Fragmente

(TW bei 1. Gedicht: Geburtstrauma)

NSU (I)

wir haben Dich erwartet
Neun Monate getragen für Dein Leben
bis sie kamen
in den weißen Kittel
entlang, vom Ende des Flurs

sie sagen: es gab Komplikationen
sie haben es nicht kommen sehen

das passiert bei zwanzig Prozent aller Geburten
meist ist im CTG ein Absinken der fetalen Herzfrequenz
zu registrieren
eine straffe Umschlingung
Deines Hals

sie sagen: nsu
wir verstehen nicht

Nabelschnurumschlingung
eine erhebliche Verringerung der Durchblutung
verstohlen fragen sie
wo Doktor Fromm abblieb

Scham erschlafft in den Kittel
Kränze beben
bereit für das Schweigen

Wir ahnen
die Nabelschnur war zu lang
Wir spüren
sie wurde nie getrennt, Hayati

NSU (II)

alder, nsu heißt neckarsulm
neckarsulm ist deine mudder in buxtehude
nsu ist provinzstadtlandeiflussberuf
alder, nsu bist du

—-

brüchige welt

regen brennt auf der haut
blicke zertrümmern den schädel
es heißt die dornen sind keine dornen mehr

sie drücken mir den hals der rose in die hand
ich darf das gesicht nicht verziehen
es gibt keine dornen mehr

die tannen bleiben dunkel
der wald brennt
das lodernde rot bleibt ungesehen
sie marschieren wieder

Angst

Wer hat Angst vorm weißen Mann?
Niemand!

Und wenn er kommt?
Komm doch!

Und wenn er tötet?
Komm doch.

Und wenn Ihr schon tot seid?
.

Für die Kitas, Kindergärten und den Sportunterricht

wonderland

Voegel ziehen fort
sie kommen nicht zurueck
Eiswuesten erscheinen am Horizont
auf den Feldern liegt ein Pferd

ein Filter durchzieht den Schatz
deiner Woerter
sie sprechen Sprache
zartbitter
aber beim Schreien verstehen sie es nicht

dein Koerper ist zu Besuch
baumelnd am Ast

willst knien zum Pferd hinab
da liegst du schon
sprachlos im Morast

erhebe dich
wir suchen wonderland

20 Kommentare zu „Fragmente

  1. Nach dem Lesen des Beitrages muss ich gestehen, dass ich mir hier zum ersten Teil ehrlich eine Triggerwarnung bzgl. Geburtstraumata gewünscht hätte.

  2. Nach dem Leses des Beitrages muss ich gestehen, dass ich ganz und gar beeindruckt bin von der Intensität dieser Gedichte und davon, dass sie den Eindruck gemeinsam, nein, wie ein Gedicht hinterlassen. Das hat mich deshalb überrascht, weil sie mit „Fragmente“ überschrieben sind und das in mir erst den Eindruck erzeugte, es würden Dinge folgen, die nicht zusammen gehören.

    Fragmentarisch kamen mir die Gedichte indes in der Tat allesamt insoweit vor, als jedes für sich Zerbrechlichkeit offenbart.

    Eine Triggerwarnung vor Kunst. Das ist ein unerträglicher Widerspruch.

    Erst wenn die Kunst etwas auszulösen (to trigger) vermag, erreicht sie doch das Ziel der meisten Künstler erst.

  3. Wer in der Kinderplanung steckt oder Ähnliches erlebt hat, freut sich vielleicht nicht über diese Kunst. Dank der Triggerwarnung kann frau entscheiden ob sie es lesen mag oder nicht. Ich habs leider vor der nachträglichen Triggerwarnung gelsen und war etwas geschockt. War das das Ziel der Künstlerin? Angst?

  4. @Sabine: Gern geschehen. Ich habe das sehr gerne gelesen und wollte das sagen.

    @Elaria: Das Argument ist naheliegend. Es geht – aus meiner Sicht, mehr will ich nicht beanspruchen – aber fehl.

    Denn das Argument ist nicht verallgemeinerbar. Abstrahiert bedeutete es nämlich, dass jeder Künstler die Wirkung seiner Kunst vorwegnehmen und jede antizipierbare Wirkung in einer Triggerwarnung voranstellen muss, auf dass der Rezipient sich dafür und dagegen entscheiden kann.

    Das ist nicht möglich. Die Kunst erzielt die Wirkung nämlich in Rückkoppelung zu ihrem Betrachter- wie in einem Zirkel, von ihr weg, zu ihm hin, sodass aus ihr selbst heraus für den Künstler nicht erkennbar ist, welche Wirkungen sie zu haben vermag. Dafür müsste dem Künstler nämlich jeder Betrachter bekannt sein.

    Ob es das Ziel der Verfasserin war, Angst in Ihnen zu erzeugen oder einen Schock, ist deshalb nicht erheblich. Dass die Kunst es tat, legitimiert die Kunst als Kunst. Gegen dieses Verständnis kann man – ebenfalls nur aus meiner Sicht – nur halten, dass Kunst nicht alles darf, der Mensch zu schützen ist. Und dass der Kaffee im Becher heiß ist. Und so. Ja, man kann vor allem warnen. Oder man akzeptiert – wie ich – dass es Risiken gibt, wenn man die Außenwelt auf sich einlässt. Dann sind Warnungen vor allem vor Kunst: verboten.

    Herzliche Grüße
    Ch. Knappe

  5. @Christoph Knappe: Ich empfehle eine kurze Recherche zum Begriff Trigger/Triggerwarnung. Es geht nicht ums pauschale „etwas auslösen“, sondern ganz konkret um das Auslösen von Flashbacks aufgrund traumatischer Erfahrungen. Erfahrungen, die möglicherweise schwerer erträglich sind als der von dir erlebte Widerspruch… Man muss kein ausgewiesener TW-Fan sein, um die Gedanken dahinter ernst zu nehmen und nicht durch apodiktische „Kunst soll dies“- oder „Kunst muss jenes“-Paradigmen wegzuwischen.

  6. @Christoph Knappe vielen Dank für Ihre Gedanken. Ich finde, dass ist ein weites Feld. Die Frage, ob Kunst alles darf, soll, und ob alles auch Kunst ist und denke dabei auch an zahlreiche kontroverse Debatten. Schließlich ist Kunst/das Geschaffene/Verfasste ja nicht abgekoppelt von dem was ich als Schaffende weiß, sehe, spüre, erkenne und von meiner Lebensrealität/gesellschaftlichen Verhältnissen, wenngleich sie auch abstrakter formuliert oder in Metaphern dargestellt und vieles (hoffentlich) interpretiert wird.
    Warnungen/Hinweise finde ich (tendenziell) gut, weil sie bei Inhalten, die etwas bei der/dem Lesenden auslösen können (Erinnerungen, traumatische Erfahrungen), was nicht intendiert war, den Rezipient_innen die Möglichkeit geben selbst zu entscheiden, ob das gelesen/angeschaut wird. Und ja, in dem ersten Gedicht, da geht es auch um Trauma, und wie Sie erkannt haben um Verletzlichkeit, aber auch das was darin gelesen wird. Das muss nicht unbedingt leichte Kost sein, das stimmt, aber es spricht auch nicht gegen die TW.

    Herzliche Grüße
    Sabine

  7. Danke für die tollen gedichte! und schön, dass ich nicht die einzige bin, die nsu lange hauptsächlich mit neckarsulm bzw. den dortigen motorwerken assoziiert hat, ich komm mir immer doof dabei vor, aber ich assoziiere das auch oft mit, wenn von nsu die rede ist…

  8. @ChristophKnappe: Ich verstehe Triggerwarnungen so: „Vorsicht, hier kommt gleich was, dass bei bestimmten Leuten in bestimmten Situationen schlimme Erinnerungen/Assoziationen auslösen könnte. Wenn Du glaubst, bei diesem Thema könnte es der Fall sein, überleg Dir, ob Du es im Moment riskieren willst.“

    In mir hat das Gedicht auch etwas ausgelöst, und ich bin „froh“ über die starke Wirkung auf mich. Aber wenn es um etwas für mich Traumatisches ginge, das ich noch nicht verarbeitet habe, wäre ich froh, vorher entscheiden zu können, ob ich es kurz mal zwischendurch auf der Arbeit lese.

    Und das Beispiel hier zeigt doch, dass der/die Künstler_in die Wirkung nicht komplett vorwegnehmen kann oder auch muss, dass er_sie aber auf Hinweise darauf adäquat reagieren kann.

    @Sabine: Bin eigentlich schwer für Gedichte zu begeistern. Gerade deshalb: danke für die tollen Gedichte!

  9. Danke für diese intensiven Gedichte liebe Sabine!

    Zu den Triggerwarnungen: Ich sehe das wie Christoph. Ich finde Triggerwarnungen generell kritisch (nähere ausführungen auf meinem Blog), aber okay. Sie nehmen halt vorweg, dass betroffene prinzipiell geschützt werden müssen (ja, eine Warnung ermöglicht selbst zu entscheiden, stellt aber gleichzeitig ein Erwartungshaltung auf.)

    Vor Gedichte werde ich nie Triggerwarnungen schreiben. Kunst darf das. In dem Fall wirklich (und ich bin definitiv keine Vertreterin von Kunst darf alles…) . Kunst darf schokieren und überfordern. Und ja, Gedichte können Flashbacks auslösen.
    Das kann aber auch der Header von diesem Blog. Und alles andere. Vor Triggern gibt es keinen Schutz. Nirgendwo. Auch nicht durch eine Warnung. Vielleicht war es ja doch ein anderes Wort, das den Backflash auslöste. Oder die Zeile. Oder die Farbe.

    Ich respektiere aber, dass du, Sabine, das machen möchtest. Ich halte es nur nicht für notwendig und vielleicht sogar für wirkungsschmälernd.

  10. Ich denke, dass mein Ansatz sehr theoretisch ist und deshalb für traumatisierte Menschen und die, die sie schützen wollen, nicht taugt.

    Ich halte ihn dennoch für richtig, denn ich gewichte den Schutz von Kunst und Künstlern schwerer als den Schutz von Traumatisierten.

    So sicher wie ich mir damit bin, bin ich aber auch sicher, dass jeder andere Ansatz genauso vertretbar ist.

    Herzliche Grüße und Verzeihung, falls ich jemandem zu nahe getreten bin, das war nicht mein Anliegen, es ging nur um die Idee.

    Ch. Knappe

  11. @Sabine: vielen Dank für das Einfügen der Triggerwarnung.
    Ansonsten möchte ich noch loswerden, dass ich den Beitrag durchaus gelungen finde. Er löst in mir neben dem Schock auch sehr starkes Mitgefühl aus.

    Die TW halte ich durchaus für angebracht, denn ich möchte gerne vorher entscheiden können wann ich mich mit mich triggernden Inhalten konfrontiere. Das erspart es mir hinterher eine halbe Stunde geflasht dazusitzen und erstmal wieder mit mir und meinen Emotionen und Erinnerungen klarkommen zu müsssen. Das ist für jemanden, den traumatische Erinnerungen nicht betreffen vielleicht nur schwer zu verstehen und hat ein Beigeschmäckle, ist mir in dem Moment ehrlich gesagt aber erstmal egal. Ich bin dann eher dankbar dafür, dass mir die Möglichkeit gegeben wird meine psychische Stabilität aufrecht zu erhalten.

    „Erst wenn die Kunst etwas auszulösen (to trigger) vermag, erreicht sie doch das Ziel der meisten Künstler erst.“
    Ich sehe in diesem Zusammenhang den Wiederspruch zur TW nicht so recht, denn diejenigen für die diese wichtig ist haben zum angewarnten Themenfeld in den meisten Fällen bereits ein Problembewusstsein. Der vielleicht vom Künstler beabsichtigte zündende Funke hat schon Brennstoff in Kopf und Körper. Wahrscheinlich mehr als es lieb ist. So zumindest meine Erfahrung.

  12. Ich bin keine uneingeschränkte Verfechterin der Triggerwarnung als solcher. Aber was mich stört, sind pauschale Aussagen darüber, was Kunst als solche(tm) darf, soll, muss – ich würde mich oft freuen, wenn auch in der Kunst generell etwas mehr die eigenen Mittel hinterfragt würden, also wer macht für wen mit welchen Mitteln Kunst. Und ob ich möchte, dass meine Kunst schockiert (gibt ja auch noch andere denkbare emotionale Reaktionen, die angestrebt werden könnten) – und wenn ja, wen und warum? Damit will ich nicht sagen, dass Schockieren grundsätzlich immer ein „falsches“ verdammungswürdiges Mittel ist oder Kunst niemanden überfordern darf. Ich bin nur ermüdet von all den „Das ist nicht gewaltvoll, das ist Kunst!“-Belehrungen von Menschen, die von der entsprechenden Gewalt womöglich einfach nicht betroffen sind (jetzt nicht so sehr hier in diesem Thread, aber viele von uns führen derartige Diskussionen ja nicht zum 1. Mal :) ).

  13. (…) Ich halte ihn dennoch für richtig, denn ich gewichte den Schutz von Kunst und Künstlern schwerer als den Schutz von Traumatisierten. (…)

    Bin ich die Einzige, die findet, dass sowas hier absolut keinen Platz hat? Auch noch so geschrieben als würde es sich ausschließen, gehts noch… es tut mir leid, das ist derailing, aber das hat mich jetzt ehrlich geärgert.

  14. Was Tüte sagt.
    Bin gekommen, um den Hut für die Gedichte zu ziehen und Kompliment zu sagen (Kompliment!), und kann nicht gehen, ohne wie andere darauf hinzuweisen, dass eine Triggerwarnung weder die Möglichkeiten und Wirkung von Kunst verringert noch in den Inhalt eines Kunstwerks eingreift oder Teil dessen ist. Sondern nur Leuten ein Mittel zur Hand gibt, selbst zu entscheiden, ob sie ein Kunstwerk sehen wollen. Angebracht ist sie oben auf jeden Fall.

  15. Nur weil ich ja auch gegen Triggerwarnungen bin, mit dem Satz von Christoph („Ich halte ihn dennoch für richtig, denn ich gewichte den Schutz von Kunst und Künstlern schwerer als den Schutz von Traumatisierten.“ will ich nicht in Verbindung gebracht werden. Sicherheitshalber mal klarstellen. No way. Awareness ist so wichtig!
    Ich finde TW trotzdem immer noch problematisch, weil sie vorgeben, dass bestimmte Inhalte mehr triggern als andere.

    Sorry, das jetzt hier so auszupacken, wo es doch eigentlich um die tollen Gedichte gehen sollte. Ich respektiere die Entscheidung, mag das nur einfach nicht als die Option stehen lassen, sondern auch deutlich machen, dass es okay ist, keine zu setzen.

    Nochmal danke für die Gedichte. Die gehen wirklich unter die Haut.

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