Primark und die eingenähten Etikette: Guerilla-PR?

Dieser Text ist Teil 13 von 16 der Serie Ökonomie_Kritik

Tatsächlicher Protest oder Guerilla-PR* irgendeiner NGO? Sei Tagen wird über die rätselhaften Primark-Etiketten berichtet, die mittlerweile drei Kundinnen in Primark-Kleidung gefunden haben (wollen). „Forced to work for exhausting hours“ steht auf einem Zettel, den die britische Primark-Kundin Rebecca Gallagher gefunden hat. Das zweite Etikett fand Kundin Rebecca Jones: „Degrading sweatshop conditions“. Gallagher kommt aus dem walisischen Gowerton, Rebecca Jones aus Swansea, und eine dritte Kundin aus Belfast, Karen Wisinska, will eine auf chinesisch verfasste Nachricht in einer ungetragenen Primark-Hose gefunden haben.

primark

Mensch könnte diese Aktionen für gelungene Widerstandsakte halten: Näherinnen, die die widrigsten Arbeitsbedingungen aushalten müssen, treten direkt in Kontakt mit den Konsument_innen der von ihnen produzierten Ware – und begehren auf. Fast schon hollywoodreif kann eine_r_m das vorkommen: Stolze Näherin (oder stolzer Näher), gebeutelt vom Leben, näht Messages in Kleider, weil ja mit Sicherheit jede einzelne Made im Industriespeck die aus Versehen eine Primark-Leggins kauft dazu in der Lage sein könnte Ungerechtigkeit auf der Welt zu bekämpfen.

Ohne auch nur eine Sekunde anzuzweifeln, dass unter den schlimmsten Bedingungen für Primark und Co. produziert wird, dass Menschen ausgebeutet werden, dass die niedrig bemessenen Löhne eigentlich gar keine Gehälter sondern allenfalls minimalstes Schmerzensgeld sind, möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass sich mir bei dieser ganzen Geschichte immer mehr fette Zweifel entwickeln, so sehr strotzt sie vor Elendsromantik und white savior tears („… Primark customer said she felt like crying after she found a prison identity card and a worker’s cry for help“).

Alle Etiketten wurden innerhalb weniger Tage gefunden – zuletzt sogar in einer angeblich Jahre alten Hose. Und die Arbeiter_innen haben bestimmt nix besseres zu tun als all die Konsument_innen aus Industrienationen nord-westlicher Prägung mit den Etikett-Stickereien zu kontaktieren, weil andere Protestaktionen ja nicht denkbar sind (siehe Bild unten).

Hier zum Beispiel sehen wir Protestler_innen nach dem Einsturz der Texilfabrik in Bangladesh 2013. Eine von vielen Demos, die niemals so viel Aufmerksamkeit bekommen werden wie drei Etiketten in gepunkteten Röcken oder Hosen. (c) http://www.waronwant.org

Misha hat mir heute morgen dankenswerterweise auch schon den Link der Kolleg_innen von mimikama gespostet, die nochmal zusammenfassen was für eine Viral-Aktion spricht:

„- Das zeitgliche Auftauchen der Zettel
– Die geografische Verteilung der Zettel
– Die englische Sprache auf den Zetteln
– Ungereimtheiten bei den Verkaufsdaten der einzelnen Produkte.“

Eigentlich müssten wir jeden Tag Etiketten in irgendwas finden. Im Smartphone, im Computer, im Kaffee, in Schokoladentafeln und in überhaupt allem, für das Menschen jeden Tag zu unmenschlichen Bedingungen weltweit ausgebeutet werden. Sollte es sich bei dieser Geschichte um eine Viralaktion handeln, die darauf ausgelegt sein soll, auf schlechte Arbeitsbedingungen hinzuweisen, so kann ich nur sagen dass das Ganze bei mir einen schalen Beigeschmack verursacht. Antikapitalismus hin oder her – Stellvertreter-Sprech, White-Savior-Syndrome und das Unsichtbarmachen von realem Protest haben noch niemandem geholfen.

Edit: Tatsächliche Systemkritik funktioniert nicht, wenn die nächste Lösung die sein soll, Menschen zu verurteilen, die aus welchen Gründen auch immer in günstigen Geschäften (wie beispielsweise Primark) einkaufen (müssen). Kapitalismus ist ein komplexes Problemfeld und kann nicht auf individuelle Verantwortungen herunter gebrochen werden. Deswegen ist auch der Hinweis, man „dürfe eigentlich nicht bei Primark und Co.“ kaufen, nicht hilfreich. Just sayin‘.

Edit: Weiterlesen kann mensch zum Beispiel auch hier oder hier.

 

*nicht von Primark!!!!1111

 

[Dieser Text erschien bereits gestern zuerst auf Shehadistan.]

2 Kommentare zu „Primark und die eingenähten Etikette: Guerilla-PR?

  1. Es arbeiten aber auch keine gleichgeschalteten Roboter in diesen Textilfabriken (selbst wenn manch ein Firmenboss das vielleicht gern so hätte), sondern Menschen – und da kann es durchaus vorkommen, dass ein solcher Mensch mal auf eine solche Idee kommt, selbst wenn diese Idee vor Jahren schon einmal in jemandes Kopf aufblitzte, wenn sie von anderen Menschen als Unsinn abgetan wird oder wenn sie wie eine inszenierte PR-Aktion wirkt etc. Ob ich diese Aktion glaubwürdig finde? Eher nicht, aber das spielt ja auch letztlich gar keine Rolle, oder? Die Aufmerksamkeit, die man wollte, hat man jetzt und der Imageschaden für das/die Unternehmen dürfte beträchtlich sein (selbst wenn sich die Sache als Fake herausstellt). Ob sich dadurch etwas an der schlimmen Situation der Arbeitskräfte ändert, ist leider eine ganz andere Frage…

Kommentare sind geschlossen.

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