Kritik des kolonialen Feminismus

Ein schneller Lesetipp: In der heutigen Taz veröffentlicht die Autorin Birgit Rommelspacher einen sehr guten Essay zur Frage, warum es immer häufiger Koalitionen zwischen Feministinnen und der politischen Rechten gibt.

Im zentralen Absatz ihres Textes weist sie auf den Fehler hin, Frauenunterdrückung generell mit einer Kultur oder Religion gleichzusetzen:

Ja, es ist eine gute Sache, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen. Das Problem beginnt dann, wenn die Unterdrückung von Frauen untrennbar mit einer bestimmten Kultur, wahlweise auch einer bestimmten Religion oder Tradition verknüpft wird. Patriarchat und Kultur beziehungsweise Religion oder Tradition sind dann nicht mehr jeweils eigenständige Größen, die in Wechselwirkung miteinander treten, sondern miteinander verschmelzen, sodass man schließlich die ganze Kultur beziehungsweise Religion infrage stellen muss, will man sich für Frauenrechte einsetzen. Nach dieser Logik müsste man auch unverzüglich das Christentum abschaffen. Das Problem jedoch wäre dann, dass im Zweifel nur noch der Säkularismus übrig bliebe, der jedoch genauso patriarchal ist, hat er doch mit der Biologisierung der Geschlechterunterschiede die Grundlage für tief greifende Formen der Frauenunterdrückung gelegt.

(…) Allerdings müssten informierte und kritische Menschen heute wissen, dass die Aufklärung nicht nur den Ausgang „des“ Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit beschert hat, sondern auch die Entmündigung von Frauen, Sklaven und Besitzlosen. Sie hat diese Machtverhältnisse fortgeführt, teilweise verschärft und vor allem neu legitimiert. Mit der Aufklärung wurde die Vernunft zum Maßstab von Menschenwürde und politischen Rechten, wer aber als vernünftig zu gelten hatte, das entschied die Wissenschaft. Dabei war die Erfindung des physiologischen Schwachsinns des Weibes ebenso wie die Hierarchisierung von Menschen mithilfe ihrer Hautpigmentierung eine der bezeichnenden Produkte dieser „aufgeklärten“ Wissenschaft.

Ein lesenswerter Text zum Problem eines „kolonialen Feminismus“.

11 Kommentare zu „Kritik des kolonialen Feminismus

  1. „Nicht selten verwandelt sich der faschistische Nationalismus in einen gesamteuropäischen Chauvinismus. Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch.“
    Danke Adorno!

    Der Feminismus darf nicht der westlichen Missionierungswut dienen, denn da wo sich Menschen überlegen fühlen und mit Hass argumentieren ist die objektive Sicht versperrt und Vorurteile leiten das Denken.

  2. Ich kann nur schwer artikulieren, wie sehr ich mit diesem Artikel NICHT übereinstimme.

    Die Kurzfassung: Erstens sollte man nicht vor einer Ansicht zurückschrecken, nur weil Leute, die man sonst nicht mag, diese Ansicht teilen. Man kann sehr wohl gegen rechts sein und trotzdem Forderungen teilen – die Begründung sieht dann eben anders aus.

    Der angebliche Moralanspruch der Kirchen ist mir ein Rätsel, ebenso, dass Säkularisierung hier „Schuld“ an der Biologisierung des Geschlechts haben soll, was im Artikel so vermittelt wird, als sei das ebenso eng miteinander verbunden wie bspw. die Sharia und die Unterdrückung von Frauen.

    Gleichzeitig gibt es leider viele Linke, die sich im Rahmen der Postmoderne einem Kulturrelativismus verschrieben haben, der jegliche Kritik an anderen Positionen oder Kulturen verbietet und als Kulturchauvinismus verschreit. In einem kürzlichen Interview sagten sowohl Ibn Warraq als auch Ayaan Hirsi Ali, dass sie eigentlich linke oder progressive Positionen verträten, aber wegen ihrer Islamkritik eben aus diesem Lager kaum und aus konservativem Lager viel Unterstützung bekämen. Dann dürfen sich die Linken nicht wundern.

  3. erst mal stelle ich die antwort von Halina Bendkowski ein, so wie ich sie heute in der post fand:

    -> Subject: wider die Ungebrochene Selbstidealisierung von Birgit Rommelspacher in der TAZ
    Importance: High

    Wie kommt es, daß Feministinnen, andere Frauen in ihrem Kampf gegen ihre Unterdrückung als Frauen nicht mehr unterstützen? – möchte ich Birgit Rommelspacher zurück fragen?

    Wie kann es sein, daß Feministinnen, wie Ayaan Hirsi Ali, Seyran Ates und Necla Kelek in ihrem mutigerem Kampf gegen die sie peinigende Religion/Kultur insbesondere von der Linken zur Mäßigung aufgerufen werden? Ist es das Versagen der Feministinnen oder der Linken, wenn die Rechten, sich fürwahr billig an den Rockzipfel eines Fortschrittsglaubens der agierenden Feministinnen hängen,wofür sie nie aktiv waren?

    Was ist passiert mit der Linken und mit den Rechten- wenn man bewußt vereinfachend diese Debatte weiterführen will?

    Auf jeden Fall ist es schlicht falsch vo Birgit Rommelspacher, mich als eine zu zitieren, die behaptet hätte:

    „Feministinnen müssten inzwischen auch mit den Rechten koalieren, so argumentierte kürzlich die Publizistin Halina Bendkowski in einer Radiodiskussion im rbb, da die Linken sich aus Angst vor den Muslimen nicht mehr trauten, sich für die Gleichberechtigung der Frauen einzusetzen.“

    Es macht einen Unterschied, ob man jemanden, in diesem Falle auch mich, als eine beschreibt, die gesagt hätte,ich wollte oder müßte mit der Rechten koalieren, weil ich nicht links sein wollte und gar dem Chauvinismus frönte? Das ist nicht nur falsch, ( nachhörbar!) sondern auch irreführend. Mir geht es als linke Feministin um das Versagen der Linken und der sich passiv verhaltenden Feministinnen gegenüber Frauen, die ihren Einsatz um gleiche Rechte in ihren Kulturen zu kämpfen haben. Und mein Bedauern gilt nicht der Erregung einer unterhaltenden Streitkultur, sondern der Realität.

    Wenn die Rechten Ayaan Hirsi Ali z.B. eher geholfen haben als eine besserwissende Linke oder gar sich in kolonialer Selbstüberschätzung imaginierte=hilflose Feministinnen, die sich nicht trauen Kulturen und Relgionen zu kritisieren, wenn es ’nur‘ um die Rechte auf Unversehrtheit und Gleichheit von Frauen geht? Sollte deswegen ganz konkret Ayaan Hirsi Ali die Hilfe der Rechten nicht annehmen, weil die ruhende Linke ihr daraus einen Vorwurf machen könnte?

    Nur wenn diese Frage konkret beantwortet wird, kann die ermüdend stilisierte Debatte über die beschämemden Realitäten von Frauen und Männern verändert werden.

    freundlichst halina.bendkowski@gmx.de

    agentin für feminismus&geschlechterdemokratie <-

    PS.Jüdinnen waren und sind die kämpferischsten Feministinnen in den USA, wie Birgit Rommelspacher

    wissen müßte.

  4. Vielleicht sind Ayaan Hirsi Ali, Seyran Ates und Necla Kelek zu selbstbewusst, mutig und stark (geworden), als dass sie noch in das Bild von der unterdrückten Frau im Allgemeinen und der besonders unterdrückten Migrantin im Speziellen passen würden. Der „weibliche Souverän“ (den diese Frauen aus meiner Sicht ganz klar verkörpern) ist im Weltbild derer, die Frauen in erster Linie als nachhilfe- und fürsorgebedürftige Opfer betrachten, nicht vorgesehen. Evtl. könnte dies mit eine Ursache sein für eine gewisse Fassungs- und Verständnislosigkeit, die den genannten Frauen bisweilen von anderen Frauen/Feministinnen entgegengebracht wird.

  5. Für mich darf es in dieser Debatte nicht um die Frage gehen, welche Feministin jetzt GEGEN welche Feministin argumentiert. Da wird sich gegenseitig jeder Schluck Wasser streitig gemacht, was die eigentliche Sache zur Bagatelle oder boulevardesk zum „Zickenkrieg“ degradiert, der ja dann von außen gern ausgerufen wird. Auch Feministinnen dürfen unterschiedlicher Meinung sein und sollen es sogar.

    Die einen Feministinnen finden es halt am wichtigsten, eine „Frauensolidarität“ zu fördern, die ich bewusst in Anführungszeichen setze, da ich denke, dass es nicht so besonders viel mit „Solidarität“ zu tun hat, sich gegenseitig eine eigene Meinung mit Hinweis auf die Sache abzusprechen.

    Die anderen Feministinnen finden es halt kritisierenswert, dass im Kampf um Frauenrechte ganze Religionen / Kulturen pauschal verurteilt werden.

    Ich finde, beide Einstellungen haben ihre Berechtigung, ich habe die zweite, kann die erste akzeptieren, sehe aber, wie grad schon geschrieben, aber die große Gefahr, sich ständig gegenseitig mundtot zu machen, wenn man auf die notwendige „Frauensolidarität“ verweist.

    @ AI: Mein Gefühl ist, so sehr ich die Arbeit der radikalen Islamkritikerinnen schätze, aber eher umgekehrt: dass diese oft Aussagen treffen, die pauschal alle Muslima als Opfer erscheinen lassen. In der Kopftuchdebatte wird das besonders deutlich. Differenziertere Aussagen zum Islam und zu Frauen im Islam gestehen meinem Empfinden nach den Frauen dort auch mehr Rollen als nur die des Opfers zu.

  6. Susanne: „…dass diese oft Aussagen treffen, die pauschal alle Muslima als Opfer erscheinen lassen“

    Den Eindruck hatte ich auch schon mal. Vor allem wenn sich dann noch Alice Schwarzer lauthals dazu- und dazwischenwirft, höre ich schon mal genervt auf zu lesen/gucken, weil’s mir dann zu unkonkret wird (so wie ich selber gerade *shame on me*).

  7. Halina Bendkowskis ‚offenen brief‘ wollte ich hier einfach nur zur kenntnis bringen, nicht ihn mir vollinhaltlich zu eigen machen. das ist das eine.

    das andere ist die frage, wie und von wo aus ich wann was kritisiere. dazu gehört, dass es überhaupt nichts zur sache tut, ob ich (oder wer anders) Necla Kelek mag oder nicht, oder Seyran Ates oder wen sonst auch immer. Wie es auch nichts zur sache tut, ob ich das, was die eine oder andere sagt/schreibt, mag oder nicht mag.
    wenn schon, dann geht es darum, was an dem und warum ich das, was die eine oder andere zur sache sagt/schreibt, kritisiere.

    im es etwas zu konkretisieren:
    ich kritisiere an Necla Kelek nicht, dass sie den begriff ‚import-braut‘ verwendet. ich kritisiere an dem, was sie dazu alles schreibt, allerdings, dass sie so tut, als hätte sie ihn wie auch das phänomen er-/gefunden. hat sie nicht – sondern sowohl der begriff wie auch die arbeit um dieses phänomen herum sind schon etwas älter (stammt aus der zeit, als Necla Kelek noch in die schule ging) – und die auseinandersetzung, beispielsweise auf dem gebiet des ausländerrechts praktisch, ist es auch. diese auseinandersetzung läßt sich in der forderung nach der abkoppelung des bleiberechts für solche ‚import-bräute‘ von einer ehebestandszeit zusammenfassen. dies ist eine auseinandersetzung, die noch längst nicht beendet ist. im gegenteil – und an diesem punkt kritisiere ich eine Necla Kelek! weil sie die befürworter der lösung „wir schicken die alle wieder nach hause“ mit ihrer argumentation unterstützt.
    mit islam hat das wenig zu tun. aber damit, frauen über männer zu definieren, um so mehr!

  8. den link auf die faz-glosse halte ich für wenig hilfreich.
    und zwar deshalb:
    „Eine Gegenpolemik
    Maulkorb für Islamkritiker
    Wer darf über den Islam streiten? Musliminnen jedenfalls nicht, befindet eine Berliner Professorin. Unfassbar: Publizistinnen wie Necla Kelek, Ayaan Hirsi Ali und Seyran Ates spricht sie das Recht auf kritische Reflexion ab und rückt sie sogar in die Nähe von Nazis“
    diese selbst-anpreisung ist schlicht falsch. Rommelspacher hat keine maulkörbe verteilt – sondern schlicht und ergreifend festgestellt, dass eine bestimmte art von islamkritik sich gegenkritik gefallen lassen muß. und zwar auch dann, wenn sie feministisch ist/sein will.

    und: davon, dass Necla Kelek et al das recht auf „kritische Reflexion“ abgesprochen worden wäre, kann auch keine rede sein. denn diese wurde ganz im gegenteil eingeklagt.

  9. schließlich wüßte ich gern noch, wie sich eine islamkritik à la Kelek zu dieser presiträgerin verhielte/verhält (aus der pressemitteilung des hessischen landtages)

    -> 21. Januar 2010
    Hessischer Friedenspreis 2009 an kenianische Friedensaktivistin Dekha Ibrahim Abdi verliehen
    Wiesbaden – Am heutigen Donnerstag fand im Hessischen Landtag im Rahmen eines Festaktes die Verleihung des Hessischen Friedenspreises 2009 an Dekha Ibrahim Abdi statt. Dr. Monika Lüke, Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, hielt die Laudatio auf die Preisträgerin.

    Dekha Ibrahim Abdi habe sich in der Friedensarbeit und Konfliktlösung in zahlreichen gespaltenen Ländern der Welt vorbildlich engagiert, hob Landtagspräsident Norbert Kartmann in seiner Begrüßungsrede hervor. Sie kombiniere „Graswurzel-Aktivismus“ mit sanfter, aber entschlossener Führung und einer spirituellen Motivation, die sich aus den Lehren des Islam speise. „Sie liest den Koran als Friedenslehre“, so Kartmann. Abdis Motto sei ein Beleg für ihren praktischen Ansatz in der gewaltfreien Konfliktlösung. „Bei Friedensarbeit geht es nicht um die Mathematik der Zahlen und Prozente von Mehrheiten und Minderheiten. Es geht um Pluralität, Verschiedenheit, Teilhabe und „Ownership“ von allen am Konflikt Beteiligten. Frau Abdis hohes Engagement für den Frieden in der Welt gilt es von allen Seiten zu unterstützen und zu würdigen“, betonte der Landtagspräsident.

    Der Hessische Ministerpräsident Roland Koch gratulierte Dekha Ibrahim Abdi im Namen der Hessischen Landesregierung und dankte ihr für ihr Durchhaltevermögen, mit dem sie sich seit Schulzeiten für Frieden und Freiheit engagiere. „Diese Werte – Frieden und Freiheit – sind das Ziel von Politik und Religion, wenn sie den Menschen dienen sollen. Dekha Ibrahim Abdi hat diese Werte nicht nur verinnerlicht, sie sind für sie Mission. Dafür setzt sie sich ein und ist damit lebender Beweis für den friedfertigen und zutiefst menschlichen Weg des Islam. In diesem Sinne danke ich Ihnen, verehrte Dekha Ibrahim Abdi, für Ihr beeindruckendes Vorbild“, sagte Koch.
    (…) <-

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