Heute auf ARTE: Protest im Netz und auf der Straße

Heute Abend um 21:50 22:30 Uhr läuft auf arte der erste Teil der zweiteiligen Dokumentation Rebel Yelleine Doppelfolge über aktuelle Protestformen im Netz und auf der Straße. Die erste Folge befasst sich mit Aktivismus im Netz, denn „für die aktuelle Protestkultur ist das World Wide Web längst das vernetzende und allem übergeordnete Medium [geworden], um Missstände zu thematisieren, zu Protest aufzufordern und ihn sofort in Bildern zu präsentieren – schnell, effektiv, weltweit.“

Nächsten Samstag geht es um 21:30 weiter mit Fokus auf Demonstrationen und Aktionen auf der Straße:

„Im zweiten Teil von Rebel Yell begleiten die Autoren (sic!) Demonstrationen und Aktionen, lässt Initiatoren (sic!) und Unterstützer (sic!), Wagenplatzbewohner (sic!), Hausbesetzer (sic!) oder „Occupy“-Aktivisten (sic!) zu Wort kommen und zeigt die Vielfalt ihres Protests.“

Mensch könnte meinen, dass in den Beiträgen nur Männer zu Wort kommen, aber weit gefehlt: Auch Aktivist_innen wie Nadine Lantzsch von der Mädchenmannschaft oder die Rapperin Sookee wurden zu feministischen Protest auf der Straße und im Netz befragt. Auf der arte-Seite gibt es mehrere Teaser für die Doku. Hier ist die zu Feminismus und Gender:

Nachtrag: Der erste Teil war leider enttäuschend. Es sprachen überwiegend Männer, allen voran die Gruppe ‚Anonymous‘, die zu allen Themen ihren Senf hinzugeben durften und gleich am Anfang postulierten: „Geschlecht und Hautfarbe spielen im Netz ja keine Rolle“. (Wenn das Menschen sagen, die weder von Rassismus noch von Sexismus betroffen sind, klingeln da selbstverständlich alle Alarmglocken.) Auch Assange bekam (unkommentiert) seinen Platz in der Doku, was wirklich absurd_ironisch_ekelhaft ist, denn fünf Minuten vorher erzählte Nadine Lantzsch bereits vom Fall DSK und in einer anderen Szene berichtete eine Aktivistin von der Initiative hollaback, welche sexualisierte Belästigungen auf der Straße anprangert. Es bleibt zu hoffen, dass der zweite Teil nächsten Samstag besser wird. Aktuelle Tweets zur Sendung könnt ihr unter dem Hashtag rebelyell nachlesen.

13 Kommentare zu „Heute auf ARTE: Protest im Netz und auf der Straße

  1. Einen herzlichen Dank für das Feedback zu der Sendung; wir nehmen das grundsätzlich sehr ernst, um es bei folgenden Produktionen berücksichtigen zu können. Ich bin der Produzent des Filmes und melde mich in dieser Funktion hier zu Worte.

    Ich gehe davon aus, dass die Autorin sich zum Fall Asange noch äußern wird, da will ich ihr ebenso wenig hinein quatschen oder vorgreifen wie bei vielem anderen bei der Gestaltung des Films.

    Wir haben auch nicht zufällig eine Sprecherin gewählt. Das ist zum Glück nicht mehr ungewöhnlich, aber häufig kursiert im Genre Dokumentation noch – ist tatsächlich so – die Annahme, Sprecherinnen würde nicht geglaubt. Wir halten das für falsch. Wir haben auch nicht zufällig DIESE Sprecherin gewählt, Noah Sow, das war auch als Statement gedacht, das sich dann wohl nicht vermittelt hat.

    Der Film wurde von einer erfahrenen Autorin, Nicole Kraack, mit sehr viel Herzblut, hoher Rechercheintensität, hoch reflektiert und mit enormem persönlichem Einsatz gestaltet. Insofern waren das 52 Minuten Perspektive einer Frau. Das enthebt niemanden der Kritik, sei aber erwähnt, weil wir das mit den Sprecherpositionen sehr ernst nehmen. Insofern ist ja für eine solche Dokumentation nicht nur wichtig, wer im Bild zu sehen ist, sondern auch, wer die Regie führt, den Schnitt arrangiert usw.. Was blöd war, nehme ich aber gerne auf meine Kappe, das waren dann vermutlich meine Interventionen.

    Des weiteren macht sich keine Autorin, kein Autorin das, was gesagt wird, automatisch zueigen. Anonymous haben beim dem Sujet – wie wird das Internet genutzt, um zu protestieren – zweifelsohne hohe Relevanz. Unseres Erachtens haben aber auch die Mädchenmannschaft und Hollaback hohe Relevanz, deshalb haben wir sie ja thematisiert und eingebaut. Und nicht zufällig „Shitstorm“ und „Trolle“ in dem Kontext thematisiert, die sich häufig hinter „Postgender“ verschanzen und dann so richtig los legen.

    Insofern teilen wir in diesem konkreten Punkt, anders als bei anderen Fragen, die Ansicht von Anonymous nicht und waren der Ansicht, dass das auch klar wird. Weil, würden wir diese Sicht teilen, wir ja euch da gar nicht zum Thema gemacht hätten. Umgekehrt ist das, was Anonymous zu diesem Thema sagen, so weit verbreitet als Ansicht, dass es zur abzubildenden Wirklichkeit mit dazu gehört. Auf diese haben wir ja nur begrenzt Einfluss. Wir arrangieren ja, was der Fall ist und haben versucht, Aspekte einer Diskussionslage darzustellen.

    Da fangen dann die Probleme an – man kann dann entweder in jedem Off-Text sagen „Das sehen wir aber anders!“ und sich als Macherin vordrängeln, oder sich zurück halten und davon ausgehen, dass das im Zuge des Films schon von selbst klar wird, dass das mit Postgender, Postrace etc. nicht stimmt.

    Wir halten das aber nur bedingt für richtig, Leute vor die Kamera zu holen, sie zu befragen und dann zu sagen „Quatsch, das ist alles ganz anders!“ Es gibt ja auch da verschiedene Arten des Ethos, das machen andere auch anders – die versuchen dann, vorzuführen, zum Beispiel. Das ist nicht unser Stil. Es gibt auch Formen des Machtmissbrauchs mit der Kamera, die wir zu vermeiden versuchen. Vielleicht gelingt es uns nicht immer, das kann gut sein.

    Und da stößt man auf Kernfragen eines wie auch immer gestalterisch tätigen Journalismus, die so einfach gar nicht zu beantworten sind, die aber für ein feministisches Blog ja vielleicht von Relevanz sind.

    Die Mädchenmannschaft ist notwendig parteiisch, das ist auch gut so, und so ganz unparteiisch geht auch nicht.

    Aber wie weit kann nun eine auf einem öffentlich-rechtlichen Sender ausgestrahlte Dokumentation immer wieder „ich finde aber, dass!“ sagen? Welches Spektrum hat sie bei einem allgemeinen Thema bei einer Ausgangsfrage wie „Wie artikuliert sich Protest im Netz, und wie wird dabei das Netz genutzt?“ wie zu gewichten?

    Kann dabei das, was weltweit in die Schlagzeilen gerät, außen vor gelassen werden? Zudem nun auch Wikileaks oder Anonymous ja seltener als Subjekte erscheinen, häufig wird eher die Pressemeldung einer Regierungsstelle umformuliert. Da war unser Anliegen, auch diese selbst sagen zu lassen, wie sie ihre Arbeit einordnen. Mehr dazu kann die Autorin sagen.

    Wie wir die Fragen beantwortet haben, das ließ sich ja am Samstag angucken und lässt sich auch beim nächsten Film noch einmal betrachten.

    Wir nehmen aber jede Anregung und Kritik sehr genau wahr und würden uns über ausführlichere Kritiken auch freuen. Auch und gerade hinsichtlich der oben formulierten Fragen. Die diskutiert man als Fernsehmacher ja auch häufig, da wäre ich auf eure Antwort sehr gespannt.

  2. Lieber Christian Bettges,

    Noah Sow als Sprecherin (die als solche wohlgemerkt wenig Einfluss auf die Bilder und die erzählte Geschichte hat) und Nicole Kraack als Redakteurin sind wohl keine Legitimation für die von uns und vielen anderen geäußerte Kritik am ersten Teil der Dokumentation. Wenn es Ihnen wirklich um Sprecher_innenpositionen gegangen wäre, hätte Assange _gar keine_ unkommentierte(!) Redezeit bekommen, zumal nicht, wenn kurz zuvor sexualisierte Gewalt, Frauenfeindlichkeit und Belästigung thematisiert wurde. Sowas ist einfach nur geschmacklos. Auch hätten unter Berücksichtigung von Sprecher_innenpositionen Anonymous nicht die meiste Redezeit in den 45 Minuten mit ihrem Postgender/Postrace-Gedöns und den Verweis auf Extremismustheorie bekommen. Dass sich deren Aussagen von selbst disqualifizieren würden, halte ich für falsch, weil sie nämlich hegemoniale Diskurse bedienen, statt sie zu kritisieren. Die Aussagen von denen und die diplomatisch ausgedrückt sozialromantischen Sätze der weißen Typenband Anti-Flag zu den Occupy-Protesten sind mitnichten für alle als kritikwürdig dekodierbar, solange sie die Haltung einer vermeintlich demokratischen, alle-sind-gleich Protestform reproduzieren. Die Kritik an den Occupy-Protesten ist Ihnen aber doch sicher bekannt oder? Occupy hat sich antisemitischer Diskurse bedient, war ein Sammelbecken für Verschwörungsfans und Antizionisten, die Struktur, die Zugangsmöglichkeiten und die Organisation dieser Proteste war alles andere als herrschaftsfrei; Sexismen, Rassismen und antisemitische Denkmuster wurden am laufenden Band reproduziert.

    Ich verstehe nicht, wieso diese Kritik nicht mal erwähnt wird, dafür aber die ständige Lobhudelei weißer Typen, geschweige denn, wie sich ein einfaches Reproduzieren von problematischen Aussagen einfach so als Kritik äußern soll. Da muss schon von gestalterischer Seite nachgeholfen werden, ich denke auch, dass Journalismus genau dafür da sein sollte. Aussagen und vermeintliche Wahrheiten kritisch zu überprüfen. Das ist hier an den Stellen, wo es nötig gewesen wäre, schlicht nicht passiert. Dass Anonymous darüber hinaus sich schon an Angriffen gegen feministische Blogs beteiligt haben, hätte eine kurze Recherche auch ergeben. Und zu guter letzt hat mich sehr verärgert, dass Sie weiterhin andere die Mär vom demokratischen Netz erzählen lassen, alle können mitmachen, wenn Betroffene von Rassismus und Sexismus in der gleichen Doku genau das Gegenteil erzählen. Sollen hier unterschiedliche Meinungen gegenüber gestellt werden und die Rezipient_innen können sich dann was aussuchen? Was genau will diese Doku dann? Insofern gebe ich Ihnen Recht, dass Rebel Yell die Realität sehr gut abbildet: Weiße Typen, die uns was vom Pferd erzählen, Betroffene von Rassismus und Sexismus, die sich dagegen aussprechen, ihre Stimme aber peripher und marginal bleibt. Ich denke nur, dass sich Journalismus ruhig mal kritischer mit der Realität befassen sollte, sind Journalist_innen nämlich genau Teil dieser Realität und keine objektiven Beobachter_innnen.

    Sicherlich enthielt der erste Teil der Doku auch Kritik an Sexismus, Rassismus und white supremacy, doch bekamen diese Redebeiträge nicht annähernd so viel Raum wie andere, was schon viel über die inhaltliche Motivation der Produzent_innen dieser Doku aussagt. Denn Sie und die an der Produktion beteiligten Menschen haben diese Doku initiiert, haben Einfluss auf Plot, Bilderarrangement und wer wie lange mit welchen Aussagen zu Wort kommt, deswegen sollten sie mehr Verantwortlichkeit aufbringen als „Wir machen uns die Aussagen nicht automatisch zu eigen“.

    Ich bin gespannt, wie der zweite Teil wird, meine Erwartungen sind nach dem ersten Teil allerdings gewaltig gesunken.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Nadine Lantzsch

  3. Liebe Nadine Lantzsch,

    es ist so, dass wir die Kritik tatsächlich sehr ernst nehmen. Auf die Negativ-Aspekte bei Occupy haben wir dezidiert verwiesen und tun das auch in der zweiten Folge. Dann habe ich jetzt gelernt, dass das nicht deutlich genug rüber gekommen ist. Manchmal wundert man sich, wie was geguckt wird, und kann es dann beim nächsten Mal besser machen.

    Ansonsten will ich jetzt der Autorin nicht weiter vorgreifen.

    Was freilich die Frage nach der Sprecherposition betrifft – das verstehe ich jetzt wirklich nicht. Also, wieso nun in diesem Fall egal ist, ob es sich um eine Autorin handelt oder nicht, wo ansonsten das als Kriterium völlig zu recht formuliert wird.

    Es gibt einen konzeptionellen Rahmen, den wir zusammen erarbeiten, für den ich auch vollkommen verantwortlich bin. Da habe ich meine Sicht ja geschildert und bin jetzt dabei, zu überdenken, ob sie richtig ist. Deshalb danke ich wirklich für das Feedback, da lerne ich gerade etwas hinzu. Das geht ein in die internen Diskussionen, auch in die mit dem Sender.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Christian Bettges

  4. Danke erst einmal für die Reaktion!

    Ich habe aufgrund der verwirrenden Infos zum Sendezeitpunkt genau da eingeschalten, als Anonymous die „Geschlecht und Hautfarbe spielen keine Rolle“-Aussage tätigen. Da ich das nur mitgehört und den Untertitel/Sprecher zunächst nicht gesehen habe, dachte ich, das steht für „die übliche Troll-Internetmeinung“ und damit würde sich im Folgenden kritisch auseinandergesetzt. Insofern hat Eure „wir lassen die Dokumentierten selber (wider)sprechen“-Taktik kurz funktioniert. Sie verliert aber ihre Wirksamkeit, sobald klar ist, dass hier Anonymous spricht und zwar sehr oft, zu fast allen Themen, unkommentiert und damit als „Autorität“ und nicht anonyme Internet-Mainstream-Meinung. Da die Anonymous-Aktivisten so oft zu Wort kamen und sie quasi der rote Faden in der meiner Meinung nach überladenen Dokumentation wurden, wuchs bei mir das Gefühl, dass diesen Sprechern die (größte) Definitionsmacht überlassen wird.

    Dass Filmer_innen nicht ständig intervenieren sollten, okay. Aber dann braucht das Gezeigte einen klarer zu verstehenden Kontext. Domscheit-Berg, Assange und feministische Aktivist_innen ohne Bezug und dann auch noch unkommentiert nebeneinander zu setzen ist doch eine völlig verzerrte Darstellung von Realität. Und das kann kaum jemand außer Eingeweihten, die diese Doku eh nicht mehr brauchen würden, dekodieren.

    Ich halte das hauptsächlich für ein Problem der fehlenden Zuspitzung. Da sind viele interessante Leute interviewt, aber sie kommen so kurz zu einem Thema zu Wort, dass sie nur Platitüden von sich geben können. Etwa den Komplex Occupy zu beleuchten braucht viel mehr Zeit und Konzentration, denn die von Nadine angesprochenen Kritikpunkte müssen unbedingt ausreichend dargestellt werden. Und erst dann kann das herausgearbeitet werden, was eventuell trotzdem positiv oder hilfreich an der Bewegung ist. Dazu hätten die CitizenRadio-Hosts zum Beispiel was konkretes zu sagen. Ob das dann jemanden überzeugt oder nicht, kann ja offen bleiben. Aber dann sind wenigstens die Sprecher_innenpositionen und Machtverhältnisse etwas deutlicher und die Zuschauer_innen haben eine Möglichkeit sich informiert eine Meinung zu bilden.

    Für uns alle, die wir uns mit „Internet-Aktivismus“ beschäftigen, ist wohl inzwischen klar, wie facettenreich und kompliziert und gegensätzlich das Phänomen wirkt. Die Kunst besteht meiner Meinung nach jetzt darin so zu differenzieren und Verbindungen herzustellen, dass sinnvolle Aussagen über Teilphänomene ermöglicht werden. Nur zu zeigen was es alles gibt und dass es gleichzeitig voll toll und total schlimm ist, bringt keine Erkenntnisse mehr. Um nicht einfach die Reizüberflutung und Beliebigkeit aus „dem Internet“ in der Dokumentation zu wiederholen braucht es für mich entweder einen viel fokussierteren Themenbereich oder eben doch deutlichere Eingriffe der Autorin, die die ganzen Sprünge und Auslassungen nachvollziehbar machen.

    Ich bin gespannt auf den zweiten Teil.

  5. Lieber Christian Bettges,

    ich schließe mich der Einschätzung von thinkpunk an und möchte noch einmal dezidiert auf Ihre Frage eingehen, warum denn jetzt Noah Sow als Off-Stimme und das redaktionelle Händchen von Nicole Kraack nicht ausreichend gewürdigt werden.

    Ich glaube, sie missverstehen, was mit Sprecher_innenposition gemeint ist. Sprecher_innenpositionen zu berücksichtigen heißt sensibel mit Machtverhältnissen umzugehen, mal denen den Raum wegnehmen, die immer Raum und damit Definitionshoheit bekommen. In dem konkreten Fall dieser Doku würde das bedeuten, dass in einem Kontext, in dem es auch um sexualisierte Gewalt, um rassistisch motivierte Morde, um white supremacy geht, den Stimmen von Betroffenen genügend Raum zu geben. Das ist passiert, mEn aber nicht ausreichend. Gleichzeitig wäre es bei Berücksichtigung von Sprecher_innenpositionen in diesem Kontext wünschenswert, dass eben nicht Leute ihren Senf zu diesen Verhältnissen geben, die davon nicht betroffen sind oder klar profitieren, zumal wenn sie sich in Sozialromantik ergießen oder der Aktualisierung herrschaftlicher Diskurse bedienen, die sowieso schon Mainstreammeinung sind. Konkreter: Nicht anonymous irgendwas reden zu lassen von „Im Internet gibt es keine Hautfarbe und kein Geschlecht“, Stimmen wie die von Julian Assange entweder ganz wegzulassen oder zumindest kritischer einzubetten, nämlich dass es gegen seine Person konkrete Vorwürfe von Vergewaltigung und sexueller Belästigung gibt, die, wenn wir nach dem Definitionsmachtkonzept verfahren (was wir auf einem feministischen Blog immer tun), keine haltlosen Vorwürfe sind, sondern erst einmal Tatsachen. Wie sensibel gegenüber Betroffenen ist es bitte, diese Person in einer Doku, die sich einen kritischen Anstrich geben möchte, sprechen zu lassen? Eine Person, die verharmlosende Berichterstattung um Assange,der verharmlosende Umgang mit Vergewaltigung, das Perpetuieren einer rape culture Gründe unter vielen waren, dass im vergangenen Jahr tausende Menschen an den Slutwalks teilnahmen, die eigentlich auch in dieser Doku vorkommen sollten, soweit ich mich erinnere. Eine Ironie, finden Sie nicht? Leider ganz und gar nicht lustig, mir war spätestens da nach Wegschalten zumute.

    Aussagen wie die von Anti-Flag, von Anonymous oder Assange, die keine Gesellschaftskritik üben außer ein bisschen „wir kleinen gegen die da oben“, verdreht nicht nur die Realität ins Absurde (weiße heteroMänner – zum Teil in gut situierten Positionen – sind mitnichten machtlos, stellen sich aber gern als Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse dar, wahlweise auch des Staates oder den Mächtigen -> wer auch immer das sein soll, ist aber leider anschlussfähig gerade für antisemitische Diskurse), sondern affirmiert herrschende Verhältnisse, mit Kritik daran hat das nichts zu tun.

    Dass Nicole Kraack verantwortliche Redakteurin ist und war und Noah Sow Texte für diese Doku einspricht, soll jetzt bezogen auf Sprecher_innenpositionen eigentlich was genau sein? Hat Kraack ihre „weibliche“ Perspektive auf die Inhalte gelegt? Was wäre denn diese Perspektive? Hat Noah Sow eine Stimme bekommen, also inhaltlich kommentiert, was sie an Schnittbildern gesehen hat, hatte sie die Möglichkeit zur Kritik an Gesagtem, am Plot, am Schnitt?

    Es ist ja nett, dass auch Frauen in die Produktion einer solchen Dokumentation einbezogen werden, aber nun nichts, was irgendwie Beifall nach sich ziehen müsste, sondern eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Zumal auch wie eben gesagt, daraus weder automatisch eine kritische Perspektive hervorgeht, noch für alle Rezipient_innen ersichtlich ist, wer von den Beteiligten welche Perspektive in welchem Maße einbringen konnte. Warum wurden im ersten Teil anonymous in den Vordergrund gestellt, warum wurde das Thema Belästigung und Gewalt im Netz sowie auf der Straße nur peripher abgehandelt, warum gab es nicht mehr Stimmen, die sich gegen Rassismus ausgesprochen haben? Nach meinem Interview mit Nicole Kraack, bei dem über eine STunde Inhalt produziert wurde, die Fragen klug und informiert waren, gehe ich davon aus, dass auch die anderen Personen in den Interviews diesen Raum bekommen haben und kluge, kritische Sachen sagen konnten. Wo sind diese Inhalte auf dem Weg zu dem, was wir am Samstagabend bei ARTE sehen konnten, geblieben? War es nicht spannend, nicht eingängig, nicht einfach verständlich genug, was diese Menschen zu erzählen hatten? Weil sie vielleicht keine Plattitüden- und Phrasendrescher_innen waren wie die Typen von Anonymous und Anti-Flag, die inhaltlich nichts beizutragen hatten?

    Ich rechne Ihnen Ihren Anspruch hoch an, bin erfreut über Ihre Diskussionsbeteiligung und das Maß an Wissen, was Sie mitbringen (statt in Abwehrhaltungen zu verfallen, wie es viele Medienmenschen tun, wenn sie für ihre Produktionen/Inhalte/Texte kritisiert werden), muss aber leider feststellen, dass sich davon nicht sehr viel in dieser Doku wiederfindet. Schade.

  6. Lieber Christian Bettges,
    „Was freilich die Frage nach der Sprecherposition betrifft – das verstehe ich jetzt wirklich nicht. Also, wieso nun in diesem Fall egal ist, ob es sich um eine Autorin handelt oder nicht, wo ansonsten das als Kriterium völlig zu recht formuliert wird“ – Egal ist es sicher nicht, es ist ein netter Anfang. Aber genau so wenig eine Angela Merkel oder Kristina Schröder – obwohl ‚Frauen‘ – gute, bzw. überhaupt, Politik für Frauen machen, so wenig ist eine AutorIN automatisch gleichzusetzen mit feministisch-kritischer Perspektive auf ein Phänomen wie Netzaktivismus.

  7. Liebe Nadine Lantzsch, @thinkpunk

    Danke für die auch freundlichen Worte und ebenso noch einmal für die Vertiefung und Erläuterung dessen, was für kritikwürdig befunden wurde. Ich lese hier auch weiterhin aufmerksam mit, und es ist keine Phrase, dass ich mir auch die ganze Zeit viel Gedanken darüber mache, wie in zukünftigen Fällen so etwas zu lösen wäre. Ansonsten werde ich gerade etwas in die Verlegenheit gebracht, nun für Andere sprechen zu sollen. Ich will aber auch gar nicht Verantwortung abgeben, die habe ich natürlich als Produzent.

    Das mit der Sprecherposition ist bei dem Thema Asange relevant. Bei der angesprochenen Frage vertraue ich auf die Recherchen meiner AutorInnen und würde einer Autorin nun gerade bei einem Thema wie sexueller Belästigung und ggf. darüber hinaus als Mann nicht hinein quatschen.

    Noah ist eine herausragende Sprecherin, ich bewundere sie für ihre Antirassismusarbeit sehr und auch weit darüber hinaus, als Musikerin, Autorin, Mensch. Für den lnhalt der Dokus ist sie selbstverständlich nicht verantwortlich. Nichtdestotrotz ist es als Signal zu verstehen, dass wir die Position von Anonymous nicht teilen in dem konkreten „Postgender“ etc.-Fall, dass wir sie als Sprecherin wählen.

    Ob und inwiefern das Statement von Anonymous und auch andere anders einzubetten gewesen wären, das nehme ich nun als Hausaufgabe mit und werde es auch mit allen Beteiligten besprechen und danke wirklich für die ausführlichen Hinweise, die wir auch bei Folge 2 intensiv verfolgen werden.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Christian Bettges

  8. „als Mann nicht hinein quatschen“, WAS eine Keule, darauf musste erstma kommen. Und dann kommt sone Scheiße bei rum. Ich hab die ganze Zeit ungläubig dagesessen und darauf gewartet, dass Assange = Verg. doch noch kommt, aber war nich! Und stattdessen ständig diese lächerlichen Typen mit ihren bunten Morphsuitmasken – is der bescheuerte Guy Fawkes nich mehr schick genug oder was – und der unfassbar coolen, runtergepitchten Entführer-Stimme. Zum Schreien war das.

Kommentare sind geschlossen.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑