Hormone dekonstruieren: Gender Trouble im Sport

Vergangene Woche entschied der Internationale Leichtathletikverband IAAF nach fast einem Jahr endlich über die Startberechtigung der südafrikanischen 800-m-Läuferin Caster Semenya und darüber, dass es sich bei ihr tatsächlich um eine Läuferin handelt, sie also weiterhin bei den Frauen als Frau starten darf. (Wir berichteten kurz hier und ausführlicher zum Thema der Geschlechterdefinition im Leistungssport auch schon im Februar.)

Für die taz kommentierte Andrea Rödig die Entscheidung des IAAF (der Text ist in Teilen identisch mit einem früheren Beitrag für den Freitag). Rödig begrüßt die Entscheidung und macht darauf aufmerksam, dass diese selbst – wenn wohl auch unfreiwillig – die Theorien von Geschlecht als sozialer Konstruktion bestätigt, indem sie nämlich das doing gender innerhalb des eigenen Sportkosmos selbst vorführt:

Das Urteil zeigt in seinem trockenen Gestus besser als jede theoretische Abhandlung, dass Geschlecht unter anderem ein „performativer Sprechakt“ ist, das heißt ein Satz, der Tatsachen schafft. Das IAAF lässt Semenya zu, also gilt sie als Frau.

Interessant ist der Text von Rödig jedoch auch deswegen, weil sie der Geschlechtertheorie unbequeme Fragen stellen möchte, zum Beispiel die nach den Hormonen und ihrer Wirkung. Dabei gehe es, so Rödig, nicht darum, hinter die Dekonstruktion einer „natürlichen“ Zweigeschlechtlichkeit zurückzufallen, sondern vielmehr sich deren Erkenntnisse zunutze zu machen, um sich

jenseits der eingeschliffenen Denkmuster noch einmal mit der Bedeutung von physiologischen Bedingungen für Geschlechtlichkeit zu beschäftigen. Eigentümlicherweise wächst gerade im Herzen der queeren Bewegung derzeit eine Vorliebe für die Evidenz physiologischer Manipulation: In wachsender Zahl zeigen Transpeople beeindruckend, wie viel man mit Hormonen anstellen kann. Die Biologie hat die Gender bender längst eingeholt.

6 Kommentare zu „Hormone dekonstruieren: Gender Trouble im Sport

  1. gibt es eigtl. irgendwo gesammelte erfahrungsberichte von transleuten, welchen konkreten einfluss die hormontherapie auf sie gehabt hat? (also gerade auch im nicht-körperlichen bereich)

  2. Ein deutlicher Hinweis nicht nur aus dem soziokulturellen, sondern auch (!) aus dem biologisch-gewichteten Forschungsansatz :

    „Es gibt keinerlei biologische Rechtfertigungen, die die Hausfrauen- und Mutterrolle für Frauen zementieren.“

    (Quelle : Susan Pinker, Das Geschlechterparadox, S. 348)

  3. @Bad Hair days :

    Das sind viele interessante Hinweise. Auch mich interessiert seit einiger Zeit die uralte Frage „Soziokulturell vs. biologische
    Prädisposition“.

    Deinen Hinweis im ersten Link zur Auseinandersetzung auf Deinem Blog teile ich :

    „…begründeten Unterschieden gleich davon auszugehen, dass diese Frauen in ein schlechtes Licht setzen,…“

    Ich denke ebenfalls, hier gibt es noch einige historisch bedingte Befürchtungen, insbesondere die pseudo“wissenschaftlichen“
    Abhandlungen wie „Vom Schwachsinn des Weibes“ waren nicht nur unbedingt ein Meilenstein der Wissenschaft, sondern
    haben auch ihre soziokulturellen Spuren hinterlassen.

    Ich sehe die o.g. Frage nach der Dominanz „Kultur vs. Biologie“ sehr gelassen und mittlerweile nur noch von akademischem Interesse.

    Viele Frauen melden ihre berechtigte Teilhabe an sportlichen Aktivitäten und an Entscheidungsprozessen, viele Männer
    äußern mittlerweile ebenfalls Unmut, wenn sie auf einengende Rollen als Hormonmonster festgezurrt werden und melden
    aktive Vaterschaft an.

    Wenn die biologischen Geschlechtsunterschiede dominieren, tut dies m.E. beiden modernen Ambitionalitäten keinen Abbruch,
    denn außer der McKinssey-Studie des höheren Erfolges gemischter paritätischer Teams gibt auch der Diversity-Ansatz
    der Unterschiedlichkeitsthese den Vorzug :

    „Der Diversity-Ansatz, den auch im deutschsprachigen Raum inzwischen die großen Unternehmen statt einer gesonderten Gleichstellungspolitik betreiben, geht von dieser Differenz-Philosophie aus. Er versucht die unterschiedlichen Qualitäten von Frauen und Männern, die spezifischen Fähigkeiten einzelner Gruppen auch spezifisch zu nutzen. Männlichkeit ist nicht besser als Weiblichkeit, und umgekehrtes zu behaupten, wäre ebenso falsch. Weiblichkeit ist auch nicht moralischer als Männlichkeit und Männlichkeit nicht effektiver als Weiblichkeit. Unterschiede zwischen den Geschlechtern bestehen, aber sie sind niemals Überlegenheitsqualität.“

    (Quelle : Geschlechterdemokratie, Frauen/Männer, besser miteinander leben, 2004, Prof. Hollstein, S. 266)

    Diese Feststellung widerspricht also nicht den Wunsch vieler Menschen auf Rollenzwangfreiheit und Vielfalt der Lebensentwürfe.

    Aus diesem Grunde finde ich die Diskussion „Biologie vs. Kultur“ lediglich nur noch akademisch interessant und ich freue mich auf weitere interessante Forschungsergebnisse.

  4. Ich finde den FAZ Beitrag übrigens furchtbar. Es ist nicht das geringste Hintergrundwissen über transgender, transsexuelle und intersexuelle Menschen erkennbar, dennoch wird dieser Personengruppe, die sich grösstenteils medizinisch definiert, unterstellt, sie wolle per se Geschlechtergrenzen aufheben – eine politische Einstellung, die völlig an der Realität der meisten Betroffenen vorbeigeht.

    Genauso wie das Halbwissen um die Wirkung von Hormonen, die sich in den Gedanken der Autorin offensichtlich rein im aktuellen Serumsstand zu entscheiden scheint.

    Frau Rödig scheint Hormone für so eine Art Modedroge einer politischen Bewegung zu halten.

Kommentare sind geschlossen.

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