„Camerawoman“ – gute Idee, enttäuschende Umsetzung

“Ein Magazin, das Frauen, die Dinge tun, im Fokus hat – geil!”, dachte ich, als zum ersten Mal von “Camerawoman” hörte.
Frauen als fotografierende Personen anzuerkennen – Frauen als fotografisch arbeitende Personen anzuerkennen – Frauen als mit Maschinen arbeitende Wesen anzuerkennen: viele Formate tun sich damit schwer.
In der Fotografie herrscht noch immer das generische Maskulinum, obwohl nicht zuletzt die Smartphonefotografie für einen so einfachen Zugang zur Licht-und Bilderfängerei sorgte wie nie zuvor.

Neugierig und erfreut ging ich also in einen Kiosk und suchte nach der Zeitschrift. Sie stand zwischen Heften, die sich mit Bildbearbeitung, Kamera- und Computertechnik befassen und wirkte, aufgrund des klassischen Coverfotos einer weißen normschönen Frau*, so deplatziert, wie es nur gehen kann.
Der Grund dafür flatterte mir aus dem Heft auch direkt vor die Füße: “Bitte platzieren Sie Camerawomen neben Brigitte, Joy und Jolie.”.

“Äh – what?”, ich hielt den Zettel hoch und grinste den Verkäufer an.
Wir kamen ins Gespräch. Er hatte die Zeitschrift unter “Technik” abgelegt, “weil – geht doch um Technik! Ich weiß zwar nicht, wieso das jetzt noch extra für Frauen sein muss … Aber naja, Frauen gehen ja vielleicht anders an Motive ran und …”.
Leider hatte ich keine Zeit für ein Feminismus 101, das Gespräch blieb mir aber hängen, denn sowohl im Editorial von “Camerawoman” als auch im Crowdfundingvideo erzählen Männer, wie Frauen fotografieren. Sagen Männer, dass Frauen es ja nicht so mit der Technik hinter der Fotografie haben und intuitiver an die Sache heran gehen, nachdem sie erst sagen: “Wow, es gibt Frauen, die anspruchsvoll, professionell, gerne fotografieren.”.

Wie also angeblich so speziell eine Kamera nutzende Personen dazu bringen, ein Magazin zu kaufen, dass ihre gern ausgeübte Freizeitbeschäftigung im Fokus hat? ManN macht ein spezielles Magazin in einem von dieser Zielgruppe (angeblich) bevorzugtem Format. Bei Frauen, die von Knöpfen, Zahlen und Wissenschaft (laut misogynem Stereotyp) schnell zu überfordern sind, erschien offenbar die Sparte “Lifestyle” als sinnig.

Tatsächlich werden geneigte Lifestyleleserinnen* eher Zugang zu “Camerawoman” finden, wenn sie neben Brigitte, Bärbel und Paula liegt, sie (und andere Personengruppen) werden aber weiterhin nicht an den Punkt  kommen von sich zu denken, dass ihre Fotografiererei auch ein Handwerk ist. Arbeit. Eine aktive, selbstermächtigende Handlung. Es bleibt aufrecht erhalten, dass die Nutzung einer Kamera von einer Frau ein schmückendes Accessoire ist oder Spielerei auf Instagram, wie sie gerade hip ist.

Doch schlägt man das Heft auf, steht man vor auch einem begrüßenswertem Novum: eine Zeitschrift, in der alle Fotostrecken von Frauen sind und die Portraits von Frauen, die als Fotografin arbeiten und mit der Fotografie Kunst erschaffen enthält.
In Punkto Sichtbarkeit von Frauen kann man also nicht pauschal klagen – sehr wohl aber über die Sichtbarkeit von Frauen (die nicht weiß und/oder nicht normschön und/oder behindert sind und/oder sich selbst gar nicht als Frau bezeichnen und/oder keine als weiblich kategorisierten Körper haben).

Apropos Sichtbarkeit von Frauen. Scheinbar wurde bei der Magazinkonzeption nicht bedacht, dass weiße lächelnde normschöne Frauenkörper sehr gern als Dekoelement in der Werbung benutzt werden. So ist ein störendes Element in “Camerawoman”, das zwischenzeitlich nicht zu erkennen ist, wann man gerade eine der vielen mehr oder weniger gut passenden Werbeanzeigen bzw. Produktplatzierungen betrachtet.

Inhaltlich bietet Camerawomen meiner Ansicht nach wenig, was nicht auch über andere Wege erfahrbar ist. Die besten Tipps zur abwechslungsreichen Urlaubs-Heimtier-Food-Stilllife- etc. etc. etc. – Fotografie finden sich heute auch in anderen Lifestylemagazinen, auf YouTube und nicht zuletzt in Blogs, die die Fotograf_innen selbst führen.
Tatsächlich sind es Portraits von Fotograf_innen und ihren Arbeiten und Arbeitsweisen, die mich persönlich noch am ehesten dazu verleiten, eine gedruckte Zeitschrift zu kaufen, denn Frauen*, die Dinge tun sind praktisch unsichtbar.

Sicherlich wird “Camerawoman” ihre begeisterten Leser_innen finden, weil die Fotografie von je her erfreut und fasziniert und der Zugang relativ leicht ist.
Eine Zeitschrift, die eine Veränderung der bestehenden Stereotypen über Frauen, die fotografieren, einläutet, ist sie (derzeit) hingegen nicht.
Im Gegenteil.
Nicht nur die peinlichen Bemühungen der Redaktion auf gar keinen Fall irgendwie im Entferntesten feministisch zu wirken – unter anderem mit einer Referenz auf big old Alice -, sondern auch der ausgebliebene Versuch bestehende Formate wie “Camera” (ein eher ungegendertes Fotomagazin) einfach so zu konzeptionieren, dass sie inklusiver werden, sprechen dafür.

Schade.
5€, die auch ein neuer Farbfilm hätten sein können.

4 Kommentare zu „„Camerawoman“ – gute Idee, enttäuschende Umsetzung

  1. Das hört sich ja wirklich enttäuschend an. Ich fotografiere selbst gerne, aber jedes Mal wenn ich im Netz auf Fotoblogs oder in Foren unterwegs bin vergeht mir nach kurzer Zeit die Lust. Vor allem wenn es um Portrait- oder Aktfotografie geht und dieser krasse männliche Blick auf weibliche Körper alles dominiert. Es ist schon sehr heftig, wie Ein großer Teil der Fotografieszene normschöne Körperideale manifestiert und repliziert.

  2. Ich mache mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt. Was ich schade bei dieser Kritik finde, ist, dass mit Wahrheit nur so umgegangen wird, wie es der Autorin gerade ins Konzept passt. In Hannah C.s Verriss heißt es: „denn sowohl im Editorial von “Camerawoman” als auch im Crowdfundingvideo erzählen Männer, wie Frauen fotografieren. Sagen Männer, dass Frauen es ja nicht so mit der Technik hinter der Fotografie haben und intuitiver an die Sache heran gehen, nachdem sie erst sagen: “Wow, es gibt Frauen, die anspruchsvoll, professionell, gerne fotografieren.”. Dass neben zwei Männern auch zwei Frauen auftreten, wird mal glatt unter den Tisch gekehrt. Und so weiter… Deswegen kann ich nur jeder/jedem raten: Macht euch am besten euer eigenes Bild von unserem Magazin camerawoman.

  3. Großartig, Jürgen Lossau – vielen Dank für die direkte Bestätigung dessen, was Hannah kritisierte, mit ein bisschen Zusatzmainsplaining, sexistischer Infantilisierung der Kritikerin, und Schweigen im Walde zu den Kritiken. Super, dass sich Menschen in der Tat ein eigenes Bild machen können – voilà! :D m)

    @Hannah: Vielen Dank für Deine informative und differenzierte Kritik :)!

  4. Hach, die Camerawoman hatte ich auch schon in der Hand. Schade, dass in der Ausgabe die Leserinnen scheinbar auf süße Tierfotografinnen und Fashionistas mit Food- oder Fashionblogs reduziert wurde. Habe sie nach kurzem überfliegen auch wieder weggestellt. Idee gut, Ausführung mangelhaft. Schade eigentlich.

Kommentare sind geschlossen.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑