Kerngeschäft Feminismus: Nicki Minaj und weiße Solidarität

Ganz ehrlich: Ich persönlich bin kein großer Nicki-Minaj-Fan. Es gibt ein, zwei Lieder, die ich nicht schlecht finde, und ansonsten wundere ich mich (nicht) darüber, dass andere Rapperinnen – Rapsody, Jean Grae, Sa-Roc, Rah Digga, Dai Burger, um nur ein paar Namen zu nennen – nicht halb so viel Aufmerksamkeit genießen. Das hat mit Minajs besonderem Flow, genreübergreifenden Stil und Vermarktungsgeschick zu tun, aber auch mit Minajs konventioneller(er) Schönheit und der einfachen Reduzierung ihrer sex-positiven Self-Empowerment-Message auf „Sexbombe“ für einen male gaze. In jedem Fall ist Nicki Minaj eine der erfolgreichsten Rapperinnen aller Zeiten und versteht – im Gegensatz zu Iggy Azalea, zum Beispiel – nicht nur ihr Handwerk, sondern auch die Geschichte des Rap/Hip Hop.

Ihr letztjähriger Hit, „Anaconda“, war nicht nur ein Charterfolg, sondern Minaj brach mit dem Video Rekorde. Etwas über eine Woche nach der Veröffentlichung hatte „Anaconda“ bereits 100 Millionen Zuschauer_innen; es war eines der erfolgreichsten Videos des Jahres. Auch ihr und Beyoncés „Feeling Myself“, das zwei der aktuell bekanntesten und erfolgreichsten Hip Hop- und Pop- Künstler_innen vereinte, resultierte in einem sehr beliebten Video, dessen Regie beide maßgeblich führten. „Anaconda“ wurde in diesem Jahr für einen MTV „Video Music Award“ (VMA) in den Kategorien „Best Female Video“ und „Best Hip Hop Video“ nominiert. „Feeling Myself“ ging leer aus, und „Anaconda“ wurde ebenfalls nicht in der wichtigen „Video of the Year“-Kategorie nominiert (wenngleich Beyoncés „7/11“ eine Nominierung erhielt). Bei Twitter hat Nicki Minaj dies kritisiert.

[Übersetzung: 1. „Wäre ich eine andere „Art“ von Künstlerin, wäre Anaconda nominiert für Beste Choreographie und auch für Video des Jahres.“ 2. „Wenn die „anderen“ Mädels Videos veröffentlichen, die Rekorde brechen und Auswirkungen auf Kultur haben, werden sie nominiert.“ 3. „Wenn dein Video Frauen mit sehr schlanken Körpern zelebriert, wirst du für „Video des Jahres“ nominiert.“ 4. „Ich bin nicht immer selbstbewusst. Nur müde. Schwarze Frauen beeinflussen Popkultur so sehr, aber werden selten dafür belohnt.“]

„Und weiter?“, könnte man sagen. Preisverleihungen wie die VMAs sind kapitalistische Selbstzelebrierungen: Den kommerziell erfolgreichsten Künstler_innen wird noch mehr gegeben. Nominierungen orientieren sich an finanziell gemessenen „Leistungen“. Einen „Moon Man“ zu gewinnen ist wichtig, weil die VMAs die „junge“ Ergänzung zu den Grammys sind, was de facto bedeutet, dass die erwünschten, ideal(isiert)erweise kaufkräftigen Zielgruppen direkt erreicht werden und lukrative Werbedeals, Netzwerke und ähnliches warten, wenn man bei den VMAs erfolgreich ist. Es geht also – Überraschung! – in erster Linie um ökonomisches und soziales Kapital; auch bei Nicki Minajs Einwand.

Das ist aber nicht alles. Nicki Minajs Tweets zielen auf Fragen kultureller Aneignung, aber zentraler noch der Repräsentation und der Anerkennung; nämlich der Repräsentation und Anerkennung Schwarzer Frauen in Popkultur und der Repräsentation und Anerkennung bestimmter Körperformen in jener (schon vor der Revolution). Diese Fragen bringen viele Leute immerhin dazu, es als empowernd zu sehen, wenn Lena Dunham in „Girls“ die Hüllen fallen lässt, aber Beyoncé als „Schlampe“ zu bezeichnen, wenn sie strippt. Diese Fragen machen „Home“ zu einer Fußnote in der Animationsfilmwelt des „Frozen“; diese Fragen machen „Critical Whiteness“ (bzw. das, was weiße Menschen je nach Tagesform darunter verstehen möchten) zum Anathema des Feminismus (u.v.m.). Popkultur ist nur einer der gesellschaftlichen Bereiche, in dem diese „Logik“ greift.

Die vielen vorsorglichen Smileys haben Minaj nichts gebracht: Sie wurde bereits zur „Angry Black Woman“ gemacht. Taylor Swift fühlte sich durch Minajs Tweets angesprochen und beleidigt und antwortete so, wie es der hashtag #SolidarityIsForWhiteWomen (Solidarität ist für weiße Frauen) präzisierte:

[Übersetzung: „Ich habe nichts getan, außer dich zu lieben und zu unterstützen. Es sieht dir nicht ähnlich Frauen gegeneinander auszuspielen. Vielleicht hat einer der Männer dir deinen Platz weggenommen.“]

Was Taylor Swift hier macht, ist Nicki Minajs Kritik an rassistischen und körpernormierenden Diskriminierungen des Popkultur-Geschäfts – das sich über den Umsatz, der durch Schwarze Künstler_innen generiert wird, freut, aber diese nicht gleichwertig anerkennt, was wiederum auch finanzielle Auswirkungen auf jene hat –  zu übergehen und sich stattdessen persönlich angegriffen zu fühlen. Schlimmer noch, Taylor Swift ignoriert nicht nur die grundlegende Kritik Minajs an diesen Machstrukturen, sondern münzt die Diskussion auf sich um: Es geht nicht mehr um Minajs strukturelle Kritik, sondern um Taylor Swift als Mittelpunkt und um Minajs angeblich unfaires Verhalten, eine ihr wohlgesonnene Person unvermutet anzugreifen. Swift macht Minajs antirassistische und anti-fatshaming-Kritik, die Swift mit keinem Wort erwähnte, zu einer Frage unbedingter weiblicher* Solidarität: Kerngeschäft Feminismus, für das z.B. Antirassismus nur Ablenkung vom Wesentlichen ist. Man kann es den „klassischen Move“ weißer Feminist_innen nennen.

Hier schließt sich der ironische Kreis zu den VMAs als schlichte kapitalistische Selbstbeweihräucherung und der Frage, warum man über diesen Klassenaspekt hinaus weiterdiskutieren möchte: Feminist_innen wissen meist um die Wichtigkeit von Repräsentation und Anerkennung als Aspekte von Macht  – angefangen bei geschlechtergerechter Sprache über Protest gegen sexistische Werbung hin zu  Quoten. Schlagartig vergisst man aber genau dieses Mantra, wenn es nicht mehr (nur) um Antisexismus, sondern auch um Antirassismus und Antifaschismus geht. Wehrte man sich vorher noch (zu Recht) gegen die Idee_Ideologie, dass rhetorischer Universalismus (im generischen Maskulinum…) mehr bedeute als „Männer“, schwindet das Differenzierungsvermögen radikal, wenn rhetorischer Universalismus nicht nur als androzentrisch, sondern auch als weiß (und heteronormativ, und cissexistisch, und ableistisch) kritisiert wird. Taylor Swift zeigt exemplarisch, wie das geht: Kritik ignorieren, sich selbst als Opfer einer Woman of Color (WoC)-Attacke stilisieren und dann an weibliche Solidarität appellieren. Schnell wird also die Kritikerin zur antifeministischen Verräterin, wenn sie den Burgfrieden nicht hält. Wir hatten das schon oft.

Die Mädchenmannschaft zum Beispiel sieht sich regelmäßig mit der Kritik konfrontiert, dass wir „uns“ vergäßen (das „wir“ wird hierbei imaginiert als homogenes, weißes, Feministinnen-Kollektiv und der Zeit, in der das tatsächlich so war, nostalgisch nachgetrauert), dass man sich als Feminist_in auf das „Kerngeschäft“ besinnen müsse, dass Critical Whiteness ™, die man fortwährend (und erstaunlich frei) mit uns assoziiert, ein ausschließlich auf US-Zusammenhänge anwendbares Konzept sei und jede Form feministischer Kritik auch an People of Color (PoC) communities unmöglich mache. Sowohl die Geschichte als auch der Sinn hinter Critical Whiteness Studies werden dabei natürlich gänzlich aussen vor gelassen. Was vor kurzem noch schlichter Antirassismus war, gar common sense (z.B., dass Rassismus eine gesellschaftliche Struktur ist, der man sich nicht mit persönlicher „Ich bin kein_e Rassist_in“-Deklaration entzieht), ist mittlerweile als „Critical Whiteness“ und „Privilegien checken“ verschrien, um sich mit diesem Schlagwort-Konzept aus der Verantwortung ziehen zu können. Die Thematisierung von Rassismus in feministischen Bewegungen_in der Linken wird so verunmöglicht; gleichzeitig hält die rechte Rhetorik von „PCness“, „Diskurspolizei“ und „Denkverboten“ Einzug, wenn man sich mit antirassistischen und anti-antisemitischen Kritiken konfrontiert sieht. Auch „Definitionsmacht“ wurde zu einem geflügelten Wort; bedeutet es in den meisten Zusammenhängen doch aber nur, dass von Rassismus Betroffene durchaus in der Lage sind, Rassismus selbst zu erkennen.

Zurückkommend auf Taylor Swift und Nicki Minaj heißt das: Statt sich mit Nicki Minaj zu solidarisieren, fordert Swift Solidarität von unten nach oben. Statt sich als Feministin mit Minaj genau deshalb zu verbünden, unterteilt Swift Identitäten und die ihnen zugrunde liegenden Machtstrukturen (deshalb Identitätspolitik, übrigens, not for the hell of it…) in Schwarz oder Frau. Statt zu erkennen, dass für WoC weiße Frauen eine ebensolche Quelle an Diskriminierungen sind wie (weiße) Männer, ist Swift Feministin, solange es in diesem Feminismus nicht um Schwarze Frauen geht. Statt sich mit dem tatsächlich Gesagten auseinanderzusetzen, stilisieren Swift und weite Teile der Medien Minaj zur „wütenden Schwarzen Frau“ (Angry Black Woman), der man bisher mit viel Liebe und Unterstützung begegnet sei, die sie nicht erwidere (…und offenbart so die Erwartungshaltung, dass PoC dankbar sein müssten für die Einhaltung grundlegender Regeln des Umgangs).

Kerngeschäft Feminismus: In dieser Welt(sicht) geht nur A oder B. Man kann nicht zugleich PoC und Feministin sein, man muss eines dem anderen unterordnen. Kritik an Strukturen wird als persönlicher Angriff verstanden, als „cat fight“, als „Stutenbissigkeit“, als Unfreundlichkeit, statt als eine politische Auseinandersetzung. Das letzte Jahrhundert an feministischen Debatten hat in dieser Sichtweise niemals stattgefunden. Im Kerngeschäft Feminismus ist alles Spaltung, was sich nicht der weißen, heterosexuellen Cis-Norm unterordnet; was nichts mit Lohnungleichheit zwischen Frauen ™ und Männern ™, Quoten, heteronormativen reproduktiven Rechten und sexistischer Werbung zu tun hat, ist kein richtiger Feminismus. Diese Eindimensionalität wird gleichzeitig als Stärke zelebriert, während sie weite Teile von Frauen* ausschließt. Reagieren Frauen* dann auf jene Ausschlüsse, sind sie unsolidarisch – nicht umgekehrt. Sich mit eigenen Rassismen, mit Antisemitismus, mit Heteronormativität, … zu beschäftigen, wurde entweder zu „aggressiv“ gefordert und kann daher ignoriert werden oder ist die kuriose Angelegenheit queerfeministischer „Sekten“. Kerngeschäft Feminismus: Taylor Swift hat es in 140 Zeichen illustriert.

16 Kommentare zu „Kerngeschäft Feminismus: Nicki Minaj und weiße Solidarität

  1. Danke für diesen Knaller-Artikel!
    Und als #-Königin hast du dich wieder einmal selbst übertroffen!
    <3 <3 <3 Critical Whiteness Killed My Hamster <3 <3<3

  2. Wie lustig! Hab vorhin im Radio dazu so eine kurze Meldung über den „Catfight“ zwischen Minaj und Swift gehört und dachte tatsächlich noch kurz „oh weh, das wird wieder alles ganz schrecklich jetzt“ und wie ich mich freuen würde, einen pointierten Kommentar von wem Guten dazu zu lesen… Und ZACK – Wunsch erfüllt.

    Von wegen Servicewüste Deutschland. ;-)

    Und da ich es auch nicht besser sagen als Magda da oben, wiederhole ich sie einfach:

    „Danke für diesen Knaller-Artikel!“

    !!!

    (im Sinne von: !!!1!!!!11!!)

  3. Ich hab heute schon ein paar Artikel über das Thema gelesen, und dieser gehört nicht zu den Guten. Es wird einfach nur mit Begriffen um sich geworfen, und ich verstehe es nicht. Es wird einfach nur auf Taylor Swift rumgehackt.

    Zum einen kritisiert Nicki wohl Miley Cirus in ihren Tweets und nicht Swift. Und dann ist in der besagten Kategorie wohl das Verhältnis zwischen Weißen und Schwarzen ausgegleichen… Es wird also anerkannt, was durch Schwarze Künstler generiert wird. Da muss man Swift deshalb nicht so auseinander nehmen. Was möchtet ihr was eure Töchter lieber an Videos guckt? Taylor Swift oder Nicki Minaj? Ist Minaj so ein Vorbild für euch? Ich verstehe es wirklich nicht. Ich möchte hier nicht auf die Hautfarbe eingehen, weil es dann einfach nur noch komplizierter wird. Ich vergleiche hier Frauen. Und leider muss was Feminismus angeht, Minaj etwas nachholen – relativ zu Swift.

  4. ziemlig guter artikel, vielen dank fürs posten! ich finde es jedoch schwierig nicki minajs schönheit als konventionell zu bezeichnen. wir befinden uns in einer weiß-dominierten gesellschaft in der ein ausschließlig weißes schönheitsideal gilt, dass poc ausschließt. nicki minajs schönheit als konventionell zu bezeichnen verschleiert daher nur die gewaltvolle realität, dass poc keinem konventionellem schönheitsideal entsprechen können, sondern lediglich exotisiert und hypersexualisiert werden.

  5. @sistawista: Wichtiger Punkt, danke. Genau deshalb steht im Text auch „konventioneller(er)“, es geht also um eine Relation. Nicki Minaj ist aber schlank, hat glatte Haare und ist eine able-bodied Cis-Frau; sie vereint also durchaus einige konventionelle Vorstellungen von Schönheit auf sich.

  6. @ Alex: kritisieren heißt nicht „auseinander nehmen“.
    Und wie toll, dass du so eindeutig zu beurteilen weißt, welche Künstlerin in Sachen Feminismus die Nase vorn hat ;) das spiegelt ja ziemlich eindeutig deine (weiße, mittelschichts?) Perspektive wider. Die teilen nicht alle, und darum gings (u.a.) in dem Artikel. Eigentlich ganz simpel. Und wenn du Begriffe nicht verstehst, hilft die die Suchmaschine deiner Wahl bestimmt gern weiter.

    Danke für den tollen Artikel übrigens :)

  7. @Alex:
    „Zum einen kritisiert Nicki wohl Miley Cirus in ihren Tweets und nicht Swift.”
    Genau darum geht es und das ist das Problem und das steht auch im Artikel von accalmie.
    Nicki kritisiert Rassismus -> Taylor fühlt sich angegriffen, obwohl es überhaupt nicht um sie geht.

    Ansonsten solltest du den Artikel noch mal aufmerksam lesen. (Es geht genau darum, was problematisch daran ist, sich auf Feminismus als Sache von Frauen™ zu versteifen und außer Acht zu lassen, dass Frauen* bspw. auch PoC sind.)

    Ich find den Artikel ziemlich großartig.
    (Das mit der Identitätspolitik und inwiefern die gut™ oder schlecht™ ist, muss ich allerdings selbst mal nachlesen, scheint mir…)

  8. Vielen Dank für den Text!
    Einer der Verweise bzw. eins der Beispiele ist mir unklar: Was ist denn mit „Home“ als Fußnote von „Frozen“ gemeint?

  9. @rakli: Bei beidem handelt es sich um Animationsfilme, wobei „Home“ der erste große Hollywood-Animationsfilm war mit einem Schwarzen Mädchen als Haupt-Protagonistin.

  10. Ich find das Minaj-Video einfach übel, voll mit übelster Stereotypen und eine Dekonstruktion dieser kann ich auch beim besten Willen nicht erkennen. Dieser Aspekt sollte bei der Diskussion nicht außen vor bleiben. Und ja, andere machen auch Mist und wurden und werden dennoch ausgezeichnet. Ich weiß es und finde es falsch. Daher ist für mich die Sache komplizierter: Minaj produziert(e) und repräsentiert(e) sexistische Stereotype. Gleichzeitig ist sie diesen und anderen Stereotypen nicht voraus oder kann sich davon befreien – siehe Rassismus.

  11. @AlexvB: Ich finde nicht, dass Du die Sache komplizierter angehst, sondern vereinfachst. Erstmal hat Taylor Swift (et al.) Nicki Minaj nicht mangelnden Feminismus vorgeworfen wegen des Anaconda-Videos; zum zweiten lassen weiße Künstlerinnen wie Swift, Cyrus, Allen und Azalea in ihren Videos gerne Schwarze Frauen *für sich* twerken. Am wichtigsten: Das Anaconda-Video selbst wurde vielfältig diskutiert, und so einfach kann man es sich nicht machen.

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