Ein bisschen zu nuttig

Ich wäre auf den Slutwalk gegangen, wäre ich nicht im Ausland. Zusammen mit Tausenden anderer Frauen und Männer hätte auch ich gegen sexuelle Gewalt und Verharmlosungen von Vergewaltigungen protestiert – gegen Entschuldigungen. Nicht weil ich mich gern – was auch immer das heißen mag – schlampig anzöge, sondern weil dort gegen ein Problem unserer Gesellschaft demonstriert wird: Wir hegen Sympathie für die Täter und beschuldigen gar die Opfer.

Eine junge Frau wird vergewaltigt. Eine Kopftuchträgerin wird angespuckt. Ein junger schwarzer Londoner wird von einem Polizisten erschossen. Der Südländer wird in der Dorfdisko von Neonazis verprügelt. Die Sinti-Familie bekommt die Wohnung nicht, die korpulente Frau nicht den Job im Bekleidungsgeschäft, die Türkin nicht den Ausbildungsplatz. Aber der Täter bekommt Sympathie.

Ein bisschen empören wir uns natürlich, aber irgendwie verstehen wir den Täter ja auch. Sie sind uns alle ein bisschen zu nuttig, zu anders, zu fremd, zu schwarz, zu exotisch. Doch ich habe es satt, in einer Gesellschaft zu leben, die diese Missstände, ob groß oder klein, stillschweigend hinnimmt. Und ich habe keine Lust mehr, mir anhören zu müssen, ich würde auf hohem Niveau klagen, wenn es doch immer das gleiche Muster ist, das all diese Missstände erzeugt.

Wir geben uns Bildern hin. Statt unser Denken zu überdenken, klagen wir an. Ja, was schleichst du, du Schwarzer, auch nachts vor der Nase der Polizei durch die Stadt? Und was suchst du, du Südländer, in der Dorfdisko? Was ziehst du, du Frau, dich so nuttig an? Wenn du das Kopftuch trägst, dann musst du auch mit den Reaktionen klarkommen. Es sind nicht Einzelpersonen, die an unserem System scheitern – es ist die Mehrheit unserer Gesellschaft, die überall in ihre Schranken verwiesen wird. Das Traurige daran: Wir sind alle von diesem Denken befallen.

Als ich 11 Jahre alt war, besuchte eine Anti-Rassismusaktivistin unser Hamburger Jugendzentrum. Die Dame saß in ihrem braunen Leinenkleid vor uns und sprach von Rassismus und Diskriminierung. Meine Freunde und ich waren genervt und gelangweilt. Rassismus ist doch kein Thema mehr, dachte ich. Das war mal – lange her. Es wird niemand mehr vergast, verschleppt und getötet. Es gibt keinen Krieg in Deutschland. Alles ist okay. Es brauchte Jahre, bis ich verstand, dass wir mit unserem Streben nach Konformität heute noch den Lebensdurst der anderen töten.

Vor ein paar Tagen besuchte ich hier in Kairo einen Verein von in Deutschland ausgebildeten Ägyptern. Der Vorsitzende, über 80 Jahre alt, gebrechlich, aber stark, erzählte mir in ausgezeichnetem Deutsch von seiner Promotionszeit im München der 50er, der „besten Zeit“ seines Lebens. An den Wänden hingen Landschaftsbilder, „Deutschland“ stand in Großbuchstaben darauf. Ein deutsches Klavier verstaubte an der Wand.

Als wir über Diskriminierung in Deutschland sprachen, richtete sich der alte Mann auf und schaute mein Kopftuch von der Seite an. Dann drehte er sich wieder weg und sagte in den Raum: „In Rom wie die Römer.“ Einige werden nie verstehen.

(Dieser Text erschien ursprünglich als Kolumne in der Taz)

14 Kommentare zu „Ein bisschen zu nuttig

  1. Ach wie praktisch – wieder mal schön verallgemeinern. Ist ja auch letztlich alles irgendwo das gleiche: es geht um Frauen und um Kleidung und Diskriminierung spielt auch eine Rolle. Wieso sollte man denn da differenzieren, liebe Kübra.
    Um es nochmal deutlich zu machen: es ist ein Unterschied ob eine Frau sich „sexy“ kleidet (was auch immer das für einen zu bedeuten hat) und sexuell belästigt wird oder ob eine Frau ein Kopftuch trägt und mit negativen Reaktionen konfrontiert wird – und nein, es ist keine angemessene Reaktion Kopftuchträgerinnen zu bespucken. Also sei doch so gut und lern zu differenzieren :)

  2. @mettskillz

    Wenn wir schon bei Ratschlägen sind, rate ich dir, deine Kritik in einem angemessenen Ton zu äußern. Dein Paternalismus ist hier nicht erwünscht.

    Zum Inhalt: Bitte erkläre doch kurz, warum es für dich solch einen großen Unterschied macht, wenn eine Frau in „sexy Klamotten“ oder eine Frau mit Kopftuch belästigt und diskriminiert werden.

  3. @mettskillz
    Es ist eine Kolumne und keine wissenschaftliche Arbeit und kein Essay.
    Davon abgesehen, magst du hier mal den Unterschied zwischen „eine Frau sich “sexy” kleidet (was auch immer das für einen zu bedeuten hat) und sexuell belästigt wird“ und „eine Frau ein Kopftuch trägt und mit negativen Reaktionen konfrontiert wird“ differenziert und ohne Verallgemeinerungen darstellen?
    Oder trollst du nur?
    Im Übrigen kann ich diese vorgeworfenen Verallgemeinerungen auch in der Kolumne nicht erkennen. Eine Aufzählung impliziert nicht Gleichheit oder Gleichwertigkeit.
    Dein Kommentar liest sich unglaublich von oben herab und was ist „Also sei doch so gut und lern zu differenzieren“ anderes als privilegiertes Silencing?

  4. Ja Michael. Ich habe eine andere Meinung als du, daher trolle ich. Schöne einfache Welt, die du dir da konstruierst. Dabei sollte mein Kommentar gar nicht von oben herab klingen – ich mag Kübra als Autorin einfach nicht und mir persönlich stößt vor allem die auch in diesem Text anklingende Kombination von irgendwelchen Themen und dem Islam ein wenig auf. Ich weiß: es geht hier gerade nicht um Religion, aber es ist schon seltsam, dass in einem linken Blog Religion regelmäßig in so einem positiven und kritiklosen Kontext auftaucht solange es sich um den Islam handelt. Aber darum ging es hier gerade nicht.
    Natürlich ist es eine Kolumne und keine wissenschaftliche Arbeit, dennoch soll die Aufzählung in Kübras Text ja einen bestimmten Zweck erfüllen. In dieser Aufzählung werden verschiedene Beispiele aufgezählt in denen Menschen aufgrund unverschuldeter Umstände Diskriminierung erfahren. Und es wird von Diskriminierung aufgrund des Tragens eines Kopftuches gesprochen. Dadurch wird suggeriert, dass die Kopftuchträgerin nicht anders kann als dieses Kopftuch zu tragen – so wie die Frau ihr Geschlecht nicht ändern kann und der junge Schwarze nicht seine Hautfarbe. Dem ist aber nicht so. Nochmal, damit keine Missverständnisse aufkommen: es geht mir nicht darum Diskriminierung gegenüber Frauen mit Kopftüchern zu verharmlosen oder gar dazu aufzurufen. Wir brauchen jetzt keine Diskussion hier darüber führen was das Kopftuch bedeutet – das ist in diesem Fall unbedeutend. Aber in jedem Fall ist ein Kopftuch nichts unabänderbares: und wenn ich mich als Muslima dafür entscheide ein Kopftuch zu tragen dann sende ich damit ein Signal an die Außenwelt. Und muss auch damit rechnen, dass ich damit auf Ablehnung stoße. Und dann so zun tun als sei man Opfer der gleichen Umstände wie Gewalt gegen Frauen oder gegen Fremde ist das einfach Unfug. Und wenn Kübra eine solche Aufzählung vornimmt, dann versucht sie genau das zu suggerieren. Und dabei blendet sie aus, dass das Kopftuch eben nicht nur ein Kleidungsstück ist.

  5. @mettskillz:
    Sexy Kleidung ist aber auch nichts Unabänderliches – und nach deiner Logik sendeten Frauen eben damit auch ein „Signal an die Außenwelt“.
    Gegen exakt diese Meinung – dass Frauen, die sich so oder so kleiden, Schuld an Übergriffen sind, weil sie ja auch was anderes anziehen könnten – wendet sich doch der SlutWalk.

  6. Hallo mettskillz ,
    warum ich finde, dass der Vergleich von Kübra doch seine Daseinsberechtigung hat:

    „Aber in jedem Fall ist ein sexy Outfit nichts unabänderbares: und wenn ich mich dafür entscheide freizügige Kleidung zu tragen dann sende ich damit ein Signal an die Außenwelt. Und muss auch damit rechnen, dass ich damit auf Ablehnung stoße.“

    Ich habe nur wenige Passagen deines Textes geändert und nun klingt doch alles ähnlich der Äußerungen des Polizisten in Toronto!?

  7. @Jule
    Nochmal. Es geht doch gar nicht darum, dass man Frauen mit Kopftuch diskriminieren sollte oder dergleichen. Es geht mir darum, dass hier getan wird, als sei das Kopftuch eben etwas wie ein Geschlecht oder eine Hautfarbe. Und im Gegensatz zu „sexy Kleidung“ sagt das Kopftuch nämlich durchaus etwas über den Träger aus – im religiösen Kontext transportiert es nämlich ein bestimmtes Rollenverständnis, welches ich zumindestens ziemlich beschissen finde und das – Ironie der Sache – dem Konzept des SlutWalks ja komplett entgegengesetzt steht.

    @AggiRoll
    Um keine Missvertsändnisse aufkommen zu lassen: wenn eine Frau sich sexy kleidet, dann will sie allerhöchstens damit aussagen, dass sie sich sexy kleidet. Nicht mehr und nicht weniger. Und wenn eine Frau ein Kopftuch trägt und dies einen religiösen Hintergrund hat, dann vermittelt sie damit ein gewisses Rollenvertsändnis, welches ich abstoßend finde.

  8. @Michael:

    Davon abgesehen, magst du hier mal den Unterschied zwischen “eine Frau sich “sexy” kleidet (was auch immer das für einen zu bedeuten hat) und sexuell belästigt wird” und “eine Frau ein Kopftuch trägt und mit negativen Reaktionen konfrontiert wird” differenziert und ohne Verallgemeinerungen darstellen?

    Ich bin zwar nicht mettskillz, aber meiner Beobachtung nach gibt es da schon einen Unterschied: Gängigen Vorurteilen nach wird eine „sexy“ gekleidete Frau oft vorrangig als „nuttig“ wahrgenommen (= körperlich als Ware gesehen), während eine Frau mit Kopftuch oft vorrangig als „dumm“ wahrgenommen wird (= geistig als unterlegen gesehen). Das Ergebnis ist in beiden Fällen zwar gleich („die steht hierarchisch unter mir“), aber der Grund ist ein anderer und auch die darin liegende Herabsetzung ist eine andere.

  9. Eine Frau, die ein Kopftuch trägt, signalisiert damit erstmal dies: Sie trägt ein Tuch über dem Kopf/um den Kopf.
    In Deutschland tragen Frauen meistens dann ein Kopftuch, wenn sie sich aus religiösen Gründen dazu entschieden haben. Manche tragen es, gerade weil es auf Ablehnung stößt, wenn sie dies tun.
    Es gibt keinen Grund, von vorneherein anzunehmen, dass eine Frau dieses oder jenes Rollenverständnis in sich trägt, aufgrund ihrer Kopfbedeckung. Freie, erwachsene Frauen, die mit mir zusammen studiert haben, tragen Kopftuch. Andere nicht. Obwohl sie der gleichen Religion angehören. Gerade WEIL jede Frau mit Kopftuch eben jene sein könnte, die es nur trägt, weil sich hier in Deutschland Leute wie @mettskillz darüber aufregen, ist es angebracht, JEDER Frau mit Kopftuch den gleichen 100%igen Respekt und was noch alles entgegenzubringen, wie jeder anderen Frau, jeder anderen Person auch.

    Desweiteren ist mir @Kübra mit ihrer Kolumne noch nicht negativ aufgefallen, was die Darstellung ihrer Religion angeht. Sie schildert meistens das Zusammentreffen ihres Alltags, der zT von ihrem Glauben geprägt ist, mit dem Alltag der „Mehrheitsgesellschaft“ und ihren Auswüchsen. Sie missioniert nicht über den Islam, stellt ihn nicht gut dar, und ohne zu recherchieren wüsste ich nicht einmal, ob sie Schiitin oder Sunnitin ist – was ich wüsste, wäre sie preachy about it. Auf dieser Seite geht es um Feminismus (auch im Islam gibt es übrigens feministische Theorien…), also auch um feministische Frauen, wie sie leben und was sie, außer Feministin-Sein, sonst noch ausmacht.
    In diesem Sinne freue ich mich über die Worte zum Freitag. Gerade an den elenden „Kopftuchdebatten“ lässt sich erkennen, dass Frauen nicht einfach tragen dürfen, was sie möchten. Sie müssen, im Fall Kopftuch->Rollenzuschreibung, lang und breit beweisen, dass sie wirklich eigenständig denken und handeln (als erwachsene Menschen!), geglaubt wird ihnen das aber erst, wenn sie das Kopftuch dann ablegen. Sonst müssen sie sich weiterhin Zuschreibungen bis hin zu Beschimpfungen und Angriffen gefallen lassen. Nach Selbstbestimmung über Körper und Kleidung klingt das nicht gerade.

  10. Schade, jetzt scheinen wir ja doch diese Diskussion führen zu müssen. Nein, eine Frau die ein Kopftuch aus religiösen Gründen trägt trägt eben nicht einfach nur ein Tuch auf dem Kopf. Ob sie das aus Protest machen oder weil sie sich anpassen wollen oder weil es ihre Überzeugung ist ist hierbei ja irrelevant. Das „religiöse Kopftuch“ hat nunmal eine Bedeutung die man nicht einfach negieren kann.

  11. @mettskillz

    Das Kopftuch hat niemals nur eine Bedeutung und diese Bedeutungen bestimmen die Träger_innen – und nicht du. Ich bitte dich, von weiteren Verallgemeinerungen und uninformierten Beiträgen abzusehen.

    Nachtrag: Vergleiche mit Nazisymbolen werden ohne Diskussion gelöscht.

  12. @magda: Nein, die Bedeutung wird nicht nur vom Sender einer Botschaft (eines Kleidungsstückes, eines Symbols) bestimmt. Die Meinung erscheint mir ziemlich kontextlos und überrascht an der Stelle. Es wird ja auch sonst auf diesem Blog (z.t. zurecht) vertreten, dass der Empfänger (mit)bestimmt (z.B. was normales gucken und was „gaffen“ ist).

    Insgesamt finde ich dass der Vorwurf des trollens, paternalistisch etc. etwas reflexhaft verwendet wird, wenn jemand eine andere Meinung äußert. Ist es nicht auch paternalistisch für Kübra zu antworten, Magda?

  13. Es brauchte Jahre, bis ich verstand, dass wir mit unserem Streben nach Konformität heute noch den Lebensdurst der anderen töten.

    Ja, Verschiedenheit: Hass auf der einen Seite und Angst auf der anderen. Echt jetzt, und Konformität: Gleichgültigkeit statt Hass und Selbsthass statt Angst, soll das besser machen? Abgesehen davon, dass die Möglichkeit, konform zu sein, den Meisten nicht einmal zur Verfügung steht.

  14. Ich halte es ebenfalls für falsch, allein dem Absender einer Botschaft (und eine solche Botschaft kann auch in der Verwendung bestimmter Signalkleidung liegen) die Deutungshoheit zu überlassen.

    Bei Belästigung oder Diskriminierung z.B. wird ja üblicherweise auf den Empfängerhorizont abgestellt.

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