Raus aus der Betroffenheitsfalle

Am vergangenen Wochenende war ich in Nürnberg beim Netzpolitischen Kongress der BayernSPD. Relativ spontan saß ich dabei in der Podiumsdiskussion „Partizipation und Internet“. Aus dieser Diskussion sowie dem Kongress an sich wurde mal wieder eine Sache deutlich: Teilhabe ist immer noch Sache der Betroffenen und für die wird es zur Sackgasse.

Das fing schon mit der anscheinend unvermeidlichen Frage an mich, die Frau auf dem Podium an „was ist das Problem der Frauen mit dem Internet“. „Die Frauen“ haben kein Problem! Und das was problematisch ist, sexistische Kommentare, Vergewaltigungs- und Morddrohungen, sind keine Probleme von Frauen, sondern von denen, die sich so äußern. Wer nicht direkt davon betroffen ist, kann es sich leisten, diese Probleme zu ignorieren – aber davon gehen sie nicht weg.

Ebenfalls bezeichnend: Viele potentiell interessierte Frauen waren nicht bei diesem Kongress, da es gleichzeitig eine andere Veranstaltung gab. Zur Frage, wie Frauen für Kommunalpolitik begeistert werden können. Eine ehrenwerte Idee, doch gleich auf mehreren Ebenen kontraproduktiv. Um es polemisch auszudrücken: Statt sich mit harten Themen wie Netzpolitik zu beschäftigen, waren viele Frauen wieder einmal mit ihrem Dasein als Frau konfrontiert. Damit es im schlimmsten Fall noch einmal heißt, für Netzpoitik interessierten sie sich eh nicht. Sie bleiben also in der „Betroffenheitsfalle“.

Dabei wäre es nötig bei denen anzusetzen, die die Probleme verursachen. Wo bleibt der Workshop für Politiker „Was ist dominantes Redeverhalten und wie vermeide ich es?“ Gerne in einem geschützten Raum, der nur für Männer offen ist. Weitere Workshops die ebenfalls dringend nötig sind: „Achte ich auf Diversität und Barrierefreiheit?“, „Sexistische und rassistische Kommentare verhindern“ und „Wie reagieren, wenn Beschwerden wegen Diskriminierung kommen?“ Am Besten mit Anwesenheitspflicht für alle, die ein Parteiamt anstreben.

Denn dass allein Betroffene Probleme thematisieren, das gibt es schon seit Jahren. Geholfen hat es augenscheinlich nichts.

10 Kommentare zu „Raus aus der Betroffenheitsfalle

  1. An sich teile ich viele deiner Ansichten. Aber es klingt schon so, als wäre Netzpolitik ein „hartes“ Thema, Kommunalpolitik aber nicht. Das kann ich so nicht unterschreiben. Gerade in der Kommunalpolitik herrschen noch eindeutig männlich dominierte Verhältnisse vor. Ich finde Workshops, die auch Frauen bzw. als weiblich wahrgenommene Personen ermuntern, für Stadtrat und Co. zu kandidieren äußert wichtig und produktiv.

  2. Kurz und polemisch: Betroffenheitsfalle klingt nach Cora Stephan… Die Verbesserungsvorschläge klingen nach 80ger-Jahre Autonomen… Und bei denen ist das (meiner Wahrnehmung nach) alles ziemlich nach hinten losgegangen…

  3. @sorriso felice: Der Gegensatz liegt nicht zwischen Netz- und Kommunalpolitik, wie ich schrieb „Statt sich mit harten Themen wie Netzpolitik zu beschäftigen, waren viele Frauen wieder einmal mit ihrem Dasein als Frau konkfrontiert.“ Und es reicht eben einfach nicht, immer mal wieder ein paar Frauen zu motivieren – dass Frauen sich nicht beteiligen liegt an vielfältigen Gründen, aber angegangen wird es nur von Frauenseite aus, als ob mit den Frauen etwas nicht stimmt. Dabei stimmt doch in der Gesellschaft etwas nicht, wenn Frauen, schwarze Frauen, Behinderte immer unterrepräsentiert sind!

  4. @Galumpine: Ehrlich gesagt verstehe ich nicht so ganz, was du damit meinst: Welche Verbesserungsvorschläge „klingen nach 80ger-Jahre Autonomen“ und warum ist das „alles ziemlich nach hinten losgegangen“ – würdest du das ein bisschen erläutern? Vielen Dank!

  5. Und das was problematisch ist, sexistische Kommentare, Vergewaltigungs- und Morddrohungen, sind keine Probleme von Frauen, sondern von denen, die sich so äußern.

    Demnach könnten diese Probleme den Frauen egal sein. Das ist aber nicht der Fall. Also stimmt da was nicht: Entweder, es sind doch die (mittelbaren) Probleme von Frauen und deshalb werden sie thematisiert. Oder es nicht die Problem von Frauen, dann bräuchten sie von Frauen auch nicht thematisiert zu werden.

  6. @Hannelore: Natürlich müssen diese Dinge von betroffenen Frauen thematisiert werden, da eine Thematisierung sonst anscheinend gar nicht passiert. Die Verantwortung für diese Probleme und ihre Lösung liegt aber nicht bei „den Frauen“, sondern bei den Verursacher_innen.

  7. @Anna-Sarah: Ich meinte damit, dass es mich etwas an den Versuch erinnert, in den 80gern eine autonome Männerbewegung aufzubauen, in deren Zentrum die Auseinandersetzung mit der eigenen privilegierten Rolle stand.
    Das ist erstmal ein gutes Konzept, hat meiner Ansicht nach aber zu einer Art Privilegiertenbeschulung geführt, die schnell nur noch diejenigen ertragen wollten, die in dem Thema schon tiefer drin waren. Der Rest hat sich entweder von feministischen Themen ferngehalten, oder sogar so Bahamas-mäßigen Blödsinn erzählt…
    Ist jetzt natürlich eine sehr subjektive Wahrnehmung auf Basis von Texten und Diskussionen, zumal ich die Zeit ja garnicht miterlebt hab…

  8. … und Cora Stephan ist eine Eva Herman-hafte konservative Journalistin und Krimi-Autorin, die so ähnliche Wortneuschöpfungen wie „Betroffenheitsfalle“ verbrochen hat…

  9. Schade dass du das Forum so wahrgenommen hast. Mir persönlich ist es ein großes Anliegen, das Thema _überhaupt_ auf die politische Agenda zu setzen. Klar sind wir noch nicht dort wo ich – und vermutlich auch du – gerne wärst. Ich konnte ja nicht da sein und hab die Videoaufzeichnungen bislang noch nicht gesehen, melde mich gerne dann nochmal. Gerade die Einstiegsfrage hätte ich auch sehr entschieden zurückgewiesen.

    Über die Terminüberschneidung hab ich mich übrigens auch geärgert, aber viel kann man da nicht machen – man ist ja auch durch Ort etc. gebunden. Ich weiß nicht, ob es gelungen wäre ohne die Parallelveranstaltung signifikant mehr Frauen zu einem Kongress mit dem Thema „Netzpolitik“ zu mobilisieren. Wär super, wenn man das mit einer Initialzündung hinbringen würde – aber das gelingt (wenn überhaupt, was ich schwer hoffe) nur in einem Prozess. Und da gilt das, was auch in der klassischen feministischen Debatte gilt: Frauen sichtbar machen und die mit dem Thema „Netzpolitik“ verknüpften feministischen Fragestellungen immer wieder aufzubringen.

    Ich mach die Arbeit ja schon länger und würde deine Idee mit dem verpflichtenden Workshops zum Oberthema sagen wir mal Gendersensibilität gerne durchsetzen. Erstens kann ich aber niemanden zum Nachdenken zwingen und außerdem bringt mir der tollste Workshop nur dann was, wenn die Leute sich auch auf das Thema einlassen wollen. Und letztendlich hätte mir die Zeit gefehlt – da wir an einem Kongress alle netzpolitischen Fragestellungen nur anreißen konnten. Ich würde mir einen gut besuchten Netzfeminismuskongress wünschen – und dann gern alles anbieten, was du vorgeschlagen hast. Aber ich weiß nicht, ob dann die, die’s nötig hätten, zu lernen, dort auftauchen würden. Und obwohl es viele lobenswerte Ausnahmen (übrigens auch im Bereich der Parteiämter) gibt, ist es ein verflixt langer Weg. Und er ist scheiße mühsam, vor allem in einer doppelt männerdominierten Welt: Politik und dann auch noch Innen/Netzpolitik.

    Daher ist die „Szene“ der netzpolitischen Aktiven aus meiner Sicht explizit auf die Netzfeministinnen angewiesen – auch wenn es überall ein harter Kampf ist und erstmal auch bleiben wird. Umso wichtiger, dass wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern versuchen, zusammen was zu verändern.

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