Die sichtbaren und unsichtbaren Frauen der Wissenschaftsgeschichte

Titelbild von Madame Curie Complex (Überschrift, darunter leere Reagenzgläschen, nur eines ist mit roter Flüssigkeit gefüllt) Die Frage, wieviel Frauen eigentlich für die Wissenschaft geleistet haben und warum soviele unsichtbar blieben, ist schon länger da. Julie Des Jardins hat dazu gleich ein ganzes Buch aus explizit feministischer Perspektive geschrieben. “The Madame Curie Complex” heißt es und teilt die jüngere Naturwissenschaft in drei Phasen auf:

  • 1880-1940 Assistentinnen, Hausfrauen, austauschbar
  • 1941-1962 Kult der Männlichkeit in Zeiten heldenhafter Wissenschaft
  • 1962- Amerikanische Frauen und Wissenschaft im Umbruch
  • Zu jeder Ära stellt sie verschiedene berühmte, aber auch weniger bekannte Frauen vor. Wie bereits angedeutet, bezieht sich das Buch vor allem auf amerikanische Wissenschaftlerinnen, auch wenn viele aus Europa stammten. Wie vom Titel “Madame Curie Complex” zu vermuten, beginnt sie mit Marie Curie. Der im Titel angesprochene Komplex bezieht sich auf das Bild der Übermutter und Überwissenschaftlerin, als die Marie Curie in den USA in die Geschichte eingegangen ist und das jungen Frauen ein schwieriges Vorbild lieferte – dabei ist das Phänomen, das sie damit beschreibt, sicher international anzutreffen. Tatsächlich gaben viele der weiteren Wissenschaftlerinnen Marie Curie als Vorbild an, oft verbunden mit dem Wissen, selbst mehr als doppelt so gut sein zu müssen wie Wissenschaftler, um wenigstens halb so anerkannt zu werden.

    Eindrücklich beschreibt Des Jardins die vielfältigen Hürden, die Wissen­schaftlerinnen immer wieder zu überwinden hatten: den Zugang zu Universitäten und Forschungseinrichtungen an sich und das Abschieben auf schlecht oder oft sogar unbezahlte Lehrtätigkeiten an Frauencolleges. Ambivalent bleibt meist die Rolle der Männer. Der Unterstützung von Ehemännern und Vätern stellt sich der massive Widerstand von Kollegen entgegen. Nach großem Zulauf von Frauen in die Wissenschaften, brachen die Zahlen nach dem zweiten Weltkrieg wieder ein. Mit dem Kalten Krieg kam es außerdem zu einer extremen Zuschreibung von Wissenschaft und Technik als männlich – vorangetrieben auch von einer Psychologin, nämlich Anne Roe im Jahr 1953.

    Waren es vorher meist praktische Probleme, die Frauen von wissenschaftlichen Karrieren abhielten, wurde nun aktiv an der Aufrechterhaltung einer männlichen Domäne gearbeitet. Wissenschaftlerinnen mussten sich nun sehr genau überlegen, wie sie sich selbst inszenierten, um eine Nische für sich zu finden. Wer sich bisher nicht genau vorstellen konnte, wie Konstruktion von Geschlechterrollen funktioniert, dem sei das Buch ans Herz gelegt, zeigt Des Jardins doch genau diese Prozesse lebendig auf. Auch die vielen kleinen Details, die Frauen später unsichtbar machten, greift sie auf. So verschwand die eigenständige Arbeit lediger wie verheirateter Wissenschaftlerinnen am Manhattan-Projekt hinter der später verwendeten Formulierung „Wissenschaftler und ihre Ehefrauen“.

    Schließlich dreht greift sie noch die „Trimatinnen“, bzw. „Leakey’s Engeln” auf, Jane Goodall, Dian Fossey und Biruté Galdikas. Ausgewählt von einem Mann, Louis Leakey, sollten sie Menschenaffen dank ihrer „weiblichen Tugenden“ eingehender studieren, als dies bisher der Fall. Auf den Konflikt zwischen (männlich-)wissenschaftlichen Traditionen und den (weiblich-)unkonventionellen Methoden der „Engel“ geht Des Jardins leider etwas zu kurz ein. Hier bleiben noch einige Fragen offen, etwa der längerfristige Einfluss auf den Wissenschaftsbetrieb. Wer sich für Wissenschaftsgeschichte interessiert oder nachvollziehen möchte, warum wir „normale“ Forscherinnen so oft vergessen haben, der/die sollte sich “The Madame Curie Complex” unbedingt kaufen.

    Der größte Nachteil: Das Buch ist bisher leider nur auf Englisch erhältlich.

    Erschienen bei The Feminist Press, 352 Seiten, 12,05 €

    7 Kommentare zu „Die sichtbaren und unsichtbaren Frauen der Wissenschaftsgeschichte

    1. Tja, würden die meisten männlichen Wissenschaftler nicht ihre Forschungsergebnisse zur Aufwertung ihres männlichen Status betreiben, sondern so wie wohl die meisten von uns pragmatisch das beste Ergebnis erzielen zu wollen, gäbe es wohl keine unsichtbaren Wissenschaftlerinnen.

      LG,
      Lucia

    2. @Lucia
      Die Logik musst du mir erklären. WissenschaftlerInnen müssen immer publizieren, da geht Druck von den Unis aus, auf Männer und Frauen. Männer tun dies dann aber statusorientiert egoistisch, während Frauen grundsätzlich idealistisch und gemeinschaftsorientiert arbeiten? Nunja. Nimm mal die „neuen Göttinger 7“, auch Männer, Physiker, die sich weigerten an Atombomben mitzuarbeiten. Dafür wurden sie berühmt, die selbe Berühmtheit hätten sie sicherlich auch erlangt wenn sie die Bombe doch gebaut hätten, so oder so, Öffentlichwirksam isses, du nennst es Status, und lässt denen somit keine Chance daraus zu kommen. Sind ja nur Männer…

      Nene, ehrlich: Die Gründe dafür das Wissenschaftlerinnen weniger Popularität haben liegt bestimmt nicht am mangelnden Ehrgeiz.

    Kommentare sind geschlossen.

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