Lesen ist gefährlich

Im Rahmen der Frauenwoche für Buchmacherinnen geht es vom 10. bis 14 Januar bei Petra van Cronenburg um die Literaturbranche. Dort sind Leserinnen, Autorinnen und auch Verlegerinnen inzwischen auf dem Vormarsch. Außerdem feiert dieses Jahr das wichtigste Frauennetzwerk der Branche, die BücherFrauen, sein zwanzigjähriges Bestehen. Der folgende Artikel ist ein Gastbeitrag, der ebenfalls auf cronenburg erschienen ist.

Es ist erstaunlich: Wir leben in einer Zeit, in der uns ausgerechnet ein Medium Angst vor dem Untergang der Lesekultur einjagt, das wie kein zweites auf Schrift basiert. Wenn auch nicht immer perfekt oder auf dem nötigen Sprachniveau, so kann man doch feststellen, dass weltweit nie zuvor so viele Menschen gelesen und geschrieben haben wie seit der Etablierung des Internet. Das war nicht immer so. Auch das fortschrittliche Europa war einst eine Wüste von Analphabetismus und fehlender Bildung. Lesen und Schreiben war Eliten vorbehalten. Wer lesen und schreiben konnte, war mächtiger als die anderen, denn Wissen bedeutet Macht. Bücher wurden in Klöstern kopiert und verließen deren Mauern nicht. Herrscher ließen Texte für sich sprechen. Religiöse und weltliche Herrscher wachten über die Inhalte und Verbreitung von Büchern.

In den drei großen „Religionen des Buches“, Judentum, Christentum und Islam waren weltliche wie religiöse Autoritäten zunächst ausschließlich männlich (in einigen sind sie es heute noch). Der Zugang von Frauen zum Buch ist historisch gesehen ein recht junger – und er ist keineswegs ein selbstverständlicher. Wenn gebildete Frauen Macht über ungebildete Männer zu erlangen drohten, konnte das System kippen. Es waren hauptsächlich Frauen und Bücher, die auf den Scheiterhaufen Europas brannten. Etwa bis zum Spätmittelalter musste es dauern, bis etwas aufkam, das man einen „feministischen Kampf“ nennen konnte.

Auslöser war der zutiefst frauenverachtende „Rosenroman“ des 13. Jahrhunderts, mit dessen Thematik Umberto Eco in seinem Buch „Der Name der Rose“ so meisterhaft spielt. In ganz Europa wehrten sich Männer und Frauen gegen das Bild der Frau als Hure und Verführerin – angeblich ohne jede intellektuelle Fähigkeit. Als „Querelle des femmes“ („Streit der Frauen“, Diskussion um die Stellung der Frau) ging dieser von Männern und Frauen unterstützte feministische Streit in die Geschichte ein. Christine de Pizan (1365-1430), die erste weibliche Autorin, die von ihren Werken leben konnte, sorgte damals mit ihrem „Buch über die Stadt der Frauen“ für Zündstoff und ein neues Frauenbild.

So sehr Frauen im Lauf der Jahrhunderte Zugang zu Bildung, zu Lesen und Schreiben bekamen – ihre Buchgeschichte liest sich anders, weil sie immer ein Kampf um ein Recht blieb, das man ihnen abspenstig zu machen versuchte. Ich selbst habe in „Das Buch der Rose“ untersucht, wie sich das Symbol des „Rosenromans“, die Rose, an das Frauenbild gekoppelt in den Kitsch und die sentimentalen Klischees verwandeln konnte, die wir noch im 21. Jahrhundert transportieren. Es ist erschreckend, wie „frisch“ diese Entwicklung ist!

Die Nahtstelle, wo Rosen und Frauenbilder in Kunst, Literatur und Kultur verflachen und sentimentalisiert werden, geht ausgerechnet mit der Entwicklung der Unterhaltungsliteratur und der Entwicklung der Massenware anhand neuer Drucktechniken einher und ergreift durch Werbung und Massenmedien das gesamte Alltagsleben. Die Rede ist nicht von heute, sondern vom ausgehenden 19. Jahrhundert. Wieder war man fast so weit wie zur Zeit des „Rosenromans“: Frauen wurde der Intellekt abgesprochen, man erfand eigene Texterzeugnisse zur „Befriedigung ihrer emotionalen Bedürfnisse“. Die weltliche Industrie nahm die Stelle der Religion ein. Zitat aus „Das Buch der Rose“ (S.92):

Es war die Zeit angebrochen, in der sich Frauen nicht mehr an klassischer Literatur bildeten, sondern ihren eigenen Lesestoff bekamen: Modekataloge, Familienzeitschriften, Liebesromane und Trivialliteratur. In den USA entstanden die sogenannten Ladies‘ Books – eine Sammlung all dessen, was man einem sentimentalen, gefühlsbetonten Gemüt zumuten konnte, soweit die Damen über die Zeit und die Mittel verfügten, sich entsprechend zu bilden. Den unteren Schichten diagnostizierte man dagegen die „Lesesucht“ als moralischen und pathologischen Defekt.

Wer sich mehr mit der sehr eigenen Geschichte des Lesens und Schreibens von Frauen beschäftigen möchte, der findet dazu einige sehr empfehlenswerte Bücher:

Die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Ruth Klüger hat sich in zwei Büchern mit dem Thema auseinandergesetzt – wobei die Fragen im zweiten Buch eher zwischen den Zeilen beantwortet werden.
In dem Buch „Frauen lesen anders“ provozierte sie mit ihrer Art, Essays vor allem über männliche Schriftsteller und deren Werke zu schreiben. Das Buch „Was Frauen schreiben“ ist eine Sammlung von Klügers Rezensionen über weibliche Literatur.

Für den Geist und für das Auge gleichermaßen sind die Bildbände der Verlegerin Elisabeth Sandmann, die nach eigener Aussage „schöne Bücher für kluge Frauen“ macht. Tatsächlich ist bei ihren üppig bebilderten Büchern im Gegensatz zu so manchem Coffee Table Book der Text höchst informativ und spannend. Die kenntnisreichen Bücher über lesende und schreibende Frauen sind übrigens von einem Mann und mit einem Vorwort von Elke Heidenreich versehen, das alleine die Anschaffung lohnt. „Frauen, die lesen, sind gefährlich“ bietet einen guten Überblick über die Bedingungen und die Entwicklung der Lektüren von Frauen durch die Geschichte, illustriert mit Gemälden von lesenden Frauen. Es wurde zu Recht ein Bestseller.

Frauen, die schreiben, leben gefährlich“ zeugt von den Kämpfen weiblicher Autorinnen und zeichnet ein erschreckendes Bild von Scheitern, Selbstmorden und psychischen wie seelischen Leiden, wenn Frauen nicht wirklich in Freiheit schreiben konnten. So sehr mich die Einführung überzeugt – bei den Einzelportraits der Schriftstellerinnen vermisse ich eine gewisse Tiefe. Zu gern hätte ich mehr darüber erfahren, ob das individuelle Leiden tatsächlich an der Art ihrer Kunst festzumachen wäre oder ein Ausdruck ihrer Situation als Frau war – also Stellvertreterbeispiel für all die anderen Frauen, die keine Autorinnen waren.
Wer Freude am ersten Band hatte, wird sich vielleicht auch den dritten Band anschaffen wollen – eine Fortsetzung: „Frauen, die lesen, sind gefährlich und klug“.

Alle Bücher auf einen Blick:

  • Der Rosenroman Verlag Wilhelm Fink, als Schullektüre weiter erhältlich
  • Christine de Pizan: Das Buch über die Stadt der Frauen, dtv, aus dem Programm genommen
  • Petra van Cronenburg. Das Buch der Rose, Parthas Verlag
  • Ruth Klüger: Frauen lesen anders, dtv
  • Ruth Klüger: Was Frauen schreiben, Zsolnay Verlag (Link: perlentaucher)
  • Stefan Bollmann: Frauen, die lesen, sind gefährlich, Verlag Elisabeth Sandmann
  • Stefan Bollmann: Frauen, die schreiben, leben gefährlich, Sandmann
  • Stefan Bollmann: Frauen, die lesen, sind gefährlich und klug, Sandmann
  • Interview mit Ruth Klüger, Wiener Zeitung
  • Rezension Ruth Klüger bei Literaturkritik
  • 4 Kommentare zu „Lesen ist gefährlich

    1. Oweiowei wie peinlich, ausgerechnet eins meiner Lieblingsbuch ist in zig Korrekturvorgängen hängengeblieben….
      Das ist natürlich richtig!
      Kann man das noch korrigieren?

    Kommentare sind geschlossen.

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