußten Umgang aller Jugendlichen mit Sexualität, bzw. ihren Sexualpartnern, darf auch Masturbation nicht länger ein Tabuthema sein.

9 Kommentare zu „Respekt und Masturbation

  1. Ich will’s mal so sagen, wie so ziemlich alles im Bereich Sexualerziehung ist das ein schmaler Grat auf dem solche Dinge laufen. Klar gibt es Defizite bei allen, auch den meisten Erwachsenen, und sicher wäre es toll, ein besseres gesellschaftliches Klima für die Diskussion über Sex zu haben. Aber gut gemeint und gut gemacht sind hier nicht selten zwei völlig verschiedene Dinge. Aber wie das gehen soll, wenn selbst eine solche Initiative gleich wieder in den Zusammenhang mit Gewalt (von Männern) gestellt wird, kapiere ich nicht. Im Übrigen sind Auseinandersetzungen über Aufklärungsmaterialien auch in Deutschland durchaus nicht ungewöhnlich. Ich würde sogar vermuten, häufiger als noch in den 70ern und 80ern.

  2. Ich denke, die Kampagne ist gut und richtig. Augenhöhe im häuslichen Bereich ist wohl DIE Voraussetzung für eine Minderung der häuslichen Gewalt. Da darf es keine Tabuthemen sexueller Art geben, es ist also gut, auch auf Masturbation als ein Thema unter vielen ebenso zu behandeln. Sofern die Inhalte gut präsentiert werden, kann man hier die Chance nutzen, sowohl sexuelle als auch soziale Gleichberechtigung zu fördern, das hat erstmal nichts mit intim oder nicht intim zu tun. War klar, dass die Kirche das anders sieht.

  3. Mein Sperma gehört mir ;-)

    Aber mal ernsthaft, ich glaube kaum das die TäterInnen sich von diesen Kursen in ihrem Verhalten ändern lassen, diejenigen welche aktiv Gewalt anwenden lassen sich ja selbst durch intensive „Einzelbehandlungen“ schon kaum von ihrem Tun abbringen, leider.

  4. mein lieblingsthema!
    sexualerziehung behandelt heute nicht mehr nur sexualität sondern eben auch beziehungsformung und umgang mit partnern. Masturbation hat also nicht direkt etwas mit häuslicher Gewalt zu tun, sondern beides (also Masturbation und Präventionsversuche von häuslicher Gewalt -> Respekt vor dem Partner/Respekt vor Grenzen des Partners und den eigenen) sind Themen eines Programms zur „Sexualerziehung“.
    Und es geht auch nicht unbedingt darum TäterInnen von ihrem Verhalten abzubringen sondern den Kindern/Jugendlichen von vorneherein Respekt vor dem Partner beizubringen. Stichwort Prävention von häuslicher Gewalt.
    Ist im übrigen bei uns und z.B. in den Niederlanden auch fester Bestandtteil von professioneller Sexualerziehung.
    Das sich Kritiker in erster Linie auf das Stichwort Masturbation stürzen war klar…
    Die Herausstellung von häuslicher Gewalt in diesem Zusammenhang ist in meinen Augen populistischer Blödsinn. Wenn ich mit Jugendlichen über Grenzen und Respekt in Partnerschaften spreche, habe ich nun wirklich keine Szenarien von häuslicher Gewalt im Kopf… sondern eher die oft fehlenden Vorbilder und fehlende Erfahrungen mit den eigenen Wünschen bzw der Formulierung dieser.

  5. Möglicherweise stellen die konservativen Kritiker die Masturbation auch deswegen in den Mittelpunkt ihrer Medienkampagne, weil man damit die ganze Aktion am einfachsten als lächerlich und als Geldverschwendung denunzieren kann. Sich öffentlich gegen die Verringerung von häuslicher und sexueller Gewalt auszusprechen sieht einfach nicht gut aus – deswegen setzt man vielleicht lieber auf die Masturbation als Aufreger, zumal für viele Eltern die Idee des sexuell aktiven eigenen Kindes etwas beängstigendes zuhaben scheint (sagt zumindest meine Erfahrung).

  6. @Frau Doktor: Ja und ja.

    @Erna: Wer ist denn mit professioneller Sexualerziehung gemeint? Was wir in der Schule gelernt haben war doch eher rein biologisch, Verhütung und „Mädchen, du musst nichts tun was du nicht willst“. Aber ist jetzt auch schon ne Weile her ^^

  7. @ Helga: Das kommt ganz darauf an. Es gibt natürlich auch Sexualunterricht in Schulen der als professionell beschrieben werden könnte. Was ich meine ist aber eher die Arbeit von Sexualpädagogen (solche Veranstaltungen werden zum Beispiel von Aidshilfen, profamilia und anderen Vereinen angeboten und auch stark von Schulen genutzt).

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