Du musst reagieren – Interview mit Sookee

Sookee ist schwer beschäftigt. Zwischen der Veröffentlichung ihres dritten Albums, zwischen Konzerten und Vorträgen zu Queerfeminismus und Homophobie im deutschen HipHop unterrichtet die Berliner Rapperin auch noch an einer reformpädagogischen Schule. Zum Gespräch lädt sie zu sich nach Hause ein, wo die Räume mit viel Lila dekoriert sind, Sookees Lieblingsfarbe.

Auf dem Weg hierher kam mir in der S-Bahn erst eine Siebenjährige entgegen, die ganz affektiert ihre Handtasche trug. Dann stieg ein anderes Mädchen ein, mit Puppenwagenmontur in Pink inklusive glitzerndem Regenschirm. Was wäre Dir in der Situation durch den Kopf gegangen?

Ich hoffe in solchen Situationen immer heimlich, dass diese Mädchen noch ganz cool und queer werden und pink dann aus einer anderen Motivation heraus tragen. Aber da steckt natürlich auch eine riesige Industrie dahinter. In den Kaufhäusern sind ganze Abteilungen im negativen Sinn gegendert, nach Jungs und Mädchen aufgeteilt. Das weckt natürlich Bedürfnisse bei den Kindern, denn es geht auch da schon um Anerkennung und Zugehörigkeit.

Hast du mit Puppen gespielt?

Nee, ich war weder an Puppen noch an Autos interessiert. Ich habe mich mehr mit Büchern beschäftigt. Und Bastelzeug, das war auch eher so meins. Ich kann aber das Bedürfnis noch gut nachvollziehen, diese Anerkennung haben zu wollen. Ich kann mich zum Beispiel an eine konkrete Situation erinnern, als im Kindergarten das Faschingsthema Zirkus hieß und unsere Gruppe in Gewichtheber und Ballerinas aufgeteilt wurde. Da hat meine Mutter noch nachts dran gesessen, mir das scheiß Tütü zu nähen, das ich aber am nächsten Tag nicht anziehen wollte, weil ich einfach keine Röcke trug.

In die Rolle des Gewichthebers zu schlüpfen, ging damals nicht?

Nein, das wurde gar nicht diskutiert. Ich würde heute vor Freude in die Hände klatschen, wenn ich ein Mädchen an der Schule, an der ich unterrichte, zu so etwas ermutigen könnte. Aber damals ist keine der Erzieherinnen auf die Idee gekommen, mir zu sagen, dass ich als Gewichtheber gehen könnte. Die Zuordnung ist hier ganz klar, nach wie vor. Allein das Beispiel Frauenzeitschriften zeigt, mit welchen Interessen Männer und Frauen nach wie vor in der öffentlichen Wahrnehmung ausgestattet werden. Da geht es doch nur um Kochen, Mode, Schönheit …

Liest Sookee überhaupt Frauenzeitschriften?

Ich kaufe die zwar nicht, lese sie aber, wenn ich bei der Ärztin sitze. Ich habe so ein Faible für Handarbeitsmagazine, diese Begleithefte von Frauenmagazinen fürs Stricken und Handarbeiten. Ich liebe es, Dinge selber zu machen. Stricken, Schmuck, alles mit Textilien wie Wolle und auch Papier. Das ist noch so ein Waldorfschulen-Ding in mir.

Ist das ein Hobby ausschließlich für Zuhause oder hast du das Strickzeug auch unterwegs dabei?

Ich nehme das total oft mit. Ist schon ulkig, wenn du in Minirock und Stiefeln oder Trainingshose und Anti-Homophobie-Aktionsbutton dein Strickzeug rausholst und überraschte Blicke erntest. Ich hatte so schon tolle Gespräche in der U-Bahn mit älteren Damen, denen ich unterstellen würde, dass sie sonst einen großen Bogen um mich machen würden.

Im feministischen Kontext ist Handarbeit längst rehabilitiert und als Teil des Do-It-Yourselfs-Empowerment akzeptiert. Aber dieses Gefühl, einen Widerspruch aushalten zu müssen, als Feministin gerne zu stricken oder Highheels zu tragen, kannst du das nachempfinden?

Schon, aber davon habe ich mich nie abschrecken lassen …

Nie abschrecken lassen oder ist das nicht ein Prozess gewesen? Etwas, dass Du Dir auch erarbeiten mussten?

Nein, für mich persönlich war das schon immer so, aber es war durchaus ein Prozess, das auch nach außen hin zu propagieren. In meiner Wahrnehmung war ich während meines Studiums die Einzige, die lange Haare, Nagellack und Wimperntusche trug, während mein Umfeld eher ­boyish war. Und es war auch klar, dass ich nicht in einem Wohnprojekt lebte oder irgendwo organisiert war. Da musste ich schon kämpfen. Ich wollte mich von diesen Lebensentwürfen nicht einschüchtern lassen, die so ultrakonsequent waren und die den unmittelbaren Übergang von der Uni ins Private und in die Politik darstellten.

Hast du das auch in einem anderen Kontext als dem universitären gemerkt?

Schon, etwa wenn ich mit meinen damals langen Haaren auf eine Lesben- oder Queerparty kam und angesprochen wurde, ob ich wüsste, auf was für einer Party ich bin. Und ich dachte, wieso sollte ich das jetzt nicht wissen …

Allein vom Äußeren wurde auf Inhalte geschlossen …

Genau, weil du dich nicht an den Codes beteiligst. Und ich habe meine Haare über eine sehr lange Zeit lang getragen. Als sie dann ab waren, meinten alle, ich hätte mich so verändert. Da sage ich: Nee, die Kleidung und das Make-Up ist dasselbe. Was Hairpolitics so ausmachen. Es stellt sich auch die Frage, warum ein heterosexuell-weiblich gelesenes Äußeres problematisch ist für Leute und ob da vielleicht Feminitätsfeindlichkeit hinter steckt.

Der Titeltrack deines neuen Albums Bitches Butches Dykes und Divas gehörte zum Soundtrack der deutschen Slutwalks im vergangenen Jahr. Wie hast du den Berliner „Schlampenmarsch“ denn erlebt?

Ich habe nicht so viel mitbekommen, weil ich auch Teil des Orgateams war, und jede von uns fünf Dinge auf einmal zu erledigen hatte. Aber was ich super fand: Obwohl die Demonstrationskultur in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern eher mau ist, konnten wir sehr viele Leute bewegen, die sonst nicht auf die Straße gehen. Es war ein wahnsinnig breites Spektrum an verschiedenen Berufen, Altersgruppen und gesellschaftlichen Positionen. Das hat mich sehr beeindruckt.

Was lief weniger gut?

Beschissen fand ich das Verhalten von Leuten mit Kameras. Ob die beruflich oder privat da waren, weiß ich nicht, aber diejenigen, die auch draufhielten, obwohl die oder der gesagt hat: ‚Nee, ich will jetzt nicht fotografiert werden.‘ Und das bei einer Veranstaltung, die unter dem Motto steht: „Nein heißt Nein.“ Dass das nicht gecheckt wird, zeigt, wie dringend notwendig Veranstaltungen wie der Slutwalk sind, um auf die Problematik sexueller Belästigung und Gewalt sowie ihrer Verharmlosung aufmerksam zu machen.

Wann bist du das letzte Mal sexuell belästigt worden?

Vor ein paar Wochen. Da war ich in Hamburg auf der Abschlussfeier einer Tagung zum 30-jährigen Bestehen der autonomen Frauenhäuser. Und als ich am Bahnhof stehe und auf meinen Zug warte, streunen zwei Jungs an mir vorbei und der eine sagt, während er in meine Richtung nickt: „Guck mal die da drüben. Die hat gar keine Fotze, die kannst du direkt in den Arsch ficken.“

Och nett…

Ja, krasser Satz, dachte ich. Ich bin dann einen Schritt auf ihn zu gegangen und sagte: „Alter, hast du gerade über mich gesprochen?“ Und das ist das Problem, wie du bei solchen Grenzüberschreitungen reagierst, denn klar ist: Du musst reagieren.

Man kann es ignorieren oder mit einem fiesen Spruch kontern …

Oder stehenbleiben, wegrennen, anspucken, anfangen zu diskutieren, auslachen, heulen, Freund oder Freundin anrufen – so steht es auch in einem Spoken Word-Text, den ich für den Slutwalk geschrieben und dort vorgetragen habe. Du hast so ein Riesenspek­trum an Reaktionen, von denen keine gerade richtig passt, und später fällt dir dann ein: Ach Mensch, hättest du doch mal dieses oder jenes getan oder gesagt. Und das finde ich so krass, dass selbst, wenn du gewappnet bist, dich mit den Themen befasst hast, vielleicht sogar Trainings dazu gemacht hast, es dir in so einer Situation trotzdem immer wieder die Sprache verschlägt.

Wie ist die Situation am Bahnhof dann ausgegangen?

Obwohl ich sehr konfrontativ auftreten kann, hatte ich dort entschieden, nicht hinter denen herzurennen. Dafür hatte ich an dem Abend keine Kraft mehr, und außerdem wollte ich meinen Zug kriegen. Den zu verpassen, wäre es echt nicht wert gewesen.

 

Dieses Interview erschien zuerst bei der Freitag

 

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