Hamsterrad der Ignoranz – Wenn Weiße mit sich selber über Rassismus reden

Rassismus in Kinderbüchern: In diesem Text, den wir freundlicherweise veröffentlichen dürfen, setzt Sula als Schwarze Kunstwissenschaftlerin, Aktivistin und Mutter einen Punkt unter die unsäglichen Debatten im Pfuilleton und drumrum.

Und als ob es in den letzten Wochen nicht bereits deutlich genug geworden wäre, dass sich jene Schriftsteller_innen und Journalist_innen, die sich zur Zeit in Panik an das eine Wort klammern, das scheinbar konstitutiv für den Erhalt deutscher Kultur und Identität ist, es sorgfältig vermeiden, irgendeine wie auch immer geartete Recherche bezüglich des Wortes oder der Debatte zu betreiben, musste die ZEIT noch einen weiteren Kommentar veröffentlichen, der die Stimmen Schwarzer Menschen, die immerhin vereinzelt, der Ursuppe weißer Mainstreammeinung zum Trotz, sichtbar geworden sind, in guter imperialistischer Tradition ausblendet.

 Auch Frau Christine Nöstlinger muss sich zur Debatte äußern. Das Ganze wird noch völlig unnötigerweise verziert von rassistischen Abbildungen und Texten aus „Der Struwwelpeter“. Schade, dass man Bücher nicht entlesen kann. Irgendwie sehe ich es nicht mehr ein, dass ich mir die Mühe machen soll, mir noch irgendetwas anzuhören, durchzulesen oder anzuschauen, was von weißen Deutschen (oder wie in diesem Fall Österreicherinnen) ganz offensichtlich sowieso nur für weiße Deutsche produziert wird, während die „geistige Elite“ dieses Landes in zwei Wochen zermürbendem Sich-im-Kreise-Drehen um die eigene Argumentation im luftleeren Raum es offensichtlich nicht geschafft hat, auch nur einen der vielen Texte anzufassen, die die vielen Irrtümer, unfundierten Behauptungen und apokalyptischen Verschwörungsfantasien, die sich auch in Frau Nöstlingers Text wieder tummeln, ausnahmslos entschärfen.

Und ich spreche nicht einmal von den zahlreichen Artikeln der letzten Tage, in denen sich Schwarze und weiße Autor_innen die Mühe gemacht haben, noch einmal, zum einhundertachtunsechzigtausendsten Mal ihr Wissen darüber zu teilen, wie Rassismus funktioniert. Ich spreche von all jenen Texten, Büchern, Filmen, Kunstwerken, die Schwarze Autor_innen bereits in den Jahrhunderten davor produziert haben. Ich spreche von der mühseligen Aufklärungsarbeit, die wir in unserem Alltag leisten. Wir haben alles gesagt, alles erklärt. Wir haben die Referenz von der Referenz von der Rerefenz referenziert. Es bringt nichts, wenn eine Frau Nöstlinger nun eben keinen Fanon, keinen Du Bois, keine bell hooks, keine Toni Morrison, keine Sharon Otoo, keine Zadie Smith, keine Chimananda Ngozi Adichie, keinen Ezra Jack Keats, keine Grada Kilomba, keine Danielle Evans, keinen Hans-Jürgen Massaquoi, keine Maisha Eggers, keine Peggy Piesche, keine Patricia Hill Collins, keine Alice Walker, keine Noah Sow, keinen Kobena Mercer, keine May Ayim, keine Bessie Head, keinen Achille Mbembe, keine Audre Lorde, keinen Chinua Achebe, keinen Senghor, keine Zora Neal Hurston, keinen Spike Lee, keinen James Baldwin, keine Octavia Butler, keinen Langston Hughes, keine Ida B. Wells, keine Simone Ayivi lesen will.

Ich schlage vor, wir beenden die Debatte. Machen wir weiter wie bisher: Ihr lest euren Kindern rassistische Bücher vor, und wir kaufen die Bücher nicht. Wir schauen eure Filme nicht, zeigen sie nicht unseren Kindern und erkundigen uns, bevor sie mit ihrer Schulklasse ins Theater gehen ganz genau, um was es geht, um uns dann noch immer nicht sicher zu sein, dass sie nicht an diesem Nachmittag traumatisiert nach Hause kommen. Wir drehen uns schweigend um, wenn ihr wieder einmal einen rassistischen Witz reißt und denken uns unseren Teil, wohl wissend, dass wir in eurer nächsten Konfrontation mit jemandem, der/die es noch nicht müde ist, zu versuchen mit euch über Rassismus zu reden, als die eine Schwarze Person herhalten müssen, die Eure rassistischen Äußerungen „gar nicht schlimm findet“, was dann die Legitimität der individuellen Perspektiven aller anderen Schwarzen Menschen auf der Welt auslöscht.

Alle paar Jahrzehnte macht jemand aus eurer Mitte einen winzigen Vorstoß und eliminiert, sagen wir, einen rassistischen Begriff aus einem eurer liebsten Kinderbücher. Nur ein Wort. Die kolonialen Allmachtsfantasien dürfen bleiben und ganz sicher stellen, dass eure Kinder zu genauso guten, weißen Deutschen heranwachsen können, wie ihr es seid.  Ein bisschen epistemische Gewalt braucht die deutsche Volksseele halt. Und dann könnt ihr wieder ein paar Wochen so tun, als wäre das Anliegen, als Schwarze Person nicht in den eigenen Kinderbüchern, in Filmen, im Theater, in der Presse, auf dem Schulhof und in Schulbüchern oder im Unterricht mit rassistischen Beleidigungen konfrontiert zu werden jetzt ja „ganz neu“, weil ihr ja immer alles nicht lest, was wir schreiben, aus Prinzip sozusagen. Und deshalb könnt ihr auch dann wieder behaupten, dass das N-Wort vor 30 Jahren ganz harmlos und überhaupt nicht bös gemeint war. Und ganz fest daran glauben, dass ihr das nicht denkt, weil vor 30 Jahren in Deutschland rassistische Gewalt eben so normal war, wie ihr sie heute immer noch findet.

Und wenn ihr dann wieder ganz viel nicht gelesen, nicht zugehört, nicht hingeschaut und nicht nachgedacht habt, während unsere Kinder in den Schulen weiße Weltsicht, weiße Literatur und weiße Geschichte pauken, dann, ja dann ist es auch endlich mal wieder Zeit für eine weitere „Integrationsdebatte“.

25 Kommentare zu „Hamsterrad der Ignoranz – Wenn Weiße mit sich selber über Rassismus reden

  1. Ich verstehe das auch gar nicht…warum fragen wir nicht die, die von solchen Rassismen betroffen sind? Es wird doch nicht schwer sein eine umfrage zu starten, auszuwerten und fertig…

    stattdessen nehmen wir (also weiße) uns heraus wieder über etwas zu bestimmen, was wir gar nicht nachvollziehen können…war ja schon immer so..hat man ja schon immer so gemacht…kotz…

  2. Ich frage mich die ganze Zeit, wieso ich bis auf S. Kayne keinen direkt von Rassismus betroffenen Menschen dazu gehört habe.

    Und dann fällt mir auf- Hallo- die werden alle im Internet laut. Dort wo einzig das vermittelt wird worauf es ankommt.

    Schade, dass es noch keine wirkliche Übertragung auf die „Realität ausserhalb des Internets“ gibt.
    Sie wäre fällig.

  3. Danke!!
    Danke!!!!!!
    Als Afrodeutsche haben mir solche Stimmen gefehlt. Du bringst es auf den Punkt.
    Und jetzt: Alle! Spreaded! Diesen! Artikel!

  4. Bin gerade dankbar für jeden Artikel, der gegen diesen Mist geschrieben wird, mir fehlt dazu gerade echt die Kraft sich mit den immer gleichen blöden Ansichten auseinanderzusetzen und am besten noch ganz ruhig und nicht zu LAUT, wir wollen ja nicht zu emotional werden, nech?!

  5. Ihr habt schon recht damit , dass diese Wörter weg müssen aus dem Sprachgebrauch , aber ihr überzieht ein bisschen . Hört sich ja grad so an , als würde in allen deutschen Schulen Propaganda von vor 60 Jahren unterrichtet und im Theater laufen nur rassistische Stücke und die weißen Deutschen sind ja sowieso alle Nazis. Klar gibts viele Nazis , klar muss man was tun , aber ihr zeichnet ein Bild , was eventuell neue Nazis schafft. Wem die ganze Zeit gesagt wird er is n Nazi , der ist nicht soweit davon weg einer zu sein.

  6. @ Karl Heinz
    wo wird in diesem Text die Bezeichnung Nazi verwendet? Für mich sieht es aus, als hättest erst du diesen Begriff in die Diskussion gebracht.
    Der Zusammenhang zwischen Nazis und Rassismus ist offensichtlich, umgekehrt ist nicht jeder Rassist und jede rassistische Äußerung die eines_einer Nazi.
    Das ist ja gerade das perfide am alltäglichen Rassismus- er geht eben nicht nur von glatzköpfigen, springerstiefeltragenden Nazis aus, aus denen man gut ein demokratisches Feindbild machen kann, sondern von „normalen“ Menschen, die sich selbst nie als Rassist_in bezeichnen würden. Was irgendwie dem Beharren auf das N*-Wort u. ä. fails widerspricht.
    Ich würde vorschlagen du informierst dich (z.B. hier auf Mädchenmannschaft) zum Thema bevor du behauptest, PoC, die Rassismus benennen, würden Nazis erschaffen.

  7. @ Karl Heinz

    „…, aber ihr überzieht ein bisschen“

    -> Ach was? Und Du hast da die Deutungshoheit drüber, ja? Woher genau nimmst Du jetzt nochmal gleich die Kernkompetenz in „Abgrenzung zwischen legitimer Kritik und Einbisschenüberziehen“?! Aber ich als Leserin bin Dir wirklich sehr dankbar, dass Du als ausgewiesener Fachmann uns alle da mal so klug drauf hingewiesen hast, dass jetzt die Grenze zur Anstellerei aber auch wirklich mal überschritten ist und wie Antirassismusaktivismus EIGENTLICH geht…

    „Hört sich ja grad so an , als würde in allen deutschen Schulen Propaganda von vor 60 Jahren unterrichtet und im Theater laufen nur rassistische Stücke und die weißen Deutschen sind ja sowieso alle Nazis. “

    -> Hat keine_r gesagt, ist aber alles jetzt auch irgendwie nicht so total weit hergeholt, wenn man sichs mal genau überlegt und Dein anscheinend total fachmännisches Verständnis der Begriffe „rassistisch“ und „Nazi“ zugrunde legt…

    “ Klar gibts viele Nazis , klar muss man was tun , aber ihr zeichnet ein Bild , was eventuell neue Nazis schafft. Wem die ganze Zeit gesagt wird er is n Nazi , der ist nicht soweit davon weg einer zu sein.“

    -> Wasn Quatsch!

    @ Sula/ Mädchenmannschaft

    Toller Text, find ich – danke für die Mühe und die vielen Links!

  8. oh man, WAS IST DARAN SO SCHWER?!
    sprache lebt, sprache verändert sich und wenn sprache „unbedacht“ gewählt wurde, kann man wörter durch andere wörter austauschen. wer andere beleidigt und diskriminiert durch seine wortwahl, MUSS seine wortwahl ändern. (hoffentlich ändern sich dann auch die einstellungen!!!)
    wort –> wort is doof –> wort ändern! und dann mal drüber nachdenken….

    danke an dich, sula, für diesen Text!! wird sofort via facebook geteilt!

  9. Klar gibts viele Nazis , klar muss man was tun , aber ihr zeichnet ein Bild , was eventuell neue Nazis schafft. Wem die ganze Zeit gesagt wird er is n Nazi , der ist nicht soweit davon weg einer zu sein.

    LOL forever!

  10. @ karl heinz: den kommentar hättest du dir echt sparen können. du meinst, POCs und Schwarze sind schuld daran, dass es nazis gibt, weil sie menschen diskriminierung vorwerfen, weshalb diese sich dann angegriffen fühlen und diskriminieren müssen? das ist echt eine furchtbare argumentation, die du da aufmachst. scheint, als fühltest du dich selbst etwas angegriffen in deiner weißen haut und müsstest deine hegemoniale position absichern……… traurig!

  11. Danke, Danke, Danke!
    Ich bin weiß und ich bin es auch schon so leid mit anderen weißen Leuten (teilweise sogar mit meinen besten Freunden) über rassistische Bezeichnungen zu diskutieren, in der traurigen Gewissheit, dass ich ihre Ansicht nicht im Geringsten ändern kann.
    Ich weiß nicht woran es liegt? Liegt es an meinen mangelnden rethorischen Fähigkeiten? Bringe ich nicht genug Beispiele? Veranstauliche ich das Problem zu wenig oder sind Sie einfach zu ignorant?

    Aber du hast recht! Scheiß drauf! Es hat keinen Sinn! Die, die es hören wollen, verstehen es und die, die den großen, weißen Elefanten im Raum nicht sehen wollen, die sehen ihn eben nicht. Was soll’s, das Leben geht weiter.

  12. Erstmal ein großes „Danke“ für diesen Artikel!
    Ich kann das „Hamsterrad der Ignoranz“ auch schon lange nicht mehr ertragen. Denn anscheinend hat jeder das Gefühl sich über die angebliche „Zensur“ des N*-Worts auslassen zu müssen. Und leider machen das auch immer wieder Leute, von denen ich geglaubt hätte, sie wüssten es besser (siehe Christine Nöstlinger). Eben habe ich auch noch diesen Beitrag von Denis Scheck aus „Druckfrisch“ gesehen und mir fehlen wirklich die Worte! Er lässt sich tatsächlich dabei filmen, wie er sich geBLACK-FACED (!!!) über sogenannten „Sprachexorzismus“ auslässt (und natürlich fehlt auch der obligatorische Vergleich zu brave new world nicht)
    Warum, WARUM UM ALLES IN DER WELT kommt jemand auf so eine Idee und warum wird das dann auch noch gesendet?!

    (Edit: Link zum o.g. TV-Beitrag entfernt, findet sich bei Bedarf leicht im Netz)

  13. ja, alltagsrassismen werden genauso ignoriert wie alltagssexismen, sie werden weggeredet und relativiert. die stimme der betroffenen wird nicht ernst genommen, ich rege mich tierisch auf über dieses verhalten!!!
    und dann in den letzten wochen auch noch gleich zwei debatten direkt hintereinander weg, die deutlich zeigen wer die diskurse bestimmt: old white menz! *kotz*

  14. ist auch schon mal aufgefallen, dass sich gleichzeitig zu diesen wort-kämpfen ein sehr seltsamer Toleranzbegriff breit macht? Im zentrum weißes männchen, das sich mit angehörigen verschiedener „Minderheiten“ und „Randgruppen“ umgibt, sie mit blöden sprüchen zutextet und dann als total tolerant gilt, weil er es nicht ablehnt etwas mit ihnen zu tun zu haben. (wenn ich jetzt extrem zynisch wär, würd ich sagen, da is mir ein offen bekennender nazi lieber, wenn er die fäuste stecken lässt, als dieses ich- gewähr- dir- doch- deine- existenz-gehabe)

  15. Ich bin im Allgemeinem kein Fan von diesem Blog, aber für diesen Artikel muss ich Sula
    ein vielmals danken. Ich kann jedem einzelnen Satz zustimmen und bin
    mittlerweile zu einem ähnlichen Entschluß gekommen. Diese sogenannte Debatte um bestimmte Wörter hat mittlerweile unerträgliche Ausmaße und Auswüchse angenommen.

  16. Pingback: Blogs 01/2013 |
  17. Nie würde ich meine Kinder dieses Bücher vorlesen.
    Einmal hab ich den Fehler
    Gemacht.
    Es muss sich was ändern.
    Raus mit diesen „Wörtern“.

Kommentare sind geschlossen.

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