Kritik an Zwangsehen-Studie des Familienministeriums

Anfang November veröffentlichte das Familienministerium die Ergebnisse einer Studie zum Thema „Zwangsheirat in Deutschland“: Es gäbe „bislang nur wenige wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse in Deutschland“ zum Thema, weswegen das Ministerium die Studie in Auftrag gegeben habe. Bereits kurz nach Veröffentlichung der Studienergebnisse wurden vehement erste kritische Stimmen laut – unter anderem meldete sich Sakine Subaşı-Piltz zu Wort: Sie wies darauf hin, dass bereits 2007 eine von ihr und Yasemin Karakaşoğlu durchgeführte Studie („Ausmaß und Ursachen von Zwangsverheiratungen in europäischer Perspektive“) das Feld beleuchtete und u.a. zu dem Ergebnis kam, dass Religion keine spezifische Rolle bei Zwangsverheiratungen spiele. Zudem fasst sie zusammen:

„Während einige Leute sich über die „harten Fakten“ in diesem Zusammenhang freuen, finde ich die Situation eher besorgniserregend, dachten wir doch in unseren Communities, dass dieses Phänomen heute nahezu ausgestorben ist. Selbst arrangierte Ehen sind heute eher rar. Doch heute scheinen uns Zwangsverheiratungen wieder einzuholen. Die Debatte über Zwangsverheiratungen dreht sich seit Jahren im Kreis, in dem auch heute noch der Fokus auf die (islamische) Religion gelegt wird. Zu unterschiedlich sind die Religionen (beispielsweise Hinduismus – Christentum), denen die Menschen angehören, die wiederum andere Menschen zwangsverheiraten oder zwangsverheiratet werden. Gläubigkeit stellt sich in diesem Zusammenhang als ein viel zu allgemeiner Wert dar.“

Auch der Blog Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. wies u.a. und sehr ausführlich auf methodologische Mängel und inhaltliche Problematiken der Studie hin: Zudem wird auf potentielle Interessenlagen des Familienministeriums in Bezug auf die Studie verwiesen.

Nun haben die Wissenschaftler_innen der Zwangsheiratstudie eine Stellungnahme verfasst, in der sie sich von den Präsentationstechniken der Familienministerin distanzieren und zudem darauf hinweisen, dass bereits während der Arbeit an der Studie kontrovers diskutiert wurde, da Missverständnisse erwartet wurden. Migazin hat den genauen Wortlaut der Stellungnahme veröffentlicht; u.a. tun die Wissenschaftler_innen ihre Verwunderung über den Umgang mit Ergebnissen kund:

„Die Studie hat herausgefunden, dass „3.443 Personen im Jahr 2008 in insgesamt 830 Beratungsstellen erfasst“ wurden. Hiervon sind „60% angedrohte und 40% vollzogene Zwangsverheiratungen“ (Kurzfassung Studie S. 7). Wir waren höchst erstaunt zu lesen, dass dies von einer Ministerin wie folgt zusammenfasst wird: „3443 Fälle von Zwangsverheiratungen haben die Beratungsstellen in Deutschland für das Jahr 2008 registriert.“ Hierbei werden angedrohte Straftaten mit tatsächlich stattgefundenen gleichgesetzt. Ebenso wird leider nicht zitiert, dass die Studie darauf hinweist, dass diese Zahl Mehrfachnennungen beinhaltet und damit Fälle doppelt gezählt worden sein können; auch hierauf haben vor allen Dingen die Praktikerinnen im Beirat immer wieder hingewiesen.“

Zudem kritisieren sie:

„Die öffentliche Darstellung und Auswertung der Studie durch Ministerin Schröder wird den Befunden in wichtigen Punkten nicht gerecht. Über mögliche Fehlwahrnehmungen, stereotype Interpretationen und etwaige politische Instrumentalisierungen der Studie wurde sowohl im Beirat als auch im wissenschaftlichen Workshop intensiv diskutiert. Dass ausgerechnet die Auftraggeberin der Studie verzerrende Interpretationen wichtiger Befunde in der Öffentlichkeit verbreitet, ist für alle Beteiligten, die viel ehrenamtliche Arbeit in die Beratung der Studie investiert haben, mehr als bedauerlich.“

Die komplette Stellungnahme kann (und sollte) mensch hier nachlesen. Verfasst wurde sie von den Mitgliedern des Beirates (Prof. Dr. Heiner Bielefeldt, Yildiz Demirer, Dr. Nivedita Prasad, Dr. Monika Schröttle) und den Teilnehmer_innen des wissenschaftlichen Workshops (Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning, Prof. Dr. Gaby Straßburger).

2 Kommentare zu „Kritik an Zwangsehen-Studie des Familienministeriums

  1. Das moralische Versagen konservativer Religionsgemeinschaften besteht darin, dass sie sich aus dem Thema Gewalt in der Familie weitgehend herausgehalten haben.

    Man kann also jede Woche in die Moschee oder die Kirche oder den Königreichssaal oder sonstwohin rennen, zuhause die Kinder prügeln und sich dabei auch noch „gottgefällig“ und „rechtschaffen“ fühlen.

    Falls es keine soliden Untersuchungen über die mögliche Rolle der Religionen bei der Legitimierung familiärer Gewalt und bei der Fügsamkeit der Kinder gibt, dann heißt das wohl, dass es niemand so genau wissen will.

Kommentare sind geschlossen.

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