„Pille Danach“-Präparate werden rezeptfrei

Es kommt unerwartet: Bislang zeigten sich insbesondere CDU-Politiker_innen, allen voran Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Jens Spahn, fakten- und beratungsresistent, wenn es um die Freigabe der „Pille danach“ auch in Deutschland ging. Erst zu Beginn des Jahres entfachte erneut die Debatte, ob Personen, die die Pille danach benötigen könnten, diese #WieSmarties naschen würden, wäre sie denn rezeptfrei, und ob man schwanger werden könnenden Personen überhaupt zutrauen könnte, Beipackzettel zu lesen oder gar auf den eigenen Körper bezogene Entscheidungen zu treffen. Doch während in der CDU noch gemauert wird, wird im Europäischen Arzneimittelausschuss schon beschlossen, und auch in Deutschland werden bestimmte „Pille danach“-Präparate künftig ohne Besuch beim Arzt_Ärztin und ohne Rezept in Apotheken zu erwerben sein.

Photo by Caitlin H.
Photo by Caitlin H.

Deutschland folgt nun also unfreiwillig der großen Mehrheit europäischer Staaten, der jahrelangen Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Forderung von fast 30,000 Menschen, die eine Petition für die rezeptfreie Abgabe unterschrieben und der Entscheidung des Bundesrats aus dem letzten Jahr. Wie Anna-Sarah 2013 kommentierte, wird die Ablehnung eines rezeptfreien Verkaufs der Pille grundsätzlich in „patriarchalisch-paternalistischer Manier“ zum „Schutz der Patient_in“ verkündet – fiele die Rezeptpflicht weg, so das Argument, sei es quasi vorprogrammiert, dass es reihenweise zu schweren Nebenwirkungen kommen könnte, da Leute sich die Pille danach ja wie Süßigkeiten reinpfeifen könnten, „leichtsinnig und uninformiert wie wir sind“. Auch der Hinweis auf die zum Teil schweren Nebenwirkungen frei erhältlicher Medikamente wie Aspirin oder Paracetamol konnte Gegner_innen der Pille danach nicht davon abhalten, weiterhin den „Schutz von Frauen*“ zu postulieren und doch Kontrolle über Frauen* zu meinen.

Fakten- und beratungsresistent bleibt man also weiterhin – das einzige, was sich geändert hat, ist, dass der Bundesregierung nun schlicht keine sinnvolle andere Wahl bleibt, während man jahrelange Proteste aussitzen konnte. Bald heisst es aber: Wer die Pille danach braucht, muss sich nicht mehr von Ärzt_innen maßregeln und slutshamen lassen, da man auf deren Benevolenz angewiesen war, und bekommt ein Stück Handlungs- und Entscheidungsfreiheit bezüglich des eigenen Körpers zurück. Jens Spahn indes droht schon mit „strukturierten Bögen“ intensiver Beratung für alle, die die Pille danach kaufen – wie gut, dass Beipackzettel Standard sind und man sich auch mit dem_der Apotheker_in unterhalten kann. Klappt beim Aspirinkauf ja auch. Es bleibt zu hoffen, dass eine freiwillige, selbstbestimmte Beratung auch bei der Pille danach möglich sein kann und wird, statt für den Kauf neue politische Hürden aufzubauen.

Was immer noch problematisch ist? Die Kosten der Pille danach, die nicht von Krankenkassen übernommen werden, und der Fakt, dass gängige bestimmte „Pille danach“-Präparate ab einem bestimmten Körpergewicht einfach gar nicht mehr zu wirken scheinen. Was weiterhin durch §218 des Strafgesetzbuchs illegal ist? Abtreibung. Wer immer noch auch beim Zugang zu reproduktiven Rechten systematisch diskriminiert wird? Menschen, die nicht der hetero- und cissexistischen Norm eines cis-hetero Paars entsprechen, Menschen mit Behinderung, Menschen, die nicht Teil eines weißen Mutterideals sind.

Zum vielfältigen Feld (eines Mangels) an reproduktiven Rechten haben Anna-Sarah, Charlott, Nadia und accalmie im Februar 2014 einen podcast aufgenommen, in dem einige Aspekte angerissen werden. Diesen sowie eine Zusammenstellung einiger Mädchenmannschafts-Texte zum Thema findet ihr hier.

8 Kommentare zu „„Pille Danach“-Präparate werden rezeptfrei

  1. Ich finde es großartig, dass „das nun geht“. Eines ist mir aber aufgefallen: Anscheinend werden die Kosten dafür nicht mehr von den Krankenkassen übernommen, habe ich das richtig verstanden? Das mag zwar nach dem deutschen Gesundheitssystem logisch sein, aber ich finde es trotzdem unerträglich, wie rückschrittlich Deutschland in diesen Sachen immernoch ist. Nun kenne ich das französische System auch nicht besonders gut, aber es gab dort an meiner Uni auf dem Unigelände einen kostenlosen Gyn + die entsprechende Versorgung mit Verhütung etc. Quasi neben dem Vorlesungsgebäude, und das in einem Staat, der ansonsten extrem bürokratisch organisiert ist. Nur mal so als Idee in Sachen Fortschritt.

  2. Die Pille danach wird nicht zwangsläufig rezeptfrei in Deutschland durch diesen EU-Beschluss. Aufgrund Richtlinie 2001/83/EG Titel II, Artikel 4(4) dürfen Mitgliedsstaaten „den Verkauf, die Lieferung und den Gebrauch von empfängnisverhütenden oder schwangerschaftsunterbrechenden Arzneimitteln verbieten oder einschränken“ – so wie das die BRD bisher auch bei LNG-basierten Pillen gemacht hat. Gröhe könnte also auch weiterhin diese Ausnahme für Deutschland in Anspruch nehmen, hat aber angekündigt, es nicht zu tun. Keine Kekse für die CDU, aber gezwungen sind sie nicht.

    Ich hatte dazu gestern recherchiert, weil mich die Meldung zunächst selbst verwirrt hat: http://iheartdigitallife.de/pille-danach-bald-in-deutschland-rezeptfrei/ Korrigiert mich, wenn ihr andere Erkenntnis habt.

  3. @ihdl: Danke für die Hinweise :) – ich habe anderes zu Ulipristal (und der rezeptfreien Abgabe in Deutschland) gelesen. Generell finde ich die Aussage weiterhin vertretbar, dass die Regierung politisch zum Einknicken gezwungen wurde, angesichts dessen, wie diese Entscheidung nun zustande gekommen ist, wie EU-weite Politik hier gestaltet ist und wenn man die Aktivismusgeschichte gegen die Einschränkungen bei der Pille danach bedenkt. Mit Einsicht bezüglich jahrelang vorgetragener Fakten hatte das ja eher wenig zu tun. Zur Körpergewichts-Anmerkung: Ich hab das jetzt aber im Text (hoffentlich) deutlicher gemacht mit „bestimmte“ statt „gängige“ Pille-danach-Präparate.

  4. Sowohl Levonorgestrel (PiDaNa) als auch Ulipristalacetat (ellaone: was frühestens im Februar 2015 rezeptfrei zu erhalten sein wird) sind unabhängig vom Körpergewicht wirksam. Dazu gab es in der Fachpresse vor einiger Zeit eine Meldung.
    Wer sich übrigens auch für die Entlassung aus der Rezeptpflicht ausspricht: Die Bundesvereinigung deutscher Apotheker (BAK). Trotzdem gibt es auch in der Apotheke viele Skeptiker_innen, die vom Gegenteil erst noch überzeugt werden müssen.

  5. Danke für den Kommentar! Ich zitiere nochmal bezüglich der Studie (oben verlinkt): „The pharmaceutical company HRA Pharma has released a statement regarding labelling of the levonorgestrel emergency contraceptive (EC) product Norlevo, marketed by the company in Europe […]. HRA Pharma also markets ulipristal acetate emergency contraception in the UK and other European countries. The statement indicates that on the basis of data submitted by HRA Pharma to the European regulatory authorities at the start of 2013, levonorgestrel labelling will change to state that: „In clinical trials, contraceptive efficacy was reduced in women weighing 75 kg or more and levonorgestrel was not effective in women who weighed more than 80 kg.“ Das hat sich also komplett erledigt…? Laut der EMA-Review bleiben ja Zweifel aufgrund des Mangels an zusätzlichen Studien, oder (ist das vernachlässigbar)?

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