Mode in Zeiten des Kapitalismus

Dieser Text ist Teil 98 von 140 der Serie Die Feministische Bibliothek

41GOemmRtiL._SY344_BO1,204,203,200_ Am 24. April vor zwei Jahren stürzte Rana Plaza ein, ein Gebäude, in welchem viele internationale Firmen Textilien hatten herstellen lassen. Bereits am Tag zuvor waren Risse in den Wänden entdeckt worden, doch als sich am Morgen des 24. Arbeiter_innen weigerten in das Haus zu gehen, wurde ihnen mit dem Abzug eines Monatsgehalts gedroht. Bei dem Einsturz starben 1127 Menschen und 2438 weitere wurden verletzt – mit oftmals lebenslangen Folgen. Rana Plaza ist sicher das bekannteste aktuelle Beispiel dafür unter welchen Bedingungen Mode produziert wird. Und für Konsument_innen schlossen sich Fragen an, wie ob eine_r nun weiter bei Firmen kaufen würde, von denen bekannt ist, dass sie bei Rana Plaza produziert hatten oder was überhaupt gekauft werden sollte? Und ist ‚richtiger‘ Konsum eigentlich möglich und überhaupt der beste Fokus?

Vor ein paar Wochen hatte ich die Chance die britische Autorin und Aktivistin Tansy E. Hoskins zu hören, wie sie über ihr aktuelles Buch „Stitched Up. The Anti-Capitalist Book of Fashion“ (2014, Pluto Press) sprach – welches ich danach sofort erwarb und an einem Wochenende weglas. Auf gerade einmal 200 Seiten wirft Hoskins einen komplexen Blick auf die Modeindustrie, Verschränkungen von Kapitalismus, Rassismus und Sexismus, sowie auf Möglichkeiten das System zu verändern.

Im ersten Kapitel, welches wie die übrigen mit einer wunderschönen Illustration beginnt, zeigt Hoskins zunächst auf, welche Konglomerate hinter welchen Modefirmen stehen (und wie häufig sehr viele Modekonzerne eigentlich zu einem übergeordneten Konzern gehören) und welche Personen dort agieren – obwohl sie auch immer wieder deutlich macht, dass es ihr weniger um ’schlechte‘ Menschen und deren Taten geht (obwohl es diese auch gebe), sondern um Strukturen. Im darauffolgenden Kapitel fragt sie nach der Rolle von Mode-Zeitschriften und stellt fest, dass, wo es bei anderen Kunstformen tatsächlich so etwas wie Kunstkritik gibt, dies bei Mode kaum existiert, denn sind die Magazine quasi vollständig von den Werbungen der Modekonzerne abhängig (und diese fordern ein ‚gutes Umfeld‘ zur Publikation ihrer Anzeigen) und auch würden Kritiker_innen einfach aus dem Modezirkel ausgeschlossen – lebenslange Sperren für die Modeschauen bestimmter Designer_innen kommen durch aus vor. Und wo Filmkritiker_innen sich einfach die nächste Kinokarte kaufen können, bedeutet das für Mode-Journalist_innen schon einmal das Aus.

In den nachstehenden Kapiteln widmet sich Hoskins den Produktionsbedingungen von Kleidung. In knappen, sehr übersichtlichen Abschnitten, geht sie den Arbeitsbedingungen von Arbeiter_innen im Textilbereich nach und verweist ebenso auf die ökologischen Folgen von Mode, die zum Beispiel mit dem Anbau von Baumwolle in Usbekistan einhergehen. Sie geht der Idee von ‚Trends‘ nach, die dazu führen, dass immer wieder und wieder neue Kollektionen hergestellt werden und dies tatsächlich zunehmend, so gebe es bei H&M mittlerweile nicht mehr zwei Saisonen (Sommer/ Winter), sondern eigentlich 52. Hoskins verwehrt sich einer einfachen Trennung von ‚High Fashion‘ und ‚Street Fashion‘ und macht stattdessen deutlich, dass deren Produkte häufig unter gleichen Bedingungen produziert werden, nur mit unterschiedlichen Gewinnmargen für einzelne Stücke. Dass Hoskins wirklich einen umfassenden Blick auf Mode und alle dazugehörigen Industrien werfen möchte, zeigt sich auch darin, dass es noch gesonderte Kapitel zu den Themenkomplexen ‚Size‘ und Rassismus gibt. Dabei schreibt sie unter anderem zu dominanten Schönheitsidealen, Empowerment durch Fatshion (wenn auch sehr kurz), Rassismus bei Modenschauen, Verstrickungen der großen französischen und deutschen Modehäuser während des 2. Weltkriegs und kulturelle Aneignung bei Designs.

Die letzten drei Kapiteln widmen sich der Frage „Und was nun?“. Hoskins geht widerständiger Mode bzw. Anti-Moden nach (und auch wie diese dann wieder von der Modeindustrie sich einverleibt werden, wie beispielsweise Punk-Ästhetiken) und fragt sich, wie Mode nach dem Kapitalismus aussehen könnte. Vor allem aber vermeidet sie es einfach Antworten zu geben. Sie glaubt nicht an die ‚Macht der Konsument_innen‘ und dem Mantra des ‚besser Einkaufens‘ und argumentiert schlüssig, wo hier die Denkfehler liegen und wer sich letzten Endes so vielleicht ein gutes Gewissen freikaufen kann. Nach Hoskins gibt es derzeitig auch eigentlich fast keine Mode, die wirklich auf allen Ebenen fair, ökologisch, nachhaltig etc. proudziert sei. Dies geben auch viele Ratgeber, die zu dem Thema erscheinen, zu, in denen den Konsument_innen nahegelegt wird, sie müssten eben entscheiden, was ihnen wichtiger sei: Weniger Chemikalien, faire Löhne, wenig Transport… Hoskins plädiert stattdessen (und dies nicht erst in den letzten Kapiteln) dafür, dass System als ganzes in den Fokus zu rücken und Arbeiter_innenkämpfe zu unterstützen. Sie betont:

Garment workers have always fought for self-determined freedom from oppression. Media narratives of sweatshops often impose stereotypes of victimhood on garment workers, reinforcing stereotypes of passive Asian or immigrant women. Yet what is clear is that groups of predominantly female garment workers (it remains a trade 90 per cent staffed by women) engage in some of the bitterest and hardest fought battles of the international labour movement.

Nicht alles, in dem Buch ist perfekt. Ab und an klingt es bei Hoskins so als würde die Abschaffung des Kapitalismus ohne wenn und aber auch sämtliche andere Diskriminierungsformen beenden – allerdings verfällt sie glücklicherweise nicht in typische „Nebenwiderspruchs“-Rhetoriken. Auch nimmt sie einmal Bezug auf ‚obesity‘, ohne dies kritisch zu rahmen (überhaupt ist das Kapitel zu ‚Size‘ das schwächste, weil teils auch pathologisierend), an anderer Stelle benutzt sie Konzentrationslager für eine Metapher, die der Text einfach nicht gebraucht hätte. Doch trotz allem bietet Stitched Up einen guten Einstieg für all jene, die einen ersten unterhaltsam geschriebenen und oftmals gruseligen Einblick in die Modeindustrie haben wollen – in dem trotz aller Kritik am System auch anerkannt wird, dass Mode auch Spaß machen kann, Ausdruck politischer Ideen ist und Ort von alltäglicher Kreativität.

Those wanting the overthrow of capitalism are often accused of being dreamers. Yet, there is no greater illusion than that of utopian reformism which believes you can fundamentally change a system without touching its power relations.

3 Kommentare zu „Mode in Zeiten des Kapitalismus

  1. „Vor allem aber vermeidet sie es einfach Antworten zu geben. Sie glaubt nicht an die ‘Macht der Konsument_innen’ und dem Mantra des ‘besser Einkaufens’ und argumentiert schlüssig, wo hier die Denkfehler liegen und wer sich letzten Endes so vielleicht ein gutes Gewissen freikaufen kann. (…) Hoskins plädiert stattdessen (und dies nicht erst in den letzten Kapiteln) dafür, dass System als ganzes in den Fokus zu rücken und Arbeiter_innenkämpfe zu unterstützen.“ Habt Ihr ein paar gute Tips, wo sich Arbeiter_innenkämpfe dort wo die Bedingungen am schlimmsten sind gut unterstützen lassen? Vermutlich gibt es viele kleine verstreute Projekte…?

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