eine unsichtbare Barriere

In meinem Blog kann man lesen, dass ich eine nicht sofort sichtbare Behinderung in mein Leben integriere. Was man da seltener lesen kann ist, was wann in meinem Umfeld für mich zur Barriere wird und was die Folgen sind.

Ich werde bemitleidet, wenn ich sage, dass ich nur selten ausgehe. Mein fast ausschließlich übers Netz stattfindendes Sozialleben wird bedauert. Man spricht von einer “Einsamkeit der Opfer”, von Isolation und, dass meine Depressionen vermutlich genau daher kommen, dass ich teilweise tagelang keinen einzigen Menschen treffe. Das “Krieg doch einfach den Arsch hoch” – das “Red doch einfach mit Leuten” – das “Mach doch einfach, was ich immer mache/was andere mit deiner Problematik machen/was ich dir vorschlage”, schwingt dabei jedes Mal wie eine Keule auf mich zu und oft genug trifft es mich auch.

Das Problem ist in dem Fall häufig nicht einmal Ignoranz oder Empathielosigkeit, sondern schlicht das Denken, dass ich für die Dinge, die mich daran hindern, Dinge zu tun, verantwortlich bin, weil sie in mir liegen bzw. von mir wahrgenommen werden und für mich ein Problem sind.
Für mich ist das Neoliberalismus.
Aber Alltag. Haken dran und weiter machen.
Ich habe nicht die Kraft jedes Mal darauf aufmerksam zu machen. Und mein Umfeld ist meist dann doch heimlich schon längst davon genervt, dass ich “schon wieder irgendwas habe”, was niemand versteht.

Manchmal sind Menschen ehrlich und sagen, dass sie mein Problem nicht verstehen. Das tut weh und ich fühle mich wie ein Alien – aber immerhin weiß ich so, dass mein Gefühl allein mit einem Problem zu sein, begründet und nicht eingebildet ist. Hmyeay?

Schwierig: Ich kann folglich nicht sagen, dass sich an der Stelle eine Barriere für mich auftut. Denn wenn es nur für mich ein Ding ist, dann ist es subjektiv. Subjektivität wird gern abgewertet und nicht ernst genommen.
Ich bin in der Erfassung und auch der Begradigung von Barrieren des zwischenmenschlichen Umgangs davon abhängig, dass auch andere Menschen diese ernstnehmen und als solche betrachten. Erst wenn zwei drei vier … Menschen das Gleiche sehen und darin übereinkommen, was man tun kann, ist die von mir benannte Barriere wahrhaft im Sinne von objektiv.

In meinem Leben ist es so, dass so richtig niemand glauben kann oder mag, was für mich alles ein Ding ist.
Nicht einmal ich selbst mag wirklich darüber nachdenken, weil mir darüber mit einer schmerzlichen Wucht meine Probleme und Barrieren im Alltag bewusst werden, und ich gleichzeitig weiß: “Ich kann die nicht wegmachen. Es gibt (im Augenblick) keine Möglichkeit für mich diese zu umgehen.”.

Ich wäre ja oft gerne cooler, up-to-dater, offener, lockerer, sozialer – einfach mal nicht so verkrampft, auf der Hut, überanstrengt und nach Kontakt mit Menschen einfach einmal nicht so furchtbar überladen – aber, was ich dafür brauche, kann ich nicht einfordern, wenn die Barrieren dahin gar nicht erst verstanden werden und heimlich auch eigentlich nur Abnerv darüber in den Menschen auftaucht.

Mir tut es leid, dass ich nie über Popkultur mitreden kann. Dass mich Essen nicht auf die gleiche Art interessiert wie andere. Dass ich Spielfilme in aller Regel nicht aushalte. Dass ich keine Beziehungskistenserien lange durchhalte. Dass es schlicht kein einziges Thema, das (auch) die intuitive Einschätzung sozialer Interaktion nötig macht, beherrsche. Und es tut mir leid, dass ich nicht die Kraft habe, den Menschen in meinem Umfeld klar zu machen, wieviel von dem, was sie tun, völlig unabhängig davon wie es ihnen geht, immer auch etwas von ihnen erfordert, das sie intuitiv können und ich eben nicht.
Das Wort für dieses Nichtkönnen ist neu in meinem Leben. Das Wort ist: “Autismus”.
Dieses Wort bedeutet genau wie meine Traumafolgen: Man sieht es nicht und alle Wahrnehmung ist subjektiv. Immer. Bei allem.

Schwierig ist der Selbstbezug, den ablierte Menschen versuchen, wenn sie sich mit behinderten Menschen auseinandersetzen wollen.
Manche überlegen sich, wie das wohl wäre, wenn sie als Nichtrollstuhlnutzer_innen immer und immer einen nutzen müssten. Der Fehler in diesem Denken liegt schon darin, sich über bestehende bzw. nicht bestehende Funktionen in die subjektive Er-Lebensrealität anderer hineinversetzen zu wollen – und nicht über das, was mit Funktion bzw. Nichtfunktion einhergeht oder über das, was Funktion voraussetzt. Zum Laufen braucht man nicht nur Beine, sondern auch die Fähigkeit sie zu bewegen und diese Bewegung zu kontrollieren und manche Menschen brauchen vorrangig überhaupt einen für sie echten Anlass irgendwohin zu laufen.

Ich verstehe Menschen nicht. Menschen haben mich gedemütigt, verletzt und ausgebeutet. Menschen überreizen mich. Menschen verstehen mich nicht. Menschen machen mir Angst. Menschen überfordern mich mit ihrer Normalität.
Und trotzdem versuche ich jeden einzelnen Tag irgendwie mit einigen davon zu interagieren.
Nicht zuletzt auch deshalb, weil ich im Gegensatz zu ihnen merke, wie abhängig ich von einem Anteil ihrer Fähigkeiten und der daraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten bin.

Diese Abhängigkeit nicht anzunehmen, nicht an sich zu reflektieren und mich dafür allein verantwortlich zu machen, ist für mich eine der größten unsichtbaren Barrieren im zwischenmenschlichen Interagieren. Sie erfordert ein Handeln von mir, dass ich aufgrund meiner Behinderung (und meiner Anpassungen aufgrund von Lebenserfahrungen noch) nicht kann und ermöglicht ablierten Menschen einen Raum der Ignoranz und des Vermeidens, der so viel bequemer ist, als die anstrengende Interaktion mit jemandem, den man nicht versteht.

Von mir wird oft erwartet eine verzehrfertige Lösung zu servieren.
Ich habe keine.
Ich kann nur darum bitten, weniger genervt zu sein. Mitzudenken. Sich auseinanderzusetzen. Weniger Eskapismus vor unbequemen Themen zu versuchen. Weniger mit Schuld und Verantwortung für Dinge zu arbeiten, die völlig außerhalb von Schuld- und Verantwortungsdynamiken passieren. Fragen zu stellen. Zuzuhören. Sich zu widmen. Ehrlich zu sein, wenn man all das nicht möchte.

4 Kommentare zu „eine unsichtbare Barriere

  1. Es ist ein Dilemma, das sich dort auftut. Ich kann, denke ich, in Grenzen verstehen, was Du sagen möchtest. Ganz knapp mein geschichtlicher Leidens-Hintergrund: als Kind jahrelang innerfamiliär sexuell mißbraucht, später Zusammenleben mit einem suizidalen Elternteil allein, Mobbing in der Schule. Ich war lange Zeit sehr soziophob, weil Menschen mir Angst machten und ich die Erfahrung machte, dass sie nichts gutes wollen. Mittlerweile belastet mich all das nicht mehr. Es hat zwar Jahre gedauert, aber aus dieser für mich weitläufig anstrengenden Existenz voller Ängste und Misstrauen hat nur der Sprung ins Kalte Wasser geholfen: Leute treffen, in die Welt gehen und mein Ding machen.

    Man kann dieses Ding á la „Dein Leben ist in Deiner Hand, mach was draus“ als neoliberal bezeichnen, was nicht falsch ist. Aber es ist Kontextabhängig zu bewerten, denn gleichzeitig ist die einzige Möglichkeit, die es gibt, zumindest innerhalb der gegebenen Möglichkeiten. Du steuerst Deinen Körper, Du stehst morgens auf.

    An als „psychische Erkrankungen“ kategorisierten Phänomenen ist zentral, dass hier als pathologisch verstandene Eigenschaften erworben wurden, die sich durch bestimmte Erfahrungen herausgebildet haben. Diese Erfahrungen sind aber nicht generalisierbar, weshalb das aus ihnen resultierende Weltbild und Verhalten in anderen Situationen nicht sinnvoll ist, sondern oft unglücklich und inkompatibel mit dem sozialen Umfeld macht. Wie soll das Dein Umfeld also überhaupt verstehen können? Ich behaupte: es ist nicht möglich und das ist nicht Empathielosigkeit oder Interesselosigkeit der Menschen geschuldet, sie verstehen es einfach nicht, weil sie es nicht können. Ich würde bspw. von einer Person aus einer fürsorglichen Familie nie erwarten zu verstehen, wie es ist, wenn ein Elternteil Dich systematisch vergewaltigt und verprügelt hat. Und umgekehrt kann ich die Sicht dieser Personen aus warmen Familienzusammenhängen nicht verstehen, denn ich habe praktisch keine Familie, das spielt für mich keine Rolle mehr in meinem Leben. So sind die Dinge einfach.

    Neue Erfahrungen machen, den eigenen Horizont öffnen, ist deshalb das wichtigste, um das Bild der WElt zu vervollständigen. Ich weiß jetzt zumindest, dass es solche Familien gibt und dass ich, sollte ich irgendwann Kinder bekommen, auch so eine Familie haben können werde. Wenn Dir Leute in Deinem Umfeld unfassbare Dinge angetan haben, dann ist das nicht repräsentiv für Menschen an sich und auch nicht für Deine Zukunft. Blicke ich auf mein Leben zurück, kann ich jetzt sagen: Ich hatte Pech. Das ist erleichtern, weil die Zukunft anders sein wird, denn ich kann mir heute aussuchen, mit wem ich abhängen will.

    Die eigene Wirkung auf das Umfeld in einem Zustand zu reflektieren, in dem die Welt und ihre Menschen als schlecht, verdorben, hintertrieben, gewaltvoll und skrupellos erscheinen, ist auf dem Weg in eine positive Zukunft extrem wichtig. Logischerweise fühle sich Menschen durch diese implizit unterstellte Sichtweise verunsichert oder möglicherweise angegriffen. So wie Du es im Text formulierst, empfinde ich es ehrlich gesagt als eine anmaßende Generalisierung, wenn Du mit mit „einigen“ dieser Menschen interagierst. Als würden diese mit den Arschlöchern auf dieser Erde erstmal zusammengeworfen werden können, nur weil sie „Menschen“ sind. Ablehnenden Reaktionen und Unverständnis sind da doch nur logische Folge.

    Ich hoffe der Beitrag kommt nicht als ein weiterer respektloser „Ratschlag“ an. SO ist es nicht gemeint. Nur die depressivität und generaliserte Qualität haben mich etwas geschockt zurückgelassen und mich zum Schreiben meiner Erfahrungen motiviert.

  2. wow, ich bin ein bisschen beeindruckt!

    also wenn ich das richtig verstehe, dann geht es in diesem text über unsichtbarre barrieren darum, dass es schwer ist, die barrieren, die schon für eine_n selber schwierig anzunehmen sind, seiner umwelt zu vermitteln. dass das umfeld oft verständnislos reagiert, wenn es überhaupt möglich ist, sich mitzuteilen. dass die umwelt barrieren oft nicht als barrieren akzeptiert.

    der darunter stehende kommentar von dir, tim, illustriert das problem vorzüglich. auch wenn du es nicht willst. du schreibst so, als könnte hannah c. durch irgendeinen zaubertrick (welchen hab ich nicht ganz verstanden. einfach mal gute erfahrungen machen? einfach mal ihre* einstellung ändern?) die beschriebenen probleme los werden.

    mit anderen worten, du reagierst verständnislos und glaubst nicht, dass die barrieren wirklich barrieren sind. vielleicht aus deiner eigenen erfahrung heraus, dass du viele deiner barrieren überwunden hast. aber es sind nicht alle barrieren gleich, und es sind auch nicht alle menschen gleich. ich glaube, die person die hier schreibt, versucht schon eine ganze menge.

    wenn du nicht mainsplainen willst, und wenn du über deine erfahrungen hinweg bist, warum kannst du dann nicht stehen lassen, wie es der autorin* geht? und wieso musst du das nicht-verstanden-werden, von dem im text die rede ist, hier nochmal vorexerzieren?

    vielleicht weil du „geschockt“ bist und dinge besser machen willst? aber man kann nicht alles besser machen, vor allem nicht durch nicht-ernst-nehmen.

  3. Danke, dass du das geschrieben hast Bluespunk
    Mir ging es bei dem Kommentar genauso. Ich habe ihn jetzt wegen deiner Antwort nochmal freigeschaltet, weil ich glaube, dass es einigen so geht, dass sie meine Texte so auffassen wie Tim, weil sie unseren Background weder kennen, noch die Ressourcen haben, sich darüber bewusst zu werden.

    Tim – mein Beitrag klingt depressiv und neativ, weil ich seit Jahren depressiv bin und keinerlei Anlass zu einem positiveren Schreiben über mein Erleben habe. Das ist keine Entscheidung von mir, sondern das Ergebnis dessen womit ich weshalb zu leben habe. Schlimm, dass dich (und andere) sowas schockiert. Das lese ich als Hinweis darauf, wie nötig Texte wie meine noch immer sind.

  4. Danke für diesen Text! Ich mache die Erfahrung, dass die Menschen (selbst die, die dafür geschult sind) solche Barrieren nicht sehen, nicht verstehen, nicht anerkennen oder gar leugnen oder einem das Gefühl vermitteln, als würde man nicht genug tun. Das nach solchen Lebenserfahrungen der ganze Alltag zeitweise ein einziges Ringen und ankämpfen gegen zahllose Barrieren ist und man dann einfach auch mal kraftlos ist, überfordert und nicht mehr will, wird nicht als „dazuhörend“ sondern als „negativ“ und „sich hängenlassen“ gewertet.

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